Nirgendwo in unseren Vorlagen, auch nicht in den Diskussionsbeiträgen, haben wir gesagt, daß wir das gesamte Steuerungs- und Rahmensetzungsvermögen des Staates abschaffen wollen. Wir sagen nur - um das Stichwort „Rahmensetzung" zu betonen -: Der Staat soll überall da, wo die Beteiligten vor Ort, die in der Regel auch mehr davon verstehen, das selbst machen können, es ihnen überlassen und nur den Rahmen dafür setzen, daß der Prozeß fair, gerecht und sozial verträglich abläuft.
Wolfgang Lohmann
- Ich möchte jetzt gerne fortsetzen, Frau Knoche; denn wir kennen ja diese Dialoge, die unsere Zeit zu sehr in Anspruch nehmen würden.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat auf Grund einer weiteren Erfahrung der letzten Jahre die Konsequenzen gezogen: Wer die gesetzliche Krankenversicherung auch im Jahre 2000 und danach auf eine tragfähige, solide finanzielle Grundlage stellen will, wird dauerhaft keinen Erfolg haben, wenn er auf Lösungen setzt, die gegen die Beteiligten durchgesetzt werden müssen.
Konkret heißt das für uns: Wir werden nur mit den Patienten, den Ärzten, den Zahnärzten, der Pharmaindustrie, den Apothekern und den Vertretern der Krankenhauslandschaft und nicht durch ein Handeln gegen sie bei dieser Gesundheitsreform wirklich Erfolg haben. Nur eine Partnerschaftslösung, die auf Konsensfindung in den wesentlichen Punkten aufbaut, kann auf Dauer erfolgreich sein. Eine Partnerschaftslösung, die alle Wünsche zu 100 Prozent erfüllt, gibt es natürlich nicht. Entscheidend ist, daß wir in den Kernfragen mit den Beteiligten weitgehend übereinstimmen.
Für die Gesetze der dritten Reformstufe können wir feststellen, daß wir mit Ausnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit allen anderen Beteiligten des deutschen Gesundheitswesens weitgehende Übereinstimmung erzielt haben. Das ist der zweite gravierende Unterschied zwischen Koalition und SPD. Dies wird deutlich, wenn Sie sich vor Augen halten, welche Reaktionen Ihr Gesetzentwurf, Herr Dreßler, in der Öffentlichkeit ausgelöst hat.
Die Koalition hat sich für eine Grundphilosophie entschieden, die das eben Dargestellte umsetzt und die mehr Freiheit und Verantwortung für die Selbstverwaltung bei stabilen Beitragssätzen anstrebt.
Ein solches selbststeuerndes System in der gesetzlichen Krankenversicherung
- zum Glück habe ich den Lautsprecher -, das der Selbstverwaltung einerseits die notwendigen Gestaltungsspielräume eröffnet und andererseits Beitragssatzsteigerungen verhindert, die nicht zur Realisierung des medizinischen Fortschritts erforderlich sind, sondern auf Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung zurückzuführen sind, gibt es bisher nicht.
Mit unserem Gesetzentwurf lösen wir staatlichen Interventionismus durch Verantwortung der Selbstverwaltung ab, schaffen im Vertrags- und Leistungsbereich Gestaltungsspielraum und versperren gleichzeitig den bequemen Weg, durch das Drehen an der Beitragssatzschraube expandierende Ausgaben durch zusätzliche Einnahmequellen zu finanzieren.
Nur zur Klarstellung: Das eben Gesagte gilt für die Gesetze der dritten Stufe und nicht, wie eben schon erwähnt, für den Sonderfall Beitragsentlastungsgesetz.
Mit der Organisationsreform und der Kassenwahlfreiheit des Gesundheits-Strukturgesetzes haben wir, übrigens gemeinsam, die Fundamente für eine neue Solidarordnung gelegt. Um mehr Bewegungsmöglichkeiten innerhalb der staatlich vorgegebenen Ordnung zu schaffen, geben wir jetzt der Selbstverwaltung die notwendige Gestaltungsfreiheit.
