Rede:
ID1310201500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 12
    1. der: 2
    2. Ich: 1
    3. erteile: 1
    4. das: 1
    5. Wort: 1
    6. dem: 1
    7. Vorsitzenden: 1
    8. Gruppe: 1
    9. PDS,: 1
    10. Dr.: 1
    11. Gregor: 1
    12. Gysi.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/102 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 8975 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 8983 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8991 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8999 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 9003 A Dr. Gregor Gysi PDS 9005 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 9009 A Rudolf Scharping SPD 9012 D Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 9016 D Nächste Sitzung 9019 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9021* A Anlage 2 Zeitige Vorlage wichtiger EU-Dokumente in deutscher Sprache; Lösung der Eigentumsfragen zwischen Deutschland und Polen MdlAnfr 19, 20 - Drs 13/4403 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA 9021* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 9022* C 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 26. 4. 96 Antretter, Robert SPD 26. 4. 96 * Barnett, Doris SPD 26. 4. 96 Beck (Köln), Volker Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Beer, Angelika Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Behrendt, Wolfgang SPD 26. 4. 96 * Belle, Meinrad CDU/CSU 26. 4. 96 Bindig, Rudolf SPD 26. 4. 96 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 26. 4. 96 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 4. 96 Gleicke, Iris SPD 26. 4. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 4. 96 Haack (Extertal), SPD 26. 4. 96 * Karl Hermann Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 26. 4. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 26.4. 96 Horn, Erwin SPD 26. 4. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 26. 4. 96 * Jelpke, Ulla PDS 26. 4. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Kauder, Volker CDU/CSU 26. 4. 96 Krause (Dessau), CDU/CSU 26. 4. 96 Wolfgang Kuhlwein, Eckart SPD 26. 4. 96 Labsch, Werner SPD 26. 4. 96 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 26. 4. 96 Lederer, Andrea PDS 26. 4. 96 Lemke, Steffi Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Lummer, Heinrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 4. 96 Erich Marten, Günter CDU/CSU 26.4. 96 Mehl, Ulrike SPD 26. 4. 96 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 26. 4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 26.4. 96 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nelle, Engelbert CDU/CSU 26. 4. 96 Özdemir, Cern Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Probst, Albert CDU/CSU 26. 4. 96 * Reschke, Otto SPD 26. 4. 96 Dr. Rieder, Norbert CDU/CSU 26. 4. 96 Rixe, Günter SPD 26. 4. 96 Dr. Rochlitz, Jürgen Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 4. 96 * Schlauch, Rezzo Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen von Schmude, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * Schumann, Ilse SPD 26. 4. 96 Schwanitz, Rolf SPD 26. 4. 96 Steenblock, Rainder Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Steindor, Marina Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Such, Manfred Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Terborg, Margitta SPD 26. 4. 96 * Tröger, Gottfried CDU/CSU 26. 4. 96 Vosen, Josef SPD 26. 4. 96 Wallow, Hans SPD 26. 4. 96 Weis (Stendal), Reinhard SPD 26. 4. 96 Wiefelspütz, Dieter SPD 26. 4. 96 Wonneberger, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * * Zierer, Benno CDU/CSU 26. 4. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 19 und 20): Was unternimmt die Bundesregierung, damit wichtige EU-Dokumente zeitgleich nicht nur in englischer und französischer, sondern auch in deutscher Sprache vorgelegt werden? 9022* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Was unternimmt die Bundesregierung, damit die kürzlich vom polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau" als „großes Problem" angesprochene Eigentumsfrage einvernehmlich zwischen Deutschland und Polen gelöst wird? Zu Frage 19: Nach der Verordnung Nr. 1 von 1958 sind alle Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen der EU. Das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft wird in allen Sprachen gleichzeitig ausgeliefert und liegt damit in deutscher Sprache zum gleichen Zeitpunkt wie z. B. auch in Englisch und Französisch oder den anderen Sprachen der Gemeinschaft vor. Ebenso liegen die Dokumente, über die Rat und Kommission verhandeln, stets in deutscher Sprache vor. Abweichungen von dieser Regel werden in jedem Einzelfall von der Bundesregierung aufgenommen und umgehend behoben. Die Organe der Europäischen Union erkennen den Bedarf für Deutsch an; die deutschen Übersetzer stellen im Übersetzungsdienst der Kommission die größte Gruppe. Die Bundesregierung erhält allerdings auch häufig Entwürfe, die in englischer oder französischer Sprache abgefaßt sind. Das hängt damit zusammen, daß die Bediensteten von Kommission und Rat in der täglichen Praxis ohne Dolmetschung arbeiten müssen und Deutsch als Fremdsprache sehr viel weniger gesprochen und verstanden wird als Englisch und Französisch. Deshalb bemüht sich die Bundesregierung mit aktiver Unterstützung der Kommission und der Länder, durch Sprachkurse für höhere Bedienstete der europäischen Institutionen in Deutschland die Deutschkenntnisse bei den EU-Bediensteten zu fördern. Gemeinsam mit Frankreich setzt sich die Bundesregierung für eine Änderung der Einstellungsvoraussetzungen im Statut der Europäischen Beamten ein: Bewerber sollen danach über vertiefte Kenntnisse einer Gemeinschaftssprache und zufriedenstellende Kenntnisse in zwei weiteren Gemeinschaftssprachen - nicht wie bisher nur: in einer - verfügen. Wir erhoffen uns hiervon, daß Bewerber als dritte Sprache häufig auch Deutsch wählen werden. Zu Frage 20: Die Bundesregierung begrüßt, daß der Präsident Polens das Thema der entschädigungslosen Enteignung der Vertriebenen offen ansprach. Er hat allerdings in dem von Ihnen zitierten Interview gleichzeitig gesagt: „... ich befürchte, daß diesbezügliche Entscheidungen Spannungen hervorrufen würden, derer wir nicht Herr werden können. " Die Haltung der Bundesregierung in der Vermögensfrage, die auch die Bereitschaft einschließt, dieses Thema zum geeigneten Zeitpunkt in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen, ist Ihnen bekannt. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksachen 13/2995, 13/3528 Nr. 1.1 Drucksachen 13/3124, 13/3528 Nr. 1.4 Drucksachen 13/3275, 13/3528 Nr. 1.7 Drucksachen 13/3096, 13/3664 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksachen 12/8336, 13/725 Nr. 42 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 12/4733, 13/725 Nr. 29 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.4 Drucksache 13/3668 Nr. 1.5 Drucksache 13/3668 Nr. 1.6 Drucksache 13/3668 Nr. 1.7 Drucksache 13/3668 Nr. 1.8 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 1.1 Drucksache 13/3790 Nr. 2.4 Drucksache 13/3790 Nr. 2.5 Drucksache 13/3790 Nr. 2.6 Drucksache 13/3938 Nr. 2.18 Drucksache 13/4137 Nr. 2.17 Drucksache 13/4137 Nr. 2.24 Drucksache 13/4137 Nr. 2.25 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/3668 Nr. 2.16 Drucksache 13/3668 Nr. 2.25 Drucksache 13/3668 Nr. 2.49 Drucksache 13/3790 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.23 Drucksache 13/3938 Nr. 2.26 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/3529 Nr. 1.7 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2306 Nr. 2.29 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/3529 Nr. 1.3 Drucksache 13/3668 Nr. 2.59 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.6
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen auch keine amerikanische Entwicklung, Herr Kollege Fischer,

