Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben vier Millionen Arbeitslose in unserem Land, und ich finde, die Debatte und die Art, wie wir sie führen, sollten dieser Tatsache Rechnung tragen. Ich bitte Sie alle darum.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben gesagt, Fairneß und das Bei-der-Wahrheit-Bleiben sollten die Grundlage dieser Debatte sein. Dem will ich ausdrücklich zustimmen. Sie haben auch gesagt, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers beschreibe die Lage und den Handlungsbedarf richtig. Sie haben dann den Vorschlägen zum Teil zugestimmt und zum Teil kritische Anmerkungen dazu gemacht. Aber Sie sind Ihrer eigenen Anforderung, bei der Wahrheit zu bleiben, nicht gerecht geworden, weil Sie dem Bundeskanzler unterstellt haben - das haben Sie ganz am Anfang gesagt -, die Rede sei zwar gut, aber sie hätte schon vor ein paar Wochen, nämlich vor den Landtagswahlen, gehalten werden müssen. Sie haben gesagt, wir hätten vor den Landtagswahlen nicht dasselbe gesagt, was wir jetzt als Konzept vorlegen. Das ist nicht die Wahrheit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit wir das gleich friedlich ausräumen und es so machen, wie es Herr Lafontaine gesagt hat - mir ist es damit sehr Ernst, daß ein falscher Eindruck ausgeräumt wird -: Wir haben Ende Januar das 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze vorgelegt. Ich will hier nicht alles vortragen. Aber Sie haben als erste Punkte unsere Absichten hinsichtlich des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung genannt, Herr Lafontaine.
Jetzt lese ich Ihnen aus unserem 50-Punkte-Programm für Wachstum und Beschäftigung von Ende Januar - der Bundeskanzler hat darauf Bezug genommen; es ist ja veröffentlicht worden, und wir haben darüber debattiert - die Ziffer 18 vor:
Pro Mitarbeiter und Jahr gehen etwa 15 Arbeitstage durch Arbeitsunfähigkeit verloren. Dies führt zu im internationalen Vergleich hohen zusätzlichen Kostenbelastungen der deutschen Unternehmen. Um dem entgegenzuwirken, hält es die Bundesregierung für notwendig, daß die Tarifpartner - entsprechend der Verabredung in dem Gespräch beim Bundeskanzler am 23. Januar 1996 - Möglichkeiten zur Verminderung von Fehlzeiten in den Betrieben konkretisieren....
Es wurde immer gesagt: Wenn die Tarifpartner dazu Ergebnisse bringen, muß der Gesetzgeber nicht handeln. Die Tarifpartner haben am Dienstag erklärt, sie seien nicht in der Lage, zu Ergebnissen zu kommen. Ich will das nicht würdigen. Deswegen haben wir entsprechend unserer Ankündigung unsere Beschlüsse gefaßt. Nehmen Sie den Vorwurf zurück, wir hätten vor den Wahlen nicht angekündigt, was wir jetzt beschlossen haben!
Dann haben Sie gesagt, wir hätten unsere Absichten und Vorschläge zum Kündigungsschutzgesetz nicht vorher bekanntgemacht.
- Ja, ich lese es Ihnen vor; seien Sie ganz ruhig. - Ich lese zum Kündigungsschutz Ziffer 20 des Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze vor:
Ohne den Kündigungsschutz einzuschränken, sollen Regelungen präzisiert und klarer gefaßt werden. Dies gilt insbesondere für die Sozialauswahl und die dabei zu berücksichtigenden betrieblichen Notwendigkeiten bei betriebsbedingten Kündigungen.
Das ist das gleiche, was jetzt in unserem Programm steht.
Die Bundesregierung wird die zulässige Dauer von befristeten Arbeitsverhältnissen nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz auf 24 Monate ausdehnen und in diesem Rahmen eine Mehrfachbefristung zulassen.
Die Bundesregierung beabsichtigt, zur Förderung von Beschäftigung in kleineren Unternehmen und von Teilzeitarbeit den Schwellenwert im Kündigungsschutzgesetz zu erhöhen
und Teilzeitarbeitnehmer im Arbeitsrecht anteilig zu berücksichtigen; sie wird darüber mit den Tarifpartnern Gespräche aufnehmen.
Herr Lafontaine, Sie müssen zurücknehmen, daß wir vor den Wahlen nicht gesagt hätten, was wir diese Woche beschlossen haben.
Dr. Wolfgang Schäuble
Weil Sie es ja so damit haben, daß andere lesen sollen, wie gut man informiert ist, haben Sie, was ich sehr begrüße, gesagt, man solle doch die Möglichkeit der Verrechnung mit dem Bezug von Sozialhilfe bei eigener Arbeit von Sozialhilfeempfängern verbessern. Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich darf Sie darüber informieren, daß das entsprechende Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom Deutschen Bundestag am 22. März 1996 verabschiedet worden ist.
