Rede:
ID1310802200

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    Vokabeln: 10
    1. Herr: 1
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Mai 1996 Inhalt: Begrüßung des polnischen Außenministers Darusz Rosati 9590 B Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksache 13/ 3608) 9541 A Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes (Drucksachen 13/3607, 13/4691) 9541 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Marina Steindor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umbau und Weiterentwicklung der Gesundheitsstruktur (Drucksachen 13/3612, 13/ 4691) 9541 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Mehrkostenregelung Amalgam) (Drucksachen 13/ 3695, 13/4692) 9541 B d) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 199/ (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997) (Drucksachen 13/3062, 13/ 3939, 13/4693) 9541 D e) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Arzneimittelfestbeträge) (Drucksachen 13/3217, 13/4407) 9541 D f) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlashing der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksache 13/4615) 9542A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche, Marina Steindor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das solidarische Gesundheitswesen für die Zukunft sichern (Drucksache 13/4675) 9542 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 9542B Klaus Kirschner SPD . . 9544B, 9556A, 9571 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9544C, 9556B Rudolf Dreßler SPD 9547 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9551 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. . . . . . 9553 B Dr. Wolfgang Wodarg SPD 9555 D Dr. Ruth Fuchs PDS 9558 D, 9580 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 9560 B Petra Bläss PDS 9565 A Klaus Kirschner SPD 9565 C Editha Limbach CDU/CSU 9568 A Wolfgang Zöller CDU/CSU 6569 B Ulf Fink CDU/CSU 9570A Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9572C Regina Schmidt-Zadel SPD 9575A Eva-Maria Kors CDU/CSU 9576 C Gudrun Schaich-Walch SPD 9578D Petra Ernstberger SPD 9581 A Tagesordnungspunkt 12: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (Drucksache 13/4587) 9583 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur grundlegenden Korrektur des RentenÜberleitungsgesetzes (Drucksachen 13/216, 13/4009, 13/4022) 9583 C Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rudolf Dreßler, Wolfgang Thierse, Ottmar Schreiner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes (Drucksache 13/1542, 13/4009, 13/4022) 9583 D c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Novellierung des Renten-Überleitungsgesetzes - zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rentenkürzungen in den neuen Bundesländern (Drucksachen 13/20, 13/286, 13/4009) 9584 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sozial verträgliche Abschmelzung der Auffüllbeträge und Rentenzuschläge in Ostdeutschland - zu dem Antrag der Gruppe der PDS: Aussetzen des Abschmelzens der Auffüllbeträge nach dem Rentenüberleitungsgesetz (Drucksachen 13/3141, 13/3043, 13/3960) . . . . 9584 A Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 9584 B Ulrike Mascher SPD 9585 A Wolfgang Engelmann CDU/CSU . . . 9586 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9587 D Uwe Lühr F.D.P 9588 C Petra Bläss PDS 9589 A Tagesordnungspunkt 13: Große Anfragen der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Politik der Bundesregierung und entwicklungspolitische Ansätze zum Schutz der tropischen Wälder unter besonderer Berücksichtigung Brasiliens Teil I und Teil II (Drucksachen 13/1637, 13/1638, 13/ 3338) 9591 A Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 9591 B Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär BMZ 9593 B Dr. Mathias Schubert SPD 9594 A Roland Kohn F.D.P. 9595 D Eva-Maria Bulling-Schröter PDS . . . 9596 D Dr. Christian Ruck CDU/CSU 9597 B Nächste Sitzung 9599 C Berichtigung 9599 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 9601* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9601* C 108. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Mai 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 107. Sitzung. Seite 9464 B, 4. Zeile von unten: Statt „überhaupt" ist „dagegen" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 24. 5. 96 Beer, Angelika BÜNDNIS 24. 5. 96 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 24. 5. 96 * Dr. Däubler-Gmelin, SPD 24. 5. 96 Herta Erler, Gernot SPD 24. 5. 96 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 24. 5. 96 * Göllner, Uwe SPD 24. 5. 96 Gysi, Andrea PDS 24. 5. 96 Hempelmann, Rolf SPD 24. 5. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 24. 5. 96 Horn, Erwin SPD 24. 5. 96 Köhne, Rolf PDS 24. 5. 96 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 24. 5. 96 Kolbow, Walter SPD 24. 5. 96 Kunick, Konrad SPD 24. 5. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 24. 5. 96 Mosdorf, Siegmar SPD 24. 5. 96 Petzold, Ulrich CDU/CSU 24. 5. 96 Poß, Joachim SPD 24. 5. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 24. 5. 96 Hermann Reschke, Otto SPD 24. 5. 96 Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 24. 5. 96 Rübenkönig, Gerhard SPD 24. 5. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 24. 5. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 24. 5. 96 90/DIE GRÜNEN Steenblock, Rainder BÜNDIS 24. 5. 96 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 24. 5. 96 Thieser, Dietmar SPD 24. 5. 96 Vosen, Josef SPD 24. 5. 96 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 24. 5. 96 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 24. 5. 96 Margareta 90/DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuß Drucksache 13/4137 Nr. 2.56 Drucksache 13/4137 Nr. 2.60 Drucksache 13/4137 Nr. 2.66 Drucksache 13/4137 Nr. 2.80 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/4137 Nr. 1.1 Drucksache 13/4137 Nr. 2.2 Drucksache 13/4137 Nr. 2.3 Drucksache 13/4137 Nr. 2.4 Drucksache 13/4137 Nr. 2.5 Drucksache 13/4137 Nr. 2.6 Drucksache 13/4137 Nr. 2.7 Drucksache 13/4137 Nr. 2.19 Drucksache 13/4137 Nr. 2.20 Drucksache 13/4137 Nr. 2.30 Drucksache 13/4137 Nr. 2.45 Drucksache 13/4137 Nr. 2.51 Drucksache 13/4137 Nr. 2.73 Drucksache 13/4137 Nr. 2.76 Drucksache 13/4137 Nr. 2.77 Drucksache 13/4137 Nr. 2.78 Drucksache 13/4137 Nr. 2.79 Drucksache 13/4137 Nr. 2.81 Drucksache 13/4137 Nr. 2.82 Drucksache 13/4137 Nr. 2.83 Drucksache 13/4137 Nr. 2.84 Drucksache 13/4137 Nr. 2.88 Drucksache 13/4466 Nr. 2.24 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.18 Drucksache 13/4137 Nr. 2.27 Drucksache 13/4137 Nr. 2.40 Drucksache 13/4137 Nr. 2.54 Drucksache 13/4137 Nr. 2.70 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/3668 Nr. 2.7 Drucksache 13/3668 Nr. 2.22 Drucksache 13/4137 Nr. 2.58 Drucksache 13/4137 Nr. 2.89 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/4514 Nr. 2.18 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4137 Nr. 2.48 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4514 Nr. 2.37 Berichtigung: Im Anhang zum Stenographischen Protokoll der 84. Sitzung des Deutschen Bundestages zu EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament ist unter dem Titel Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Drucksachennummer 13/7804 durch 12/7804 zu ersetzen.
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    Rede von Jürgen W. Möllemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir führen unsere heutige Debatte wie schon die gestrige vor dem Hintergrund eines riesigen Reformstaus in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Erneuerungsbedarf in diesen Bereichen ist mindestens so ausgeprägt wie jener Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Daß wir Politiker, die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Kirchen und Verbände auf den sich immer stärker abzeichnenden Handlungsbedarf, auf Krisensymptome nicht, zu spät oder nur halbherzig reagiert
    haben, das hat zum einen zu Massenaustritten aus all diesen Organisationen geführt, zum anderen aber auch zu drei Krisen dramatischen Ausmaßes.
    Erstens die Krise der Staatsfinanzen: Mehr als 2 000 Milliarden oder 2 Billionen DM öffentlicher Schulden bei gleichzeitiger Rekordhöhe von Steuern, Gebühren und Abgaben!

