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ID1310200800

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    Plenarprotokoll 13/102 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 8975 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 8983 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8991 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8999 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 9003 A Dr. Gregor Gysi PDS 9005 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 9009 A Rudolf Scharping SPD 9012 D Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 9016 D Nächste Sitzung 9019 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9021* A Anlage 2 Zeitige Vorlage wichtiger EU-Dokumente in deutscher Sprache; Lösung der Eigentumsfragen zwischen Deutschland und Polen MdlAnfr 19, 20 - Drs 13/4403 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA 9021* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 9022* C 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 26. 4. 96 Antretter, Robert SPD 26. 4. 96 * Barnett, Doris SPD 26. 4. 96 Beck (Köln), Volker Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Beer, Angelika Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Behrendt, Wolfgang SPD 26. 4. 96 * Belle, Meinrad CDU/CSU 26. 4. 96 Bindig, Rudolf SPD 26. 4. 96 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 26. 4. 96 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 4. 96 Gleicke, Iris SPD 26. 4. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 4. 96 Haack (Extertal), SPD 26. 4. 96 * Karl Hermann Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 26. 4. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 26.4. 96 Horn, Erwin SPD 26. 4. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 26. 4. 96 * Jelpke, Ulla PDS 26. 4. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Kauder, Volker CDU/CSU 26. 4. 96 Krause (Dessau), CDU/CSU 26. 4. 96 Wolfgang Kuhlwein, Eckart SPD 26. 4. 96 Labsch, Werner SPD 26. 4. 96 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 26. 4. 96 Lederer, Andrea PDS 26. 4. 96 Lemke, Steffi Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Lummer, Heinrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 4. 96 Erich Marten, Günter CDU/CSU 26.4. 96 Mehl, Ulrike SPD 26. 4. 96 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 26. 4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 26.4. 96 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nelle, Engelbert CDU/CSU 26. 4. 96 Özdemir, Cern Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Probst, Albert CDU/CSU 26. 4. 96 * Reschke, Otto SPD 26. 4. 96 Dr. Rieder, Norbert CDU/CSU 26. 4. 96 Rixe, Günter SPD 26. 4. 96 Dr. Rochlitz, Jürgen Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 4. 96 * Schlauch, Rezzo Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen von Schmude, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * Schumann, Ilse SPD 26. 4. 96 Schwanitz, Rolf SPD 26. 4. 96 Steenblock, Rainder Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Steindor, Marina Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Such, Manfred Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Terborg, Margitta SPD 26. 4. 96 * Tröger, Gottfried CDU/CSU 26. 4. 96 Vosen, Josef SPD 26. 4. 96 Wallow, Hans SPD 26. 4. 96 Weis (Stendal), Reinhard SPD 26. 4. 96 Wiefelspütz, Dieter SPD 26. 4. 96 Wonneberger, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * * Zierer, Benno CDU/CSU 26. 4. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 19 und 20): Was unternimmt die Bundesregierung, damit wichtige EU-Dokumente zeitgleich nicht nur in englischer und französischer, sondern auch in deutscher Sprache vorgelegt werden? 9022* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Was unternimmt die Bundesregierung, damit die kürzlich vom polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau" als „großes Problem" angesprochene Eigentumsfrage einvernehmlich zwischen Deutschland und Polen gelöst wird? Zu Frage 19: Nach der Verordnung Nr. 1 von 1958 sind alle Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen der EU. Das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft wird in allen Sprachen gleichzeitig ausgeliefert und liegt damit in deutscher Sprache zum gleichen Zeitpunkt wie z. B. auch in Englisch und Französisch oder den anderen Sprachen der Gemeinschaft vor. Ebenso liegen die Dokumente, über die Rat und Kommission verhandeln, stets in deutscher Sprache vor. Abweichungen von dieser Regel werden in jedem Einzelfall von der Bundesregierung aufgenommen und umgehend behoben. Die Organe der Europäischen Union erkennen den Bedarf für Deutsch an; die deutschen Übersetzer stellen im Übersetzungsdienst der Kommission die größte Gruppe. Die Bundesregierung erhält allerdings auch häufig Entwürfe, die in englischer oder französischer Sprache abgefaßt sind. Das hängt damit zusammen, daß die Bediensteten von Kommission und Rat in der täglichen Praxis ohne Dolmetschung arbeiten müssen und Deutsch als Fremdsprache sehr viel weniger gesprochen und verstanden wird als Englisch und Französisch. Deshalb bemüht sich die Bundesregierung mit aktiver Unterstützung der Kommission und der Länder, durch Sprachkurse für höhere Bedienstete der europäischen Institutionen in Deutschland die Deutschkenntnisse bei den EU-Bediensteten zu fördern. Gemeinsam mit Frankreich setzt sich die Bundesregierung für eine Änderung der Einstellungsvoraussetzungen im Statut der Europäischen Beamten ein: Bewerber sollen danach über vertiefte Kenntnisse einer Gemeinschaftssprache und zufriedenstellende Kenntnisse in zwei weiteren Gemeinschaftssprachen - nicht wie bisher nur: in einer - verfügen. Wir erhoffen uns hiervon, daß Bewerber als dritte Sprache häufig auch Deutsch wählen werden. Zu Frage 20: Die Bundesregierung begrüßt, daß der Präsident Polens das Thema der entschädigungslosen Enteignung der Vertriebenen offen ansprach. Er hat allerdings in dem von Ihnen zitierten Interview gleichzeitig gesagt: „... ich befürchte, daß diesbezügliche Entscheidungen Spannungen hervorrufen würden, derer wir nicht Herr werden können. " Die Haltung der Bundesregierung in der Vermögensfrage, die auch die Bereitschaft einschließt, dieses Thema zum geeigneten Zeitpunkt in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen, ist Ihnen bekannt. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksachen 13/2995, 13/3528 Nr. 1.1 Drucksachen 13/3124, 13/3528 Nr. 1.4 Drucksachen 13/3275, 13/3528 Nr. 1.7 Drucksachen 13/3096, 13/3664 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksachen 12/8336, 13/725 Nr. 42 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 12/4733, 13/725 Nr. 29 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.4 Drucksache 13/3668 Nr. 1.5 Drucksache 13/3668 Nr. 1.6 Drucksache 13/3668 Nr. 1.7 Drucksache 13/3668 Nr. 1.8 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 1.1 Drucksache 13/3790 Nr. 2.4 Drucksache 13/3790 Nr. 2.5 Drucksache 13/3790 Nr. 2.6 Drucksache 13/3938 Nr. 2.18 Drucksache 13/4137 Nr. 2.17 Drucksache 13/4137 Nr. 2.24 Drucksache 13/4137 Nr. 2.25 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/3668 Nr. 2.16 Drucksache 13/3668 Nr. 2.25 Drucksache 13/3668 Nr. 2.49 Drucksache 13/3790 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.23 Drucksache 13/3938 Nr. 2.26 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/3529 Nr. 1.7 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2306 Nr. 2.29 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/3529 Nr. 1.3 Drucksache 13/3668 Nr. 2.59 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.6
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben soeben eine Einschätzung der ökonomischen Lage vorgenommen und haben einiges über die Lage der öffentlichen Haushalte gesagt. Dieser Einschätzung der ökonomischen Lage können wir nicht widersprechen, und die Darstellung der öffentlichen Haushalte ist nach dem, was wir heute wissen, korrekt gewesen.
    Nur, verehrter Herr Bundeskanzler, eine Frage müssen wir Ihnen stellen: Hätten Sie diese Rede nicht auch schon vor einigen Wochen hier halten können?

    (Beifall bei der SPD)

    War die ökonomische Lage damals wirklich so viel anders als heute? War die Lage der öffentlichen Haushalte vor einigen Wochen so viel anders als heute?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wie im Saarland!)

    Warum haben Sie nicht den Mut gefunden, vor einigen Wochen anzukündigen, daß Sie in die Lohnfortzahlung eingreifen wollen,

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das haben wir doch gesagt!)

    daß Sie den Kündigungsschutz einschränken wollen, daß Sie das Rentenrecht verschlechtern wollen, daß Sie die Arbeitsförderung drastisch verschlechtern wollen und daß Sie das Kindergeld nicht zeitgerecht erhöhen wollen? Warum gehen Sie immer nach derselben Methode vor, daß Sie der Bevölkerung vor den Wahlen die Unwahrheit sagen, um nach den Wahlen dann mit der ganzen Wahrheit herauszurükken?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es funktioniert!)

    Sie haben vorhin an die Adresse der SPD und der anderen Parteien im Deutschen Bundestag gesagt, Sie wünschten, daß die Debatte um die Reform des Rentensystems aus dem nächsten Wahlkampf herausbliebe. Da können wir uns ganz auf Sie verlassen, verehrter Herr Bundeskanzler. Sie haben es bisher immer geschafft, vor Wahlen Debatten zu vermeiden, die wahrheitsgemäß gewesen wären, aber dem Volk einiges abverlangt hätten.

    (Beifall bei der SPD)

    Dadurch sind Sie verantwortlich dafür, daß die Staatsverdrossenheit in unserem Volk gewachsen ist

    (Beifall bei der SPD sowie beim Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    und daß viele zu der Auffassung kommen: Vor Wahlen kann man den Politikerinnen und Politikern sowieso nicht mehr glauben. Die Erfahrung, wesentlich durch Sie selbst geprägt, gibt solchen Vorurteilen in unserer Gesellschaft leider recht. Sie sollten endlich
    von dieser fahrlässigen, unehrlichen Vorgehensweise Abstand nehmen und den Bürger dadurch zum mündigen Bürger erklären, daß Sie gerade in den Wahlauseinandersetzungen die alternativen Konzepte der politischen Parteien diskutieren lassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn die Arbeitslosigkeit die höchste nach dem Kriege ist, wenn die Staatshaushalte enorme Schulden haben und wenn die Steuer- und Abgabenquote viel zu hoch ist, dann stellt sich in einer Phase der Stagnation oder Rezession die Frage, wie die Politik reagieren soll, um mehr Wachstum und Beschäftigung zu induzieren.
    Es ist gut, meine Damen und Herren, daß jetzt zumindest die Überschriften geändert worden sind. Hieß es vor einiger Zeit noch: Wir müssen ein Sparpaket verabschieden, so heißt es jetzt richtigerweise quer durch die Parteien: Wir brauchen ein Programm für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung. Jeder weiß, die Sozialversicherungskassen und die Staatshaushalte können nur saniert werden, wenn es uns gelingt, die Arbeitslosigkeit abzubauen und zu mehr Beschäftigung zu kommen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn man die Arbeitslosigkeit abbauen und zu mehr Beschäftigung kommen will, dann müssen die politischen Weichenstellungen richtig vorgenommen werden. Wir haben in diesem Hause oft über die Rolle der Geldpolitik diskutiert. Ich glaube, daß die Bundesbank durch die jüngsten Entscheidungen die richtigen Signale gesetzt hat. Man hat sich nicht mehr starr an der Entwicklung der Geldmenge orientiert, sondern hat in einer Phase der Stagnation oder Rezession auf Wachstum umgeschaltet. Dies ist eine richtige Entscheidung der Deutschen Bundesbank.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ebenso ist unstreitig, daß eine solche Entscheidung durch eine moderate und zurückhaltende Lohnpolitik ergänzt werden muß. Wer die Entscheidungen der letzten Wochen und Monate betrachtet, der wird nicht an dem Urteil vorbeikommen, daß die deutschen Gewerkschaften und die Tarifpartner - in erster Linie aber muß man die deutschen Gewerkschaften nennen - an dieser Stelle ihrer Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung voll entsprochen haben; denn sie haben eine moderate Lohnpolitik auf den Weg gebracht.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Eine Geldpolitik und eine Lohnpolitik, die sich nicht gegenseitig blockieren, wie Herbert Giersch in einem jüngst erschienenen Aufsatz bemerkt hat, sind die Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. Sie müssen durch eine stetige, wachstumsorientierte Finanzpolitik und durch eine ausgewogene Sozialpolitik ergänzt werden. Die Fragen werden heute also sein, ob die Bundesregierung zu einer stetigen, wachstumsorientierten Finanzpolitik Vorschläge ge-