Das Problem ist leider nur, daß der Bundesrat das Gesetz bisher abgelehnt hat. Der Vermittlungsausschuß wird am Montag kommender Woche darüber beraten. Ich hoffe, daß Ihre Ankündigung auf mangelnder Information beruht und so zu verstehen ist, daß Sie darauf hinwirken werden, daß wir rasch die Zustimmung des Bundesrates zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz bekommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem klargestellt ist, daß der wesentliche Inhalt dessen, was die Koalitionsfraktionen nach intensiver, aber auch zügiger Beratung gestern abend beschlossen haben, was wir Ihnen vorlegen und was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vorgetragen und begründet hat, bereits vor den Wahlen angekündigt war, können wir zur Sache zurückkehren. Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers - das hat auch Herr Lafontaine nicht bestritten - hat zutreffend die Notwendigkeit beschrieben, daß wir angesichts dramatischer Veränderungen in der Welt wie in der Wirklichkeit unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft neue Antworten auf neue Herausforderungen finden müssen. Das ist die eigentliche Aufgabe, die in unserem Land gestellt ist, der sich alle stellen müssen und der wir uns mit unserem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen wollen, dem diese Debatte dient.
Die großen Veränderungen, die in der Welt stattfinden und auf die wir Antworten suchen müssen, können damit beschrieben werden, daß wir eine Globalisierung von Märkten haben, daß der Wettbewerb um die Standorte von Investitionen und Arbeitsplätze nach dem Ende der europäischen Teilung ganz anders geworden ist, als er noch vor wenigen Jahren war, daß wir deshalb um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit um die Zukunft unseres Wohlstands und unserer sozialen Sicherheit ringen müssen und daß wir wettbewerbsfähig bleiben bzw. wettbewerbsfähiger werden müssen, als wir es in den letzten Jahren geworden sind. Das ist die eigentliche Aufgabe.
Zu den großen Veränderungen gehört ganz genauso - ich könnte viele beschreiben; ich will nur wenige Hauptlinien aufzeigen, um zu begründen, worin unsere Antworten bestehen -, daß wir durch die Entwicklung der modernen Technik und Forschung; insbesondere durch die Kommunikationstechnik und
anderes mehr im Bereich der industriellen Produktion und im Bereich großer Verwaltungen - denken Sie an Banken oder Versicherungen - Rationalisierungsfortschritte haben, die wir zwar beklagen, aber nicht ändern können, denen wir uns stellen müssen, weil sonst noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen. Diese Entwicklung führt dazu, daß wir das Ziel Arbeit für alle eben nicht mehr nur im Bereich industrieller Produktion erreichen können, sondern dabei stärker als bisher den Bereich neuer Beschäftigungsfelder, insbesondere die privaten Haushalte und den Dienstleistungssektor insgesamt einbeziehen müssen. Das führt dazu, daß das Problem der Lohnzusatzkosten, das Problem der Flexibilisierung und das Thema, neue Antworten zu suchen, eine ganz andere Bedeutung gewinnen, wenn man Arbeitslosigkeit nicht nur als Möglichkeit zur demagogischen Auseinandersetzung begreift, sondern als eine Herausforderung, zu deren Bewältigung wir alle aufgerufen sind.
Veränderungen ergeben sich auch auf Grund der demographischen Entwicklung. Am liebsten würden Sie auch noch dafür den Bundeskanzler verantwortlich machen. Ich weiß, daß er Ihrer Meinung nach für alles und vor allem für die Lösung aller Probleme zuständig ist. Ich habe verstanden - ich will ausdrücklich sagen, daß ich Ihre Meinung teile -, daß es, wenn Veröffentlichungen zutreffen, in Vorstandsetagen großer deutscher Unternehmen bei der derzeitigen Situation, wo man zum Teil Dividendenzahlungen aussetzen muß und wo Arbeitsplätze abgebaut werden, als vordringliches Problem angesehen wird, die Anpassung der Vorstandsbezüge an amerikanische Verhältnisse auf die Tagesordnung zu setzen. Ich finde, wir haben dringendere Probleme in unserem Land zu lösen. Dafür ist der Bundeskanzler aber nicht verantwortlich.
Das sollten wir gemeinsam sagen. Vielleicht können sogar die Arbeitnehmervertreter in den entsprechenden Vorständen daran mitwirken, daß man sich auf die vorrangigen Prioritäten, auch in den Vorstandsetagen, konzentriert. Später kann man dann noch anderes machen.
Was die demographische Entwicklung betrifft, so müssen wir doch sehen - es hat doch keinen Sinn, uns die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben -, daß die Lebenserwartung gestiegen ist und weiter steigt. Daß übrigens die Lebenserwartung in den neuen Bundesländern schon im Vergleich zu 1989 im Ansteigen begriffen ist, gehört zu den erfreulichsten Dingen, die wir in unserem wiedervereinten Vaterlande zu registrieren haben.
Darüber, daß wir aber bei gleichzeitig gesunkenen
Geburtenzahlen nicht den Weg in eine immer kürzere Lebensarbeitszeit fortsetzen können, wenn die
Dr. Wolfgang Schäuble
Grundlagen unseres Wohlstandes und unserer sozialen Sicherungssysteme stabil bleiben und als zukunftsfähig erhalten werden sollen, sollten wir nicht streiten, sondern wir sollten darauf die richtigen Antworten suchen. Wir legen dazu in unserem Programm für Wachstum und Beschäftigung Antworten vor, wobei wir gerne in der Auseinandersetzung mit Ihren Standpunkten überprüfen wollen, ob es noch bessere Wege gibt.
Dies alles sind Veränderungen, auf die wir reagieren wollen und müssen, wenn wir unsere Chancen für die Zukunft sichern wollen. Deswegen geht es gar nicht um Einsparungen, um Opfer und Einschränkungen, sondern es geht darum, die notwendigen Schritte zu tun, damit wir auch weiterhin in Wohlstand, in sozialer Gerechtigkeit und in einer sicheren Zukunft leben können. Das ist das Ziel.