    (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Möllemann, wer ist denn an der Regierung? Weiterer Zuruf von der SPD: Die haben Sie doch veranlaßt!)

    - Ich rede von öffentlichen Schulden bei Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn das so weitergeht, daß Mißstände, die im gesamten Gemeinwesen zu verzeichnen sind, vom einen Platz auf den anderen verschoben werden, statt daß wir uns endlich einmal an die eigene Nase fassen und fragen, was wir eigentlich selbst auch falsch machen, dann werden wir die Probleme nicht lösen können.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Uwe Hiksch [SPD]: Fassen Sie sich mal an die eigene Nase!)

    Es gibt keine andere seriöse Möglichkeit als weniger Staat, weniger Staatsapparat, weniger Staatstätigkeit, weniger Staatsdiener, weniger Staatsbeteiligungen und weniger staatliche Leistungen, übrigens auch für die Staatsdiener.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Zweitens: die Krise des Arbeitsmarktes und wesentlicher Wirtschaftszweige. Immer mehr Waren, Ideen und Dienstleistungen, die auf Arbeitsplätzen in Deutschland produziert wurden, sind im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig, werden unverkäuflich. Also fallen die Arbeitsplätze weg. Daher müssen wir bessere Qualität zu niedrigeren Preisen produzieren. Nur solche Arbeitsplätze haben Bestand. Daß dafür mehr in Bildung, Wissenschaft und Innovation und weniger in Konsum und Soziales investiert werden muß, liegt auf der Hand.

    (Zuruf von der SPD: Macht ihr aber nicht!)

    Dies zu bestreiten oder zu verdrängen, die nötigen Korrekturen zu unterlassen wird nur dazu führen, daß wir bald 6 oder 8 Millionen Arbeitslose haben werden. Dann, meine Kolleginnen und Kollegen, fliegen uns Demokratie und Sozialstaat zugleich um die Ohren.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Drittens: die Krise der sozialen Sicherungssysteme. Wir alle haben diese mit Leistungen, Aufgaben und Erwartungen überfrachtet. Sie sind bei der gegebenen Lohnquote, beim Altersaufbau der Bevölkerung, bei der gegebenen und zu erwartenden Wirtschaftsentwicklung in ihrer jetzigen Struktur nicht haltbar. Wenn wir den arbeitenden Menschen, wenn wir aber auch den Betrieben, Verwaltungen und Praxen nicht irre Anteile von jeder erarbeiteten Mark für die Finanzierung der kollektiven Sicherungssysteme abnehmen wollen und damit Arbeitsplatzabbau und Leistungsverweigerung zugleich beschleunigen wollen, dann muß die automatische An-

    Jürgen W. Möllemann
    koppelung an Löhne und Gehälter beendet und ein neues Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität gefunden werden.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wir müssen dieses Verhältnis neu definieren. Ein Solidaritätsbegriff, der immer mehr die persönliche Verantwortung durch staatliche Agenturen für alle Lebensbereiche ersetzt, führt eben zu dem Vollkaskosystem, das wir heute haben. Es wird uns aber schon morgen um die Ohren fliegen, wenn wir jetzt nicht mutig und energisch handeln. Statt Vollkasko hätten wir dann alsbald Vollfiasko.
    Angesichts dieser Ausgangslage ist es geradezu grotesk, mit welcher verantwortungslosen Kurzsichtigkeit die Besitzstandswahrer in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden tagtäglich jeden neuen Aufbruch aus dem heutigen Dilemma an den Pranger des sogenannten Sozialabbaus stellen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!)