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    macht hat und ob die Sozialpolitik, die Sie jetzt begonnen haben neu auszurichten, ausgewogen zu nennen ist.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

    Zur Finanzpolitik lese ich Ihnen ein Urteil des von Ihnen in den Sachverständigenrat berufenen Finanzexperten Rolf Peffekoven vor. Auf die Frage, warum die ökonomische Entwicklung so schlecht ist und warum wir solch große Defizite in den Staatshaushalten zu verzeichnen haben, sagte er gestern folgendes:
    Die Erklärung ist ganz einfach. Es besteht ein eklatantes Mißverhältnis zwischen dauernden Ankündigungen und dauerndem Nichtpassieren. Wenn aber etwas geschieht, wird es nicht selten gleich wieder rückgängig gemacht. Der deutschen Finanzpolitik fehlt es an Glaubwürdigkeit und an Stetigkeit.
    Sie sollten sich das hinter die Ohren schreiben, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Auf die Frage: Ist die Finanzpolitik unsolide? sagt er:
    Wenn Sie auf die fehlende Stetigkeit und Glaubwürdigkeit verweisen, dann muß ich leider antworten: Ja, die Finanzpolitik ist unsolide.
    Ihre unstete Steuer- und Finanzpolitik in den letzten Jahren ist einer der Gründe dafür, daß wir mittlerweile diese hohe Arbeitslosigkeit, diese hohe Staatsverschuldung und diese hohe Steuer- und Abgabenlast zu verzeichnen haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Daß Ihre Sozialpolitik ausgewogen sei, will doch auch von Ihnen niemand ernsthaft behaupten. Wenn man die Stellungnahmen etwa der CDA in den letzten Tagen zur Kenntnis nimmt, muß man zum Urteil kommen: Sie haben zwar gesagt, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, alle müßten jetzt den Gürtel enger schnallen. Enger schnallen müssen den Gürtel aber nur Rentner, Familien, Arbeitslose und Arbeitnehmer. Dies verdeutlicht die totale Schieflage Ihrer Sozialpolitik.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das Entscheidende ist aber, daß Sie zu den eigentlichen Reformen, die jetzt notwendig sind, nicht die Kraft aufbringen. Auf konjunkturelle Probleme muß man mit sachgemäßen konjunkturellen Lösungen reagieren. Auf strukturelle Probleme muß man mit sachgemäßen langfristig wirkenden strukturellen Lösungen reagieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Siehe Saarland!)

    Ich komme zur Steuerpolitik. Wir halten eine Reform des Einkommensteuerrechts für dringend geboten. Wir mahnen sie seit langem an. Wir stellen fest:
    Das geltende Einkommensteuerrecht schafft Staatsverdrossenheit, weil es nicht hinnehmbar ist, daß der Verkäuferin und dem Facharbeiter direkt im Lohnbüro die Steuern abgezogen werden, während es Millionäre gibt, die völlig legal keinen Pfennig Steuern zahlen. Dies untergräbt das Vertrauen der Leistungsträger unserer Gesellschaft in den Staat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die erste Reform, die schon lange überfällig ist, um wieder mehr Leistungswillen in der Arbeitnehmerschaft und in unserer Bevölkerung zu ermöglichen, ist die Reform des Steuertarifs, der Lohn- und Einkommensteuer. Diese Forderung ist allgemein anerkannt. Aber Sie haben keinerlei Anstalten gemacht, um dieser Forderung zu entsprechen. Wenn Sie nicht entscheidungsfähig sind, weichen Sie immer auf Kommissionen aus, verehrter Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie hatten eine Kommission von Finanzwissenschaftlern, die Bareis-Kommission, eingesetzt, die Ihnen Vorschläge gemacht hat, wie man das Einkommensteuerrecht leistungs- und sozialgerecht reformieren kann. Herr Waigel hat die Ausarbeitung dieser Kommission in den Papierkorb geworfen. Meinen Sie, es wird besser, . wenn er selbst jetzt einer neuen Kommission vorsitzt? Das ist doch eine Lachnummer.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie wollen die Ergebnisse dieser Kommission - da sind Sie konsequent, mein Kompliment - aus dem Wahlkampf heraus halten, denn dieses Gesetz soll erst nach der Bundestagswahl wirksam werden. Sehr verehrter Bundeskanzler, hier liegt ein klassischer Beweis dafür vor, daß der von mir zitierte Finanzwissenschaftler recht hat: Sie sind mit dieser Koalition nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, auch wenn in den Kommissionen da oder dort Richtiges erarbeitet wird. Vertagen Sie eine leistungs- und sozialgerechte Steuerreform nicht auf das Jahr 1999, sondern setzten Sie sie jetzt in Gang! Wir bieten dazu die notwendige Bereitschaft an.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Der richtige Weg bei der heutigen konjunkturellen Lage ist - da darf es überhaupt keinen Zweifel geben -, daß der Solidaritätszuschlag abgebaut wird. Wir halten den zügigen Abbau für notwendig, um die Konjuktur zu unterstützen, um nicht die Arbeitseinkommen über Gebühr zu strapazieren. Denn dies hemmt auch den Leistungswillen in unserer Bevölkerung. Die Frage ist allerdings, auf welche Weise man zu einem zügigen Abbau des Solidaritätszuschlags kommen kann. Wir schlagen eine Vermögensabgabe auf hohe Vermögen vor, wie sie bereits nach der deutschen Einheit von vielen Fachleuten vorgeschlagen worden war.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Wir fordern Sie auf, Ihren Vorschlag, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und statt dessen die Steuern für Handwerker, für Friseurmeister, Kraftfahrzeugmeister, Dachdeckermeister und viele andere zu erhöhen, zurückzuziehen. Es ist doch ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß Sie in dieser Phase der Konjunktur, in der die Nachfrage nach Investitionsgütern lahmt, eine Abschreibungsverschlechterung, sprich: Steuererhöhungen, für das Handwerk und den Mittelstand vorschlagen. Ziehen Sie diesen Vorschlag zurück! Er ist ökonomisch so unvernünftig, daß Sie in der Fachwelt niemanden finden, der diesen Vorschlag rechtfertigt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Steuererhöhungen für Handwerk und Mittelstand, wie Sie sie jetzt, kaschiert als Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen, vorschlagen, sind jetzt wirklich nicht akzeptabel. Was der F.D.P.-Vorsitzende offensichtlich immer noch nicht verstanden hat: Im Saldo - lesen Sie die Gutachten der Industrieverbände nach - handelt es sich beim Gesetzentwurf zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer um eine Steuererhöhung. Nehmen Sie in der jetzigen Phase der Konjunktur von dieser Steuererhöhung endlich Abstand!

    (Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wissen Sie nicht mehr, was Sie im letzten Jahr gesagt haben? Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])

    - Sie waren damals noch nicht im Parlament, zumindest einer von denen, die jetzt so laut dazwischengerufen haben; aber ich habe im letzten Jahr denselben Vortrag gehalten. Das Problem ist bei Ihnen nur: Man kann Ihnen noch so viele Argumente vortragen, Sie sind unbelehrbar und wollen Handwerk und Mittelstand weiterhin steuerlich höher belasten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die zweite wichtige Reform, die jetzt anzugehen ist, ist die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Es ist einfach nicht hinnehmbar, daß die Beiträge zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung, zur Arbeitslosenversicherung und zur Pflegeversicherung immer weiter ansteigen. Der Bundeskanzler hat vorhin eine Teilschuld seiner Regierung und der Koalition bei der Entwicklung dieses die Wirtschaft schädigenden ständigen Anstiegs der Beiträge eingeräumt. Mit dieser Entwicklung sind in den letzten Jahren viele Arbeitsplätze bei Handwerk und Mittelstand verlorengegangen.
    Es wäre notwendig, die sozialen Versicherungskassen von versicherungsfremden Leistungen zu befreien. Das ist völlig unstreitig. Aber in Ihrem Programm wird dieser Gedanke nicht oder nur in geringem Umfang aufgegriffen. In Wirklichkeit gehen Sie dieses wichtige Reformprojekt nicht an, weil Sie nach wie vor daran festhalten wollen: Es ist bequemer, die Kosten der Einheit den sozialen Versicherungskassen aufzubürden, statt sie sauber von allen Steuerzahlern bezahlen zu lassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Dies ist ungerecht; denn es dürfte überhaupt keine Frage sein, daß die Kosten, die aus der deutschen Einheit entstanden sind, nicht nur von den Beitragszahlern bezahlt werden können. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher wäre es notwendig, dieses Reformprojekt jetzt anzugehen. Wiederum werden Arbeitsplätze dadurch wegrationalisiert, daß ein ernsthaftes Bemühen bei der Bewältigung dieser Reform in Ihrem Vorschlag nicht zu erkennen ist.
    Das dritte Reformprojekt, an dem wir festhalten, ist der umweltgerechte Umbau unseres Steuer- und Abgabensystems. Würde man hier in diesem Bundestag abstimmen, dann würde diesem wichtigen Reformprojekt unserer Gesellschaft im Grundsatz zugestimmt. Es würde auf eine große Mehrheit quer durch die Fraktionen stoßen. Das ist jedem bekannt, der sich mit der Materie einmal beschäftigt hat.
    Es gibt eine Reihe von Voten, die deutlich machen, daß die Idee, die Arbeit in diesem Lande billiger zu machen und auf der anderen Seite den Umweltverbrauch zu verteuern, eine richtige Idee ist, weil sie einerseits zu mehr Arbeitsplätzen führt und andererseits längerfristig die Lebenschancen zukünftiger Generationen erhält. Bitte, gehen Sie dieses wichtige Reformprojekt unserer Gesellschaft endlich an!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Tatsache, daß wir auf dem weltweit wachsenden Umweltmarkt, der nach internationalen Schätzungen 1 000 Milliarden Dollar umfaßt, bei dem Export von Umwelttechnik nicht nur pro Kopf, sondern absolut Weltmeister sind, sollte uns doch Ermutigung sein, diesen Weg weiterzugehen. Ich will Ihnen eines sagen: Die Tatsache, daß wir in Deutschland bei der Umwelttechnik vorne sind, ist eher ein Ergebnis der Ökologiebewegung

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Grünen!)

    als ein Ergebnis der gezielten Politik Ihrer Regierung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    - Natürlich, Herr Kollege Fischer, haben auch die Grünen einen Anteil an dieser Entwicklung; ich möchte das ausdrücklich von diesem Pult aus feststellen.

