*) Anlage 3
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Barnett, Doris SPD 10. 5. 96
Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 10. 5. 96
Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 10. 5. 96
Peter Harry
Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 5. 96
Herta
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 10. 5. 96
Francke (Hamburg), CDU/CSU 10. 5. 96
Klaus
Geis, Norbert CDU/CSU 10. 5. 96
Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 10. 5. 96
Gleicke, Iris SPD 10. 5. 96
Haschke (Großkenners- CDU/CSU 10. 5. 96
dorf), Gottfried
Hermenau, Antje BÜNDNIS 10. 5. 96
90/DIE
GRÜNEN
Heyne, Kristin BÜNDNIS 10. 5. 96
90/DIE
GRÜNEN
Dr. Höll, Barbara PDS 10. 5. 96
Hoffmann (Chemnitz), SPD 10. 5. 96
Jelena
Jung (Düsseldorf), SPD 10. 5. 96
Volker
Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 10. 5. 96
Angelika 90/DIE
GRÜNEN
Kuhlwein, Eckart SPD 10. 5. 96
Lederer, Andrea PDS 10. 5. 96
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 10. 5. 96
Erich
Dr. Maleuda, PDS 10. 5. 96
Günther
Mehl, Ulrike SPD 10. 5. 96
Michels, Meinolf CDU/CSU 10. 5. 96
Mosdorf, Siegmar SPD 10. 5. 96
Müller (Zittau), Christian SPD 10. 5. 96
Reichardt (Mannheim), CDU/CSU 10. 5. 96
Klaus-Dieter
Schmidt (Aachen), Ulla SPD 10. 5. 96
Schönberger, Ursula BÜNDNIS 10. 5. 96
90/DIE
GRÜNEN
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Dr. Schubert, Mathias SPD 10. 5. 96
Schultz (Everswinkel), SPD 10. 5. 96
Reinhard
Seibel, Wilfried CDU/CSU 10. 5. 96
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 10.5.96
Steenblock, Rainder BÜNDNIS 10. 5. 96
90/DIE
GRÜNEN
Tappe, Joachim SPD 10. 5. 96
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 5. 96
Thierse, Wolfgang SPD 10. 5. 96
Vosen, Josef SPD 10. 5. 96
Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 10. 5. 96
Wettig-Danielmeier, Inge SPD 10. 5. 96
Wieczorek-Zeul, SPD 10.5.96
Heidemarie
Dr. Wolf, Winfried PDS 10. 5. 96
Zierer, Benno CDU/CSU 10. 5. 96
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 15
(a - Gesetzentwurf:
Staatsangehörigkeitsüberleitungsgesetz,
b - Antrag: Keine Stimmungsmache
gegen Aussiedler zulassen)
Erwin Marschewski (CDU/CSU): Die jüngste Kampagne der SPD gegen Aussiedler ist ein trauriges Kapitel der deutschen Politik. Durch die verfassungswidrige Forderung nach einer Zuzugsbeschränkung für Aussiedler sollten Neidgefühle geweckt und in Wählerstimmen umgemünzt werden. Die Wählerinnen und Wähler in unserem Land haben dieses Unternehmen scheitern lassen. Sie haben damit recht getan.
Und noch etwas: Rigide Zuzugsbeschränkungen bewirken das Gegenteil dessen, was ihre Befürworter erreichen wollen: Sie verunsichern die im Ausland lebenden Volksdeutschen und verstärken auf diese Weise deren Wunsch, nach Deutschland zu gelangen. Damit wird zugleich das wichtige Ziel in Frage gestellt, den Menschen dort eine gesicherte Existenz zu ermöglichen, wo sie jetzt leben.
Aussiedler sind Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit, die nach Art. 116 unseres Grundgesetzes Anspruch auf Verleihung der deut-
schen Staatsangehörigkeit haben. Deshalb darf ihnen niemand das Recht streitig machen, nach Deutschland zu kommen. Dies gilt um so mehr, als wir gegenüber den deutschen Volksgruppen im Ausland eine besondere historische Verantwortung haben. Den diese hatten wie kaum eine andere Gruppe unseres Volkes unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges zu leiden. Obwohl persönlich meist schuldlos, wurde an ihnen Vergeltung für den Naziterror geübt. Dies dürfen wir nicht vergessen, und dies werden wir nicht vergessen!
Es ist auch aus anderen Gründen unredlich, eine Neiddebatte gegen Aussiedler zu führen. Die staatlichen Maßnahmen zur Eingliederung von Spätaussiedlern beschränken sich inzwischen im wesentlichen auf die Gewährung von Sprachförderung, Eingliederungshilfe und Renten.
Ferner haben wir im Rahmen unseres „Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung" beschlossen, die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz weiter zu begrenzen.
Die Forderung von SPD und Grünen nach einem Einwanderungsgesetz können wir nicht teilen. Denn Tatsache ist:
- Ein Einwanderungsgesetz suggeriert weitere Zuwanderungsmöglichkeiten, die wir nicht akzeptieren können. Denn: Seit 1990 ist jährlich rund eine 3/4 Million Menschen nach Deutschland gekommen. Was wir also brauchen, ist keine weitere Zuwanderung, sondern eine Zuwanderungsbeschränkung.
- Darüber hinaus: Die Einreise von Asylbewerbern ist nicht begrenzbar. Das Asylrecht ist ein subjektives Grundrecht, das keine zahlenmäßige Begrenzung zuläßt.
- Dies gilt auch für den Zuzug von EG-Staatsangehörigen. Auch hier ist nach der Rechtsordnung der EU keine Beschränkung möglich.