Von wesentlicher Bedeutung sind die zusätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die die Krankenkassen über die Satzung erhalten. Ich denke dabei insbesondere an die freiwilligen Leistungserweiterungen, die die Versicherten der einzelnen Krankenkassen ohne Beteiligung der Arbeitgeber zu finanzieren haben.
Hierzu haben wir mit einem Änderungsantrag den § 54 vor dem Hintergrund der Streichung der Gesundheitsförderung und Prävention um den § 20 SGB V ergänzt. Wir räumen den Krankenkassen die Möglichkeit ein, Leistungen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung als Gestaltungsleistungen in der Satzung vorzusehen. Damit können alle Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung im bisherigen Umfang angeboten werden. - Sie kennen ja die Diskussion, die zur Zeit geführt wird.
Auch wenn die Krankenkassen die Streichung von § 20 nicht zum Anlaß nehmen sollten, sich künftig beim Thema Gesundheitsförderung auf sinnvolle und notwendige Projekte zu beschränken, und sämtlichen Wildwuchs unverändert beibehielten, käme man für die Versicherten auf einen rechnerischen Betrag von etwa 1,40 DM monatlich. Wenn sie dies also gemeinsam wollen, sollen sie dies auch können dürfen. Dann sollte eben von den Versicherten ein Betrag von 1,40 DM - oder welcher Betrag rechnerisch auch herauskommt - bezahlt werden.
Meine Damen und Herren, ich bin mir natürlich völlig darüber im klaren, daß es hier nicht allein auf den konkreten DM-Betrag ankommt, sondern auf eine grundsätzliche Entscheidung der Koalition, welche zukunftsweisenden Lösungen auf die Herausforderungen in den Sozialversicherungssystemen anzubieten sind. Natürlich löst ein solcher Vorschlag bei den Anhängern der Grundüberzeugung, keine Veränderung an der hälftigen Finanzierung der Gesundheitskosten vorzunehmen, die bekannten Abwehrreaktionen aus. Es müßte aber doch eigentlich einleuchtend sein, daß unseren arbeitsmarktpolitischen Problemen mit den alten Antworten nicht beizukommen ist.
Wenn wir in Zukunft Hochleistungsmedizin mit allen medizinischen und technischen Möglichkeiten für die Gesamtheit der Versicherten bis ins hohe Alter zur Verfügung stellen wollen, müssen wir den Mut haben, in vertretbarem Rahmen neue Finanzierungsformen anzuwenden;
Wollgang Lohmann
denn Beitragssatzsteigerungen - das ist ja inzwischen anscheinend doch Allgemeingut geworden - sind nicht mehr akzeptabel.
Doch was geschieht? Es werden uns Totschlagargumente entgegengeschleudert, auch von Ihnen, Herr Kirschner: Weg in die Zweiklassenmedizin, Grund- und Wahlleistung.
Wenn Sie sich, Herr Dreßler, zum Beispiel angesichts der dramatischen Finanzprobleme bei der Rentenversicherung an junge Berufsanfänger mit dem Hinweis wenden, sie sollten sich zusätzlich privat eine Altersversorgung aufbauen, dann frage ich Sie: Wo ist denn da eigentlich der fundamentale Unterschied zu unserem Vorschlag? Umgekehrt könnte ich Ihnen jetzt doch entgegenhalten, daß dies der Weg in die Zweiklassenrentengesellschaft ist, da einige sich die Zusatzversicherung möglicherweise leisten können und andere nicht.
Sie selbst haben auf dem Verbandstag der Betriebskrankenkassen am 26. März dieses Jahres in Bonn gefordert, nicht notwendige Leistungen, die nicht mehr solidarisch abgesichert werden sollen, aus dem Leistungskatalog auszugrenzen, und haben dies mit der Aufforderung verbunden, sich gegebenenfalls auf privater Basis außerhalb des Systems abzusichern.
Ich frage Sie deshalb: Warum soll es nicht möglich sein, auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung über rein versichertenfinanzierte Satzungsleistungen Veränderungen vorzunehmen?