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Töpfer!)

    Das vierte Reformprojekt, das wir jetzt angehen müssen, ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich in größerem Umfang am Produktivvermögen und am Kapital zu beteiligen. Alle Daten, die wir heute zur Kenntnis nehmen können, sprechen

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    dafür, dieses seit Jahrzehnten diskutierte, aber immer wieder aufgeschobene Reformprojekt unserer Gesellschaft jetzt endlich in Angriff zu nehmen. Die Zeit ist überreif für dieses große Reformprojekt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Es ist doch nicht zu bestreiten: Wir finanzieren den größten Teil der Soziallasten über die Arbeit und verteuern sie in einem Umfang, der nicht mehr am Markt durchzusetzen ist. Gleichzeitig ignorieren wir, daß der Anteil der Einkommen aus Vermögen steigen wird, während der Anteil von Arbeitseinkommen am Volkseinkommen immer weiter zurückgeht. Es ist offensichtlich ein Fehler, gerade die Einkommen zu belasten, deren Anteil am Volkseinkommen immer weiter zurückgeht. Also muß man die Finanzierung ändern.
    Also muß man jetzt endlich in einer Zeit, in der die Realeinkommen seit Jahren stagnieren, auch in diesem Jahr, in dem die Aktienkurse ja nun wirklich nicht sinken, sondern Rekordhöhen erreicht haben, in dem die Höhe der Gewinne nach den Stellungnahmen der Sachverständigen insgesamt keine Probleme aufwirft und sie in einzelnen Branchen geradezu wieder exorbitant hoch sind, zu einer Veränderung in unserer Gesellschaft kommen, die man in die Worte fassen kann: Sich mit stagnierenden Reallöhnen abzufinden kann keine Antwort auf diese Entwicklung sein. Vielmehr muß die Antwort lauten, endlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch am Kapitalertrag und am Produktivvermögen zu beteiligen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Eine einmalige Chance wäre es gewesen, beim Aufbau Ost mit dieser Arbeit zu beginnen.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr! Sehr richtig!)

    Wenn man schon das völlig fehlerhafte Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" mit all den Verwerfungen, die sowohl für die Investitionen als auch für die Vermögensverteilung in den neuen Ländern damit verbunden waren, durchgesetzt hat, dann hätte man im Gegenzug damit beginnen müssen, dort die Arbeitnehmer am neu aufgebauten Produktivvermögen, zumal es mit enormen staatlichen Mitteln finanziert worden ist, zu beteiligen. Hier haben Sie die Chance nicht genutzt, einen richtigen Einstieg in dieses Reformprojekt unserer Gesellschaft zustande zu bringen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wenn ich lese, daß man sich jetzt Gedanken darüber macht, ob nicht die Vorstandsbezüge in Deutschland in Form von Aktienoptionen an die Höhe der Vorstandsbezüge amerikanischer Manager angepaßt werden müssen, damit sie über Jahreseinkommen in zweistelliger Millionenhöhe verfügen - wir haben das vor zwei Wochen in einem Nachrichtenmagazin gelesen -, dann zeigt das eigentlich, wohin wir in unserer Gesellschaft nach 13 Jahren der
    Regierung Kohl gekommen sind. Es wird für mich der Anstand verletzt, wenn nicht darauf hingewiesen wird, daß es bei ständig stagnierenden oder sinkenden Realeinkommen viel, viel notwendiger wäre, die Arbeitnehmer an Gewinnen und Aktienzugewinnen zu beteiligen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es ist ja überhaupt merkwürdig, daß Appelle, den Gürtel enger zu schnallen, von Ihrer Seite kommen. Sie könnten ja den Zuschauerinnen und Zuschauern einmal darstellen, wie Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, von den geplanten Regelungen bei der Lohnfortzahlung, dem Kindergeld und von der Kürzung sozialer Leistungen, wie der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe, des Arbeitslosengeldes und was da alles in der Mache ist, betroffen sind.

    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das möchte ich auch wissen!)

    Dadurch könnte deutlich gemacht werden, wie es eigentlich in unserem Lande aussieht.
    Aber es ist einfach nicht mehr hinnehmbar, daß diejenigen, die nun wirklich ein enormes Einkommen und Vermögen haben, immer wieder neue Sparappelle an Sozialhilfeempfänger und Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe richten. Das ist das Ergebnis einer totalen Fehlentwicklung in unserer Gesellschaft, die Sie zu verantworten haben.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir brauchen fünftens selbstverständlich eine Reform der Regelungen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist unstreitig. Streitig zwischen uns ist, wie Regelungen auf dem Arbeitsmarkt aussehen.
    Sie haben hier noch einmal voller Stolz, Herr Bundeskanzler - ich habe versucht, es schon zwei-, dreimal zu erklären -, den Zuwachs der Beschäftigungsverhältnisse Ende der 80er Jahre vorgetragen.
    Nur, meine Damen und Herren, wenn man die Beschäftigungsverhältnisse betrachtet, dann muß man in der heutigen Lage unserer Gesellschaft angeben, um welche Art von Beschäftigungsverhältnissen es sich handelt. Wenn man sich dann nach jahrelangem Votum für Verlängerung von Arbeitszeiten endlich zu der Einsicht durchgerungen hat - das begrüßen wir ja -, daß man Überstunden abbauen und Teilzeitarbeitsplätze einrichten muß, darf es aber nicht so sein, daß Millionen von Arbeitsplätzen zuwachsen, diese aber nicht sozialversicherungspflichtig abgesichert sind und zu Lasten der Frauen in unserer Gesellschaft gehen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    So haben wir uns die Neuordnung des Arbeitsmarktes nicht vorgestellt.
    Daher ist es nicht akzeptabel, daß Sie beispielsweise das Angebot der Gewerkschaften, auch hier mit den Regierenden zu einer Zusammenarbeit zu

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    kommen, auf diese Art und Weise beantwortet haben. Es war ein Angebot der Gewerkschaften, zu einem „Bündnis für Arbeit" zu kommen. Das, was die Gewerkschaften dort eingebracht haben, waren moderate Lohnabschlüsse. Das ist natürlich in der jetzigen konjunkturellen Situation die adäquate Antwort. Aber die Gewerkschaften wollen sich dadurch eine Zusage einhandeln, daß es zu weniger Kündigungen und zu weniger Beschäftigungsabbau kommt. Das ist doch ein vertretbares und von allen zu unterstützendes Anliegen unserer Gewerkschaften. Wenn Sie darauf mit Abbau des Kündigungsschutzes antworten, dann haben Sie in die Hand gespuckt, die man Ihnen gestreckt hat, meine Damen und Herren!

    (Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Im übrigen ist der Abbau des Kündigungsschutzes, wenn man ihn vor dem Hintergrund der realen Situation auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, eine Maßnahme, die im Grunde genommen nur Symbolcharakter hat. Wenn Sie sich die Einlassungen über die Kombination von Kündigungsschutzvorschriften und der Möglichkeit, befristete Arbeitsverträge einzugehen ansehen, die gestern im „Handelsblatt" vorgebracht worden sind, dann werden Sie erkennen, daß dies eine völlig unnötige und überflüssige Provokation der deutschen Gewerkschaftsbewegung ist. Ich appelliere noch einmal an Sie, diese unkluge und von der Sache noch nicht einmal gerechtfertigte Entscheidung zurückzunehmen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wenn Sie in Ihrem Programm vorsehen, befristete Arbeitsverträge mehrfach zu verlängern, dann frage ich mich, was eigentlich noch der Sinn dieser Provokation ist. Und dann sagen Sie, ein Handwerker, der nur fünf Beschäftigte hat, habe wegen des hohen Kündigungsschutzes Sorge, noch einen einzustellen. Wenn Sie in diesem Ausmaß die befristeten Arbeitsverhältnisse und Kettenverträge zulassen, dann ist das keinem mehr beizubringen. Es wäre an der Zeit, daß Sie nicht immer nur Flickschusterei betreiben. Sie geraten zeitlich in die Enge, weil Sie vor Wahlen nicht diskutieren wollen, und nach den Wahlen geht es hopplahopp. Dann haben wir nichtüberlegte, unausgewogene Entscheidungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bin sicher, wenn ich die Gesichter in Ihrer Fraktion sehe, verehrter Herr Bundeskanzler, es würden ganz prominente Mitglieder Ihrer Fraktion diese Feststellung unterschreiben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wer denn?) Ich will aber jetzt die Namen nicht nennen.

    Der sechste Punkt, den wir vorschlagen, ist eine Stärkung von Forschung und Innovation in unserer Gesellschaft. Es ist richtig in Ihrem Programm, daß Sie Existenzgründungen erleichtern wollen. Es ist richtig und unterstützenswert in Ihrem Programm, daß Sie den Zugang zu Wagniskapital verbessern wollen. Aber, meine Damen und Herren, bei den Forschungsausgaben darf man nicht kürzen. Wenn man alle Ressorts auffordert zu kürzen, dann müssen wir noch einmal daran erinnern, daß die Forschungsausgaben in den letzten Jahren im Haushalt insgesamt stark zurückgegangen sind.
    Deshalb ist der Einwand der ostdeutschen Abgeordneten Ihrer Partei, verehrter Herr Bundeskanzler, gerechtfertigt, wenn sie auf die Notwendigkeit der Verstärkung von Forschungsausgaben gerade in den neuen Bundesländern hinweisen. Überprüfen Sie noch einmal diese Entscheidung! Es ist Sparen angesagt, das will niemand bestreiten, aber nicht bei den Zukunftsinvestitionen unserer Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gilt genauso für das Hin- und Hergezerre in der Koalition um die BAföG-Regelung. Gut ausgebildete Studentinnen und Studenten sind auch eine Investition in die Zukunft. Wir werden es nicht zulassen, daß die Frage, ob jemand eine gute Ausbildung erhält oder nicht, durch falsche Regelungen wieder allein vom Einkommen seiner Eltern abhängig wird. Wir werden das nicht zulassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Natürlich können wir auch nicht mit dem Rasenmäher Investitionsausgaben kürzen. Es wäre wünschenswert, daß die investiven Ausgaben hin zu erneuerbaren Energien umgepolt werden. Deswegen halten wir an unserem Vorschlag fest, an dieser Stelle die Anstrengungen des Staates zu verstärken und die vorhandenen Ausgaben stärker auf erneuerbare Energien auszurichten, damit wir die Märkte der Zukunft gewinnen und damit die Photovoltaik und die Sonnentechnik nicht nach Japan oder in die Vereinigten Staaten abwandern.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Natürlich sind wir in der jetzigen Phase auch aufgefordert, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Saarland!)