Dazu müssen wir nach unserer Überzeugung kleine und mittlere Unternehmen befähigen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Deswegen konzentrieren wir uns in unserem Programm auf die Förderung neuer kleiner und mittlerer Unternehmen und auf die Förderung von Existenzgründern. Deswegen setzen wir in unserem Programm darauf, Existenzgründer zu fördern, die Eigenkapitalbildung in neuen, expandierenden Unternehmen zu verstärken und den Zugang zu Wagniskapital zu verbessern. Das alles sind die Schritte. Deswegen konzentrieren wir uns auch darauf, wie schon Ende Januar angekündigt, die Einstellungsmöglichkeiten, auch durch die Anhebung von Schwellenwerten beim Kündigungsschutz, bei kleinen Unternehmen im Handwerk zu verbessern.
Wir müssen nach unserer Überzeugung Einstellungshemmnisse abbauen, und wir müssen nach unserer Überzeugung die Bereitschaft zur Neueinstellung, zur Schaffung von neuen und von mehr Arbeitsplätzen verbessern. Wir sollten uns nicht durch Scheuklappen und Tabus den Zugang zur Lösung der Probleme versperren. Deswegen finde ich auch, daß der Gesetzgeber in allen Bereichen, die nicht tarifvertraglich geregelt sind - wir respektieren die Tarifautonomie - die Regelungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Entgeltfortzahlung im Urlaub
- auch für Beamte; das steht ausdrücklich in unserem Programm, Herr Conradi; ich kann es Ihnen gerne vortragen; ich werbe um Zustimmung -, modifizieren und eine Selbstbeteiligung im Krankheitsfall und eine Anrechnung von Überstunden bei der Entgeltfortzahlung im Urlaub einführen sollte. In allen anderen Ländern ist das auch so geregelt. Ich meine, daß man in den Fällen, in denen man nicht arbeitsfähig ist, nicht genausoviel oder gar mehr bekommen kann wie dann, wenn man erwerbstätig ist. Der Vorschlag, den wir hier machen, nicht etwas Unzumutbares, wie überhaupt alles das, was wir vorschlagen, überhaupt nicht als „Kahlschlag" oder „tiefer Einschnitt" oder „Opfer" zu begreifen ist. Nein, die notwendigen, aber zumutbaren und sozial ausgewogenen und vertretbaren Korrekturen haben ein einziges Ziel: unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherheit und mehr Arbeitsplätze auch für die Zukunft zu sichern. Darum und um nichts anderes geht es, und da sollten wir uns nicht gegenseitig diffamieren.
Wir müssen auch neue Beschäftigungsfelder erschließen. Deswegen glaube ich, daß unser Schritt richtig ist. Ich habe aufmerksam zugehört und die Zuversicht geschöpft, daß die Sozialdemokratische Partei ihre Position, die sie über viele Jahre eingenommen hat, korrigiert. Wir sind der Überzeugung, daß wir private Haushalte stärker als Arbeitgeber für reguläre Beschäftigungsverhältnisse steuerlich anerkennen müssen. Das haben Sie über viele Jahre mit dem Totschlagargument „ Dienstmädchenprivileg " verhindert und diffamiert. Jetzt sind Sie dabei, Ihre Position zu korrigieren. Ich begrüße das ausdrücklich und werbe dafür, daß Sie das unterstützen.
Wenn wir über die Lebenswirklichkeit von Menschen, Frauen und Männern, reden, dann wissen wir, daß Einstellungen und Lebensplanungen sich verändern, daß heute mehr Menschen als zu Lebzeiten der Generation unserer Eltern und Großeltern ihre Lebensplanung darauf abstellen, daß sie gern erwerbstätig sein wollen und daß sie sich bei der Erledigung häuslicher Arbeit in einem stärkeren Maße als früher auch der Anstellung von Arbeitskräften bedienen wollen. Dieser Leistungsaustausch wird aber nur funktionieren, wenn er außerhalb von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft erfolgt, wenn wir die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, daß dies tatsächlich nicht in die Schattenwirtschaft abgedrängt wird. Deswegen legen wir diesen Vorschlag vor und werben bei Ihnen um Unterstützung.
Ich habe überhaupt bei vielen Ihrer Vorschläge - soweit ich sie nachvollziehen konnte und soweit Sie sie auch schriftlich übermittelt haben - die Sorge, daß das, was Sie aufs Papier schreiben, nicht der Wirklichkeit im Leben entspricht. Man kann wunderbar darüber diskutieren - die Debatte wird auch in meiner Fraktion geführt; liebe Kolleginnen und Kollegen, warum soll man darüber nicht reden? -, ob die Entwicklung bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auf Dauer ohne jede Veränderung so weitergehen kann. Aber, Herr Kollege Lafontaine, wenn wir diese Beschäftigungsverhältnisse einfach abschaffen, dann - das sage ich Ihnen voraus - wird die Antwort der Realität die sein, daß wir nicht mehr Beschäftigungsverhältnisse bekommen, sondern noch mehr Schwarzarbeit und noch mehr Schattenwirtschaft. Das möchten wir vermeiden.
