Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich halte es angesichts der politischen Verhältnisse im Kräftespiel zwischen Union und F.D.P. sowieso für ehrlicher, das Gesundheitsministerium endlich aufzulösen und diesen Bereich in das Wirtschaftsministerium einzugliedern. Dort könnte dann Herr Thomae Staatssekretär werden und seine F.D.P.-Vorstellungen offen darstellen.
Ein besonders zynischer Zug der Politik ist die Kürzung des Krankengeldes.
Die Ausführungen, die Herr Fink hier gemacht hat, lassen darauf schließen, daß noch weitere Kürzungen geplant sind.
Auf der anderen Seite machen Sie Geschenke an die Pharmaindustrie und an die Ärzteschaft, vor allem an die Zahnärzte. Ich bin fest davon überzeugt, daß sich diese medizinische Fachrichtung demnächst in Zahlmedizin umbenennen wird.
Marina Steindor
Die Demütigungen eines schlechten Gebisses auf Grund der Altersarmut werden wir erst in ein paar Jahrzehnten haben. Sie schleichen sich aus der politischen Verantwortung.
Insgesamt ist dies ein Konzept der Ausgliederung von Leistungen aus der GKV. Es ist, wie Herr Möllemann hier sehr schön ausgeführt hat, ein Modell für die monetäre Steuerung von Zahnpflege. Wahrscheinlich wird es demnächst Sparbüchsen in Form von großen Backenzähnen geben, die in den Badezimmern aufgestellt werden und in die die Kinder, wenn sie die Zähne wieder mal nicht geputzt haben, einen Teil ihres Taschengeldes abdrücken dürfen.
Sie machen dies alles nicht aus gesundheitspolitischen Gründen, sondern um virtuelle Arbeitsplätze zu bewerkstelligen.
Schon jetzt aber ist absehbar, daß es im Bereich der Gesundheitsförderung, bei Reha-Einrichtungen und Kurkliniken, zu Arbeitsplatzverlusten kommen wird. Das könnte ich Ihnen auch vorrechnen.
Einer der größten Skandale war der Auftritt unseres werten Gesundheitsministers, als er sich hier über angebliche Werbemaßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgelassen hat.
In einigen Punkten ist es sicherlich zu Entgleisungen gekommen. Dafür aber trägt die Politik - hier spreche ich auch die SPD an - mit die Verantwortung. Sie haben die Kassen mit diesem unglückseligen Wettbewerb in diese Situation hineingetrieben.
Wenn Sie sich hier hinstellen und sich über Ernährungsberatung lustig machen, dann frage ich Sie, Herr Minister: Haben Sie eigentlich den Ernährungsbericht Ihres eigenen Ministeriums gelesen?
- So? Dann wissen Sie also, daß 113 Milliarden DM ernährungsbedingte Krankheitskosten entstehen.
Sie negieren die Tatsache, daß es durch Rauchen 40 Milliarden DM und durch Bewegungsmangel weitere 60 Milliarden DM an Gesundheitskosten geben wird. Sie negieren die gesundheitswissenschaftlichen Erkenntnisse über Gesundheitsförderung. Sie betreiben eine Politik, mit der sie durch die Tatsache, daß Sie jetzt die Gesundheitsförderung in eine freiwillige Leistung im Rahmen der Satzung transformieren,
diese zu etwas abwerten, was nicht in den Regelkatalog der GKV gehört und deshalb Ihrer Logik nach überflüssig ist.
Das ist angesichts des demographischen Wandels gerade falsch. Denn wie wollen Sie denn eine lange Plateauphase von Wohlbefinden bewerkstelligen? Etwa mit der Verordnung teuerer Medikamente? Überhaupt kann man nur feststellen, daß Sie alle medizinsoziologischen Erkenntnisse über Schichtgradient und Krankheit negieren, nämlich daß gerade die Armen beispielsweise bei der Zahnprophylaxe noch nicht so dabei sind, wie wir uns das alle wünschen.
Sie setzen auf High-Tech-Maßnahmen. Es wird von der Realisierung des medizinischen Fortschritts gesprochen, und dann heben Sie die Festbetragsregelung bei patentgeschützten Arzneimitteln auf. Patent ist bei Ihnen immer gleichbedeutend mit Gentechnologie.
Sie setzen auf Methoden, die vielleicht in 20 Jahren medizinisch einsetzbar sein werden. Gesundheitsförderung wirkt hier und heute. Gesundheitsförderung wirkt auch beitragssatzentlastend.
Was Sie hier liefern, ist eine gesundheitspolitische Bankrotterklärung. Sie wollen nur ein medizinischkuratives Medizinsystem. Sie nehmen den Krankenkassen die Möglichkeit, Krankheiten zu verhindern.
Sie setzen auf ein technisch dominiertes Gesundheitssystem. Sie machen leere Versprechungen und belasten die Versicherten zugunsten der virtuellen Schaffung von Arbeitsplätzen. Sie machen dies alles in einem blindwütigen, meiner Meinung nach ideologisch motivierten Aktionismus. Es wird immer gefragt, was wir für Konzepte haben.
Abschließend ein letzter Satz.
Durch eine einfache Maßnahme hätten Sie sogar noch mehr Geld in die Kassen bekommen können, nämlich wenn Sie die Beitragsbemessungsgrenze und die Versicherungspflichtgrenze bei der Rentenversicherung angepaßt hätten.