    - Verehrte Damen und Herren, ich bin für diesen Zwischenruf dankbar. Ich möchte Sie jetzt noch einmal mit dem Grund vertraut machen, warum wir als Oppositionspartei - das war ein einmaliger Vorgang - an der Saar 1985 aus dem Stand heraus die absolute Mehrheit erreicht haben. Das gibt es nicht oft. Davon können Sie nur träumen.

    (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD])

    Wir haben die absolute Mehrheit erreicht, weil die ökonomische und insbesondere die finanzpolitische Lage an der Saar völlig aussichtslos war und der Haushalt total überschuldet war, und zwar durch die Politik von CDU und F.D.P. Natürlich können die Länder nicht die Steuern und Abgaben so erhöhen, wie Sie es hier tun.

    (Beifall bei der SPD)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    An der Saar galt nun wirklich, meine feinen Herren von den Liberalen: Steuerland war längst abgebrannt. Wir konnten auf die Erhöhungsorgien, die Sie durchgeführt haben, nicht zurückgreifen. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie schon nicht in der Lage sind, sachgemäße Vorschläge zu machen, dann bleiben Sie zumindest bei der Wahrheit; denn die Grundlage unserer heutigen Debatte muß eine faire und sachgerechte Diskussion sein.

    (Beifall bei der SPD Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)

    Weiterhin sage ich, daß Ihre ständige Polemik gegen die Koalition Röder/Klumpp gerichtet ist. Sowohl der ehemalige saarländische Ministerpräsident Röder als auch der ehemalige F.D.P.-Vorsitzende Klumpp haben in diesem Umfang Ihre ständigen abqualifizierenden Bemerkungen gegenüber der Saarpolitik und ihrer Bevölkerung nicht verdient. Auch wenn Sie Großmäuler dagewesen wären, hätten wir die Montankrise und die Bergbaukrise gehabt. Schreiben Sie sich das einmal hinter die Ohren!

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir die öffentlichen Haushalte konsolidieren wollen, dann sind wir gut beraten, die Vorschläge des Sachverständigenrates zu akzeptieren.

    (Unruhe)

    - Ich danke Ihnen, Herr Dr. Schäuble, daß Sie für etwas Ruhe in Ihrer Fraktion sorgen. Vielen Dank für diese Fairneß.
    Der Sachverständigenrat rät dazu, bei der Haushaltskonsolidierung zwischen kurzfristigen und längerfristigen Konsolidierungsmaßnahmen zu unterscheiden. Er rät weiter dazu, in der Phase der stagnierenden Konjunktur, der erlahmenden Wirtschaft, der Rezession - wie immer Sie das nennen wollen - nicht über Gebühr mit Kürzungen und natürlich auch nicht mit Steuererhöhungen gegenzusteuern.
    Diese Politik ist allerdings nur zu rechtfertigen, wenn tatkräftig längerfristige Strukturreformen eingeleitet werden, um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren.

    (Gert Willner [CDU/CSU]: Das machen wir!)

    - Ja, das mögen Sie vielleicht beabsichtigen, aber wenn man den Schuldenstand sieht, waren Sie nicht erfolgreich in Ihrer Absicht. Das darf zumindestens festgestellt werden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Vorschläge, die Sie dazu vorlegen, sind

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Richtig!)

    teilweise geeignet, teilweise sind sie ungeeignet. Wenn beispielsweise der Bundeskanzler den hehren Grundsatz verkündet, wir sollten nicht zulassen, daß jemand, der arbeitet, weniger hat als jemand, der nicht arbeitet, wer wollte ihm da widersprechen?
    Wenn er zum Beispiel darauf hinweist, daß wir bei den Sätzen der Sozialhilfe darauf achten müssen, daß dieser Grundsatz eingehalten wird, wer wollte ihm da widersprechen? Wir haben beim Solidarpakt entsprechende Vereinbarungen zur Begrenzung der Sozialhilfesätze getroffen, und wir sind auch in Zukunft bereit, entsprechende Vereinbarungen zu treffen, um dieses Gebot, das unstreitig ist, zu unterstützen.
    Aber ich möchte an dieser Stelle auch darum bitten, daß die Sozialhilfeempfänger nicht mit unsachgemäßen, polemischen Bemerkungen ständig herabgesetzt werden.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Tut ja niemand!)

    Denn wir erleben schon jahrelang eine Debatte, die Sie jetzt wiederholt haben und die heißt: Wer zumutbare Arbeit ablehnt, dem muß die Sozialhilfe gekürzt oder ganz gestrichen werden. Was soll eigentlich das ständige Herumreiten auf dieser Forderung? Sie als deutscher Bundeskanzler müßten doch wissen, daß das längst im Gesetz steht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich lese Ihnen § 25 vor. Es könnte ja sein, daß das zu einer Information führt:

    (Zuruf von der CDU/CSU: § 26!)

    Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzunehmen, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.
    Was soll also das ständige Wiederholen einer Forderung, die längst in einem deutschen Gesetzbuch steht, und welche Absichten verbinden sich eigentlich damit?

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Es geht darum, ob das eine Ermessenfrage ist oder nicht!)

    Ich sage Ihnen noch einmal: Ich weiß ganz genau, daß es populär ist, den Eindruck zu erwecken, es gäbe da Leute, die zumutbare Arbeit ablehnen und gleichwohl Sozialhilfe beziehen. Seien Sie vorsichtig mit solchen Behauptungen! Seien Sie fair und zitieren Sie das deutsche Gesetzbuch! Polemisieren Sie nicht gegen die, von denen viele sich nicht helfen können, die in einer schwierigen Situation ihres Lebens sind!

    (Beifall bei der SPD)

    Viel sinnvoller wäre es in dieser Frage, den viel zu hohen Eingangssteuersatz von fast 26 Prozent zu senken.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Dieser Eingangssteuersatz ist einfach eine Aufforderung zur Schwarzarbeit und war eine der Fehlentscheidungen Ihrer Regierung in den letzten Jahren.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Es wäre genauso zu erwägen, ob die bisherige Vorschrift, daß das, was sich ein Sozialhilfeempfänger dazuverdient, ganz auf die Sozialhilfe angerechnet wird, eigentlich wirklich sachgemäß ist oder ob sie nicht vielmehr auch ein Anreiz dazu ist, solche Tätigkeiten überhaupt nicht anzumelden und eben schwarz zu arbeiten. Wäre es nicht ein Reformvorschlag, über den man diskutieren könnte, daß solcher Zusatzverdienst nur teilweise angerechnet wird, um den Sozialhilfeempfängern den Übergang ins Arbeitsleben an dieser Stelle zu ermöglichen und zu erleichtern?

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Zurufe von der F.D.P.: Bravo! Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sie haben es gar nicht gelesen!)

    - Ja, wenn Sie „bravo!" rufen, dann machen wir es doch! Bringen Sie den Gesetzentwurf ein, und wir ziehen es durch!

    (Zurufe von der CDU/CSU: Lesen! Lesen!)

    - Meine Damen und Herren, ich habe gelesen, daß Sie das jetzt wieder als Absicht bekundet haben.

    (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie haben mich immer noch nicht verstanden. Ein solches Gesetz gibt es nicht. Es wäre an der Zeit, dieses Gesetz zu realisieren.
    Der zweite Punkt, den wir ansprechen müssen, ist natürlich die Notwendigkeit, die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir die Kosten im Gesundheitswesen eindämmen wollen, bedürfen wir, auch was die Länder- und die Gemeindeseite angeht, einer Gesamtvereinbarung.
    Nachdem jetzt die Wahlen vorüber sind, wäre es an der Zeit, daß es zu einer abgestimmten Gesamtvereinbarung kommt; denn es ist nun einmal so: Man kann diese Kostendämpfung nicht nur im Hinblick auf die Krankenhäuser unter Ausklammerung der ambulanten Versorgung und anderer Teilbereiche regeln. Man muß ein Gesamtpaket vorlegen. Wir sind nach wie vor zur Verabschiedung eines sozial ausgewogenen Gesamtpakets bereit.

    (Beifall bei der SPD)

    Dritter Punkt: Rentenreform. Wir haben bei der Umstellung der Rentenformel von brutto auf netto mitgewirkt, und wir stehen zu dieser Vereinbarung. Wir haben Ihnen ebenfalls gesagt, daß wir bereit sind, beim Vorruhestand eine sachgemäße Lösung zu finden, weil die bisherige Lösung nicht akzeptabel war. Wenn aber jetzt von Ihnen gesagt wird, das, was wir bereits beschlossen haben, sei nicht mehr verhandlungsfähig, dann müssen Sie verstehen, daß dies keine Grundlage einer sachgemäßen Zusammenarbeit sein kann. Wer den Kompromiß sucht, darf nicht sagen, das, was wir bereits entschieden haben, sei nicht mehr verhandlungsfähig.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich möchte Ihnen etwas dazu sagen, daß Sie das Renteneintrittsalter anheben wollen. Im Gespräch mit einem Industrieverband wurde das Anheben des Rentenalters für Frauen noch mit der Bemerkung begründet, das sei Gleichberechtigung. Was dieser Industrieverband wie viele in unserer Gesellschaft übersehen hat, ist, daß das reale Renteneintrittsalter der Frauen höher liegt als das der Männer. Von daher ist aus fiskalischen Erwägungen dieser Vorschlag, der wohl im Hause Blüm entwickelt worden ist, durchaus verständlich. Ob das insgesamt der richtige Ansatz ist, ist zumindest im Hinblick auf die Beschäftigungsart und die Entlohnungsart, die gerade bei den Frauen immer noch eine völlige Schieflage hat, zu hinterfragen.
    Aber eines müßte klar sein: Wenn wir auf der einen Seite wollen, daß die Jugendlichen einen Arbeitsplatz finden und nach der Ausbildung auch den Eintritt ins Erwerbsleben finden können, dann ist eine solch rigide Vorgehensweise äußerst problematisch. Wir lösen die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht, indem wir die Lebensarbeitszeit für die Älteren verlängern und die Jugendlichen draußen vor der Tür lassen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Deswegen wäre es sinnvoller, darüber zu reden, ob man nicht gleitende Übergänge wählt, wie sie bereits beim Vorruhestand diskutiert worden sind. Ich halte solche Ansätze für sinnvoller als dieses strikte Vorgehen nach den alten Verhaltensmustern, das dann eben zu dem sicherlich auch von Ihnen nicht gewollten Ergebnis führt, daß die Jugendlichen noch größere Probleme haben werden, in Zukunft einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden.
    An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Widersprüchlichkeit Ihrer ordnungspolitischen Vorgehensweise aufmerksam machen. Obwohl Sie immer wieder die Subsidiarität hochhalten, obwohl Sie immer wieder sagen: „Was andere tun können, soll der Staat nicht tun", haben Sie jetzt bei der Lohnfortzahlung gesagt: Nachdem die Tarifvertragsparteien das nicht ordentlich hinbekommen, muß der Staat das jetzt machen. - Interessant ist, daß Sie dieselbe Logik nicht bei unserer Jugend anwenden. Da verlassen Sie sich auf freiwillige Zusagen der Wirtschaft, von denen wir wissen, daß sie nicht eingehalten werden. Wenn Sie also springen, dann springen Sie bitte ganz, sonst ist Ihre Ordnungspolitik so im Schleudern, wie das der Finanzwissenschaftler dargestellt hat, den ich zu Beginn zitiert habe. Das ist nicht logisch.