    (Lachen und Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    die von einer „Hire-and-fire"-Mentalität begleitet wird. Der Herr Bundespräsident hat das, was wir mit dem Hinweis auf Amerika meinen, vor wenigen Tagen sehr präzise ausgedrückt: Wir brauchen ein Stück dieser mentalen Standortfähigkeit, die diese Nation ausstrahlt. -

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Er hat das mit einen Hinweis auf Carl Zuckmayer zitiert. Es geht nicht vorrangig um die Frage von Arbeitsbedingungen und Investitionen. Es geht um die mentale Fähigkeit zur Veränderung, die wir in Deutschland brauchen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Das, Herr Kollege Fischer, ist nun einmal klar zu beantworten, und das ist auch die Grundlage unseres Programms.
    Wir werden der Veränderungen mit der sozialpolitischen Begleitung von Problemen nicht Herr werden; die kennen wir. Beschäftigungsprogramme haben wir schon gemacht. Strukturhilfen sind gewährt worden. Frühverrentungen sind gemacht worden. Arbeitszeitverkürzungen sind gemacht worden. Die AB-Maßnahmen sind erhöht worden. Viele haben geglaubt, die 35-Stunden-Woche bringe den Beschäftigungsschub. All das, was die Opposition hier im Hause erzählt, ist reale Politik, aber die Arbeitslosenzahl ist gestiegen. Deshalb kann das nicht die letzte Antwort sein.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Das hat die Koalition bewegt, sich neu zu verabreden. Ich möchte sehr persönlich sagen, Herr Bundeskanzler, Herr Kollege Waigel: Vielleicht wissen wir erst heute in der Debatte und in den nächsten Tagen, was dies für eine Bedeutung für die Koalition und für unser Land haben wird. Ich halte das für eine der wichtigsten Entscheidungen in dieser Legislaturperiode und bedanke mich ausdrücklich bei CDU und CSU für die faire Zusammenarbeit und das gute Übereinkommen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Punkt ist doch nicht, daß sich hier Regierung und Opposition gegenübersitzen und wir mit Freude Sparmaßnahmen einleiten würden.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Doch, die F.D.P. schon!)

    Wir wissen, daß sie schwerwiegend sind und daß
    man Menschen überzeugen muß. Aber wir wissen
    auch: Wir würden die Gesellschaft um ihre Zukunft
    betrügen, wenn wir jetzt nicht zu Entscheidungen kämen. Das ist der Kern unseres Programms.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Unser Programm verlangt dieser Gesellschaft nicht zuviel ab. Es verlangt nur eines: Fähigkeit zum Wandel, Fähigkeit zu neuem Denken und Fähigkeit zu strukturellen Veränderungen. Ich erkläre ausdrücklich für die F.D.P.: Wir wollen diesen Wandel, wir wollen diese Veränderungen, wir wollen der jungen Generation eine Zukunftschance mit einer neuen, gesicherten Rentensystematik und mit neuen Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Dazu bitten wir um ein Stück Zurückhaltung bei Tarifverhandlungen und um Geduld von einem Jahr bei den Zuwächsen. Das kann eine Gesellschaft ertragen, die wie unsere Gesellschaft in diesem Wohlstand lebt. Darum bitten wir.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Weltweit werden die Gesellschaften gewinnen, die die Veränderungen kompetent bewältigen, und es werden diejenigen verlieren, die verdrängen. Das Wahlergebnis im März hat im übrigen gezeigt, daß die Mehrheit der Bevölkerung denen mehr zutraut, die ihr sagen: Wir wollen uns verändern. - Wir haben all das, was jetzt beschlossen worden ist, im Wahlkampf jedem, der es hören wollte, erklärt, als notwendige Grundlage von Entscheidungen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben es verschwiegen!)