Es nützt uns nichts, wenn wir auf dem Papier scheinbar gute Programme machen, die in der Wirklichkeit nicht funktionieren. Wir müssen doch sehen, daß es ein entscheidendes Problem ist, daß ein immer größerer Teil von Beschäftigung in die Grauzone von Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit abdriftet. Deswegen ist es die Hauptaufgabe, wenn wir mehr Arbeitsplätze, mehr Wachstum, mehr wirtschaftliche
Dr. Wolfgang Schäuble
Dynamik und damit mehr soziale Sicherheit wollen, daß wir den zu breit gewordenen öffentlichen Korridor - das nennt man Staatsquote bzw. Steuer- und Abgabenquote - etwas enger gestalten. Deswegen sind alle unsere Bemühungen, durch Einsparungen Steuern und Abgaben allmählich senken zu können, nicht Sparaktionen um des Sparens willen, sondern es sind notwendige Beiträge, um mehr Arbeitsplätze zu bekommen. Darum geht es und nicht um einen anderen Zusammenhang.
Deswegen sind Ihre Alternativen aus meiner Sicht nicht hinreichend geeignet. Sie sagen, wir sollten Leistungen aus der Sozialversicherung auf die öffentlichen Haushalte umfinanzieren. Dieses Argument haben wir auch in unseren eigenen Reihen hin und her abgewogen. Tun wir doch nicht so, verehrte Kolleginnen und Kollegen, als hätte der eine recht und der andere unrecht, sondern lassen Sie uns doch um die bessere Lösung, um die richtigen Antworten ringen! Die Lage ist ernst genug, und die Probleme sind wichtig genug.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß in der jetzigen Situation unseres Landes, unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft die Staatsquote, die wir ja zwischen 1982 und 1989 - der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen - von 52 auf unter 46 Prozent reduzieren konnten, als Folge von 40 Jahren Teilung und Sozialismus wieder zu hoch geworden ist.
Wir müssen deswegen zunächst Einsparungen durchsetzen; denn durch Umschichtungen, durch Umfinanzierungen reduziert man die Staatsquote nicht. Die Staatsquote zu reduzieren heißt, Einsparungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen vorzunehmen. Aus diesem Grunde haben wir uns dafür entschieden, zunächst auf der Ausgabenseite zumutbare Einsparungen durchzusetzen und in einem nächsten Schritt schnell, aber auch gründlich vorbereitet durch die beiden Kommissionen unter dem Vorsitz von Finanzminister Theo Waigel und Arbeitsminister Norbert Blüm, darüber zu reden, welche weiteren Schritte zusätzlich gegangen werden können.
Wenn wir uns jetzt dem Zwang zu Einsparungen bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie bei den Sozialversicherungen dadurch entziehen würden, daß wir neue Finanzquellen erschließen, dann würden wir einen Fehler machen, und die Staatsquote würde nicht sinken, sondern weiter steigen. Deshalb sind wir dagegen.
Sie sagen, man sollte eine ökologische Steuerreform durchführen. Wir haben darüber schon einige Male diskutiert; man muß es ja auch immer wieder tun. Auch da hat der eine nicht nur recht und der andere nicht nur unrecht. Wenn wir aber über die Frage diskutieren, ob dies unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte jetzt ein richtiger Schritt ist, dann sage ich Ihnen: Angesichts des Standortwettbewerbs um Investitionen und Arbeitsplätze - noch immer sind unsere Hauptkonkurrenten die westeuropäischen Nachbarn, und die anderen EU-Länder haben im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich um 25 Prozent niedrigere Strompreise - wird jeder Schritt, der die Kostensituation des Standortes Deutschland im Vergleich zu unseren Partnern in Europa zusätzlich belastet, den Prozeß der Auslagerung von Arbeitsplätzen verschärfen und ist deswegen in dieser Situation das falsche Rezept.
Aus diesem Grunde möchten wir in dieser Situation nichts tun, was die Chancen für mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit weiter verschlechtert. Deshalb konzentrieren wir uns auf diese Dinge.
Wir haben ja auch hinsichtlich der Durchführung einer Kraftfahrzeugsteuerreform lange miteinander diskutiert, nachgedacht und gerungen, ob es richtig ist, die Kraftfahrzeugsteuer jetzt auf die Mineralölsteuer umzuverlagern, oder ob es nicht der bessere Weg ist, zunächst einmal eine schadstoffemissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuerreform zu verwirklichen.
Die Umweltpolitiker haben uns ganz überwiegend gesagt, der bessere Weg, schneller zu einer stärkeren Reduktion der Emissionen durch den Kraftfahrzeugverkehr zu kommen, sei unsere Form der schadstoffemissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuerreform. Wir schlagen Ihnen das so vor,
weil wir uns darauf konzentrieren müssen, wenn wir der Umwelt helfen wollen.
Das ist im übrigen auch für die wirtschaftliche Dynamik günstig: Wenn wir die Umrüstung der Fahrzeugflotte von nicht schadstoffarmen auf schadstoffärmere Kraftfahrzeuge beschleunigen, bewirkt dies auch einen positiven Impuls für Wachstum und Beschäftigung, für Arbeitsplätze in unserem Land. Auch unter diesem Aspekt scheint uns dies der richtigere Weg zu sein. Deswegen werbe ich schon jetzt um Ihre Zustimmung.
Wir haben aber auch gesagt: Ab 2003 kann unseres Erachtens bei der Kraftfahrzeugsteuerreform der nächste Schritt getan werden, den wir nur im Einvernehmen mit den Ländern gehen wollen und gehen werden. Wir wollen ja all diese Dinge im Einvernehmen mit den Ländern machen, zumal die Kraftfahrzeugsteuer eine Steuer ist, deren Aufkommen ausschließlich den Bundesländern zukommt.