    (Beifall bei der SPD)

    Einfache Zusagen - ich denke dabei insbesondere an die neuen Bundesländer - wie „Wir sind bereit, uns zu bemühen, mehr einzustellen" sind in der gegenwärtigen konjunkturellen Phase so unverbindlich, daß jeder weiß, daß sie genausowenig eingehalten werden wie die Kreditzusagen der privaten Banken zur Finanzierung des Aufbaus im Osten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Deshalb wäre es sinnvoll, meine Damen und Herren, sich an dieser Stelle weitergehende Schritte zu

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    überlegen. Es ist richtig, daß wir die sozialen Versicherungssysteme sanieren müssen. Es ist aber genauso richtig, daß wir einfach in der Verantwortung stehen, das Vertrauen unserer Jugendlichen in unsere staatliche Organisation und die Gesellschaft zu erhalten. Jugendarbeitslosigkeit muß bekämpft werden, notfalls mit staatlichen Mitteln, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ein vierter Konsolidierungspunkt, den wir ansprechen müssen, sind die öffentlichen Personalhaushalte. Allerdings, meine Damen und Herren: Wer pauschal Nullrunden fordert, muß zunächst einmal in den Spiegel schauen. Er muß zunächst einmal sagen, was er unter Nullrunden versteht, ob er an einen Inflationsausgleich oder einen Rückgang der Realeinkommen denkt.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Null ist Null!)

    Dann muß er sich die Frage nach der sozialen Ausgewogenheit stellen.
    Daß wir in den öffentlichen Haushalten Konsolidierungsbedarf haben, wird von niemandem bestritten. Wenn wir im Hinblick auf die Besoldung des Bundeskanzlers, der Ministerpräsidenten und aller anderen, die als Beamte in hohen Besoldungsstufen sind, Null sagen und gleichzeitig dasselbe für diejenigen Beamten und Angestellten, die in den niedrigsten Besoldungsstufen bzw. Vergütungsgruppen sind, vorsehen, dann sind wir in unserem Volke nicht glaubwürdig. Deshalb halte ich etwas davon, in dieser Tarifrunde Sockelbeträge ins Auge zu fassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Im übrigen haben wir seit langem angeboten, bei den Personalkosten im öffentlichen Dienst zwei längerfristig wirkende Strukturreformen zu diskutieren. Ich habe im Bundestag schon mehrfach die Frage der nicht an der Leistung orientierten Regelbeförderung angesprochen und dazu eingeladen, bei den jetzigen Beratungen im Bundesrat darüber zu reden. Wenn wir mehr Leistung in den Verwaltungen wollen, müssen wir über dieses Strukturelement der Besoldung im öffentlichen Dienst sprechen.
    Genauso ergebnislos hat das Saarland seit Jahren vorgeschlagen - ich sage das, weil so oft „Saarland" dazwischengerufen wurde -, den Tatbestand zu korrigieren, daß drastische Verkürzungen der Lebensarbeitszeit etwa bei den Beamten gleichwohl zur vollen Pension führen. Eine solche Entwicklung ist nicht akzeptabel.
    Da Sie in Ihrem Programm zum Beispiel vorschlagen, Zusatzleistungen bei der Krankenhausversorgung jetzt auch bei den Beamten zurückzunehmen, will ich Sie mit etwas vertraut machen: Sowohl die Abschaffung der Ministerialzulage als auch die Abschaffung dieser Zusatzleistungen sind im Saarland schon längst beschlossen und die Abschaffung der Zusatzleistungen auch in Hamburg und in Bremen.
    Es ist gut, wenn Sie dazulernen. Aber glauben Sie ja nicht, daß das, was Sie an Konsoldierungsvorschlägen hier vortragen, andernorts nicht längst in Angriff genommen oder mit größerem Erfolg schon bewältigt worden wäre.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren. In der jetzigen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung kommt alles darauf an, die Zeichen auf mehr Wachstum und Beschäftigung zu stellen. Wenn man mehr Wachstum und Beschäftigung will, dann brauchen wir ein abgestimmtes Vorgehen der Geldpolitik, der Lohnpolitik und der staatlichen Finanz- und der Sozialpolitik. Nach unserer Überzeugung haben Geldpolitik und Lohnpolitik in der jetzigen Phase ihre Aufgaben erledigt. Nach unserer Überzeugung sind Ihre Vorschläge zur Finanzpolitik und zur Sozialpolitik nicht hinnehmbar. Sie verletzen das Gebot der Stetigkeit, der Verläßlichkeit und der Ausgewogenheit.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Zum Gebot der Stetigkeit. Was stellen Sie sich eigentlich vor? Daß wir vor einigen Monaten einen mühsamen Kompromiß beim Kindergeld und bei der Freistellung niedriger Einkommen von den Steuern gefunden haben, um ihn nach wenigen Monaten wieder in Frage zu stellen? Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln - so ist nun wirklich keine stetige Finanzpolitik für unseren Staat zu machen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was stellen Sie sich eigentlich vor? Daß Sie monatelang die Förderung der Abschaffung der privaten Vermögensteuer vorgeschlagen haben in einer Zeit, in der Sie bei Sozialhilfeempfängern, Rentnern, Empfängern von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe kürzen wollen und die Arbeitnehmer immer stärker belasten wollen? Wer solche Vorschläge monatelang vorträgt, der läßt jedes Empfinden für soziale Gerechtigkeit vermissen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir werden daher die sich jetzt abzeichnende Korrektur, die Sie vorschlagen und die wir anerkennen, sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt und auf die konkreten Vorschläge hin prüfen.
    Eines möchte ich zum Schluß sagen: Bitte glauben Sie uns, es geht nicht nur um die Frage der richtigen Vorschläge in der Finanzpolitik und in der Steuerpolitik und der richtigen Vorschläge, um mehr Innovationen und Wachstum in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Es geht vielmehr um einen Kernbestand unserer Nachkriegsgesellschaft. Dieser Kernbestand waren der Sozialstaat und die soziale Gerechtigkeit. Bitte zerstören Sie nicht mutwillig diesen Konsens unserer Nachkriegsgesellschaft! Ein solches Vorgehen wird sich bitter rächen und am Ende zu mehr Ar-

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    beitslosigkeit und zu höherer Staatsverschuldung führen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Heuchelei!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es spricht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.

(Abgeordnete der SPD verlassen den Saal Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Freizeit hat begonnen! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Bye-bye! Zurufe von der CDU/CSU: Auf Wiedersehen! Schönes Wochenende! Zuruf von der SPD: Gucken Sie doch mal Ihre Reihen an, wie leer das ist!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben vier Millionen Arbeitslose in unserem Land, und ich finde, die Debatte und die Art, wie wir sie führen, sollten dieser Tatsache Rechnung tragen. Ich bitte Sie alle darum.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Da bin ich aber gespannt!)

    Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben gesagt, Fairneß und das Bei-der-Wahrheit-Bleiben sollten die Grundlage dieser Debatte sein. Dem will ich ausdrücklich zustimmen. Sie haben auch gesagt, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers beschreibe die Lage und den Handlungsbedarf richtig. Sie haben dann den Vorschlägen zum Teil zugestimmt und zum Teil kritische Anmerkungen dazu gemacht. Aber Sie sind Ihrer eigenen Anforderung, bei der Wahrheit zu bleiben, nicht gerecht geworden, weil Sie dem Bundeskanzler unterstellt haben - das haben Sie ganz am Anfang gesagt -, die Rede sei zwar gut, aber sie hätte schon vor ein paar Wochen, nämlich vor den Landtagswahlen, gehalten werden müssen. Sie haben gesagt, wir hätten vor den Landtagswahlen nicht dasselbe gesagt, was wir jetzt als Konzept vorlegen. Das ist nicht die Wahrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit wir das gleich friedlich ausräumen und es so machen, wie es Herr Lafontaine gesagt hat - mir ist es damit sehr Ernst, daß ein falscher Eindruck ausgeräumt wird -: Wir haben Ende Januar das 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze vorgelegt. Ich will hier nicht alles vortragen. Aber Sie haben als erste Punkte unsere Absichten hinsichtlich des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung genannt, Herr Lafontaine.
    Jetzt lese ich Ihnen aus unserem 50-Punkte-Programm für Wachstum und Beschäftigung von Ende Januar - der Bundeskanzler hat darauf Bezug genommen; es ist ja veröffentlicht worden, und wir haben darüber debattiert - die Ziffer 18 vor:
    Pro Mitarbeiter und Jahr gehen etwa 15 Arbeitstage durch Arbeitsunfähigkeit verloren. Dies führt zu im internationalen Vergleich hohen zusätzlichen Kostenbelastungen der deutschen Unternehmen. Um dem entgegenzuwirken, hält es die Bundesregierung für notwendig, daß die Tarifpartner - entsprechend der Verabredung in dem Gespräch beim Bundeskanzler am 23. Januar 1996 (Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung) - Möglichkeiten zur Verminderung von Fehlzeiten in den Betrieben konkretisieren....
    Es wurde immer gesagt: Wenn die Tarifpartner dazu Ergebnisse bringen, muß der Gesetzgeber nicht handeln. Die Tarifpartner haben am Dienstag erklärt, sie seien nicht in der Lage, zu Ergebnissen zu kommen. Ich will das nicht würdigen. Deswegen haben wir entsprechend unserer Ankündigung unsere Beschlüsse gefaßt. Nehmen Sie den Vorwurf zurück, wir hätten vor den Wahlen nicht angekündigt, was wir jetzt beschlossen haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann haben Sie gesagt, wir hätten unsere Absichten und Vorschläge zum Kündigungsschutzgesetz nicht vorher bekanntgemacht.