    Die große Oppositionspartei hat die Wahlen auch deshalb verloren, weil sie die Probleme verdrängt hat und weil sie zum Wandel und zur Modernität gegenwärtig nicht auskunftsfähig ist. Das war der Kern dieser Entscheidungen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Man muß einfach die Wahrheit sagen. Jeder weiß, daß Tarifverhandlungsrunden der Vergangenheit denen geholfen haben, die Beschäftigung hatten, und denen eher Schwierigkeiten gemacht haben, die Beschäftigung suchten. Jeder weiß, daß Solidargemeinschaften, die wir haben, von den eigenen Mitgliedern überstrapaziert worden sind, weil viele geglaubt haben, sie könnten auf Kosten Dritter leben, und es hinterher zu Beitragssteigerungen in exorbitanter Höhe gekommen ist.
    Jeder weiß, daß Steuern in unserem Land hoch sind. Wenn es so einfach wäre, daß Steuersenkungen nur Ausfall in Haushalten bedeuteten, dann hätte man das schon in den 80er Jahren spüren müssen. Da hat diese Koalition Steuersenkungen durchgeführt. Das Ergebnis war: mehr Beschäftigung und mehr Konsolidierung der Haushalte.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn die Steuerhöhe über die Haushaltskonsolidierung entscheiden würde, dann müßten wir einen überschäumenden Haushalt haben. - Hohe Steuern haben wir genug. -

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer hat sie denn eingeführt?)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Aber wir haben Probleme. Das zeigt, daß der umgekehrte Weg von Senkung und Entlastupg die einzige Chance ist.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich will noch einmal - auch für die Öffentlichkeit - sagen: Macht eine Koalition, die mit der SPD vor vier Monaten Kindergeld von 70 auf 200 DM erhöht und 7,2 Milliarden DM Familienleistungsausgleich geschaffen hat, eigentlich einen politischen Fehler und schädigt sie die Zukunft des Landes, wenn sie jetzt darum bittet, die nächste Erhöhungsstufe erst im nächsten Jahr zu verwirklichen? Ist das eine Beeinträchtigung unserer Gesellschaft? In welchem Land leben wir denn, wenn diese Gesellschaft eine Erhöhung ein Jahr später nicht aushalten kann? Das ist doch wirklich zumutbar!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Jetzt reden wir einmal über Beschäftigung. Wer hat uns denn mit dem Stichwort „ Dienstmädchenprivileg " beschimpft,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Matthäus-Maier!)

    obwohl die Bundesanstalt für Arbeit nahezu 700 000 Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten prognostiziert? Schwarzarbeit haben Sie mit Ihrem Verhalten gefördert! Wir wollen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Detlev von Larcher [SPD]: Warum schreien Sie eigentlich so?)

    Es zählt auch zur einfachen Wahrheit, daß in einem Betrieb mit fünf Arbeitnehmern - das sind meistens keine Betriebe mit großem Gewinn; das sind Betriebe, die in Form der Personengesellschaft geführt werden - die Entscheidung darüber, ob man einen weiteren Arbeitnehmer einstellt, auch davon abhängig ist, wie man, wenn die Ertragslage nicht mehr so gut ist, mit dem Risiko fertig wird. Deshalb ist die Erhöhung des Schwellenwertes eine Chance für Tausende von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland und bedeutet nicht eine Vernichtung von Arbeitsplätzen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Der Kern unserer gemeinsamen Verabredung ist doch nicht mehr und nicht weniger, als aus gemachten gesellschaftlichen Erfahrungen soziale Sicherungssysteme im Verhältnis zu Beschäftigungschancen neu zu justieren. Jeder in Deutschland weiß, daß Verteilungspolitiker in langen Jahren des Wachstums soziale Sicherungssysteme geschaffen haben, die jetzt Beschäftigung gefährden. Da aber das höchste soziale Gut Beschäftigung ist, müssen die sozialen Sicherungssysteme so umgebaut werden, daß dieses größte Gut mehr zum Durchbruch kommen kann. Das ist der Kern des Programms.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wollen ihnen wieder neue Chancen geben.
    Herr Ministerpräsident Lafontaine, jeder weiß, daß die Gewerbekapitalsteuer eine Substanzbesteuerung ist. Sie haben im vergangenen Jahr die Koalition gebeten, die Beratungen darüber etwas zu verschieben, und dies mit der Ankündigung verbunden, auch die SPD sei auf dem Wege der Überlegung und brauche hinsichtlich einer Verfassungsänderung noch ein bißchen Zeit. Wir haben darauf reagiert. Jetzt aber kommen Sie wieder und erklären, Sie seien nicht bereit, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Das ist das absurdeste steuerpolitische Bekenntnis, das ich seit langem gehört habe. Es ist falsch; die Annahmen stimmen nicht.
    Wenn Sie uns erzählen wollen, daß ein Diffamierungspotential bei einem Aufkommen aus der Besteuerung privater Vermögen in Höhe von 2 Milliarden DM möglich sei, wovon die Hälfte im übrigen durch Verwaltungskosten aufgezehrt wird,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unwahr! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bleiben Sie mal bei der Wahrheit, Herr Kollege!)

