Rede von
Regina
Schmidt-Zadel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher kann es besser werden, Herr Möllemann; dafür werden wir etwas tun.
Wer in den letzten Monaten und auch heute wieder die Debatten der Regierungskoalition um die Ausgaben im Gesundheitswesen verfolgt hat, dem wurde wirklich Erstaunliches suggeriert. In allen Medien haben Sie, Herr Seehofer, der Öffentlichkeit weiszumachen versucht, die Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung rührten überwiegend daher, daß den Versicherten unter dem Deckmantel der Gesundheitsförderung allerlei Unsinniges, Nutzloses und auch Kurioses angeboten wird. Das mag manchmal der Fall gewesen sein; das war auch nicht in unserem Sinne.
Wer sich aber nun den von Ihnen vorgelegten Entwurf für ein Beitragsentlastungsgesetz - der Name ist eigentlich schon verräterisch genug - ansieht, wird feststellen: Ihr monatelanges Lamentieren über Bauchtanzkurse und Häkelkurse auf Krankenschein war nichts weiter als eine wohlvorbereitete Kampagne.
Es ging Ihnen vor allem darum, eine Stimmung zu erzeugen, die es Ihnen leichter machen würde, Ihr als Sparkonzept getarntes Zusammenstreichen von wichtigen und unverzichtbaren Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen durchzusetzen.
Dazu möchte ich vorweg folgendes sagen: Sie haben mit dieser Diffamierungskampagne und dem, was Sie in Ihr Gesetz gepackt haben, einen der schwersten gesundheitspolitischen Fehler der letzten Jahre begangen. Sie haben den gesetzlichen Kassen einen wahren Bärendienst erwiesen, indem Sie ihnen undifferenziert und pauschal vorwarfen, einen Freizeitpark Deutschland zu finanzieren. Da sind Sie, Herr Minister, ein gelehriger Schüler Ihres Kanzlers, der dieses Wort ja wohl geprägt hat.
Sie haben sich maßgeblich an einer massiven Imageschädigung der gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Programme zur Gesundheitsförderung beteiligt, indem Sie mit Ihrem Gerede den so wichtigen Bereich der Krankheitsvorbeugung in den Ruf des Lächerlichen ziehen. Sie haben der Krankheitsvorbeugung den Makel des Überflüssigen, des Verzichtbaren verliehen, indem Sie den Krankenkassen den in § 20 SGB V verankerten gesetzlichen Auftrag zur Gesundheitsvorsorge fast gänzlich entziehen.
Herr Seehofer und meine Damen und Herren, wer so kurzfristig handelt, sollte sich wirklich überlegen, ob er noch zu Recht den Namen Gesundheitsminister verdient.
Mit einer sinnvollen Gesundheitspolitik nämlich hat das Zusammenstreichen von § 20 SGB V absolut nichts mehr zu tun. Ganz im Gegenteil: Sie machen aus unserem Gesundheitssystem ein reines Krankheitsverwaltungs- und Reparatursystem.
Statt zu sparen, stoßen Sie eine Entwicklung an, die zu erheblichen Mehrausgaben führen wird. Ich will Ihnen jetzt erklären, warum.
Sie drehen den Tausenden von Selbsthilfegruppen, die zu einem unentbehrlichen Bestandteil in unserem Gesundheitswesen geworden sind, den Hahn zu. Die Aufnahme der Gesundheitsförderung in das Sozialgesetzbuch wird von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen als die entscheidende Reformoption des letzten Jahrzehntes bezeichnet. Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, auf den Sie immer gerne hören, hat in seinem Sondergutachten nicht die Streichung, sondern sogar den Ausbau der Gesundheitsförderung gefordert. Das gleiche haben auch Sie noch vor einem Jahr gesagt.
- Schauen Sie sich Ihre Reden an!
Es gibt eine ganze Reihe von Zahlen, die das sehr eindringlich bestätigen. Fast die Hälfte der 120 Milliarden DM an Lohnkosten bei krankheitsbedinger Arbeitsunfähigkeit wird durch chronisch-degenerative Erkrankungen verursacht, denen mit Vorsorgeprogrammen sehr sinnvoll begegnet werden kann.
83 Milliarden DM Kosten entstehen - meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen - durch ernährungsbedingte Krankheiten, 40 Milliarden DM durch das Rauchen und 60 Milliarden DM durch Bewegungsmangel.
Allein das macht zusammen etwa 240 Milliarden DM an Krankheitskosten aus, denen durch gezielte Vorsorgeprogramme und durch gute Gesundheitsförderung effektiv begegnet werden kann. Wenn durch diese Programme auch nur ein einziges Prozent der genannten Kosten vermieden wird, sparen Sie schon 2,4 Milliarden DM, also glatt das Doppelte der 1,2 Milliarden DM, die Sie durch das Streichen der Gesundheitsförderung einsparen wollen. Herr Mi-
Regina Schmidt-Zadel
nister, man kann ein Gesundheitssystem durch falsches Rechnen auch kaputtsparen.
Lassen Sie mich aber auch noch auf einen anderen Aspekt eingehen, der sich nach meiner Einschätzung und nach der Einschätzung der Verbände fatal auswirken wird. In den letzten Jahren hat sich eine große Zahl von Selbsthilfegruppen gebildet, die, finanziell und organisatorisch unterstützt durch die Krankenkassen, gerade bei den chronisch kranken Menschen hervorragende Arbeit geleistet haben.
Viele dieser Gruppen kommen ohne die Mithilfe der Kassen entweder gar nicht auf die Beine, oder sie müssen sich nach kurzer Zeit auflösen. Diese Gruppen benötigen keine großen Beiträge für ihre Arbeit. Hier wird mit wenig Geld wichtige und effektive Arbeit geleistet.
- Sehr schön. Wir werden uns darüber unterhalten.
Die in § 20 enthaltene Möglichkeit zur Förderung dieser Selbsthilfegruppen ist nicht nur sinnvoll und richtig. Der entsprechende Absatz 3 a ist für diese Gruppen auch immer so etwas wie eine staatliche Anerkennung ihrer Bedeutung gewesen. Wenn diese nun wegfällt, wird eine tragende Säule unserer Gesundheitsförderung ins Wanken gebracht. Wenn man dies mit einem Beitragssatz von 1,40 DM begründet, dann muß ich sagen, daß das geradezu lächerlich ist.
Herr Minister Seehofer, Sie wissen nur zu gut, daß die berühmten Bauchtanzkurse wirklich die Ausnahme sind. Die Kassen selber schätzen den Anteil dieser unsinnigen Angebote auf gerade einmal ein Prozent aller Maßnahmen und gehen schon aus Wettbewerbsgründen selbst gegen diesen Wildwuchs an.
Die Mehrzahl der Präventivangebote aber - darin sind sich alle Experten einig - sind notwendig und bringen unter dem Strich mehr ein, als sie kosten.
- Dazu habe ich etwas gesagt, lieber Herr Kollege Thomae.
Die gesetzlich verankerte Gesundheitsförderung ist kein unnötiger Luxus; sie ist das A und O einer sinnvollen Gesundheitspolitik. Die Krankheit, die am
wenigsten kostet, ist die Krankheit, die erst gar nicht entsteht.
Herr Minister, noch einen Satz zu der Reclam-Ausgabe. Ich finde, das ist ein Lob für uns gewesen, denn Reclam-Ausgaben können sich in den Schulen Millionen von Schülerinnen und Schülern leisten. Das ist ganz in unserem Sinne. Wir wollen, daß die Leistungen des Gesundheitswesens sich auch in Zukunft noch alle leisten können.
Vielen Dank.