Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr haben die Debatten in diesem Hohen Hause zu der Erkenntnis geführt, daß die Finanzierungsprobleme der GKV wesentlich durch die Politik selbst entstanden sind.
Ich nenne hier die Pflegepersonalregelung, die Verschiebung der Kosten in andere Zweige der Sozialversicherung.
Was uns jetzt geboten wird, geht wieder genau in die gleiche, die falsche Richtung. Zusätzlich zu dem Gesetzeskomplex über das Gesundheitswesen, den wir seit Monaten beraten, werden wir nun mit einem sogenannten Beitragsentlastungsgesetz konfrontiert, das einzuführen für nötig befunden wird, und das, obwohl die Koalition unablässig behauptete, daß all die anderen Gesetze bereits diesem Zweck dienten.
Der Zweck, man wolle eine Beitragssatzsenkung erreichen, ist nur vorgeschoben. Der Abbau der gesetzlichen Krankenversicherung steckt in Wahrheit dahinter.
Sie beweisen erneut, daß die Patienten und die Versicherten schon lange nicht mehr im Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind sogar unter dem Aspekt der Beitragssatzsenkung in einigen Punkten kontraproduktiv. Durch die Kürzung der Höhe der Lohnfortzahlung werden zunächst die Einnahmen der Krankenkassen vermindert.
Ich hätte meine gesamte Redezeit mit Zitaten von Ihnen, Herr Minister, füllen können,
mit Ihren Versprechen, die Versicherten nicht weiter mit Zuzahlungen zu belasten,
mit Ihren Aussagen über den notwendigen Konsens in der Gesundheitspolitik - weil das Gesetz der Pflicht zur Zustimmung des Bundesrates bedarf -, mit Ihren Bekenntnissen zum Solidarsystem, mit Au-
Marina Steindor
ßerungen gegen die Ausgrenzung von Leistungen der GKV
und über Ihr selbst aufgestelltes Prinzip von der Vorfahrt für die Selbstverwaltung und und und.
All das spielt beim Beitragsentlastungsgesetz keine Rolle mehr.
Standen Sie mit dem Lahnstein-Kompromiß noch als der tapfere Gesundheitsminister da, der es wagte, sich mit der einflußreichen Standesorganisation der Ärzte und der Pharmaindustrie anzulegen, so haben Sie jetzt Ihr Gesicht verloren. Oder - wie Peter Ziller von der „Frankfurter Rundschau" so treffend formulierte -: Bei Ihnen blättert der soziale Lack. Ich würde sagen: Er ist an manchen Stellen schon ganz ab,
und man kann das neoliberale Zwei-Klassen-Medizin-Modell erkennen.
Sie sind der verlängerte Arm des Politikkonzepts der F.D.P. geworden.
Wenn man der Rede von Herrn Möllemann gelauscht hat, in der er dieses neoliberale Konzept gefeiert hat, in der er gefordert hat, daß man neu definieren muß, was Subsidiarität und Solidarität sind, dann wird man darin den Beweis dafür gefunden haben, daß die jetzigen Liberalen nichts aus der Geschichte gelernt haben.
Wenn man den Redebeitrag mit den Beiträgen verglichen hätte, die Ihre liberalen Vorgänger gehalten haben, als im Reichstag von Bismarck die Reichsversicherungsordnung eingebracht worden ist, so hätte man feststellen können, daß dieser denen sehr ähnlich war. Schon damals sind Sie gegen die gesetzliche Krankenversicherung Sturm gelaufen.
Sie versuchen seit über 100 Jahren, mit ihrer Politik, mit diesem neoliberalen Konzept eine Rechnung zu begleichen. Sie haben nicht verstanden, welch immense Kulturleistung im solidarischen Absichern von kollektiven Lebensrisiken besteht. Das haben Sie hier ganz deutlich gezeigt.
Ein nicht zustimmungsbedürftiges Gesetz zu machen war schon lange der Traum der F.D.P.: Endlich ohne diesen lästigen Bundesrat regieren! Sie entwerten die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß
über die zustimmungsbedürftigen Gesundheitsgesetze.