    und daß die Koalition nicht den richtigen Weg gehe, wenn sie allein aus Vereinfachungsgründen dies bei der Erbschaftsteuer mit einbinden will, dann täuschen Sie die deutsche Öffentlichkeit. Stecken Sie die Diffamierung beiseite; es lohnt sich nicht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir haben dieses ganze Paket deshalb auf den Weg gebracht - es ist schwierig genug -, weil unsere Gesellschaft auch im Interesse der demokratischen Stabilität Auskunft über die Beschäftigung in Deutschland braucht. In unserem Land ist Arbeitslosigkeit ein größeres Problem - auch im kollektiven Gedächtnis unserer Nation - als in jedem europäischen Nachbarland. Wir haben dieses Paket auf den Weg gebracht, um der jüngeren Generation auch eine Zukunftschance zu vermitteln, wenn sie nach ihrem Erwerbsleben soziale Sicherheit im Hinblick auf das Älterwerden haben will. Darüber wird es ohnehin noch eine heiße Debatte geben.
    Aber ich sage uns allen in der Koalition: Ich begrüße außerordentlich, daß wir zu den beiden zentralen Punkten Tarifreform im Steuersystem sowie Diskussion der Rentenformel und der Neuentwicklung der zukünftigen sozialen Sicherheit in unserer Gesellschaft verabredet haben - es ist richtig, wie es der Herr Bundeskanzler erklärt hat -, daß wir noch in dieser Legislaturperiode, also vor Wahlen, Entscheidungen treffen und die Gesetzgebung abschließen. Das sind die wichtigsten psychologischen Orientierungsdaten für Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Nicht das Verschieben der Sozialhilfeerhöhung um ein Jahr gefährdet unsere Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt, auch nicht das Verschieben der Familienförderung um ein Jahr. Unsere Gesellschaft braucht für den sozialen Zusammenhalt in den großen Entwicklungslinien die Auskünfte, die eine Regierung geben muß. Die geben wir unserer Gesellschaft in dieser Legislaturperiode.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Das ist die wichtigste Entscheidung dieser Koalition.
    Dahinter ist die übrige Diskussion darüber, die Lohnfortzahlung tariffähig zu machen, die Gesellschaft zu bitten, damit einverstanden zu sein, daß wir Erhöhungen um ein Jahr verschieben, eine zweitrangige Diskussion. Entscheidend ist, ob diese Gesellschaft und die politisch führenden Kräfte noch die Fähigkeit haben, Systeme zu verändern, bei denen die Erkenntnis der letzten Jahrzehnte jedem klar vor Augen geführt hat, daß sie der Beschäftigung schaden und Zukunftsvorsorge verbauen.
    Herr Kollege Fischer, Ihre Bewegung hat Verdienste. Sie hat Engagement für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen mit in diese Gesellschaft gebracht. Die Staatsquote aber ist das gesellschaftliche Ozonloch der Bundesrepublik Deutschland, und dieses muß beseitigt werden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Darüber werden wir einen schönen Kompetenzstreit führen.

    (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn an der Regierung? Dafür sind Sie doch verantwortlich!)

    Ich freue mich darauf. Es kann eine politische Partei für die Zukunft der Gesellschaft Aussagen nur treffen, wenn sie hinsichtlich der Grundannahmen der großen Systeme ein Reformmodell vorstellt, das finanzierbar ist, den sozialen Zusammenhalt festigt und die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland stabilisiert.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Gerhardt, wie lange sind Sie an der Regierung?)

    Eines füge ich hinzu: Nahezu jedes europäische Nachbarland hat im Hinblick auf diese Systeme schon reagiert. Alle um uns herum haben bei all dem, was wir heute besprechen, ihre Entscheidungen getroffen. Wenn Sie, Herr Kollege Scharping, in der Sozialistischen Internationale nachfragen, geben Ihnen diejenigen, die irgendwo in der Verantwortung standen oder stehen, nahezu die gleichen Auskünfte wie der Herr Bundeskanzler heute morgen.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig! Die haben das schon viel früher gemacht!)

    Wir erfinden hier kein Modell, das die Armen ärmer und andere reicher machen soll.