- Und last not least: Ein Einwanderungsgesetz ist ohne feste Zuwanderungsquoten undenkbar. Das aber bedeutet: Für humanitäre Einzelfallentscheidungen, die unser heutiges Ausländerrecht immer ermöglicht, bliebe jenseits der Quotenerfüllung kein Raum; und gesteuerte Einwanderung heißt Auswahl zugunsten des Einwanderungslandes. Aber: Wäre es wirklich richtig: bei Bedarf gerade die Berufsgruppen aus Entwicklungsländern nach Deutschland kommen zu lassen, die in den Heimatländern dringend gebraucht werden? Dies ist nicht human; dies ist unmenschlich.
Es besteht auch kein Anlaß, die Aussiedlerdebatte mit der allgemeinen Diskussion über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu vermengen. Denn: Die Forderung insbesondere nach genereller Zulassung der doppelten Staatszugehörigkeit hat keineswegs das Ziel, den Status der Heimatvertriebenen zu sichern oder gar zu verbessern. Hier geht es vielmehr allein um einen grundlegenden Wandel der Ausländerpolitik, der zudem geeignet ist, die im Ausland lebenden Volksdeutschen zu verunsichern.
Wahr ist allerdings: Das aus dem Jahr 1913 stammende Staatsangehörigkeitsrecht ist in Teilen veraltet und daher reformbedürftig. Deswegen werden wir reformieren. Dabei bedarf es aber einer Gesamtschau, die die Grundprinzipien des Staatsangehörigkeitsrechts ebenso im Auge behält wie die Vielzahl der Detailprobleme.
Der Bundesrat hat mit dem vorliegenden Entwurf eines Staatsangehörigkeitsüberleitungsgesetzes einen akzeptablen Vorschlag unterbreitet. Das nach der gegenwärtigen Rechtslage zwingend vorgeschriebene besondere Einbürgerungsverfahren für Heimatvertriebene soll entfallen. Statt dessen soll die deutsche Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Anerkennung als Heimatvertriebener kraft Gesetzes festgestellt werden. Dadurch wird eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung erreicht, die wir selbstverständlich unterstützen.
Wir werden die Koalitionsvereinbarung im Bereich der Innenpolitik Punkt für Punkt umsetzen. Dies gilt für die Kriminalitätsbekämpfungsgesetze ebenso wie für die Reform des öffentlichen Dienstes; dies gilt auch für die Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechts. Wir werden das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren - selbstverständlich noch in dieser Legislaturperiode.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Der Gesetzesentwurf des Bundesrates, mit dem wir uns heute mittag befassen, trägt mehr zur Entlastung und Erleichterung bei, als das etwas langatmige Wort „ Staatsangehörigkeitsüberleitungsgesetz " ahnen läßt. Der Sachverhalt ist so schlicht und einleuchtend, daß er schon längst hätte geregelt werden können! Aber bei dieser Bundesregierung paart sich ja immer wieder Mangel an Fantasie mit dem Hang zur Unbeweglichkeit. Wieder einmal ist eine Nachhilfestunde in Sachen Verwaltungsvereinfachung nötig: Es geht darum, daß Spätaussiedler mit ihrer Anerkennung zugleich automatisch das werden, worauf sie einen Anspruch nach Artikel 116 unseres Grundgesetzes haben: deutsche Staatsangehörige.
Bisher müssen sie trotzdem noch ein umständliches Einbürgerungsverfahren durchlaufen. Eine aufwendige Prozedur, die man abschaffen kann - zum Wohle der betroffenen Menschen, zur Entlastung der zuständigen Behörden und auch der öffentlichen Kassen. Gelten soll die neue Regelung auch für die nichtdeutschen Ehegatten - sofern die Ehe bei Verlassen des Herkunftslandes mindestens 3 Jahre bestanden hat - und für die gemeinsamen Kinder.
Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich diese Bundesratsinitiative, die das Land Schleswig-Holstein eingeleitet hat, mit voller Überzeugung zu eigen. Sie ist logisch, dient dem Interesse der Aussiedler und ihrer Familien und ist ein Beispiel dafür, wie unser Staat mit einfachen Gesetzesänderungen schlanker werden und Geld einsparen kann. Der Verstoß aus der Länderkammer findet sich im übrigen auch als wichtiger Bestandteil in unserem Antrag zur Neuregelung des Staatsangehörigkeits-
rechts wieder, der nun auch schon mehr als ein halbes Jahr auf die parlamentarische Behandlung im Innenausschuß harrt, weil sich die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nach wie vor in internen Meinungsverschiedenheiten über dieses Thema verhakelt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Skandal, den Sie uns mit der inzwischen jahrelangen Verschleppung eines wichtigen Reformvorhabens liefern, wird durch die inzwischen eingetretene Friedhofsruhe zwischen CDU/CSU und F.D.P. nicht kleiner! Ich kann mir schon denken, was die Bundesregierung gleich zu dem heute debattierten Gesetzesentwurf zur Überleitung der Staatsangehörigkeit sagen wird: Ja, man wolle ja auch die Entlastung der Behörden - aber alles soll lieber gemeinsam mit der umfassenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aufgegriffen werden.
Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, sparen Sie sich doch wolkige Ankündigungen, wenn Sie nicht die Kraft haben, sie in die Tat umzusetzen! Eher kommt ja ein Hamster im Laufrad voran als Sie mit der überfälligen Modernisierung unseres verstaubten Staatsangehörigkeitsrechts! Sie waren zwar nach den jüngsten PKK-Krawallen fix mit der Verschärfung der Ausweisungs- und Abschiebungstatbestände und haben uns kürzlich auch ein paar - freilich absolut unzureichende - Verbesserungen für den Aufenthalt lange hier lebender Zuwanderer serviert. Aber ein Kernstück der Integration, nämlich Einbürgerungserleichterungen und den großzügigeren Umgang mit der doppelten Staatsbürgerschaft, bleiben Sie schuldig. Ein armseliges Schauspiel! Übrigens darf ich Sie beim Stichwort „Mehrstaatigkeit" darauf hinweisen, daß bei den Einbürgerungsverfahren für Aussiedler die deutschen Behörden kaum etwas dagegen haben, wenn die Antragsteller ihre bisherige Nationalität beibehalten. Das entlarvt den anhaltenden Widerstand vor allem der Kollegen aus der CSU nicht nur als ungerechtfertigt, sondern auch als unaufrichtig. Denn eigentlich, verehrte Kollegen, müßten doch Ihre Bedenken auf alle Gruppen zutreffen: die Deutschstämmigen ebenso wie die Ausländer!
Doppelzüngig und widersprüchlich ist auch der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel „Keine Stimmungsmache gegen Aussiedler zulassen". Das ist ein eilig zusammengeschriebenes Papier, mit dem vier Wochen vor den Landtagswahlen der Streit um die Behandlung des Themas aufgespießt werden sollte. Halten wir fest: Einer Zuzugssperre für Aussiedler - wie es der Antrag formuliert - hat damals kein sozialdemokratischer Politiker das Wort geredet. Ich sage zugleich an dieser Stelle sehr deutlich: Keine Partei, auch nicht die SPD, darf auch nur den Verdacht erwecken, sie mache eine Minderheit zu Sündenböcken für Frust, soziale Not und Angst in der Bevölkerung um Arbeit und Auskommen, und keine Partei - auch nicht Bündnis 90/Die Grünen - sollte dem politischen Konkurrenten Aussagen andichten, die dieser so nicht getan hat.
Ich glaube, meine Anmerkung zum Disput über die Behandlung des Themas „Aussiedler" in politisch aufgeheizten Wahlkampfzeiten war so klar, daß auch das jetzt Folgende nicht mißverstanden werden kann: Es ist sehr wohl legitim und verständlich, angesichts stark geschrumpfter Eingliederungshilfen und zusammengestrichener Sprachkurse für Spätaussiedler die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung dem Gebot der Integration von 220 000 Menschen jährlich unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt noch gerecht wird. Der Vorstandssprecher der Grünen, Jürgen Trittin, war es, der zur Aufnahme von Aussiedlern sagte: „Das Boot ist nicht voll, sondern wir haben gesagt, man muß das begrenzen. Es kann das nicht ad infinitum geben. " Und die Arbeitsgruppe Migration der F.D.P. nennt in ihrem Kriterienkatalog für ein Zuwanderungsgesetz mit festgelegten Kontingenten unter anderem Menschen, die „einen begründeten Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler unter der Maßgabe jährlich abzusenkender Höchstquoten" stellen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, deshalb sollten Sie aufrichtig bleiben und nicht mit gespaltener Zunge reden. Wir jedenfalls kündigen Ihnen für die nächste Zeit einen wohldurchdachten, abgewogenen Beitrag zur Situation der Spätaussiedler im engeren Sinne und zu unseren Vorstellungen von einer gesteuerten, jährlich zu gestaltenden Zuwanderung an. Und ich wünsche mir darüber eine ruhige, sachkundige und fundierte Diskussion - nicht nur im Parlament und in den Parteien, sondern am besten mit den Betroffenen: den Spätaussiedlern und anderen Gruppen von Zuwanderern.
Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im
Alten Testament - 3. Mose 16.21 - heißt es: „daß also der Bock alle ihre Missetat auf sich in die Wildnis trage; und er lasse ihn in die Wüste." Und dann jagte der Hohepriester den Ziegenbock, mit den Sünden des ganzen Volkes beladen, in die Wüste. Zu solchen Sündenböcken drohen auch Aussiedler gemacht zu werden, wenn - wie jüngst in den Landtagswahlkämpfen geschehen - ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Zuzug von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern und sozialen und wirtschaftlichen Problemen in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wird.
Ich weiß, Herr Lafontaine, Sie haben am Wochenende auf dem Juso-Bundeskongreß erklärt, es sei nicht Ihre Absicht gewesen, Aussiedler zu stigmatisieren. Doch wir sollten uns alle über eins im klaren sein: Wer solche Themen im Wahlkampf hochkocht, trägt auch die Verantwortung, wenn die Ressentiments gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen steigen.
Ich möchte vor diesem Hohen Haus eindringlich dafür plädieren, diese Debatte sensibel und sachlich zu führen. Wir kennen die Strategie, wie sie in der Vergangenheit insbesondere von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gegenüber Asylbewerbern betrieben wurde, wie jüngst auch die hier lebenden Kurden für die Gewalttaten einer Min-
derheit verantwortlich gemacht wurden. Ein solches Vorgehen gefährdet den sozialen Frieden, gefährdet das friedliche Zusammenleben. Es sind die Sünden von uns allen und besonders die dieser Bundesregierung, die zu den wirtschaftlichen Problemen führen. Da kann der Bock nichts dafür.
Ja, wir müssen die Debatte über die Zuwanderung führen, sachlich, ohne Ängste zu schüren - nicht nur über die Aussielder, sondern über die gesamte Zuwanderung, die über die Aufnahme von Flüchtlingen hinausgeht. Wir fordern daher ein Einwanderungsgesetz, das die Zuwanderung einheitlich regelt. Anachronistische Merkmale wie die Blutszugehörigkeit gehören nicht in eine zeitgemäße Konzeption von Zuwanderung. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1992 und das Bundesvertriebenengesetz stehen nach unseren Vorstellungen mittelfristig zur Disposition. Auf längere Sicht sollten - nach einer Übergangszeit - alle Zuwanderer, unabhängig von ihrer Abstammung, nach den gleichen Kriterien Zugang finden.