    So kann man ein zukunftsfähiges Verhältnis von Solidarität und Subsidiarität natürlich kaputtreden.
    Was ist zu tun? Wir müssen Eigen- und Mitverantwortung der Bürger bei der Absicherung ihres Krankheitsrisikos deutlich stärken. Das geht natürlich nur, wenn der Staat den Bürgern nicht so tief in die Taschen greift, daß für Eigenvorsorge und Eigenbeteiligung nichts mehr bleibt.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Deshalb müssen sich Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen. Das Motto einer modernen, liberalen Sozialpolitik lautet daher: soviel Subsidiarität wie möglich, also Nachrangigkeit des staatlichen, gemeinschaftlichen Handelns, und Solidarität dort, wo sie nötig ist, aber auch nur dort, wo sie nötig ist, nicht umgekehrt. Hier ist in den letzten Jahren eine Schieflage eingetreten, die auch die Politik maßgeblich mitzuverantworten hat, auch wir Freien Demokraten. Ich halte überhaupt nichts davon, diese Debatte mit dem ausgestreckten Zeigefinger zu führen. Von dieser Hand zeigen drei Finger auf einen selbst zurück. Deswegen sollten wir das, glaube ich, bleiben lassen.
    Es ist klar: Alles, was den einzelnen, den sozial Schwachen finanziell überfordert, muß solidarisch abgesichert werden, aber auch nicht mehr. Wir müssen die Prinzipien unseres Sozialstaates wieder vom bürokratischen Wasserkopf auf die Füße der Realität stellen. Das hat mit Sozialabbau rein gar nichts zu tun.
    Natürlich ist es schmerzhaft, von liebgewordenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen. Tagtäglich werden die Bürgerinnen und Bürger mit neuen Horrornachrichten über vermeintliche Einschnitte versorgt. Aber den größeren Fehler begeht nicht derjenige, der heute das vielleicht Unpopuläre tut, sondern derjenige, der den Leuten suggeriert, alles könne so weitergehen wie bisher.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir Liberalen haben vor knapp einem Jahr nicht weit von hier - im Wasserwerk - auf unserem gesundheitspolitischen Kongreß dargelegt, wie wir uns ein modernes, freiheitliches und zugleich bezahlbares Gesundheitswesen auf hohem medizinischen Niveau vorstellen. Unsere Antworten auf die eben geschilderten Probleme finden sich in den Gesetzesinitiativen, die wir heute beraten, deutlich wieder.
    Wir Freien Demokraten wollen erstens: Reduzierung des Pflichtkataloges der gesetzlichen Krankenversicherung auf das medizinisch Notwendige; zweitens: Transparenz durch Kostenerstattung; drittens: Stärkung der Eigenverantwortung und Selbstbeteiligungen; viertens: Ende der gesetzlichen Budgetierungen; fünftens: Stärkung des Wettbewerbs zwischen den Kassen; sechstens: Reform des Krankenhausbereichs; last not least: endlich eine Entrümpelung des verregelten und überbürokratischen Gesamtsystems.
    Solidarität und Subsidiarität in ihrem Verhältnis zueinander neu zu definieren heißt: Wir müssen den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ganz praktisch von all dem befreien, was darin nichts zu suchen hat. Wir kommen nicht umhin, uns auf die wesentlichen Leistungen einer solidarischen Krankenversicherung zu konzentrieren. Das ist nun einmal die Hilfe für wirklich kranke Menschen.
    Erste Schritte in diese Richtung haben wir unternommen. Der Zuschuß zu den Brillengestellen fällt weg. Will mir jemand ernsthaft erzählen, daß irgend jemand den Zuschuß in Höhe von 20 DM nicht selbst bezahlen kann? Wenn man einmal davon ausgeht, daß ein Brillengestell zirka drei Jahre lang hält, dann handelt es sich pro Jahr um Kosten in Höhe von 7 DM.
    Der Zahnersatz, das heißt: die Absicherung des Zahnersatzes durch die gesetzliche Kasse, fällt für die Versicherten, die heute jünger als 19 Jahre alt sind, zukünftig weg. Das erzieht zur Zahnpflege.