    (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir haben uns zu diesen Entscheidungen entschlossen, weil ein Stück gesellschaftliche Zukunft damit verbunden ist.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben das auch deshalb unternommen, weil wir wissen, daß, wenn in einer Gesellschaft ganze Schichten wegbrechen, wenn die keine Beschäftigungschancen mehr haben, die Demokratie doch sehr gefährdet ist. Wir haben bei Wahlen schon Vorboten erlebt. Wir haben bei der baden-württembergischen Landtagswahl wider Erwarten schon bei den kleinsten Hinweisen den Pendelausschlag erlebt, der zeigt, was sich in dieser Gesellschaft vollzieht, wenn Menschen Angst vor Wettbewerb haben und sich nicht offen den Veränderungen stellen. Eines wissen wir aber: Jeder, der sich Veränderungen entzieht, jeder, der das verdrängt, wird scheitern.
    Man mag diese Koalition kritisieren, weil sie darum bittet, mit Zuwächsen zu einem späteren Zeitpunkt einverstanden zu sein. Man mag sie kritisieren, weil sie Einsparungen vornimmt. Man mag sie auch kritisieren, weil sie die Lohnfortzahlung tariffähig macht. Man muß aber eines zur Kenntnis nehmen: Dieses Land steht jetzt im Kern vor der Frage der Veränderungsbereitschaft und der Modernisierungsbereitschaft.
    Wer zur Modernisierung nicht bereit, nicht fähig oder in der Lage ist, der kann hier nicht regieren. Die Auskunft der Koalition ist die Fähigkeit der Koalition zur Modernisierung des Standortes Deutschland. Deshalb wollen wir auch weiter gut und fair zusammenarbeiten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der Gruppe der PDS, Dr. Gregor Gysi.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es nach meiner festen Auffassung nicht mit einer Haushaltskrise zu tun, sondern mit einer Gesellschaftskrise.

    (Beifall bei der PDS)

    Wir erleben zumindest den versuchten Durchbruch des Neoliberalismus, getragen von der Koalition, von der Bundesregierung, von Arbeitgeberverbänden und auch von Banken. Es geht hier nicht um ein Sparprogramm; in Wirklichkeit geht es um eine Kulturwende.

    (Beifall bei der PDS)

    Das fängt schon mit der Sprache an. Der Vorsitzende der F.D.P. hat uns gerade erklärt, daß der Sozialabbau modern sei. Das aber heißt, daß jemand, der für soziale Gerechtigkeit eintritt, unmodern ist. Das heißt, daß die Frage des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit als eine Frage des letzten Jahrhunderts betrachtet wird.
    Ich finde, wir sollten nicht wie beim Asyl, wie beim Begriff Flüchtling und bei anderen Dingen zulassen, daß die Begriffe „sozial" und „solidarisch" negativ besetzt werden!
    Sie müssen in unserer Gesellschaft einen positiven Klang behalten.

    (Beifall bei der PDS)

    Ich halte das Programm im übrigen auch für verfassungswidrig. Es gibt nicht wenige Personen, deren

    Dr. Gregor Gysi
    Würde durch dieses Programm verletzt wird. Das verstößt gegen Art. 1 des Grundgesetzes.
    Aufgegeben wird die Anforderung des Art. 14, daß Eigentum und Vermögen zugleich dem Gemeinwohl dienen sollen. Davon kann nach diesem Programm überhaupt keine Rede sein.

    (Beifall bei der PDS)

    Vor allem wird auch die Sozialstaatlichkeit aufgegeben, die im Art. 20 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.
    Mit diesem Programm wird ein Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben.

    (Beifall bei der PDS)

    Übrigens hat das weitgehende Folgen; nicht nur materielle. Wenn Sie den Sozialabbau so fortsetzen, wie diese Koalition und diese Regierung es tun, dann, behaupte ich, schaffen Sie auch neue Chancen für den Rechtsextremismus, der bekanntlich immer sehr sozialpopulistisch auftritt und dadurch leider an Einfluß in dieser Gesellschaft gewinnen wird. Auch dafür tragen Sie dann Verantwortung.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie verstoßen auch gegen das Gebot der deutschen Einheit, schon deshalb, weil Sie den Sozialabbau unter anderem mit den Kosten für den Aufbau in den neuen Bundesländern begründen. Sie wissen ganz genau, was die Folge davon ist, nämlich eine Ablehnungsstimmung in der Bevölkerung Westdeutschlands und eine Demütigung der Bevölkerung Ostdeutschlands, obwohl Ihnen bekannt ist, daß Ihre Sozialabbaupläne mit der Einheit überhaupt nichts zu tun haben. Das nenne ich Spaltungspolitik.

    (Beifall bei der PDS)

    Da hilft es auch nicht, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Rede erklären, daß Sie es nicht beklagen, daß dafür Kosten entstanden sind. Das ist noch demütigender. Warum erwähnen Sie denn jeden Tag die Kosten für die deutsche Einheit, wenn Sie sie gar nicht beklagen? Sie erwähnen sie, um unsere Bevölkerung psychologisch zu spalten. Und dabei wissen Sie auch noch, daß die Zahlen falsch sind.

    (Beifall bei der PDS)

    Herr Schäuble und auch Sie, Herr Gerhardt, haben eindeutig unrecht, wenn Sie erklären, daß all das, was jetzt passiert, vor den Landtagswahlen gesagt worden sei. Zeigen Sie mir doch einmal, wo in Ihrem 50-Punkte-Programm steht, daß das Kindergeld entgegen den gesetzlichen Festlegungen am 1. Januar 1997 nicht erhöht werden soll! Kein Mensch hat das vorher gesagt.

    (Beifall bei der PDS)

    Das gilt entsprechend für den Kinderfreibetrag und für andere Regelungen.
    Wenn Sie auf die Lohnfortzahlung hinweisen, dann haben Sie auch nur erklärt, daß die Tarifpartner etwas anderes vereinbaren sollen.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie haben mit keinem Wort gesagt, daß Sie die Gesetze ändern werden, um die Tarifpartner zu zwingen, die Lohnfortzahlung zu reduzieren. Das ist das, was Sie jetzt tun. Nein, Sie haben vor den Wahlen nicht die Wahrheit gesagt, so wie Sie noch vor keiner Wahl die Wahrheit gesagt haben.