Deswegen müssen wir ökologische und ökonomische Argumente und Gesichtspunkte unter Berücksichtigung und nach eingehender Analyse der heute gegebenen Lage, der Notwendigkeiten und Prioritäten richtig miteinander verbinden. Unser Programm, das wir Ihnen vorschlagen und wofür wir um Ihre Zustimmung werben, ist meines Erachtens der bessere Weg, um der Umwelt zu dienen und zugleich die Chancen für mehr Arbeitsplätze, mehr Beschäftigung und mehr wirtschaftlichen Wohlstand in unserem Lande zu erschließen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Ich glaube, daß das, was Sie unter dem Schlagwort „ökologische Steuerreform" in die Debatte eingebracht haben, am Ende nur zu einer Verteuerung der Energie und zu weniger Beschäftigung und im Ergebnis auch zu weniger Umweltstandards in Europa führt; denn wenn die Produktion aus Deutschland verlagert wird, dient das ja auch der Umwelt nicht, weil wir die höchsten Umweltstandards in der Produktion haben.
- Herr Kollege Fischer, mein Wahlkreis endet an der Stadtgrenze von Straßburg. Ich könnte Ihnen jetzt die Presseerklärung des Druckhauses Burda in Offenburg verlesen, mit der begründet wurde, warum der Verlag gezwungen ist, einen Teil seiner Produktion von deutschen Standorten in die Druckerei in Vieux-Thanne im Oberelsaß zu verlagern, weil die Kosten durch die Tarifverträge, die im Bereich der Druckindustrie geschlossen worden sind, in den deutschen Betrieben genau doppelt so hoch sind wie in dem elsässischen Betrieb.
- Entschuldigen Sie, ich könnte Ihnen eine Reihe von Betrieben in anderen Bereichen nennen. Wenn Sie mal in der Gegend sind, zeige ich sie Ihnen.
- Auch wenn er daraus lernt! Ich werbe bei jedem um Einsicht, und man soll die Hoffnung nie aufgeben.
Ich habe die Diskussion um den Produktionsstandort für ein neues Automobil in Lothringen oder in Baden-Württemberg sehr genau miterlebt. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich damals dankenswerterweise zusammen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten um diese Entscheidung bemüht, ohne daß wir in die Entscheidung der Unternehmer eingreifen wollten; das können wir nicht, und das dürfen wir auch nicht. In jener Diskussion hat die Frage der Energiepreise in Baden-Württemberg einerseits und in Elsaß-Lothringen andererseits eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Deswegen: Wer Energiepreise in Deutschland erhöht, muß die Frage beantworten, ob das bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen verantwortbar ist. Ich halte es nicht für verantwortbar.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn wir uns eigentlich einig sind - -
- Ich habe mir angesichts des Ernstes der Lage und der Bedeutung der Aufgabe, vor der unser Land und unsere Gesellschaft stehen, vorgenommen, nur zur Sache zu argumentieren und nicht immer nur schwarzweiß zu malen, und deswegen werde ich nicht jeden Ihrer Zwischenrufe aufnehmen; dann käme ich ein wenig vom Pfad der Tugend ab.
Wenn wir uns einig sind, daß wir, um mehr Arbeitsplätze schaffen zu können, die zu hohe Belastung an Steuern und Abgaben reduzieren müssen, dann sollten Sie, Herr Lafontaine, unsere Vorschläge hier nicht so sachwidrig darstellen. Sie haben am Schluß plötzlich gesagt, daß Sie offenbar zur Kenntnis genommen haben, daß unser Vorschlag eben nicht ist, die private Vermögensteuer ersatzlos abzuschaffen. Ich meine, es ist doch in Ordnung, daß wir in der Diskussion manche Vorschläge gemacht haben; man wird doch noch ein bißchen diskutieren dürfen. Aber da wir gesagt haben, am Donnerstag, dem 25. April, werden wir entscheiden, und schon am Freitag, dem 26. April, möchten wir das gern mit Ihnen im Bundestag debattieren, sollten wir uns doch an das halten, was wir gemeinsam vorgeschlagen haben.
Unser Vorschlag ist, die Vermögensteuer genauso wie die Gewerbekapitalsteuer auf Betriebsvermögen als Steuern, die im Standortwettbewerb Investitionen behindern, abzuschaffen
und die private Vermögensteuer, die Steuer auf Privatvermögen, mit der Erbschaftsteuer zusammenzufassen. Dann haben wir soziale Ausgewogenheit und zugleich Steuervereinfachung.
- Ja, natürlich!
Herr Scharping, Sie haben in dem Zusammenhang das Wort „obszön" gebraucht,
und ich habe gesagt, wer so redet, kann nur wenig Argumente haben. Die Sprache ist manchmal verräterisch. Die Art, wie Herr Lafontaine hier aufgetreten ist, war es übrigens auch.
Kehren Sie zu einer sachgerechten Debatte zurück!
Wenn wir die Gewerbekapitalsteuer nicht abschaffen, wenn Sie Ihre Blockade der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht endlich aufgeben, müssen wir zum 1. Januar in den neuen Bundesländern die Einheitsbewertung einführen. Dann bricht
Dr. Wolfgang Schäuble
die Steuerverwaltung in den neuen Bundesländern zusammen; sie kann das gar nicht leisten.
