Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen gesundheitspolitischen Debatte wird über eine Vielzahl von Gesetzentwürfen beraten, eine ungewöhnliche Vielzahl, muß man sagen. Sie ist, zumindest was das GKV-Weiterentwicklungsgesetz, das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997 sowie das Sechste und das Achte SGB-V-Änderungsgesetz betrifft, Ergebnis der Entscheidungen des Vermittlungsausschusses vom 6. März dieses Jahres.
Ich möchte zu Beginn auf diesen 6. März 1996 eingehen, da sich dort etwas bisher Einmaliges bei einem Beschluß über ein Krankenhausgesetz ereignet hat. Damals ging es um das Krankenhausstabilisierungsgesetz 1996, mit dem die Koalition die Ausgaben der GKV für den Krankenhausbereich ohne jede Ausnahme budgetieren wollte. Die SPD-Ländermehrheit im Bundesrat hatte zu diesem zustimmungsfreien Gesetz den Vermittlungsausschuß angerufen. Wild entschlossen hat die SPD-Bundestagsfraktion die Öffentlichkeit seinerzeit wissen lassen, daß sie über dieses Gesetz die Koalition zu Verhandlungen über alle vorliegenden Gesetze der dritten Reformstufe zwingen wollte. In der ihm eigenen Bestimmtheit hat uns der Kollege Dreßler in der Einbringungsdebatte am 1. Februar 1996
- ja, immer Sie - mitgeteilt - ich darf einmal zitieren -:
Wir verhandeln über alles, oder wir verhandeln gar nicht.
Weiterhin haben Sie in dieser Debatte gesagt - dabei haben Sie eine Anleihe bei Egon Erwin Kisch gemacht -:
Nichts ist erregender als die Wahrheit.
Nun muß ich allerdings sagen: Der Grad Ihrer Erregtheit, Herr Dreßler, dürfte am 6. März kaum noch steigerungsfähig gewesen sein, als nämlich die Länder im Vermittlungsausschuß mit 16 : 0 die unveränderte Annahme des Koalitionsentwurfs beschlossen.
Der Preis, den die Koalition für diese Zustimmung „gezahlt" hat, bestand lediglich in der Zusage, daß wir vier Gesetzentwürfe gleichzeitig im Bundestag beraten, um sie anschließend gemeinsam dem Bundesrat zuzuleiten. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Daher haben die Medien folgerichtig das Ergebnis vom 6. März zu einem - ich zitiere wieder - eindeutigen Sieg der Koalition erklärt.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die Koalition bereits bei der Vorstellung der Eckpunkte der dritten Reformstufe erklärt hat, daß es ohne wirksame Reformen im stationären Bereich keine Reform im ambulanten Bereich geben werde.
Mit der unveränderten Verabschiedung des Krankenhausstabilisierungsgesetzes haben wir nicht nur diese Absicht in die Tat umgesetzt, sondern einen psychologisch wichtigen Teilerfolg erzielt. Denn die Gralshüter der Krankenhäuser, nämlich die Länder, die noch beim Gesundheits-Strukturgesetz 1992 durch das Hineinverhandeln zahlreicher Ausnahmetatbestände die Reform im stationären Bereich zum Teil fast bis zur Unwirksamkeit - ich vermeide zu sagen: bis zur Unkenntlichkeit - durchlöchert haben, haben sich angesichts ihrer eigenen Finanzlage erstmals nicht schützend vor die Krankenhäuser gestellt. Es wäre im Interesse der Sache wünschenswert, wenn die Länder beim weiteren Fortgang der Beratungen zum Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997, das heute zur Verabschiedung ansteht, einen ähnlichen Realitätssinn an den Tag legen würden.
Die bittere oder - um im Dreßlerschen Jargon zu bleiben - erregende Wahrheit des 6. März 1996
Wolfgang Lohmann
bestand insbesondere darin, daß der Wunsch nach einem Lahnstein II nicht in Erfüllung gegangen ist und - ich erlaube mir heute diesen Hinweis - auch in den nächsten Wochen und Monaten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Erfüllung gehen wird.
Dieser 6. März hatte aber auch Auswirkungen auf die Dauer und die Intensität der Beratungen im Ausschuß. Das vorgezeichnete Verfahren der Anrufung des Vermittlungsausschusses mit der Einberufung einer Verhandlungskommission hat die Koalition veranlaßt, jetzt zu den Gesetzentwürfen nur einige wenige Änderungsanträge einzubringen und im übrigen die Beratungen zügig zum Abschluß zu bringen. Es genügt zu diesem Zeitpunkt, daß sich die Koalition über die weitere Zielrichtung einig ist und ihre Position in der Verhandlungskommission mit Nachdruck vertreten wird.
Meine Damen und Herren, eine öffentliche Auseinandersetzung über unsere beiden Reformgesetze findet derzeit leider überhaupt nicht statt. Sie wird überlagert durch den von der Koalition vorgelegten Gesetzentwurf zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ohne Prophet sein zu wollen, wage ich die Prognose, daß wir im weiteren Verlauf der heutigen Debatte seitens der Opposition überwiegend Beiträge zu diesem Gesetz hören werden. Obwohl ich Lust hätte, die zum Teil unglaublichen Äußerungen und Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf, insbesondere seitens einiger Kassenfunktionäre, zu kommentieren, möchte ich es heute unterlassen, weil es der gesundheitspolitischen Bedeutung der anderen Gesetzentwürfe nicht gerecht würde. Der Kollege Fink wird später zum Beitragsentlastungsgesetz und zu den öffentlichen Reaktionen sicherlich das Notwendige sagen.