    (Beifall bei der PDS)

    Das einzige, was man den Wählerinnen und Wählern anlasten kann, ist, daß sie immer wieder darauf hereinfallen, zumindest ein Teil davon. Vielleicht werden es aber auch weniger.

    (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Jetzt schimpft er auf die Wähler!)

    - Wissen Sie, ich gehe auch mit der Bevölkerung kritisch um und halte auch nichts davon, daß man sich nicht kritisch zu Leuten äußert.

    (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie sollten mit sich selbst kritisch umgehen!)

    - Das machen wir doch. Ich muß mich doch auch dafür rechtfertigen, warum 1990 so viele CDU gewählt haben. Das hat auch etwas mit Schuld und Vergangenheit zu tun. Sie müssen aber zugeben, es läßt in den neuen Bundesländern nach. Wir sind lernfähig.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie täuschen auch mit diesem Programm. Denn in einem Brief an alle Bürgerinnen und Bürger - das erinnert mich übrigens auch an andere Zeiten -

    (Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

    hat der Herr Bundeskanzler dargelegt, daß es zwar hart sei, was auf die Bürgerinnen und Bürger zukomme, aber dringend notwendig sei, um das Hauptproblem einer Lösung zuzuführen: das Problem der Arbeitsplätze. Jetzt möchte ich gerne von Ihnen wissen: Wieso soll mit diesem Programm irgendein Arbeitsplatz geschaffen werden? Das müssen Sie einmal erklären.
    Was machen Sie denn in Wirklichkeit? Sie reduzieren die Kaufkraft nach eigenen Angaben um 25 Milliarden DM. Wenn Sie die Kaufkraft um 25 Milliarden DM reduzieren, weil Sie das sozusagen den sozial Bedürftigen wegnehmen, dann wird die Folge sein, daß die Binnennachfrage um 25 Milliarden DM zurückgeht. Das Ergebnis ist ein Abbau von Dienstleistungen, ein Abbau von Produktion und damit selbstverständlich der Abbau von Arbeitsplätzen. 25 Milliarden DM entsprechen 100 000 Arbeitsplätzen, die Sie mit diesem Programm abbauen.

    (Beifall bei der PDS Kurt J. Rossmanith [CDU/CDU]: Keine Ahnung!)

    - Ach, versuchen Sie sich doch nicht als Sachverständiger der DDR. Sie verstehen doch kaum etwas von der Bundesrepublik, geschweige denn von der DDR.
    Ich sage Ihnen: Die Kaufkraftreduzierung wird uns viele Arbeitsplätze kosten.
    Sie wollen die Kuren verteuern und kürzen. Schafft das Arbeitsplätze oder beseitigt das Arbeitsplätze im Kurenbetrieb? Sie wollen die Gesundheitsvorsorge

    Dr. Gregor Gysi
    im wesentlichen reduzieren. Schafft das Arbeitsplätze im medizinischen Bereich, oder baut das Arbeitsplätze im medizinischen Bereich ab? Sie wollen dafür sorgen, daß Brillen und für die nächste Generation auch Zahnersatz nicht mehr bezahlt werden. Schafft das Arbeitsplätze, oder baut das nicht Arbeitsplätze ab?

    (Beifall bei der PDS)

    Sie wollen das Rentenalter erhöhen. Sagen Sie mir doch einmal, wie Sie dadurch Arbeitsplätze schaffen wollen, wenn Menschen länger arbeiten müssen und die nächste Generation keine Arbeitsplätze bekommt. Das ist auch ein Abbau von Arbeitsplätzen.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie wollen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kürzen und werden damit auch die Zahl der Arbeitslosen gerade in den neuen Bundesländern drastisch erhöhen.

    (Zuruf des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.])

    - Ja, das ist schon so. Sie wissen ganz genau: Wenn überhaupt, brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung, damit die Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird; denn in immer weniger Zeit wird von immer weniger Menschen immer mehr hergestellt. Statt dessen verlängern Sie die Arbeitszeit mit der gegenteiligen Wirkung. Das Ganze, was Sie machen, ist auch eine schlimme Solidaritätsverletzung.
    Der Kanzler hört zwar nicht mehr zu, obwohl es um seine Erklärung geht, aber vielleicht lernt er ohnehin nicht mehr dazu. Nur eines will ich sagen: Er hat gesagt, wir dürfen nicht an Besitzständen kleben. Das sagt übrigens auch Herr Schäuble laufend. Ich möchte gerne einmal wissen, wessen Besitzstände hier gemeint sind. Nennen Sie mir doch einmal einen einzigen Punkt aus diesem Programm, der den Bundeskanzler, mich oder irgendeinen anderen hier im Saal betrifft. Wir haben danach keine einzige Mark weniger. Aber die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen haben danach weniger.

    (Beifall bei der PDS)

    Wessen Besitzstände greifen Sie denn täglich an? Unsere doch nicht. Wir haben uns doch in dieser Zeit die Diäten gerade erhöht, und die nächste Erhöhung soll am 1. Juli 1996 folgen. Die Anpassung der Sozialhilfe soll ausfallen. Die Anpassung der Diäten und unserer Kostenpauschale soll stattfinden. Das verstehen Sie unter sozialer Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft!