Die Aussiedlerinnen und Aussiedler werden dabei auch in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen, nicht zuletzt auch auf Grund der Diskriminierung dieser Menschen in den GUS-Staaten sowie auf Grund der vielfältigen verwandtschaftlichen Beziehungen, die bereits zu Menschen in Deutschland bestehen. Die Reduzierung der Zuwanderungsquote für Aussiedlerinnen und Aussiedler ist nach unserem Einwanderungskonzept auf längere Sicht nicht ausgeschlossen. Sie wird aber auf Grund der besonders schwierigen Bedingungen für Deutschstämmige in den Staaten der GUS immer einen bedeutenden Stellenwert behalten. Von populistischen Stammtischparolen halten wir nichts. Die Aussiedlerinnen und Aussiedler haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit und - wie übrigens alle Zuwanderer - auf vernünftige Eingliederungshilfen.
Ein Wort noch zum Staatsangehörigkeitsüberleitungsgesetz, über das wir im Ausschuß diskutieren sollten. Es freut mich, von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu hören, daß sie diese Frage zusammen mit der vorgesehenen Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts behandeln will. Das zeigt immerhin, daß sie dieses Reformvorhaben noch nicht vergessen hat. Ja, aber wann kommt denn da einmal etwas?
Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Uns liegen
hier zwei sehr unterschiedliche Vorlagen auf dem Tisch, die jedoch ein und dieselbe Personengruppe betreffen, nämlich die Spätaussiedler.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat sich für's erste erledigt. Die Landtagswahl in BadenWürttemberg ist vorbei, die Kampagne ist beendet, genützt hat sie nicht ihren Erfindern von der SPD, sondern der Partei der sogenannten Republikaner.
Ein paar Fakten über die Spätaussiedler sind inzwischen hoffentlich noch einmal deutlich geworden: Die positive Altersstruktur, die im Vergleich geringere Zeit der Arbeitslosigkeit und die Rentensituation, die in Wahrheit ganz anders aussieht, als es
Vorurteile und manche Schlagzeilen uns glauben machen wollen.
Zum Gesetzentwurf des Bundesrates kann ich nur sagen: Ein sehr vernünftiger Vorschlag! Aus der Stellungnahme der Bundesregierung geht hervor, daß sie die vorgeschlagene Vereinfachung der Einbürgerung im Prinzip ebenfalls für richtig hält. Wir reden viel vom „schlanken Staat" und von Entbürokratisierung - hier ist eine Chance dazu.
Die Einbürgerungsbehörden sind überlastet, weil sich - endlich - immer mehr Menschen, die unter uns leben, dazu entschließen, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Der Antragsstau, der augenblicklich festzustellen ist, ist zum Teil überflüssig, und er ist nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme für die Antragsteller.
Was liegt näher, als sie von den Anspruchseinbürgerungen der Spätaussiedler zu entlasten? - Wenn die Rechtsstellung geklärt ist - ja. Warum dann nicht ein einfacheres Verfahren wählen?
Die Bedenken, eine erneute Teilregelung einzuführen, halte ich nicht für stichhaltig.
Die Bundesregierung kündigt eine „vertiefte Prüfung" an. Ich bitte sie herzlich: Prüfen Sie meinetwegen tief, aber prüfen sie rasch.
Ich bin sicher, Sie werden sich den stichhaltigen Gründen nicht verschließen.
Ulla Jelpke (PDS): Auch wir sind der Ansicht, daß
das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht neu gestaltet und möglichst weit gefaßt werden soll. Die Bundesrepublik muß sich als ein Einwanderungsland begreifen. Es müssen endlich die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und auch die sogenannten Aussiedler die tatsächliche - und gleichberechtigte - Möglichkeit haben, sich hier anzusiedeln, und möglichst schnell und unbürokratisch die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen können. Die Bundesratsinitiative geht demgegenüber weiter von dem völkischen Erfordernis einer deutschen Blutszugehörigkeit aus.
Geradezu abstoßend ist es, wenn ich mir in Erinnerung rufe, in welchem Kontext diese Bundesratsinitiative gestartet wurde. Führende Vertreter der SPD entfachten aus heiterem Himmel eine Hetzkampagne gegen Aussiedlerinnen und Aussiedler: Ausländerfeindlichkeit und soziale Existenzängste ihrer vermeintlichen Wählerklientel wurden unverfroren benutzt, um den lahmen sozialdemokratischen Wahlkampfkarren in Baden-Württemberg aus dem Dreck zu ziehen.
Dies war mehr als geschmacklos - und es ist brandgefährlich, nämlich dann, wenn zu denselben Stammtischargumenten gegriffen wird, mit denen zunächst die Republikaner und zu Zeiten der unseligen Asyldebatte auch die Unionsparteien gegriffen haben. Als sich die SPD entschloß, die faktische Abschaffung des Asylrechts mitzutragen, waren auslän-
derfeindliche Stimmen vereinzelt auch aus der Sozialdemokratischen Partei zu vernehmen. Daß - aus vordergründigen Motiven - heute aber Teile der SPD-Spitze diese Hetzkampagne entfachen, ist beschämend. Insofern unterstützen wir das Anliegen des von den Grünen vorgelegten Antrages nachdrücklich.
Allerdings - auch er ist nicht frei von Populismus.