Da wir dies im Bereich der Gesundheitsförderung und -prävention zum erstenmal praktizieren, werden wir nun von allen Seiten unter Beschuß genommen. Vor allen Dingen wird mit Tabellen nachgewiesen, welch große und segensreiche Wirkung beispielsweise die Maßnahmen der Gesundheitsförderung gehabt haben. Das mag ja alles sein. Ich muß aber gegenfragen: Warum haben wir, wenn die Prävention so erfolgreich ist, wie es jetzt dargestellt wird, eine steigende Zahl von Krankenhauseinweisungen? Warum haben wir immer mehr Behandlungsfälle bei niedergelassenen Ärzten?
Warum haben wir dann innerhalb von drei Jahren bei den stationären Vorsorge- und Reha-Kuren einen Zuwachs von über 50 Prozent? Warum ist die Krankheitsrate der Bevölkerung nicht drastisch gesunken?
Das heißt, wenn das so erfolgreich gewesen wäre, hätten die Erfolge ja längst sichtbar werden müssen.
Grundsätzliche Einigung zwischen Opposition und Koalition besteht in der Überzeugung, daß wir den ambulanten und den stationären Bereich stärker als bisher verzahnen müssen. Wir tun dies, indem wir hochspezialisierte fachärztliche Versorgung im Krankenhaus für den ambulanten Behandlungsfall erschließen. Dabei kann ich mir in der Diskussion über Einzelheiten durchaus noch Varianten vorstellen.
Nicht vorstellbar und somit nicht verhandelbar ist der SPD-Ansatz der institutionellen Öffnung der Krankenhäuser für die fachärztliche Versorgung. Nachdem der entsprechende SPD-Vorschlag einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat, wurden anschließend einander diametral entgegenstehende Interpretationen von hochangesehenen Persönlichkeiten - in der SPD hochangesehen; ob dies in der Bevölkerung der Fall ist, weiß ich nicht - veröffentlicht. Während der eine von einem Mißverständnis sprach und davon, daß das alles gar nicht so gemeint sei, bestätigte ein anderer die Kriegserklärung an die niedergelassenen Ärzte.
Die Uneinigkeit wird auch an einem Brief des Gesundheitsministers von Rheinland-Pfalz an die Kassenärztliche Vereinigung Rheinhessen deutlich. Der Brief - übrigens rechtzeitig vor dem 24. März zugestellt - enthält folgende Passage:
Ich möchte Ihnen ausdrücklich erklären, daß ich es mir nicht vorstellen kann, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Gesetzgebungsverfahren einer solchen Regelung
- gemeint ist der SPD-Vorschlag -
zustimmen kann. Genauso wie Sie sehe ich eine Gefährdung der bisherigen Strukturen und der Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte. Ich möchte Sie bitten, die Damen und Herren Vorsitzenden der anderen Kassenärztlichen Vereinigungen über die Haltung der Landesregierung zu informieren.
- Rechtzeitig vor der Landtagswahl zugestellt!
Es steht - wie ich eben gesagt habe - eine ganze Reihe anderer Gesetzentwürfe auf der Tagesordnung, die heute noch eine Würdigung erfahren werden. Wir nehmen Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die nach dem 31. Dezember 1995 zugelassen werden, von der Festbetragsregelung aus. Auch das ist - vereinfacht gesagt - ein Beitrag, den Standort Deutschland für Forschung und für wirtschaftliches Wachstum zu verbessern.
Wir hatten sogar geglaubt, wir erfüllten damit eine Forderung des Kollegen Dreßler, der auf der Hauptversammlung des VFA am 30. November verkündet hat, er wolle etwas gegen die Arzneimittelreimporte
Wolfgang Lohmann
unternehmen. Ich möchte Sie, Herr Dreßler, noch einmal zitieren:
Etwas völlig anderes ist es, wenn dieser niedrigere Preis auf administrativem Weg durch ausländische Behörden erzwungen wird. Dies hat nichts mit freiem Handel zu tun und ist auch nicht das Risiko des Unternehmers. Hier ist der Reimport betriebswirtschaftlich schädlich und standortpolitisch fragwürdig.
So ist es.
Wir haben Sie dann beim Wort genommen. Inzwischen befinden Sie sich, was die Richtung betrifft, aber schon wieder auf einem anderen Dampfer.