Ich möchte mich jetzt darauf beschränken, deutlich zu machen, daß beide Gesetzgebungsvorhaben unabhängig voneinander zu sehen sind. Während das GKV-Weiterentwicklungsgesetz und das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997 Strukturgesetze sind, die ihre beitragsentlastende Wirkung erst mittelfristig entfalten, handelt es sich bei dem Beitragsentlastungsgesetz um eine einmalige Sofortmaßnahme zur Reduzierung der Beitragssätze um 0,4 Prozentpunkte. Dies geschieht durch einen Eingriff in den Leistungskatalog der GKV, den nur der Gesetzgeber selbst und niemand anders vornehmen kann. Wir sind während der Entstehungsgeschichte des GKV-Weiterentwicklungsgesetzes von der Selbstverwaltung immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die Politik Einschnitte in den Leistungskatalog der GKV selbst verantworten muß.
Gestern haben wir hier ausführlich über die wachstums- und beschäftigungspolitischen Gesetzentwürfe aus dem Hause Blüm diskutiert und die angesichts von vier Millionen Arbeitslosen wirtschaftspolitische Notwendigkeit auch schmerzhafter Eingriffe festgestellt. Das Beitragsentlastungsgesetz setzt den Beitrag der Gesundheitspolitik zur Senkung der Lohnnebenkosten um. Es dient ausschließlich diesem Zweck.
Ein völlig anderes Konzept verfolgen dagegen die Gesetzentwürfe zur dritten Reformstufe. Weil es für das weitere Verfahren, insbesondere auch für die Strategie der Koalition in den Verhandlungskommissionen des Vermittlungsausschusses von großer Bedeutung ist, möchte ich noch einmal die den Gesetzentwürfen zugrunde liegende Grundphilosophie der Koalition erläutern.
Schon bei der Verabschiedung des GesundheitsStrukturgesetzes haben wir zur Überraschung vieler angekündigt, daß wir spätestens im Jahre 1996 über einen weiteren Reformschritt diskutieren werden. Bis Ende 1995 hat die SPD die Notwendigkeit dessen in Abrede gestellt. Die Finanzentwicklung der GKV in den letzten drei Jahren hat uns aber in unserer Einschätzung bestätigt. Ich erspare Ihnen heute, weitere Zahlen in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Frage lautet nun: Wie reagiere ich auf diese Entwicklung? Hier lassen sich zwei elementare Unterschiede zwischen Koalition und SPD festmachen.
In einer Bestandsaufnahme haben wir festgestellt, daß in den vergangenen zwei Jahrzehnten sage und schreibe 46 größere Gesetze mit über 6 800 Einzelbestimmungen in immer kürzer werdenden Abständen mit immer tiefer reglementierenden Maßnahmen in das Gesundheitssystem eingegriffen haben. Ernüchtert mußten wir dabei feststellen, daß alle Kostendämpfungsgesetze die Ausgabenexpansion und den Beitragssatzanstieg bestenfalls unterbrochen, aber nie dauerhaft gebremst haben.
Zu beobachten war auch, daß mit zunehmendem Abstand zum Inkrafttreten gesetzlicher Neuregelungen die ausgabenbegrenzenden Wirkungen und die Ausgabendisziplin der Beteiligten deutlich nachließen. In Reaktion darauf haben der Gesetzgeber und alle Regierungen durch sogenannte Notoperationen zwar punktuelle Wirkungen erzielen können, aber gleichzeitig dabei auch strukturelle Fehlentwicklungen zementiert oder sogar zusätzlich eingeleitet. Leider mußten solche Erfahrungen auch mit dem Gesundheits-Reformgesetz von 1988 und zum Teil mit dem Gesundheits-Strukturgesetz von 1992 gemacht werden.
Zum Einstieg in die Diskussion der dritten Stufe der Gesundheitsreform hatte die Koalition daher von Anfang an, das heißt Anfang 1995, für sich selbst die Frage zu beantworten, ob sie entweder den Weg in staatlichen Dirigismus und Zentralismus durch noch dichtere Reglementierung und noch stärkere Kontrollen fortsetzt oder ob sie eine Kehrtwende wagt und sich für einen Weg hin zu mehr Eigenverantwortung und mehr Gestaltungsfreiheit für die Selbstverwaltung in den Krankenversicherungen entscheidet.
Das Ergebnis - der Beifall nimmt das etwas vorweg - ist bekannt.
Die Koalition hat sich für ein Konzept entschieden, das der Selbstverwaltung Vorfahrt gewährt.
Wolfgang Lohmann
Die SPD hält an der alten, verstaubten Ideologie, am sattsam bekannten Gut-und-Böse-Schema fest, nach dem der Staat regelmäßig auftritt, um zu regeln, zu kontrollieren, zu steuern. Das entspricht dem Lieblingsmotto der SPD: Der Staat wird es schon richten.
Wir glauben das nicht, und wir glauben das seit einigen Jahren immer weniger. Das Gegenteil ist richtig.
So hat Minister Seehofer treffend festgestellt, daß möglicherweise der Staat nicht die Lösung des Problems, sondern das Problem selbst ist.
Deutlich wird dies, wenn Sie sich eine der Hauptursachen des aktuellen Defizits der gesetzlichen Krankenversicherung anschauen.