Die Tatsache, daß in den letzten fünf Jahren annähernd 200 Milliarden DM Direktinvestitionen aus Deutschland ins Ausland geflossen sind, was aus vielen Gründen gut, notwendig und richtig ist - der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung zutreffend beschrieben -, daß dem aber nur knapp 19 Milliarden DM Direktinvestitionen aus dem Ausland in Deutschland gegenüberstehen, beschreibt etwas von dem Prozeß der Abwanderung von Investitionen und Arbeitsplätzen aus Deutschland. Dies können wir nicht hinnehmen. Das müssen wir ändern!
Weil dies so ist, dürfen wir in Deutschland investiertes Kapital nicht höher besteuern, als es in anderen Ländern der Fall ist. Sonst werden noch mehr Arbeitsplätze abwandern. Deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer, die es sonst nirgendwo in Europa gibt, weg. Deswegen muß nach dem Urteil des Verfassungsgerichts auch die Vermögensteuer auf Betriebsvermögen weg.
Dann aber macht es keinen Sinn - das werden Ihnen auch Ihre Finanzminister in den Ländern sagen -, die Vermögensteuer auf den privaten Teil der Vermögen aufrechtzuerhalten. Sie führt zu einem Steueraufkommen von etwa 4 Milliarden DM. Die Finanzministerien der Länder sagen uns, daß sie, um diese 4 Milliarden DM zu erheben, Kosten in Höhe von 2 Milliarden DM haben. Das macht doch keinen Sinn. Dann ist es doch vernünftiger, den Betrag, der sich netto an Aufkommen für die Länder tatsächlich ergibt, auf die Erbschaftsteuer zu schlagen und die Vermögensteuer ganz abzuschaffen und damit insgesamt ein einfaches und sozial ausgewogenes System zu schaffen. Das ist unser Vorschlag.
Sie haben gestern abend - Herr Scharping schon einige Tage zuvor, und er hat offenbar gestern abend Zustimmung gefunden - gesagt: Der Solidaritätszuschlag muß schnell abgebaut werden.
- Jeder darf klüger werden. Wir werden manchmal auch klüger bzw. entwickeln uns weiter, Herr Kollege Gerhardt.
Sie haben nun vorgeschlagen - darauf will ich aufmerksam machen -, statt dessen eine Abgabe in Höhe von 1 Prozent auf alle privaten Geldvermögen zu erheben. Ich habe mir überlegt, wie das funktionieren kann. Da stellt sich nämlich wieder das Problem des Unterschiedes zwischen Papier und Lebenswirklichkeit. Wir haben mit der Vermögensteuer nämlich schon einen Steuersatz auf Privatvermögen in Höhe von 1 Prozent; diese Abgabe gibt es. Das Gesamtaufkommen der Vermögensteuer auf Privatvermögen - für die Erhebung sind die Länder zuständig - liegt derzeit bei knapp 4 Milliarden DM. Dabei handelt es sich aber nicht nur um die Geldvermögen, sondern um alle Privatvermögen zusammen.
Herr Scharping, die Rechnung, mit einer einprozentigen Abgabe auf Geldvermögen, die es im Prinzip schon gibt, plötzlich ein Aufkommen von 35 Milliarden zu bekommen, ist in der Wirklichkeit - -
- Nein, das hat nichts mit brutto oder netto zu tun.
Das ist etwas, was in der Lebenswirklichkeit nicht funktionieren kann. Diese Rechnung geht nicht auf. Wissen Sie, was Sie erreichen werden? Sie werden die Kapitalflucht dramatisch verschärfen.
Deswegen möchte ich an Sie appellieren: Cherlegen Sie sich solche Vorschläge gut! Sie funktionieren nicht. Wenn ich sehe, daß es gemäß der gesamtwirtschaftlichen Statistik 3,5 Billionen DM Privatvermögen gibt, kann ich natürlich ausrechnen, daß 1 Prozent davon 35 Milliarden DM sind. Wie soll das aber funktionieren? Wir haben einen Steuersatz auf Privatvermögen von 1 Prozent. Diese Frage hätten Sie sich stellen müssen.
- Aber Herr Scharping, die Vermögensteuer wird nicht auf die Erträge erhoben, sondern auf den Bestand.
- Verehrte Kollegen, es kann sich doch jeder einmal versprechen.
Die Vermögensteuer wird auf die Vermögen erhoben. Die Steuer auf die privaten Geldvermögen, die Sie mit 1 Prozent erfassen wollen, wird auf den Wert erhoben. Da gibt es keine Einheitsbewertung.
- Verzeihen Sie: Die privaten Geldvermögen werden von der Steuer mit 1 Prozent des Wertes erfaßt. Sehen Sie im Vermögensteuergesetz und im Bewertungsgesetz nach! Die Besteuerung erfolgt so.
Diese Steuer ergibt heute insgesamt nicht einmal 4 Milliarden DM; und darin sind noch andere Vermögenswerte erfaßt. Deswegen sage ich Ihnen: Ihr Vorschlag funktioniert nicht. Sie sind manchmal, wie auch wir, in der Gefahr, sich in den Konzepten eines Entwurfs zu sehr auf das Papier zu konzentrieren und die Realität aus dem Blick zu verlieren. Das aber hilft unserem Lande nicht. Daher ist Ihr Vorschlag zur Lösung unserer Probleme ungeeignet.