Warum - so frage ich mich - mußten die Grünen ausgerechnet die Hetze gegen Aussiedler dafür nutzen, ihr neues Einwanderungsgesetz zu promoten? In ihren im November letzten Jahres von Cem Özdemir vorgestellten einwanderungspolitischen Eckpunkten wird das grüne Dilemma offenkundig. Sie schlagen Quoten vor, die sie mit Rücksicht auf die „Notwendigkeiten" letztlich der führenden deutschen Wirtschaftsunternehmen sowie „solider Planungsgrundlagen in der Bundesrepublik" festgelegt haben. Das führt dazu, daß - bei gleichbleibender Migration durch Aussiedler - faktisch kein Platz mehr für andere Einwanderer übrigbleibt.
Das von den Grünen geforderte Einwanderungsgesetz bleibt in seinen Details erneut hinter grünen Vorstellungen aus der vergangenen Wahlperiode zurück. Es wird trotz der beabsichtigten Humanität letztlich immer auch ein Einwanderungsverhinderungsgesetz sein - mit allen Konsequenzen, sich nun nämlich aber richtig abzuschotten.
Eduard Lintner, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister des Innern: Während es beim Gesetzentwurf des Bundesrates um ein eher technisches Problem, nämlich die Art und Weise der Oberführung der Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, der sogenannten Statusdeutschen, in die deutsche Staatsangehörigkeit geht - eine Frage, der kaum materielles Gewicht zukommt -, geht es im Beschlußantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um die von SPD-Politikern meines Erachtens leichtfertig ins Gespräch gebrachte weitere Zuwanderungsbegrenzung bzw. überhaupt eine Zuzugssperre für deutsche Aussiedler.
Zum Gesetzentwurf des Bundesrates kann ich hier einfach feststellen, daß die Zielsetzung grundsätzlich mit den Vorstellungen des Bundesinnenministeriums zu diesem Problem übereinstimmt. Es ist daher ohnehin beabsichtigt, bei der für diese Legislaturperiode vereinbarten umfassenden Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts eine Regelung der automatischen Überleitung der Statusdeutscheneigenschaft in die deutsche Staatsangehörigkeit zu treffen und so einen wirksamen Beitrag zu einem „schlanken Staat" zu leisten - durch den damit verbundenen Wegfall einer Vielzahl von Einbürgerungsverfahren.
Was wir allerdings nicht mitmachen werden, ist die vollständige Beseitigung des Status „Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit" , wie er in Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist.
Es sprechen einfach praktische Erwägungen gegen eine bereits bei der Aufnahme im Bundesgebiet einsetzende Erwerbsautomatik. Wenn sich nämlich im vertriebenenrechtlichen Verfahren herausstellt, daß eine aufgenommene Person nicht die Spätaussiedlereigenschaft besitzt - was in der Praxis zwar nicht häufig, aber immer wieder einmal vorkommt -, muß die vorangegangene, zu Unrecht erfolgte Behandlung als deutscher Staatsangehöriger rückgängig gemacht werden. Nach der Konzeption meines Hauses soll der Staatsangehörigkeitserwerb daher erst nach endgültiger Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft eintreten.
Einen ganz grundsätzlichen Einwand möchte ich aber noch zu bedenken geben: Es ist wenig sinnvoll, anstelle einer umfassenden Neuregelung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts jetzt wieder nur eine Teilreform durchzuführen. „Schlanker Staat" kann nicht heißen, daß der Gesetzgeber flickschusternd eine Teilreform nach der anderen vornimmt und die gesetzesvollziehende Verwaltung mehr oder weniger dicht hinterherhechelt. Empfehlenswert wäre es vielmehr, die ohnehin anstehende Gesamtreform zu nutzen, auch dieses Anliegen dort zu regeln.
Zum Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist folgendes zu sagen: Die Bundesregierung kann beim Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwar der Überschrift „Keine Stimmungsmache gegen Aussiedler zulassen" zustimmen, der inhaltlichen Begründung aber nicht. Ein Einwanderungsgesetz oder eine Änderung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes sind nicht nötig, denn durch das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung, die es durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz erhalten hat, sind die regelungsbedürftigen Sachverhalte transparent und verläßlich, was der Entschließungsantrag ja fordert, völlig hinreichend geklärt.
Es besteht auch kein Anlaß zu einer Änderung des Verfahrens, weil sich auch der Verwaltungsvollzug zwischen Bund und Ländern bewährt hat. Sie sollten anerkennen, daß gerade mit dem Bundesvertriebenengesetz der ungeregelte Zuzug von Spätaussiedlern vermieden wird und so die Grundlagen für die sozialverträgliche Aufnahme und Integration der Spätaussiedler in den Städten, Kreisen und Gemeinden geschaffen werden. Wenn Schwierigkeiten aufgetaucht sind, hat die Bundesregierung stets angemessen reagiert. So zum Beispiel mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Wohnortzuweisungsgesetzes, das es ermöglicht, die Spätaussiedler gleichmäßiger, als es bisher der Fall sein konnte, auf das Bundesgebiet zu verteilen.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen,
- in den Herkunftsgebieten Tests zur Prüfung der Sprachkompetenz durchzuführen,
- verstärkt darauf hinzuwirken, daß nur solche Personen als Spätaussiedler aufgenommen werden, die zumindest über einfache deutsche Sprachkenntnisse verfügen,
- Eigeninitiativen zum Erlernen der deutschen Sprache zu fördern, vorhandene Kenntnisse zu vertiefen und
- verstärkt Sprachkurse zum Beispiel in Begegnungsstätten anzubieten.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung keine Veranlassung, das Verfahren der Aufnahme und Eingliederung der Spätaussiedler sowie die Regelungen über die jährliche Zuzugszahl grundlegend umzustellen. Im Gegenteil, jede Hektik und Änderung fördern nur die latent vorhandene Sorge und Angst bei den Betroffenen, das Tor könnte geschlossen werden. Und das wiederum könnte Hunderttausende in Bewegung setzen und an unsere Grenzen führen. Das könnte niemand verantworten, weder die Regierung noch die Opposition.