    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Lesen Sie einmal vor, wo steht, daß das Kindergeld nicht erhöht wird!)

    - Ja, ich lese es Ihnen vor; seien Sie ganz ruhig. - Ich lese zum Kündigungsschutz Ziffer 20 des Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze vor:
    Ohne den Kündigungsschutz einzuschränken, sollen Regelungen präzisiert und klarer gefaßt werden. Dies gilt insbesondere für die Sozialauswahl und die dabei zu berücksichtigenden betrieblichen Notwendigkeiten bei betriebsbedingten Kündigungen.
    Das ist das gleiche, was jetzt in unserem Programm steht.
    Die Bundesregierung wird die zulässige Dauer von befristeten Arbeitsverhältnissen nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz auf 24 Monate ausdehnen und in diesem Rahmen eine Mehrfachbefristung zulassen.
    Die Bundesregierung beabsichtigt, zur Förderung von Beschäftigung in kleineren Unternehmen und von Teilzeitarbeit den Schwellenwert im Kündigungsschutzgesetz zu erhöhen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

    und Teilzeitarbeitnehmer im Arbeitsrecht anteilig zu berücksichtigen; sie wird darüber mit den Tarifpartnern Gespräche aufnehmen.
    Herr Lafontaine, Sie müssen zurücknehmen, daß wir vor den Wahlen nicht gesagt hätten, was wir diese Woche beschlossen haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Weil Sie es ja so damit haben, daß andere lesen sollen, wie gut man informiert ist, haben Sie, was ich sehr begrüße, gesagt, man solle doch die Möglichkeit der Verrechnung mit dem Bezug von Sozialhilfe bei eigener Arbeit von Sozialhilfeempfängern verbessern. Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich darf Sie darüber informieren, daß das entsprechende Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom Deutschen Bundestag am 22. März 1996 verabschiedet worden ist.

    (Zuruf von der F.D.P.: Die Schulstunde für Lafontaine!)

    Das Problem ist leider nur, daß der Bundesrat das Gesetz bisher abgelehnt hat. Der Vermittlungsausschuß wird am Montag kommender Woche darüber beraten. Ich hoffe, daß Ihre Ankündigung auf mangelnder Information beruht und so zu verstehen ist, daß Sie darauf hinwirken werden, daß wir rasch die Zustimmung des Bundesrates zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz bekommen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem klargestellt ist, daß der wesentliche Inhalt dessen, was die Koalitionsfraktionen nach intensiver, aber auch zügiger Beratung gestern abend beschlossen haben, was wir Ihnen vorlegen und was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vorgetragen und begründet hat, bereits vor den Wahlen angekündigt war, können wir zur Sache zurückkehren. Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers - das hat auch Herr Lafontaine nicht bestritten - hat zutreffend die Notwendigkeit beschrieben, daß wir angesichts dramatischer Veränderungen in der Welt wie in der Wirklichkeit unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft neue Antworten auf neue Herausforderungen finden müssen. Das ist die eigentliche Aufgabe, die in unserem Land gestellt ist, der sich alle stellen müssen und der wir uns mit unserem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen wollen, dem diese Debatte dient.
    Die großen Veränderungen, die in der Welt stattfinden und auf die wir Antworten suchen müssen, können damit beschrieben werden, daß wir eine Globalisierung von Märkten haben, daß der Wettbewerb um die Standorte von Investitionen und Arbeitsplätze nach dem Ende der europäischen Teilung ganz anders geworden ist, als er noch vor wenigen Jahren war, daß wir deshalb um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit um die Zukunft unseres Wohlstands und unserer sozialen Sicherheit ringen müssen und daß wir wettbewerbsfähig bleiben bzw. wettbewerbsfähiger werden müssen, als wir es in den letzten Jahren geworden sind. Das ist die eigentliche Aufgabe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu den großen Veränderungen gehört ganz genauso - ich könnte viele beschreiben; ich will nur wenige Hauptlinien aufzeigen, um zu begründen, worin unsere Antworten bestehen -, daß wir durch die Entwicklung der modernen Technik und Forschung; insbesondere durch die Kommunikationstechnik und
    anderes mehr im Bereich der industriellen Produktion und im Bereich großer Verwaltungen - denken Sie an Banken oder Versicherungen - Rationalisierungsfortschritte haben, die wir zwar beklagen, aber nicht ändern können, denen wir uns stellen müssen, weil sonst noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen. Diese Entwicklung führt dazu, daß wir das Ziel Arbeit für alle eben nicht mehr nur im Bereich industrieller Produktion erreichen können, sondern dabei stärker als bisher den Bereich neuer Beschäftigungsfelder, insbesondere die privaten Haushalte und den Dienstleistungssektor insgesamt einbeziehen müssen. Das führt dazu, daß das Problem der Lohnzusatzkosten, das Problem der Flexibilisierung und das Thema, neue Antworten zu suchen, eine ganz andere Bedeutung gewinnen, wenn man Arbeitslosigkeit nicht nur als Möglichkeit zur demagogischen Auseinandersetzung begreift, sondern als eine Herausforderung, zu deren Bewältigung wir alle aufgerufen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Veränderungen ergeben sich auch auf Grund der demographischen Entwicklung. Am liebsten würden Sie auch noch dafür den Bundeskanzler verantwortlich machen. Ich weiß, daß er Ihrer Meinung nach für alles und vor allem für die Lösung aller Probleme zuständig ist. Ich habe verstanden - ich will ausdrücklich sagen, daß ich Ihre Meinung teile -, daß es, wenn Veröffentlichungen zutreffen, in Vorstandsetagen großer deutscher Unternehmen bei der derzeitigen Situation, wo man zum Teil Dividendenzahlungen aussetzen muß und wo Arbeitsplätze abgebaut werden, als vordringliches Problem angesehen wird, die Anpassung der Vorstandsbezüge an amerikanische Verhältnisse auf die Tagesordnung zu setzen. Ich finde, wir haben dringendere Probleme in unserem Land zu lösen. Dafür ist der Bundeskanzler aber nicht verantwortlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Das sollten wir gemeinsam sagen. Vielleicht können sogar die Arbeitnehmervertreter in den entsprechenden Vorständen daran mitwirken, daß man sich auf die vorrangigen Prioritäten, auch in den Vorstandsetagen, konzentriert. Später kann man dann noch anderes machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Was die demographische Entwicklung betrifft, so müssen wir doch sehen - es hat doch keinen Sinn, uns die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben -, daß die Lebenserwartung gestiegen ist und weiter steigt. Daß übrigens die Lebenserwartung in den neuen Bundesländern schon im Vergleich zu 1989 im Ansteigen begriffen ist, gehört zu den erfreulichsten Dingen, die wir in unserem wiedervereinten Vaterlande zu registrieren haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Darüber, daß wir aber bei gleichzeitig gesunkenen
    Geburtenzahlen nicht den Weg in eine immer kürzere Lebensarbeitszeit fortsetzen können, wenn die

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Grundlagen unseres Wohlstandes und unserer sozialen Sicherungssysteme stabil bleiben und als zukunftsfähig erhalten werden sollen, sollten wir nicht streiten, sondern wir sollten darauf die richtigen Antworten suchen. Wir legen dazu in unserem Programm für Wachstum und Beschäftigung Antworten vor, wobei wir gerne in der Auseinandersetzung mit Ihren Standpunkten überprüfen wollen, ob es noch bessere Wege gibt.
    Dies alles sind Veränderungen, auf die wir reagieren wollen und müssen, wenn wir unsere Chancen für die Zukunft sichern wollen. Deswegen geht es gar nicht um Einsparungen, um Opfer und Einschränkungen, sondern es geht darum, die notwendigen Schritte zu tun, damit wir auch weiterhin in Wohlstand, in sozialer Gerechtigkeit und in einer sicheren Zukunft leben können. Das ist das Ziel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dazu müssen wir nach unserer Überzeugung kleine und mittlere Unternehmen befähigen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Deswegen konzentrieren wir uns in unserem Programm auf die Förderung neuer kleiner und mittlerer Unternehmen und auf die Förderung von Existenzgründern. Deswegen setzen wir in unserem Programm darauf, Existenzgründer zu fördern, die Eigenkapitalbildung in neuen, expandierenden Unternehmen zu verstärken und den Zugang zu Wagniskapital zu verbessern. Das alles sind die Schritte. Deswegen konzentrieren wir uns auch darauf, wie schon Ende Januar angekündigt, die Einstellungsmöglichkeiten, auch durch die Anhebung von Schwellenwerten beim Kündigungsschutz, bei kleinen Unternehmen im Handwerk zu verbessern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen nach unserer Überzeugung Einstellungshemmnisse abbauen, und wir müssen nach unserer Überzeugung die Bereitschaft zur Neueinstellung, zur Schaffung von neuen und von mehr Arbeitsplätzen verbessern. Wir sollten uns nicht durch Scheuklappen und Tabus den Zugang zur Lösung der Probleme versperren. Deswegen finde ich auch, daß der Gesetzgeber in allen Bereichen, die nicht tarifvertraglich geregelt sind - wir respektieren die Tarifautonomie - die Regelungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Entgeltfortzahlung im Urlaub

    (Peter Conradi [SPD]: Auch für Beamte!)