    (Beifall bei der PDS Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nackter Populismus!)

    - Aber es ist wahr. Nennen Sie mir den Punkt, bei dem wir etwas draufzahlen, wenn Ihr Programm verwirklicht wird! Nichts! Wir haben danach sogar mehr. Aber die sozial Schwachen in dieser Gesellschaft müssen draufzahlen. Das ist keine Schieflage mehr, das ist skandalös, was Sie hier betreiben.

    (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Hätten Sie die DDR nicht kaputtgemacht, sähe vieles besser aus!)

    Die wirklich Vermögenden in dieser Gesellschaft müssen Sie ja nicht fürchten. Die Vermögensteuer soll praktisch abgeschafft werden. Die Erbschaftsteuer soll gesenkt werden, und zwar gerade für große Erbschaften, nicht für die kleinen. Das ist das eine. Wie gesagt: keine Anpassung bei der Sozialhilfe, keine Erhöhung des Kindergeldes. Beim Kindergeld ist das Ganze übrigens auch noch verfassungswidrig. Das ist die andere Antwort, die diese Koalition gibt. Das gilt übrigens auch für das Dienstmädchenprivileg.
    Bei Herrn Gerhardt ist mir folgendes aufgefallen - es ist interessant, wie argumentiert wird -: Bei den sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft wird immer gesagt, wir brauchen neue Gesetze, um den Sozialmißbrauch in diesem oder in jenem Falle auszuschließen. Da sitzen ganze Expertengruppen und denken darüber nach, wie man verhindern kann, daß irgendwo in Hamburg oder in Erfurt eine Sozialhilfeempfängerin 10 DM zuviel bekommt. Aber bei den Vermögenden argumentieren Sie immer umgekehrt. Da sagen Sie: Wir können die nicht höher besteuern, denn dann halten die sich nicht an die Gesetze; dann beschäftigen sie die Dienstmädchen eben schwarz, oder sie begehen Kapitalflucht; und bevor die kriminell werden, schenken wir es ihnen lieber. Das ist Ihre Argumentation, die Sie hier im Ernst anbieten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der PDS Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Was wissen Sie schon von Kapitalflucht? Mein Gott!)

    Mit diesem Argument können Sie auch den Diebstahlsparagraphen abschaffen, weil er häufig verletzt wird. Das ist wohl keine sehr günstige Ausgangsposition, die Sie hier gewählt haben.
    Natürlich gibt es Kapitalflucht. Wissen Sie was? Dann besteuern Sie doch endlich die Kapitalflucht! Steuern heißen Steuern, weil man damit steuern kann. Wenn Sie nicht wollen, daß das Kapital ins Ausland geht, dann machen Sie den Gang des Kapitals ins Ausland steuerpflichtig. Dann bricht Ihre ganze Argumentation zusammen, die Sie hier anbieten, wenn es um höhere Steuern für wirklich Reiche und Vermögende geht.

    (Beifall bei der PDS)

    Für alle anderen Vorschläge, die Sie unterbreiten, läßt sich dasselbe erklären. All das ist letztlich eine Verletzung des Solidaritätsprinzips. Auch die Nullrunde im öffentlichen Dienst ist wieder völlig unabhängig von der Höhe der Einkünfte.
    Und dann Ihre Argumentation bei der Lohnfortzahlung: Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, das betreffe nur 20 Prozent, dann sage ich Ihnen, daß das falsch ist, weil nämlich in vielen Tarifverträgen auf die gesetzlichen Bestimmungen Bezug genommen wird. Wenn Sie die gesetzlichen Bestimmungen ändern, dann betrifft das sehr viele Beschäftigte, die eine Reduzierung bei der Lohnfortzahlung in Kauf nehmen müssen.
    Aber was noch viel schlimmer ist: Wenn es erst einmal einen Teil der Beschäftigten betrifft, dann ist doch klar, daß die Arbeitgeber in den anderen Berei-

    Dr. Gregor Gysi
    chen sagen werden, daß sie die Konkurrenz nicht aushalten. Wenn A bei der Lohnfortzahlung weniger zahlt, muß auch B weniger zahlen. Das wird das Argument sein, und das wissen Sie auch. Deshalb wollen Sie das ja einleiten, damit die Lohnfortzahlung doch beachtlich in Frage gestellt wird und damit eine der wesentlichen und erstreikten Errungenschaften dieser Bundesrepublik Deutschland.
    Dasselbe gilt auch für das Kindergeld, - ich will darauf jetzt nicht weiter eingehen, auch aus zeitlichen Gründen - und für die Reduzierung der Leistungen für die Arbeitslosen.
    Dann sagen Sie immer, die Renten sind sicher, die Rentnerinnen und Rentner betrifft das alles gar nicht. Abgesehen davon, daß ich an diese Versicherung nicht glaube: Teurere Kuren, betrifft das etwa nicht Rentnerinnen und Rentner? Die Nichtbezahlung von Brillen: Betrifft das etwa nicht Rentnerinnen und Rentner? Die Tatsache, daß man für jedes Arzneimittel zukünftig mehr Geld zahlen muß, betrifft das nicht auch gerade Rentnerinnen und Rentner? Das alles sind Sozialkürzungen zu Lasten derjenigen, die inzwischen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind und die besonders auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind.
    Jetzt sage ich Ihnen etwas, was mir wirklich besonders wichtig ist und was ich mit dem Wort Kulturwende meine. Es ist ein Detailpunkt, aber ein ganz schlimmer. Herr Schäuble, ich bitte Sie, wirklich noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken. In Ihrem Programm steht, daß in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Januar 1997 für Menschen, die bis dahin nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, künftig und für immer die Kostenerstattung von Zahnersatz entfällt. Das heißt: Sie machen für die nächste Generation Armut wieder sichtbar.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Sie wissen, daß man in jedem Dokumentarfilm über die Dritte Welt die Armut unter anderem sofort daran erkennt, daß ab einem bestimmten Alter ganz viele Menschen zahnlos sind.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Mein Gott!)