Im Interesse der Vermeidung solche Panikreaktionen müssen Regierung und Opposition zusammenwirken und - wenn nötig - dann behutsam und mit überzeugenden Argumenten Änderungen vornehmen. Um diese Form der Zusammenarbeit bitte ich Sie im Interesse der Aussiedler und von uns Einheimischen.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 16
(Antrag: Rücknahme der Mikro-Antibabypillen
der dritten Generation vom Markt)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Jede Frau, die sich entscheidet, zur Familienplanung die Pille einzusetzen, muß wissen, daß das mit einem gewissen Risiko behaftet ist. Arzneimittel gibt es nicht ohne jegliche Nebenwirkungen. Bei der Pille ist es das Thromboserisiko, gerade wenn zusätzliche Risikofaktoren hinzukommen, wie z. B. das Rauchen. Die Frage, um die es hier geht, ist also nicht, ob überhaupt ein Risiko mit dieser Form der Empfängnisverhütung verbunden ist, sondern, ob speziell mit den Antibabypillen der dritten Generation ein besonders hohes Risiko verbunden ist. Dies behaupten die Grünen, ohne hierfür jedoch irgendeinen überzeugenden Nachweis liefern zu können.
Ich zitiere aus der Begründung zu dem Antrag der Grünen, die Mikro-Antibabypillen der dritten Generation vom Markt zu nehmen: „Mehrere hundert schwere venöse Thromboembolien und wahrscheinlich einige Todesfälle von Frauen in Deutschland hätten vermieden werden können, wenn rechtzeitig zum Schutz der Gesundheit von Frauen die MikroAntibabypillen der dritten Generation vom Markt genommen worden wären. " Das ist billige Polemik. Diese Aussage läßt sich nach den Stellungnahmen zahlreicher Experten, die wir im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages angehört haben, nicht halten. Experten aller teilnehmenden EU-Staaten haben in einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt, daß sie keine Notwendigkeit zur Einschränkung der Verordnung oder gar einer Aufhebung der Zulassung für gestoden- oder desogestrelhaltige
Mikropillen sehen. Auch der Europäische Ausschuß für Arzneimittelspezialitäten bei der Europäischen Arzneimittelagentur, der sich vor kurzem erneut mit dem Thromboserisiko bei den gestoden- und desogestrelhaltigen oralen Kontrazeptiva befaßt hat, sieht keine solche Notwendigkeit.
Die Daten aus mehreren wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Epidemiologie haben keineswegs ein neues und größeres Thromboserisiko der Mikropille mit Desogestrel und Gestoden, den Gestagenen der sogenannten dritten Generation, ergeben. Vielmehr liegt dieses in dem Bereich oder sogar unterhalb des Bereiches, der bisher aus früheren Studien für die Pille bekannt war.
Jetzt sei es zu einem Rückgang der Ereignisse von bisher vier pro 10 000 Frauenjahre auf etwa zwei pro 10 000 Frauenjahre bei Präparaten der zweiten Generation gekommen. Es geht also um vier oder zwei von 10 000 Frauen, die diese Präparate über ein Jahr nehmen.
Genau um diese Dimension geht es und nicht um eine Gefahr, die neu ist und auf einmal das Leben der Pillenanwenderin bedroht.
Ganz offensichtlich - und das ist durch eine Reihe von Untersuchungen belegt - gibt es Unterschiede im Risiko für Thrombosen bei Frauen, die Präparate der einen oder anderen Gruppe einnehmen. Frauen mit erkannten und nicht erkannten Risikofaktoren werden eher mit Präparaten der jüngsten Generation behandelt. Diese Frauen sind jünger als die andere Gruppe und nehmen die Präparate in der Regel über eine kürzere Zeit ein. Daraus können die hier beschriebenen Unterschiede durchaus resultieren. Die Experten der CPMP (Arzneispezialitätenausschuß der Europäischen Union) haben dem in ihrer Empfehlung vom 19. April 1996 Rechnung getragen.
Um aber den berechtigten Sicherheitsbedürfnissen der Patientinnen Rechnung zu tragen, kommt der Europäische Ausschuß im einzelnen unter Einbeziehung von Sicherheitserwägungen zu folgenden Feststellungen, die von Ärzten und Anwenderinnen berücksichtigt werden müssen:
Erstens. Wenn in der Vergangenheit eine Thromboembolie bestanden hat oder akut besteht, sollen keine Mikropillen der dritten Generation angewandt werden.
Zweitens. Wenn bestimmte Risikofaktoren, wie z. B. Venenthrombosen in der Familie, Übergewicht oder Krampfadern, vorliegen, soll darauf verzichtet werden.
Und grundsätzlich gilt bei der Verordnung der Antibabypille:
Erstens. Wenn ein erhöhtes Risiko venöser thrombolischer Ereignisse vorliegt, wie zum Beispiel bei schweren Verletzungen oder ausgedehnten operativen Eingriffen, sollte das Absetzen oraler Kontrazeptiva erwogen werden.
Zweitens. Wenn Thromboseverdacht besteht, sollte die Mikropille während der diagnostischen Abklärung abgesetzt werden.
