Das habe ich doch überhaupt nicht bestritten, Frau Kollegin Limbach.
Es geht darum - deshalb sollten Sie dies nicht verharmlosen -, daß Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen haben - es wird noch beraten werden, aber es ist Ihr eindeutiger politischer Wille -, das Krankengeld um 10 Prozent abzusenken. Da sollten wir nicht so tun, als ob dies nur eine Kleinigkeit wäre. Sie wissen selber, daß dies bei dem durchschnittlichen Nettoeinkommen - ich habe vorhin die Zahlen der AOK Baden-Württemberg genannt - netto 2 000 DM Krankengeld bedeutet.
Damit kann man keine großen Sprünge machen. Darauf will ich Sie aufmerksam machen. Sie sollten nicht versuchen, dies in irgendeiner Form zu verniedlichen. Darum geht es letzten Endes.
Meine Damen und Herren, es geht weiter mit der Streichung, nämlich mit der Streichung des Zuschusses für Zahnersatz für Versicherte unter 19 Jahren. Damit wird die Versorgung mit Zahnersatz für diese Altersgruppe vollends vom Einkommen abhängig. Ich frage Sie: Soll man in Zukunft Arm und Reich an den Zahnlücken erkennen? Dies ist doch nur der erste Schritt - bekennen Sie sich doch dazu -, um den Zahnersatz mit einem kompletten Zahnlückengesetz vollends zu streichen. Offensichtlich ist eines Ihrer Gesundheitsziele - da sehen Sie, daß Sie sich von den Gesundheitszielen wegbewegen - die zahnlose Zukunft für viele Menschen.
Herr Minister Seehofer, es ist Ihre eigentliche Aufgabe als Gesundheitsminister, präventive zahnerhaltende Maßnahmen umfassend zu aktivieren und zu verbessern und nicht nach der Rasenmähermethode Patienten zu bestrafen.
Mit welcher Willkür die eigene Unfähigkeit zur Steuerung des Gesundheitswesens vertuscht werden soll, zeigt sich auch bei den Kürzungsvorschlägen zu den Kuren. Sie sollten doch zumindest soviel gesundheitspolitischen Verstand haben, wenn Sie schon von Prävention reden, um zu wissen, daß es bei Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit überhaupt keinen Sinn macht, die Kurdauer zu verkürzen, das Wiederholungsintervall zu verlängern, die Zuzahlung zu erhöhen oder gar eine Urlaubsanrechnung vorzunehmen.
Auch bei der Streichung der Zuschüsse für Brillengestelle wird die Willkür, mit der hier vorgegangen wird, überdeutlich. Es ist ein Kürzungsvolumen, das - ich betone es noch einmal - nicht notwendig ist, weil es zweifach von Ihnen selbst verschuldet ist: einmal durch milliardenschwere regierungsseitige Geldgeschenke und einmal durch das Nichtangehen von ungelösten Problemen im Gesundheitswesen. Ein solches Sparvolumen wird vorgegeben, anschließend wird mit dem Rotstift ohne Sach- und Fachverstand zusammengestrichen.
Meine Damen und Herren, Sie stellen sich hier selbst ein katastrophales Armutszeugnis aus. Ihr ziel- und orientierungsloses Herumdoktern am Gesundheitswesen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie Ihren Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung damit anpreisen, daß die Selbststeuerungskräfte im Gesundheitswesen deutlich gestärkt werden müssen, indem den Selbstverwaltungen mehr Finanzverantwortung übertragen werden. Dieses Ziel, das auch unter dem Begriff „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" vom Bundesgesundheitsminister in der Vergangenheit stark vermarktet wurde, ist sicherlich lohnend. Aber es ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Das ziellose Herumgemansche mit zahlreichen Einzelgesetzen erlebt nämlich jetzt mit den aktuellen Kürzungen der Koalition einen Gipfel der Inkonsequenz. Mit der vorgesehenen gesetzlichen Fixierung und Senkung der Beitragssätze wird massiv in die Selbstverwaltungskompetenz der gesetzlichen Krankenversicherung eingegriffen. Damit wird Ihr eigener Gesetzentwurf einschließlich seiner Begründung, der heute in zweiter und dritter Lesung zur Abstimmung gestellt wird, ad absurdum geführt. Welch eine Bankrotterklärung für den Konsensstifter vom Petersberg! Auch dies muß hierzu gesagt werden.
Meine Damen und Herren, Sie geben keine Antworten auf die zentralen Fragen zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, zur Sicherung und Förderung von Wirtschaftlichkeit und Qualität der gesundheitlichen Versorgung und zum Handlungsbedarf, der sich durch die mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eingeleitete neue wettbewerbliche Orientierung ergibt.
Das unterscheidet uns von Ihnen. Genau bei diesen zentralen Fragen setzt der SPD-Entwurf eines GSG II an.
Die SPD will der „sprechenden Medizin" endlich den Stellenwert zuführen, den sie verdient hat. Zur Stärkung der Hausärzte ist es deshalb unabdingbar, daß die gemeinsame Selbstverwaltung beauftragt wird, einen eigenständigen einheitlichen Bewertungsmaßstab nur für Hausärzte zu schaffen, daß die Gesamtvergütung für Haus- und Fachärzte getrennt wird, daß Hausärzte ein eigenes Verhandlungsmandat erhalten und daß die Weiterbildung von Allge-
Klaus Kirschner
meinmedizinern in den Hausarztpraxen ausreichend finanziell gefördert wird.
Dieses Grundprofil für eine bessere hausärztliche Versorgung in Deutschland entspricht im übrigen den jahrelangen Forderungen der Hausärzte. Die Anhörungen im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages haben dies bestätigt.
Das erweiterte Spektrum medizinischen Fachwissens, zunehmende Erfordernisse der Qualitätssicherung, ein verändertes Krankheitspanorama der Menschen und nicht zuletzt massive wirtschaftliche Zwänge erfordern Versorgungsalternativen zu dem heute etablierten Versorgungssystem. Eine den Anforderungen gerecht werdende ambulante Versorgungsstruktur läßt kooperative Versorgungsformen in den Mittelpunkt rücken, die es zu fördern gilt.
Einer Ihrer zahlreichen Gesetzesversuche sieht zwar die Möglichkeit neuer Versorgungsformen im GKV-System vor.