    (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    - Ja, das ist gewollt. Diejenigen, die heute noch nicht 19 Jahre alt sind, müssen sich, wenn sie weiterhin einen derartigen Versicherungsschutz genießen wollen, privat absichern.
    Wir nehmen die Gesundheitsförderung aus der hälftigen Beitragsfinanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer heraus. Ich war doch sehr erstaunt, welch ungeheure Wellen gerade diese Maßnahme geschlagen hat: Fitneßstudios, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen aller Art, ja sogar die Arbeitgeber haben sich zusammengetan, um als Retter der Gesundheitsförderung in die Geschichte einzugehen.

    (Klaus Kirschner [SPD]: Die verstehen eben etwas davon!)

    Meine Damen und Herren, in welchem Film sind wir denn eigentlich? Wir haben mehr als 5 Millionen Arbeitslose; eine Besserung ist nicht in Sicht. Wir

    Jürgen W. Möllemann
    aber palavern darüber, ob Bauchtanzkurse weiterhin aus dem Solidartopf finanziert werden sollen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich bestreite nicht, daß die Prävention eine wichtige Funktion hat.


Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Knoche?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jürgen W. Möllemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein.
    Vorsorgeuntersuchungen und GesundheitsCheck-up sind deshalb auch im Pflichtkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geblieben.

    (Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Aber nur in der Arztpraxis!)

    Ich halte auch die Arbeit der Selbsthilfegruppen für außerordentlich wichtig. Sie helfen Menschen in ganz schwierigen Situationen, mit ihrem Leben zurechtzukommen, und geben ganz konkrete Hilfestellungen. So etwas muß und wird selbstverständlich auch künftig möglich sein. Wir geben ja ausdrücklich den Krankenkassen die Möglichkeit, auch die Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die sie heute anbieten, beizubehalten, dann allerdings finanziert durch die Beiträge der Versicherten.
    Ich denke, es wird ganz hilfreich sein, wenn die Krankenkassen im einzelnen darlegen müssen, für welche Angebote sie von ihren Versicherten mehr Geld haben wollen. Dann wird auch die Finanzierung von Freizeitangeboten durch die gesetzliche Krankenversicherung ein Ende haben.
    Ich meine allerdings, daß man den Pflichtkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung noch weiter begrenzen kann. Wir werden das auch tun müssen. Es geht nicht darum, daß wir den Menschen etwas wegnehmen wollen, weil wir ihnen etwas nicht gönnen. Alles und jedes aber aus dem Solidartopf zu bezahlen

    (Klaus Kirschner [SPD]: Das haben wir doch noch nie gemacht!)

    führt eben dazu, daß vieles nicht mehr geht, weil das System aus dem Ruder läuft.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum nächsten Punkt. Unser Gesundheitswesen muß transparenter werden. Transparenz schafft man aber eben nicht durch ein Blankoscheck-System via Krankenschein oder Chip. Die Patienten - und zwar alle - sollen daher künftig eine Rechnung erhalten, wenn sie das wünschen. Warum sollen denn nur Privatpatienten, nur freiwillig Versicherte das Privileg der Rechnungslegung haben?

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abg. Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)

    Die Kostenerstattung ist Voraussetzung für intelligent ausgestaltete individuelle Anreize zu wirtschaftlichem Verhalten.

    (Wiederholte Zurufe bei der SPD und der Abg. Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    - Ich muß mit dem, was ich hier sage, Ihren Nerv wohl ziemlich treffen, wenn ich mir anhöre, wie Sie unablässig dazwischenplärren. Gnädige Frau, ich habe mir Ihre Rede vorhin, die von Unterstellungen nur so wimmelte, dennoch still und aufmerksam angehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ein bißchen den parlamentarischen Gebräuchen folgen und auch einmal zuhören könnten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)