Drittens. Bei einer unklaren Diagnose venöser thromboembolischer Ereignisse sollten mit den Anwenderinnen alternative kontrazeptive Methoden besprochen werden, da es sich bei dem Ereignis um ein erstes Signal auf eine mit der Anwendung oraler Kontrazeptiva verbundene Thromboseneigung handeln kann.
Wenn diese Bedingungen und Anleitungen beachtet werden, sehen die Experten kein Problem darin, auch die Mikropillen nach wie vor zu verordnen. Dann ist es Sache von Arzt und Patientin, die Entscheidung zu treffen.
Für die Zulassung von Arzneimitteln ist in der Bundesrepublik das Bundesinstitut für Arzneimittel in Berlin zuständig. Auch das Bundesinstitut hat die Entwicklung bei den Mikropillen der dritten Generation natürlich sehr eingehend beobachtet, und es hat die Studien, die hierzu erstellt worden sind, genauestens gesichtet. Im Oktober letzten Jahres hat es, zum Schutze der Verbraucherinnen, eine Erstanwendung dieser Pillengeneration bei Frauen unter 30 Jahren untersagt. Damit ist dem Umstand Rechnung getragen worden, daß diese Frauen ganz besonders vom Thromboserisiko betroffen sind. Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um eine vorbeugende Schutzmaßnahme, die kontinuierlich auf ihre Rechtfertigung hin überprüft werden muß. Eine solche Überprüfung wird Ende Juni stattfinden auf der Grundlage der europäischen Erkenntnisse.
Man muß die weitere Entwicklung im Auge behalten. Natürlich ist es notwendig, daß Ärzte und Ärztinnen sich mit ihren Patientinnen sehr genau darüber unterhalten, welche Form der Kontrazeption unter welchen Bedingungen die richtige ist. Da tragen die Ärzte auch eine ganz große Verantwortung. Aber die Panikmache, die die Grünen zum jetzigen Zeitpunkt anzetteln, ist völlig daneben. Sie führt gerade zu der beklagten unverantwortlichen Verunsicherung der betroffenen Frauen.
Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf die um 10 Prozent erhöhte Zahl von Schwangerschaftsunterbrechungen, wie sie zum Beispiel in Großbritannien nach der unnötig ausgelösten Pillenhysterie im letzten Herbst auftraten. Dem darf nicht Vorschub geleistet werden.
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die parlamentarische Befassung mit dem Problem der Antibabypillen der dritten Generation hat erneut die in diesem Lande seit langem bestehenden Mißstände im Umgang mit Arzneimittelrisiken aufgezeigt. Wieder wurde deutlich, daß verordnende Ärzte in der Regel zu wenig und zu spät informiert werden, ja daß im Gegenteil die Werbung der Pharmafirmen ihnen oft das Gefühl einer hohen, dann aber doch nicht gerechtfertigten Sicherheit der jeweiligen Medikamente vermittelt. Dies wiederum trägt dazu bei, daß sie ihrerseits die Patientinnen tendenziell unzureichend informieren und die notwendige Risikoerfassung sowie eine anschließende individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung allzu häufig nicht in erforderlicher Weise vornehmen.
Erneut erleben wir eine oberste Bundesbehörde, die unter mannigfaltigem Druck steht, deren Durchsetzungsfähigkeit von vornherein begrenzt ist und deren Entscheidungen deshalb durch vielerlei Rücksichtnahmen beeinträchtigt werden.
Immer wieder zeigt sich auch, daß das Melde- und Erfassungssystem für unerwünschte Arzneimittelwirkungen in der Bundesrepublik nur äußerst unzureichend funktioniert. Verstärkt werden all diese Mißstände durch eine bis heute überaus mangelhafte Ausbildung der Ärzte in der immer wichtiger werdenden medizinischen Spezialdisziplin der Epidemiologie. Insgesamt wird zu lange vertuscht, verschwiegen oder zerredet, statt vom ersten Verdachtsmoment an die dann unabdingbar erforderlichen wissenschaftlichen Untersuchungs- und Überprüfungsverfahren sowie eine sofort notwendige Information und Aufklärung der Ärzte und ihrer Patienten in Gang zu setzen. Kommt es dann irgendwann - häufig noch dazu durch eine sensationshungrige Presse - zu Katastrophenmeldungen und zum nachfolgenden „Katastrophenmanagement", sind rationale Entscheidungen oft nur noch schwer zu treffen.
Fazit: Es gibt nach wie vor keine systematischen, rechtzeitig einsetzenden sowie kontinuierlich und solide arbeitenden Mechanismen für den Umgang mit Arzneimittelnebenwirkungen. Es ist völlig unbegreiflich, daß diese seit langem bekannte Situation in einem Land mit hochentwickelter Arzneimittelproduktion für die Regierung kein Anlaß zu energischem Handeln ist. Ich meine, daß ist der erste und eigentliche Skandal, von dem immer wieder geredet werden muß.
Was das aktuelle Problem der Risikobewertung bei den Antibabypillen der dritten Generation betrifft, so haben unseres Erachtens die bisherigen Aktivitäten einschließlich der dazu durchgeführten Anhörung noch keine eindeutigen Entscheidungsgrundlagen für das Parlament erbringen können. Es hat sich eher bestätigt, daß die wissenschaftliche Diskussion noch keineswegs entschieden ist, ja daß dafür zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht einmal alle notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.
Ungeachtet der immer in Rechnung zu stellenden bekannten Interessenlagen der pharmazeutischen Industrie können aber auch die durchaus objektiv bestehenden Schwierigkeiten und möglichen Verzerrungseffekte, die mit der epidemiologischen Methodik in der Tat verbunden sein können, nicht einfach von der Hand gewiesen werden. Dies gilt sicher um so mehr, als in nächster Zeit weitere Ergebnisse kommen werden, von denen ein genauerer Aufschluß über die gegenwärtig noch strittigen Fragen erwartet werden kann. Mit anderen Worten: Eine abschließende Bewertung der hier vorliegenden und ohne Zweifel sehr komplizierten Sachprobleme scheint uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder möglich noch zweckdienlich zu sein.
