Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand wird bestreiten können, daß wir in Deutschland die elementaren Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Krankheit, Berufsunfall, Pflegebedürftigkeit und Alterssicherung so umfassend und auf so hohem Niveau absichern, wie dies in keinem anderen Land auf dieser Erde der Fall ist.
Absicht unserer Reformen ist es, das Niveau dieser umfassenden sozialen Absicherung der elementaren Lebensrisiken auch in Zukunft aufrechtzuerhalten.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Zukunftssicherung diskutieren, dürfen wir dies nicht immer auf die Bewahrung der Schöpfung reduzieren. Für die heutige junge und mittlere Generation ist genauso wichtig, daß wir die ökonomischen und sozialen Grundlagen in unserer Gesellschaft so gestalten, daß sie darauf vertrauen können, daß die Lebensrisiken auch in Zukunft auf hohem Niveau abgesichert sind.
Genauso unbestritten ist, daß eine Ursache für Arbeitslosigkeit die hohe Abgabenlast in der Bundesrepublik Deutschland ist.
Hohe Abgaben bedingen Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit bedingt höhere Sozialausgaben, und höhere Sozialausgaben bedingen wiederum höhere Sozialabgaben. Diesen Teufelskreis müssen wir durch Reformieren durchbrechen. Wir durchbrechen ihn nur, wenn wir zu Veränderungen bereit sind.
Frau Knoche, es ist nicht so, daß wir gewissermaßen verschiedene Dämpfungselemente aneinanderreihen und daß die Addition von verschiedenen Sparbemühungen eine Reform sei. Nein, meine Damen und Herren, wir lassen uns bei unseren Reformen von den Grundlagen der christlichen Soziallehre leiten,
nämlich solidarisch die Lebensrisiken abzusichern, die der einzelne oder seine Familie nicht tragen kann, auf der anderen Seite aber Eigenverantwortung verstärkt dort einzufordern, wo sie dem einzelnen zumutbar ist.
Solidarität und Eigenverantwortung sind ein Geschwisterpaar.
Solidarität auf hohem Niveau ist auf Dauer für die Menschen, die sie brauchen, nur möglich, wenn man von den Leistungsstärkeren in unserer Gesellschaft mehr Eigenverantwortung einfordert.
Meine Damen und Herren von der PDS, da Sie gelacht haben, möchte ich Ihnen sagen: Sie haben mit Ihrer Mutterpartei ein einzigartiges - und gescheitertes - Experiment in der ehemaligen DDR durchgeführt,
nämlich eine wohlfahrtsstaatliche Rundum-Absicherung mit dem Ergebnis, daß am Ende alle Menschen gleich arm waren.
Solidarität und Eigenverantwortung leiten uns auch in der Krankenversicherung. Es muß auch in der Zukunft so sein, daß eine Bypass-Operation, eine Nierentransplantation, eine Nierendialyse, eine aufwendige medizinische Diagnostik oder Therapie gemeinschaftlich getragen wird; denn sonst werden diese medizinischen Leistungen zum Privileg für die
Bundesminister Horst Seehofer
Menschen, die sich das privat leisten können, und das wollen wir nicht. Aber das ist nur möglich, wenn wir den Menschen sagen, daß in dem einen oder anderen Bereich im Gegensatz zur Vergangenheit mehr Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung realisiert werden müssen.
Jetzt nenne ich Ihnen einige ganz konkrete Beispiele dieses Gesetzes.
Der Kollege Dreßler hat die Selbstbeteiligung bei Medikamenten kritisiert. Wir wollen die Selbstbeteiligung ab dem nächsten Jahr um eine 1 DM erhöhen. Herr Kollege Dreßler, Sie haben gesagt, dies sei zutiefst unsozial.
Jetzt will ich Ihnen einmal folgendes sagen: 1993 wurde die Selbstbeteiligung umgestellt; Grundlage war nicht mehr der Arzneimittelpreis, sondern Grundlage wurde die Packungsgröße. Durch diese Umstellung sind die Patienten in der Bundesrepublik Deutschland, gerade die chronisch Kranken, in einem Umfang wie nie zuvor, nämlich mit zusätzlich 800 Millionen DM belastet worden.
Das Wichtige dabei ist: Die Forderung für diese Umstellung kam von der SPD und wurde auf Wunsch der SPD realisiert.
Deshalb haben Sie kein Recht, jetzt die von uns vorgesehene Erhöhung der Selbstbeteiligung, die sehr bescheiden ausfällt, zu kritisieren. Ich möchte den Menschen einmal sagen: Eine 1 DM mehr Selbstbeteiligung bei einem Arzneimittel ist Voraussetzung dafür, daß wir die Medikamentenversorgung in Deutschland auf hohem Niveau für jedermann und „jedefrau" aufrechterhalten können, und zwar ohne Ansehen des Einkommens, des Standes oder der Herkunft.
Wir nehmen Rücksicht auf jene Menschen, die von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit her nicht in der Lage sind, die Selbstbeteiligung zu leisten, oder die wegen einer chronischen Erkrankung permanent auf Medikamente angewiesen sind. Es ist weitgehend unbekannt, daß 13 Millionen Kinder in Deutschland von jeder Selbstbeteiligung befreit sind und daß 8 Millionen Erwachsene auf Grund ihres geringen Einkommens ebenfalls von jeder Selbstbeteiligung befreit sind. Das heißt, gut 20 Millionen Menschen in Deutschland sind von der geltenden und künftigen Selbstbeteiligung befreit, weil wir auf die Einkommensverhältnisse und die Belastbarkeit der einzelnen Familien Rücksicht nehmen.