    - auch für Beamte; das steht ausdrücklich in unserem Programm, Herr Conradi; ich kann es Ihnen gerne vortragen; ich werbe um Zustimmung -, modifizieren und eine Selbstbeteiligung im Krankheitsfall und eine Anrechnung von Überstunden bei der Entgeltfortzahlung im Urlaub einführen sollte. In allen anderen Ländern ist das auch so geregelt. Ich meine, daß man in den Fällen, in denen man nicht arbeitsfähig ist, nicht genausoviel oder gar mehr bekommen kann wie dann, wenn man erwerbstätig ist. Der Vorschlag, den wir hier machen, nicht etwas Unzumutbares, wie überhaupt alles das, was wir vorschlagen, überhaupt nicht als „Kahlschlag" oder „tiefer Einschnitt" oder „Opfer" zu begreifen ist. Nein, die notwendigen, aber zumutbaren und sozial ausgewogenen und vertretbaren Korrekturen haben ein einziges Ziel: unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherheit und mehr Arbeitsplätze auch für die Zukunft zu sichern. Darum und um nichts anderes geht es, und da sollten wir uns nicht gegenseitig diffamieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen auch neue Beschäftigungsfelder erschließen. Deswegen glaube ich, daß unser Schritt richtig ist. Ich habe aufmerksam zugehört und die Zuversicht geschöpft, daß die Sozialdemokratische Partei ihre Position, die sie über viele Jahre eingenommen hat, korrigiert. Wir sind der Überzeugung, daß wir private Haushalte stärker als Arbeitgeber für reguläre Beschäftigungsverhältnisse steuerlich anerkennen müssen. Das haben Sie über viele Jahre mit dem Totschlagargument „ Dienstmädchenprivileg " verhindert und diffamiert. Jetzt sind Sie dabei, Ihre Position zu korrigieren. Ich begrüße das ausdrücklich und werbe dafür, daß Sie das unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir über die Lebenswirklichkeit von Menschen, Frauen und Männern, reden, dann wissen wir, daß Einstellungen und Lebensplanungen sich verändern, daß heute mehr Menschen als zu Lebzeiten der Generation unserer Eltern und Großeltern ihre Lebensplanung darauf abstellen, daß sie gern erwerbstätig sein wollen und daß sie sich bei der Erledigung häuslicher Arbeit in einem stärkeren Maße als früher auch der Anstellung von Arbeitskräften bedienen wollen. Dieser Leistungsaustausch wird aber nur funktionieren, wenn er außerhalb von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft erfolgt, wenn wir die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, daß dies tatsächlich nicht in die Schattenwirtschaft abgedrängt wird. Deswegen legen wir diesen Vorschlag vor und werben bei Ihnen um Unterstützung.
    Ich habe überhaupt bei vielen Ihrer Vorschläge - soweit ich sie nachvollziehen konnte und soweit Sie sie auch schriftlich übermittelt haben - die Sorge, daß das, was Sie aufs Papier schreiben, nicht der Wirklichkeit im Leben entspricht. Man kann wunderbar darüber diskutieren - die Debatte wird auch in meiner Fraktion geführt; liebe Kolleginnen und Kollegen, warum soll man darüber nicht reden? -, ob die Entwicklung bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auf Dauer ohne jede Veränderung so weitergehen kann. Aber, Herr Kollege Lafontaine, wenn wir diese Beschäftigungsverhältnisse einfach abschaffen, dann - das sage ich Ihnen voraus - wird die Antwort der Realität die sein, daß wir nicht mehr Beschäftigungsverhältnisse bekommen, sondern noch mehr Schwarzarbeit und noch mehr Schattenwirtschaft. Das möchten wir vermeiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es nützt uns nichts, wenn wir auf dem Papier scheinbar gute Programme machen, die in der Wirklichkeit nicht funktionieren. Wir müssen doch sehen, daß es ein entscheidendes Problem ist, daß ein immer größerer Teil von Beschäftigung in die Grauzone von Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit abdriftet. Deswegen ist es die Hauptaufgabe, wenn wir mehr Arbeitsplätze, mehr Wachstum, mehr wirtschaftliche

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Dynamik und damit mehr soziale Sicherheit wollen, daß wir den zu breit gewordenen öffentlichen Korridor - das nennt man Staatsquote bzw. Steuer- und Abgabenquote - etwas enger gestalten. Deswegen sind alle unsere Bemühungen, durch Einsparungen Steuern und Abgaben allmählich senken zu können, nicht Sparaktionen um des Sparens willen, sondern es sind notwendige Beiträge, um mehr Arbeitsplätze zu bekommen. Darum geht es und nicht um einen anderen Zusammenhang.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen sind Ihre Alternativen aus meiner Sicht nicht hinreichend geeignet. Sie sagen, wir sollten Leistungen aus der Sozialversicherung auf die öffentlichen Haushalte umfinanzieren. Dieses Argument haben wir auch in unseren eigenen Reihen hin und her abgewogen. Tun wir doch nicht so, verehrte Kolleginnen und Kollegen, als hätte der eine recht und der andere unrecht, sondern lassen Sie uns doch um die bessere Lösung, um die richtigen Antworten ringen! Die Lage ist ernst genug, und die Probleme sind wichtig genug.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß in der jetzigen Situation unseres Landes, unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft die Staatsquote, die wir ja zwischen 1982 und 1989 - der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen - von 52 auf unter 46 Prozent reduzieren konnten, als Folge von 40 Jahren Teilung und Sozialismus wieder zu hoch geworden ist.
    Wir müssen deswegen zunächst Einsparungen durchsetzen; denn durch Umschichtungen, durch Umfinanzierungen reduziert man die Staatsquote nicht. Die Staatsquote zu reduzieren heißt, Einsparungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen vorzunehmen. Aus diesem Grunde haben wir uns dafür entschieden, zunächst auf der Ausgabenseite zumutbare Einsparungen durchzusetzen und in einem nächsten Schritt schnell, aber auch gründlich vorbereitet durch die beiden Kommissionen unter dem Vorsitz von Finanzminister Theo Waigel und Arbeitsminister Norbert Blüm, darüber zu reden, welche weiteren Schritte zusätzlich gegangen werden können.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Wenn wir uns jetzt dem Zwang zu Einsparungen bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie bei den Sozialversicherungen dadurch entziehen würden, daß wir neue Finanzquellen erschließen, dann würden wir einen Fehler machen, und die Staatsquote würde nicht sinken, sondern weiter steigen. Deshalb sind wir dagegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie sagen, man sollte eine ökologische Steuerreform durchführen. Wir haben darüber schon einige Male diskutiert; man muß es ja auch immer wieder tun. Auch da hat der eine nicht nur recht und der andere nicht nur unrecht. Wenn wir aber über die Frage diskutieren, ob dies unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte jetzt ein richtiger Schritt ist, dann sage ich Ihnen: Angesichts des Standortwettbewerbs um Investitionen und Arbeitsplätze - noch immer sind unsere Hauptkonkurrenten die westeuropäischen Nachbarn, und die anderen EU-Länder haben im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich um 25 Prozent niedrigere Strompreise - wird jeder Schritt, der die Kostensituation des Standortes Deutschland im Vergleich zu unseren Partnern in Europa zusätzlich belastet, den Prozeß der Auslagerung von Arbeitsplätzen verschärfen und ist deswegen in dieser Situation das falsche Rezept.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aus diesem Grunde möchten wir in dieser Situation nichts tun, was die Chancen für mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit weiter verschlechtert. Deshalb konzentrieren wir uns auf diese Dinge.
    Wir haben ja auch hinsichtlich der Durchführung einer Kraftfahrzeugsteuerreform lange miteinander diskutiert, nachgedacht und gerungen, ob es richtig ist, die Kraftfahrzeugsteuer jetzt auf die Mineralölsteuer umzuverlagern, oder ob es nicht der bessere Weg ist, zunächst einmal eine schadstoffemissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuerreform zu verwirklichen.
    Die Umweltpolitiker haben uns ganz überwiegend gesagt, der bessere Weg, schneller zu einer stärkeren Reduktion der Emissionen durch den Kraftfahrzeugverkehr zu kommen, sei unsere Form der schadstoffemissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuerreform. Wir schlagen Ihnen das so vor,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    weil wir uns darauf konzentrieren müssen, wenn wir der Umwelt helfen wollen.
    Das ist im übrigen auch für die wirtschaftliche Dynamik günstig: Wenn wir die Umrüstung der Fahrzeugflotte von nicht schadstoffarmen auf schadstoffärmere Kraftfahrzeuge beschleunigen, bewirkt dies auch einen positiven Impuls für Wachstum und Beschäftigung, für Arbeitsplätze in unserem Land. Auch unter diesem Aspekt scheint uns dies der richtigere Weg zu sein. Deswegen werbe ich schon jetzt um Ihre Zustimmung.
    Wir haben aber auch gesagt: Ab 2003 kann unseres Erachtens bei der Kraftfahrzeugsteuerreform der nächste Schritt getan werden, den wir nur im Einvernehmen mit den Ländern gehen wollen und gehen werden. Wir wollen ja all diese Dinge im Einvernehmen mit den Ländern machen, zumal die Kraftfahrzeugsteuer eine Steuer ist, deren Aufkommen ausschließlich den Bundesländern zukommt.
    Deswegen müssen wir ökologische und ökonomische Argumente und Gesichtspunkte unter Berücksichtigung und nach eingehender Analyse der heute gegebenen Lage, der Notwendigkeiten und Prioritäten richtig miteinander verbinden. Unser Programm, das wir Ihnen vorschlagen und wofür wir um Ihre Zustimmung werben, ist meines Erachtens der bessere Weg, um der Umwelt zu dienen und zugleich die Chancen für mehr Arbeitsplätze, mehr Beschäftigung und mehr wirtschaftlichen Wohlstand in unserem Lande zu erschließen.

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Ich glaube, daß das, was Sie unter dem Schlagwort „ökologische Steuerreform" in die Debatte eingebracht haben, am Ende nur zu einer Verteuerung der Energie und zu weniger Beschäftigung und im Ergebnis auch zu weniger Umweltstandards in Europa führt; denn wenn die Produktion aus Deutschland verlagert wird, dient das ja auch der Umwelt nicht, weil wir die höchsten Umweltstandards in der Produktion haben.

    (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    - Herr Kollege Fischer, mein Wahlkreis endet an der Stadtgrenze von Straßburg. Ich könnte Ihnen jetzt die Presseerklärung des Druckhauses Burda in Offenburg verlesen, mit der begründet wurde, warum der Verlag gezwungen ist, einen Teil seiner Produktion von deutschen Standorten in die Druckerei in Vieux-Thanne im Oberelsaß zu verlagern, weil die Kosten durch die Tarifverträge, die im Bereich der Druckindustrie geschlossen worden sind, in den deutschen Betrieben genau doppelt so hoch sind wie in dem elsässischen Betrieb.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht durch die Energiekosten!)

    - Entschuldigen Sie, ich könnte Ihnen eine Reihe von Betrieben in anderen Bereichen nennen. Wenn Sie mal in der Gegend sind, zeige ich sie Ihnen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir reden gerade von den Energiekosten! Gegenrufe von der CDU/ CSU)

    - Auch wenn er daraus lernt! Ich werbe bei jedem um Einsicht, und man soll die Hoffnung nie aufgeben.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, Papa! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Er frißt nur die Diäten weg!)

    Ich habe die Diskussion um den Produktionsstandort für ein neues Automobil in Lothringen oder in Baden-Württemberg sehr genau miterlebt. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich damals dankenswerterweise zusammen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten um diese Entscheidung bemüht, ohne daß wir in die Entscheidung der Unternehmer eingreifen wollten; das können wir nicht, und das dürfen wir auch nicht. In jener Diskussion hat die Frage der Energiepreise in Baden-Württemberg einerseits und in Elsaß-Lothringen andererseits eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Deswegen: Wer Energiepreise in Deutschland erhöht, muß die Frage beantworten, ob das bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen verantwortbar ist. Ich halte es nicht für verantwortbar.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn wir uns eigentlich einig sind - -

    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Lieber die Umwelt versauen!)