Für notwendig halte ich allerdings, daß bereits heute die erforderlichen Schlußfolgerungen für eine sorgfältige und individuelle Verordnungsweise dieser Medikamente gezogen werden.
Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages hat in mehreren Sitzungen über die oralen Kontrazeptiva und damit verbundenen Nebenwirkungen diskutiert. Es fanden umfangreiche Informationen durch die zuständige Bundesoberbehörde statt. Ein langes Expertengespräch des Ausschusses wurde am 6. März dieses Jahres durchgeführt, bei dem viele renommierte, auch internationale Wissenschaftler anwesend waren.
Die Daten und Fakten liegen Ihnen in den Drucksachen und Protokollen des Ausschusses vor. Ich kann mich also wegen der Kürze der Zeit auf grundsätzliche Anmerkungen beschränken.
Es gibt für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen keinerlei Berechtigung. Es kann für diesen Antrag deshalb auch keine Zustimmung geben.
Es ist weder Auftrag noch Aufgabe des Bundestages, über die Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln, über die Zulassung von Arzneimitteln oder über Risikomaßnahmen bei Arzneimitteln zu beschließen. Dies gehört in die Kompetenz der zuständigen Bundesoberbehörde, in diesem Fall des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dort sitzen die Experten, dort wird die wissenschaftliche Arbeit gemacht, dort ist Literatur vorhanden, und dort können die Kontakte zu externen Wissenschaftlern geknüpft werden. Und nur dort können die notwendigen fachlichen Entscheidungen getroffen werden.
Der Bundesminister für Gesundheit wird sich in solche fachlichen Entscheidungen der zuständigen Behörden nicht einmischen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bei der Bearbeitung der anstehenden Problematik, nämlich der Frage der Verdopplung des Risikos von venösen Thromboembolien bei der Anwendung oraler Kontrazeptiva mit den Wirkstoffen Gestoden und Desogestrel im Vergleich zu den oralen Kontrazeptiva der zweiten Generation, bisher eine fachlich gründliche und schnelle Arbeit geleistet.
Es hat zusammen mit den britischen Kollegen als erste Behörde in Europa das Problem vor dem CPMP (Committee for Proprietory Medicinal Products - Arzneimittelspezialitätenausschuß), das heißt, dem zuständigen europäischen Gremium, thematisiert.
Es hatte sogar vorher schon wesentliche Anregungen gegeben für die Studien, die inzwischen die Diskussion auf eine vernünftige epidemiologische Basis gelenkt haben.
Es hat als erste und bisher einzige Behörde in Europa eine Maßnahme getroffen, die risikominimierend ist. Diese Maßnahme beinhaltet, daß Frauen unter 30 Jahren bei der Ersteinstellung mit oralen Kontrazeptiva die in Rede stehenden Pillen der dritten Generation nicht verordnet bekommen. Diese Maßnahme umfaßt auch, daß in den Beipackzetteln deutliche Hinweise für Arzt und Anwenderin in bezug auf die Risiken gegeben werden.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat uns alle im Gesundheitsausschuß ausführlich und schnell informiert. Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen in der Behörde dafür danken und ich weise Ihre Vorwürfe, Frau Knoche, entschieden zurück.
Die epidemiologischen Studien haben noch einige Fragen offen gelassen, so zum Beispiel die Frage, ob das Herzinfarktrisiko durch Pillen der verschiedenen Generationen unterschiedlich beeinflußt wird und welchen Einfluß Störgrößen möglicherweise gehabt haben könnten. Diese Fragen sollen soweit wie möglich beantwortet werden. Eine europäische Arbeitsgruppe, zu der auch deutsche Wissenschaftler zählen, wird mit den Autoren dieser Studien Kontakt aufnehmen und in den nächsten Monaten weitere Analysen der Daten vornehmen.
Die im November 1995 angeordneten Maßnahmen gelten bis zum 30. Juni dieses Jahres. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird unter Berücksichtigung der Datenlage zunächst innerhalb der kommenden beiden Monate und dann nach Abschluß der zusätzlichen Datenanalyse durch die europäische Arbeitsgruppe über das weitere Vorgehen entscheiden.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß bei neuen Erkenntnissen eine neue Bewertung erfolgt und gegebenenfalls neue Entscheidungen getroffen werden. Und ebenso selbstverständlich ist es, daß dies - wie bisher auch - zügig geschieht und darüber umfassend informiert wird.
Anlage 4
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 696. Sitzung am 3. Mai 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen:
- Geflügelfleischhygienegesetz (GFlHG)
- Gesetz zu dem Vertrag vom 19. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3286 Nr. 1.4
Finanzausschuß
Drucksache 13/3668 Nr. 2.38
Drucksache 13/3790 Nr. 2.14
Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3938 Nr. 2.24 Drucksache 13/3938 Nr. 2.34 Drucksache 13/3938 Nr. 2.39 Drucksache 13/3938 Nr. 2.40 Drucksache 13/3938 Nr. 2.44
Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4137 Nr. 2.47
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/3182 Nr. 1.11
Drucksache 13/3668 Nr. 2.14 Drucksache 13/3668 Nr. 2.31 Drucksache 13/3668 Nr. 2.33 Drucksache 13/3938 Nr. 2.36
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Drucksache 13/1614 Nr. 2.18 Drucksache 13/3668 Nr. 2.1