Deswegen glaube ich, daß das, was wir jetzt in unserem Programm auch steuerlich auf den Weg bringen, der richtige Weg ist. Das, was wir an Vorschlä-
Dr. Wolfgang Schäuble
gen machen, um die notwendige Rückführung von Steuern und Abgaben, um die notwendige Verringerung des öffentlichen Korridors zu erreichen, ist wichtig, ist zumutbar, und es verdient in keinem Falle eine Diffamierung, wie Sie sie teilweise in Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben selber gesagt, im Bereich der Sozialhilfe wären Sie bereit, darüber zu reden, daß man sie vielleicht nicht erhöhen muß. Unser Vorschlag basiert darauf, daß wir Preisstabilität haben. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen. Glückwunsch an uns alle, daß wir einen Finanzminister der Stabilität und Solidität wie Theo Waigel haben!
- Verzeihen Sie, die Bundesbank hat doch nicht die Zinsen gesenkt, weil Herr Lafontaine das gutheißt oder nicht. Vielmehr hat sie die Zinsen senken können, weil die gesamtfinanziellen Verhältnisse in unserem Land dank unserer Finanzpolitik so sind, daß das zur Zeit niedrigste Zinsniveau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland heute stabilitätspolitisch verantwortbar ist.
Das ist die Einheit von Geld-, Finanz- und übrigens auch Lohnpolitik.
Ich begrüße ja, Herr Lafontaine, daß Sie heute zur Lohnzurückhaltung aufgefordert haben. Aber ich habe noch im Ohr, daß ich Ihnen in den zurückliegenden Debatten immer wieder erklären mußte, daß Ihre Aufforderung nicht zur Lohnzurückhaltung beiträgt.
- Nein, die Konjunktur ist ja inzwischen nicht besser geworden als vor einem Jahr. Das Argument kann nicht gelten.
Wenn Sie heute sagen, Lohnzurückhaltung sei aus konjunkturellen Gründen geboten,
während Sie vor einem Dreivierteljahr behaupteten, man dürfe aus konjunkturellen Gründen keine Lohnzurückhaltung üben, dann kann irgend etwas nicht stimmen.
Ich begrüße, daß Sie zur Lohnzurückhaltung aufgefordert haben. Ich unterstütze dies. Aber wenn wir jetzt glücklicherweise eine größere Stabilität haben, als noch vor einem Jahr angenommen, dann - da stimme ich Ihnen zu, und das ist auch unser Vorschlag - müssen wir die Sozialhilferegelsätze im nächsten Jahr nicht anheben.
Aber wenn wir die Sozialhilferegelsätze nicht anheben müssen, weil wir Preisstabilität haben, weil wir keine Inflation haben, dann, denke ich, ist es auch richtig, daß wir gemeinsam noch einmal darüber reden - das ist unser Vorschlag -, ob wir die Anhebung des steuerfreien Existenzminimums nicht um ein Jahr verschieben können, genauso wie wir gemeinsam sagen, die Anhebung der Sozialhilfesätze kann um ein Jahr verschoben werden. Das hängt doch miteinander zusammen. Das halte ich nicht für unzumutbar, auch wenn es eine Sache ist, die niemandem von uns leicht fällt.
In der Familienpolitik, im Werben für mehr Familienleistungsausgleich läßt sich - nehmen Sie es mir nicht übel, verehrte Freunde von der F.D.P. - die CDU/CSU-Fraktion ungern von. irgend jemandem übertreffen.
Ich sage aber ganz ehrlich: Ich glaube, bei einem Konsolidierungsbedarf von 50 Milliarden DM für die öffentlichen Gesamthaushalte und 25 Milliarden DM für den Bundeshaushalt, der doch gar nicht bestritten ist, und bei den Schwierigkeiten, in einem Jahr diesen Konsolidierungsbedarf sozial zumutbar und ausgewogen zu erbringen, ist es doch richtig, daß man, wenn man die Sozialhilfesätze nicht anhebt - dafür werben im übrigen insbesonders die Städte, Gemeinden und Landkreise -, dann das steuerfreie Existenzminimum, das einen Bezug zu den Sozialhilfesätzen hat, ebenfalls nicht anheben sollte. Wenn wir von ausgewogenen Konzeptionen reden, dann, finde ich, ist unser Vorschlag ausgewogener als der Ihre, zu sagen: Die Sozialhilfe wird nicht angehoben, aber die Steuerfreibeträge werden weiter angehoben.
Steuerfreibeträge und Kindergeld - darauf haben wir uns im letzten Jahr mühsam miteinander verständigt - müssen einander entsprechen. Deswegen ist unser ausgewogener Vorschlag richtig und notwendig. Er ist uns nicht leichtgefallen, und ich will die Probleme auch gar nicht verharmlosen.
Angesichts dieser Lage sollten im übrigen diejenigen, die für die öffentlichen Verwaltungen Tarifverhandlungen zu führen haben, ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber, Herr Lafontaine, damit das auch klar ist: Sie haben Vorschläge für das, was dort verhandelt werden soll, gemacht. Sie haben das Wort Sockelbetrag in den Mund genommen. Ich rate dringendst - ich bin Innenminister und Verhandlungsführer für Tarifverhandlungen gewesen -, jeden Einfluß der Politik auf Tarifverhandlungen zu unterlassen.
- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie
mir bitte eine Bemerkung: Wenn Sie die Tonart, in
der Ihr Parteivorsitzender gesprochen hat, noch in
Dr. Wolfgang Schäuble
Erinnerung haben - ich habe mich sogar bemüht, ihm trotzdem hinreichende Ruhe zu verschaffen - und diese mit der Tonart vergleichen, in der ich - ohne jede Verletzung - darauf antworte, dann werden Sie Unterschiede feststellen. Auch ich könnte Ihnen Unverschämtheiten an den Kopf werfen. Das interessiert aber die Menschen in unserem Lande überhaupt nicht. Sie interessiert, wie wir das Land voranbringen.
Sie haben vielleicht noch nicht die Gelegenheit gehabt, unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung zu lesen. Auch deswegen hat diese Debatte ja ihren Sinn. Auf Seite 13 unseres Programms haben wir unter der Ziffer VI geschrieben:
Angesichts der extrem angespannten Lage der öffentlichen Haushalte steht für Tariferhöhungen und Besoldungsanpassungen keine Verteilungsmasse zur Verfügung.
Das ist genau das, was ich sage: Wir vermeiden jeden Ratschlag und jede Aussage dazu, wie das Ergebnis der Tarifverhandlungen aussehen soll; denn das ist Sache der Verhandlungen der Tarifpartner. Das ist unser Verständnis und der Respekt vor der Tarifautonomie. Ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie das genauso, machen Sie keine Vorschläge für die Tarifverhandlungen. Sie bezahlen am Ende nur teuer dafür. Ich habe das selber erlebt. Jemand hat einmal gesagt, mehr als 4 Prozent dürften es nicht sein, und dann war die Meßlatte schon entsprechend angelegt. Das war eine teure Veranstaltung, Herr Parteivorsitzender Gerhardt. Das ist schon ein paar Jahre her, aber ich habe daran noch eine gewisse Erinnerung.
Herr Lafontaine, Sie sollten diesen Fehler nicht machen.
Ich glaube, daß es insgesamt um das geht, was wir in unserem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung vorlegen: Abbau von Einstellungshindernissen, Stärkung der kleinen Betriebe und des Mittelstands, Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich und in privaten Haushalten, Deregulierung, Verbesserung der Möglichkeiten des Zugangs für Eigen- und Fremdkapital, aber auch Stabilisierung der Beitragssätze, wobei wir auch die Kraft aufgebracht haben, notwendige Prioritäten zu setzen - wir halten an der Pflegeversicherung für stationäre Behandlung fest, was in einer solchen Situation auch nicht leicht, aber richtig und notwendig ist -, Reduzierung des Krankenversicherungsbeitrags, Stabilisierung des Rentenversicherungsbeitrags unter 20 Prozent, eine begrenzte Beitragsreduzierung bei der Bundesanstalt für Arbeit und darüber hinaus Senkung des Bundeszuschusses zur Bundesanstalt im nächsten Jahr, weil das notwendig und unvermeidbar ist; denn wir müssen die Konsolidierung von 25 Milliarden DM im Bundeshaushalt erreichen, und wir erreichen das auf eine Weise, die insgesamt ausgewogen ist, die niemandem in diesem Lande Unzumutbares zumutet und die die Grundlagen unseres Sozialstaates nicht gefährdet, sondern für die Zukunft sichert. Darum geht es.
Deswegen werbe ich dafür: Reden Sie nicht das Programm in einer diffamierenden Weise schlecht, sondern ringen Sie mit uns um den besten Weg! Das ist eine Anstrengung, die wir in diesem Lande gemeinsam leisten müssen, Bund, Länder und Gemeinden. Das ist ein Konzept, das auch die finanziellen Interessen, die Haushaltsprobleme von Ländern und Gemeinden, angemessen berücksichtigt. Das ist eine Konzeption, die die Tarifpartner in ihrer Autonomie nicht einschränkt, aber in ihrer Verantwortung voll in Anspruch nimmt. Das müssen wir auch, weil wir das Land sonst nicht voranbringen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, unterstützen wir Ihre Bemühungen auch gegen manche Diffamierung, diesen für die Zukunft notwendigen Dialog zwischen Politik, Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften weiterzuführen.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich war froh, daß der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, am Mittwoch - allem öffentlichen Schlachtengetümmel nach dem Dienstagabend zum Trotz - zusammen mit den Spitzenverbänden von Wirtschaft und Gewerkschaften eine gemeinsame Initiative von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen und zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit vorstellen konnte. Das ist genau der richtige Weg, den wir gehen. Sie haben das Thema angesprochen. Das zeigt, daß wir auch weiter darauf setzen können und setzen werden, alle Kräfte in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zur Bewältigung unserer Zukunftsprobleme in Anspruch zu nehmen.
Aber das bedeutet auch: Jeder muß in seinem Bereich seine Verantwortung wahrnehmen. Das Bemühen um Konsens darf nicht dazu führen, daß wir am Ende auf Grund des Prinzips des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht mehr zur Lösung von Problemen fähig sind. Vielmehr heißt Konsens: gemeinsame Verantwortung, gemeinsames Ringen um den besseren Weg. Das heißt aber auch: Wahrnehmung von Verantwortung, Entscheidungsfähigkeit.
Wir dürfen nicht der Versuchung nachgeben, am Ende jeden Besitzstand zu verteidigen. Denn in einer Zeit, in der das Ausmaß und das Tempo von Veränderungen in unserer Gesellschaft wie in der Welt um uns herum größer sind, als es uns lieb ist, müssen wir zur Innovation fähig bleiben. Wir nehmen unseren Teil der Verantwortung wahr. Dem dient unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung. Dazu bitte ich Sie um Ihre Mitwirkung.