Jene Menschen, die über den Einkommensgrenzen liegen - sie sind übrigens beachtlich hoch und
liegen bei Verheirateten über 2 000 DM; das ist für Rentner sehr wichtig -, werden mit nicht mehr als 2 Prozent bei allen Selbstbeteiligungen - vom Medikament bis hin zu den Fahrtkosten, die anfallen, um medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen - belastet.
Ich kann also nicht erkennen, wo hier ein sozialer Kahlschlag stattfindet.
Künftig fallen die Zuschüsse in Höhe von 20 DM zum Brillengestell weg, die von den Krankenkassen im Regelfall alle drei, vier Jahre gezahlt wurden. Wenn es in dieser ökonomisch schwierigen Situation nicht mehr möglich ist, einen Zuschuß von 20 DM, alle drei Jahre gewährt, wegfallen zu lassen, dann sind wir Deutschen nicht in der Lage, unsere Zukunft zu sichern.
Zum schmucken Thema Kuren: Die Kurausgaben in der Bundesrepublik Deutschland sind seit 1992 um 50 Prozent gestiegen, obwohl die stationären Kuren durch die Gesundheitsreform budgetiert waren. Die Ausgaben für Kuren hätten nur so stark steigen dürfen wie die Löhne in der Bundesrepublik Deutschland. Tatsache ist: Sie sind um 50 Prozent gestiegen. Niemand wird mir erzählen können, daß dies medizinisch indiziert ist.
Es ist viel zur Verbesserung des Wohlbefindens, als Urlaubsersatz und ähnliches finanziert worden.
Ich kenne Menschen, die alle drei, vier Jahre eine Kur machen. Ich kenne andere, die noch nie in ihrem Leben eine Kur gemacht haben. Ich gönne jedem Menschen eine Kur, meinetwegen auch alle drei Jahre. Aber es ist kein Sozialraub, wenn wir für diese Erholungskuren die Selbstbeteiligung erhöhen und pro Kurwoche die Anrechnung von zwei Tagen Erholungsurlaub fordern.
Da in Deutschland nur noch pauschaliert und nicht mehr differenziert informiert wird, sage ich hier noch einmal, daß wir von dieser Erhöhung der Selbstbeteiligung bei Kuren alle Mütterkuren und alle Anschlußheilbehandlungen, die zur Rehabilitation nach einem Krankenhausaufenthalt notwendig sind, ausnehmen. Auch das ist eine soziale Dimension. Wir gehen also nicht nach der Rasenmähermethode vor.
50 Prozent mehr Ausgaben für Kuren in den letzten drei Jahren! Wenn die Signale stimmen, die ich für das erste Quartal 1996 bekommen habe, dann muß ich feststellen, daß sich diese Tendenz fortsetzt.
Bundesminister Horst Seehofer
Wie glücklich muß ein Land aus der Sicht der Kurorte sein,
wenn es angesichts von Massenarbeitslosigkeit keine anderen Probleme hat, als über die Höhe der Ausgaben für Kuren zu streiten!
Zum Zahnersatz: Meine Damen und Herren, es gibt bei Fachleuten der Zahnheilkunde nicht den geringsten Zweifel daran, daß in keinem Bereich des Gesundheitswesens dem Zusammenhang zwischen Prophylaxe und Vermeidung von Reparaturen durch Eigenverantwortung der Menschen so gut Rechnung getragen werden kann wie in der Zahnheilkunde.
- Herr Fischer, ich habe Ihnen hier schon einmal gesagt: Der alte bayerische Grundsatz „Die lautesten Kühe geben die wenigste Milch" trifft auf Sie zu.
Meine Damen und Herren, wir haben seit 1989 im Gesundheitsstrukturgesetz die Prophylaxemaßnahmen massiv verstärkt und seit 1993 die Versiegelung der Backenzähne bei Kindern und Jugendlichen eingeführt. Die Zahngesundheit hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren sehr positiv entwickelt, weil die Prophylaxe verstärkt wurde.
- Und zwar nach dem Vorbild der Schweiz; Herr Kollege Thomae, Sie haben völlig recht.
Es muß doch möglich sein, umzusteuern und zu sagen: Wir verstärken die Prophylaxe. Wer sich regelmäßig dem Zahnarztbesuch unterzieht, ausreichende Mundhygiene und Prophylaxe betreibt, muß nach menschlichem Ermessen keinen Zahnersatz von der Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Das ist der medizinische Ansatz unserer Umsteuerung, und den werden wir auch durchsetzen.
Natürlich kann man einen 60- oder 70jährigen Menschen nicht mehr vor die Tatsache stellen, daß es morgen keinen Zahnersatz mehr für ihn geben wird.
So wie wir Umweltbewußtsein und umweltgerechtes
Verhalten bei Kindern und Jugendlichen anstreben,
müssen wir damit beginnen, bei den Dingen, die der
Mensch in der Medizin wie in keinem anderen Bereich beeinflussen kann, nicht nur ein anderes Gesundheitsbewußtsein, sondern auch ein anderes Gesundheitsverhalten zu schaffen.