    - Ja, natürlich. Sie wissen sehr wohl- schauen Sie sich doch einmal alte Filme und Photographien an! -, daß im vorigen Jahrhundert und in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Altersarmut unter anderem sofort zu erkennen war, da sie auch mit Zahnlosigkeit verbunden war. Denn das Geld reichte nie dafür, Zahnersatz selbst zu bezahlen oder für diesen Zweck über Dauer eine eigene zusätzliche Versicherung abzuschließen.
    Sie machen damit schon im äußeren Erscheinungsbild des Menschen Armut wieder kenntlich. Ich sage Ihnen: Das ist eine wirkliche Kulturwende. Das haben diese Menschen nicht verdient. Demütigen Sie sie nicht auch noch zusätzlich neben der materiellen Kürzung, die Sie vorbereiten!

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ihr vorgesehener Abbau des Kündigungsschutzes ist in seiner Begründung abenteuerlich. Natürlich können Sie immer sagen: Jede Art von Kündigungsschutz behindert Einstellungen. Immer wenn ich irgendwelche Pflichten eingehe, ist das natürlich schwerer, als wenn ich gar keine eingehe. Das beste ist, daß man einstellen und kündigen kann, wann immer man will, und daß es keine Tarifvereinbarungen gibt. Dann werden Einstellungen gefördert. Wenn Sie gar keinen Lohn zahlen, dann gibt es natürlich noch mehr Einstellungen. Das ist alles klar. Aber wir haben ja auch gewisse rechtliche und zivilisatorische Errungenschaften, die es zu verteidigen gilt, auch wenn es einmal etwas schwieriger ist, sie ein- und durchzuhalten.
    Statt dessen nichts Positives auf der anderen Seite der Gesellschaft. Was spricht denn so sehr gegen eine Abgabe für Besserverdienende? Unser Vorschlag lautete: 10 Prozent der bisherigen Steuerschuld bei Menschen draufsatteln, die netto 60 000 DM oder mehr im Jahr verdienen - nachdem schon Steuern und Versicherungsbeiträge bezahlt wurden! Jeder, der 5 000 DM oder mehr im Monat zur Verfügung hat - nachdem er seine Steuern und Versicherungen bezahlt hat -, kann nicht bestreiten, ein Besserverdienender zu sein. Diejenigen sollen auf ihre bisherige Steuerschuld noch einmal 10 Prozent drauflegen. Falls sie also Steuern in Höhe von 10 000 DM im Jahr gezahlt haben, sollen sie nun 11 000 DM zahlen. Niemanden von uns würde das ruinieren. Niemand von uns würde dadurch zu einem Sozialfall werden. Wir könnten aber fast alle finanziellen Probleme des Haushalts lösen, wenn Sie sich zu einer solchen Maßnahme bereit erklären würden.

    (Beifall bei der PDS)

    Es ist bekannt, daß wir natürlich eine Erhöhung der Vermögensteuer vorschlagen. Entgegen der Meinung von Herrn Fischer bin ich auch nicht dafür, den Einkommensteuerspitzensatz zu senken. Im Gegenteil, er müßte wieder angehoben werden. Natürlich brauchen wir bei großen Erbschaften auch eine höhere Besteuerung.
    Wenn Sie Mittel in Höhe von 25 Milliarden DM einsparen wollen, dann wäre dies doch so einfach. Lassen Sie uns über den Transrapid nachdenken!

    (Beifall bei der PDS)

    Lassen Sie uns über die in Berlin geplanten Protzbauten für die Regierung neu diskutieren!

    (Beifall bei der PDS)

    Lassen Sie uns über das Ehegattensplitting bei kinderlosen Ehen diskutieren! Das macht im Jahr allein 30 bis 80 Milliarden DM aus. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir eine jährliche Steuerhinterziehung von 100 Milliarden DM und mehr bekämpfen! Dieses Geld würde zusätzlich zur Verfügung stehen.
    Deshalb müssen Sie nicht den Kranken, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern so in die Tasche greifen, wie Sie das im Augenblick tun. Es gibt Alternativen zur Politik des sozialen Kahlschlags, gerade wenn man Massenarbeitslosigkeit bekämpfen will.

    Dr. Gregor Gysi
    Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Mit diesem Programm hat die Bundesregierung den Lohnabhängigen, den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern, den Kranken, den Rentnerinnen und Rentnern, den Arbeitslosen und den Kindern den sozialen Krieg erklärt. Sie haben Wind gesät. Ich hoffe, daß Sie schon am 1. Mai 1996 den ersten Sturm ernten werden.

    (Anhaltender Beifall bei der PDS)