    - Ich habe mir angesichts des Ernstes der Lage und der Bedeutung der Aufgabe, vor der unser Land und unsere Gesellschaft stehen, vorgenommen, nur zur Sache zu argumentieren und nicht immer nur schwarzweiß zu malen, und deswegen werde ich nicht jeden Ihrer Zwischenrufe aufnehmen; dann käme ich ein wenig vom Pfad der Tugend ab.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wenn wir uns einig sind, daß wir, um mehr Arbeitsplätze schaffen zu können, die zu hohe Belastung an Steuern und Abgaben reduzieren müssen, dann sollten Sie, Herr Lafontaine, unsere Vorschläge hier nicht so sachwidrig darstellen. Sie haben am Schluß plötzlich gesagt, daß Sie offenbar zur Kenntnis genommen haben, daß unser Vorschlag eben nicht ist, die private Vermögensteuer ersatzlos abzuschaffen. Ich meine, es ist doch in Ordnung, daß wir in der Diskussion manche Vorschläge gemacht haben; man wird doch noch ein bißchen diskutieren dürfen. Aber da wir gesagt haben, am Donnerstag, dem 25. April, werden wir entscheiden, und schon am Freitag, dem 26. April, möchten wir das gern mit Ihnen im Bundestag debattieren, sollten wir uns doch an das halten, was wir gemeinsam vorgeschlagen haben.
    Unser Vorschlag ist, die Vermögensteuer genauso wie die Gewerbekapitalsteuer auf Betriebsvermögen als Steuern, die im Standortwettbewerb Investitionen behindern, abzuschaffen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und die private Vermögensteuer, die Steuer auf Privatvermögen, mit der Erbschaftsteuer zusammenzufassen. Dann haben wir soziale Ausgewogenheit und zugleich Steuervereinfachung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    - Ja, natürlich!

    (Zuruf von der SPD: Lächerlich!)

    Herr Scharping, Sie haben in dem Zusammenhang das Wort „obszön" gebraucht,

    (Rudolf Scharping [SPD]: Ja, allerdings!)

    und ich habe gesagt, wer so redet, kann nur wenig Argumente haben. Die Sprache ist manchmal verräterisch. Die Art, wie Herr Lafontaine hier aufgetreten ist, war es übrigens auch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Kehren Sie zu einer sachgerechten Debatte zurück!
    Wenn wir die Gewerbekapitalsteuer nicht abschaffen, wenn Sie Ihre Blockade der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht endlich aufgeben, müssen wir zum 1. Januar in den neuen Bundesländern die Einheitsbewertung einführen. Dann bricht

    Dr. Wolfgang Schäuble
    die Steuerverwaltung in den neuen Bundesländern zusammen; sie kann das gar nicht leisten.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch die Wirkung, nicht die Ursache!)

    Die Tatsache, daß in den letzten fünf Jahren annähernd 200 Milliarden DM Direktinvestitionen aus Deutschland ins Ausland geflossen sind, was aus vielen Gründen gut, notwendig und richtig ist - der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung zutreffend beschrieben -, daß dem aber nur knapp 19 Milliarden DM Direktinvestitionen aus dem Ausland in Deutschland gegenüberstehen, beschreibt etwas von dem Prozeß der Abwanderung von Investitionen und Arbeitsplätzen aus Deutschland. Dies können wir nicht hinnehmen. Das müssen wir ändern!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil dies so ist, dürfen wir in Deutschland investiertes Kapital nicht höher besteuern, als es in anderen Ländern der Fall ist. Sonst werden noch mehr Arbeitsplätze abwandern. Deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer, die es sonst nirgendwo in Europa gibt, weg. Deswegen muß nach dem Urteil des Verfassungsgerichts auch die Vermögensteuer auf Betriebsvermögen weg.
    Dann aber macht es keinen Sinn - das werden Ihnen auch Ihre Finanzminister in den Ländern sagen -, die Vermögensteuer auf den privaten Teil der Vermögen aufrechtzuerhalten. Sie führt zu einem Steueraufkommen von etwa 4 Milliarden DM. Die Finanzministerien der Länder sagen uns, daß sie, um diese 4 Milliarden DM zu erheben, Kosten in Höhe von 2 Milliarden DM haben. Das macht doch keinen Sinn. Dann ist es doch vernünftiger, den Betrag, der sich netto an Aufkommen für die Länder tatsächlich ergibt, auf die Erbschaftsteuer zu schlagen und die Vermögensteuer ganz abzuschaffen und damit insgesamt ein einfaches und sozial ausgewogenes System zu schaffen. Das ist unser Vorschlag.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben gestern abend - Herr Scharping schon einige Tage zuvor, und er hat offenbar gestern abend Zustimmung gefunden - gesagt: Der Solidaritätszuschlag muß schnell abgebaut werden.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Was hat er denn im Januar gesagt?)

    - Jeder darf klüger werden. Wir werden manchmal auch klüger bzw. entwickeln uns weiter, Herr Kollege Gerhardt.
    Sie haben nun vorgeschlagen - darauf will ich aufmerksam machen -, statt dessen eine Abgabe in Höhe von 1 Prozent auf alle privaten Geldvermögen zu erheben. Ich habe mir überlegt, wie das funktionieren kann. Da stellt sich nämlich wieder das Problem des Unterschiedes zwischen Papier und Lebenswirklichkeit. Wir haben mit der Vermögensteuer nämlich schon einen Steuersatz auf Privatvermögen in Höhe von 1 Prozent; diese Abgabe gibt es. Das Gesamtaufkommen der Vermögensteuer auf Privatvermögen - für die Erhebung sind die Länder zuständig - liegt derzeit bei knapp 4 Milliarden DM. Dabei handelt es sich aber nicht nur um die Geldvermögen, sondern um alle Privatvermögen zusammen.
    Herr Scharping, die Rechnung, mit einer einprozentigen Abgabe auf Geldvermögen, die es im Prinzip schon gibt, plötzlich ein Aufkommen von 35 Milliarden zu bekommen, ist in der Wirklichkeit - -

    (Zuruf von der CDU/CSU: Brutto!)

    - Nein, das hat nichts mit brutto oder netto zu tun.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist etwas, was in der Lebenswirklichkeit nicht funktionieren kann. Diese Rechnung geht nicht auf. Wissen Sie, was Sie erreichen werden? Sie werden die Kapitalflucht dramatisch verschärfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen möchte ich an Sie appellieren: Cherlegen Sie sich solche Vorschläge gut! Sie funktionieren nicht. Wenn ich sehe, daß es gemäß der gesamtwirtschaftlichen Statistik 3,5 Billionen DM Privatvermögen gibt, kann ich natürlich ausrechnen, daß 1 Prozent davon 35 Milliarden DM sind. Wie soll das aber funktionieren? Wir haben einen Steuersatz auf Privatvermögen von 1 Prozent. Diese Frage hätten Sie sich stellen müssen.

    (Rudolf Scharping [SPD]: Auf die Erträge, verehrter Herr!)

    - Aber Herr Scharping, die Vermögensteuer wird nicht auf die Erträge erhoben, sondern auf den Bestand.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Verehrte Kollegen, es kann sich doch jeder einmal versprechen.
    Die Vermögensteuer wird auf die Vermögen erhoben. Die Steuer auf die privaten Geldvermögen, die Sie mit 1 Prozent erfassen wollen, wird auf den Wert erhoben. Da gibt es keine Einheitsbewertung.

    (Rudolf Scharping [SPD]: Genau das meinte ich! Darauf werde ich gleich zurückkommen!)

    - Verzeihen Sie: Die privaten Geldvermögen werden von der Steuer mit 1 Prozent des Wertes erfaßt. Sehen Sie im Vermögensteuergesetz und im Bewertungsgesetz nach! Die Besteuerung erfolgt so.
    Diese Steuer ergibt heute insgesamt nicht einmal 4 Milliarden DM; und darin sind noch andere Vermögenswerte erfaßt. Deswegen sage ich Ihnen: Ihr Vorschlag funktioniert nicht. Sie sind manchmal, wie auch wir, in der Gefahr, sich in den Konzepten eines Entwurfs zu sehr auf das Papier zu konzentrieren und die Realität aus dem Blick zu verlieren. Das aber hilft unserem Lande nicht. Daher ist Ihr Vorschlag zur Lösung unserer Probleme ungeeignet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen glaube ich, daß das, was wir jetzt in unserem Programm auch steuerlich auf den Weg bringen, der richtige Weg ist. Das, was wir an Vorschlä-

    Dr. Wolfgang Schäuble
    gen machen, um die notwendige Rückführung von Steuern und Abgaben, um die notwendige Verringerung des öffentlichen Korridors zu erreichen, ist wichtig, ist zumutbar, und es verdient in keinem Falle eine Diffamierung, wie Sie sie teilweise in Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben.
    Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben selber gesagt, im Bereich der Sozialhilfe wären Sie bereit, darüber zu reden, daß man sie vielleicht nicht erhöhen muß. Unser Vorschlag basiert darauf, daß wir Preisstabilität haben. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen. Glückwunsch an uns alle, daß wir einen Finanzminister der Stabilität und Solidität wie Theo Waigel haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein Schuldenminister!)

    - Verzeihen Sie, die Bundesbank hat doch nicht die Zinsen gesenkt, weil Herr Lafontaine das gutheißt oder nicht. Vielmehr hat sie die Zinsen senken können, weil die gesamtfinanziellen Verhältnisse in unserem Land dank unserer Finanzpolitik so sind, daß das zur Zeit niedrigste Zinsniveau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland heute stabilitätspolitisch verantwortbar ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist die Einheit von Geld-, Finanz- und übrigens auch Lohnpolitik.

    (Zuruf von der SPD: Sie wollen uns wohl verwaigeln!)

    Ich begrüße ja, Herr Lafontaine, daß Sie heute zur Lohnzurückhaltung aufgefordert haben. Aber ich habe noch im Ohr, daß ich Ihnen in den zurückliegenden Debatten immer wieder erklären mußte, daß Ihre Aufforderung nicht zur Lohnzurückhaltung beiträgt.

    (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saarland]: Das ist konjunkturabhängig!)

    - Nein, die Konjunktur ist ja inzwischen nicht besser geworden als vor einem Jahr. Das Argument kann nicht gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn Sie heute sagen, Lohnzurückhaltung sei aus konjunkturellen Gründen geboten,

    (Zuruf von der SPD: Das heißt aber nicht Nullrunde!)

    während Sie vor einem Dreivierteljahr behaupteten, man dürfe aus konjunkturellen Gründen keine Lohnzurückhaltung üben, dann kann irgend etwas nicht stimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich begrüße, daß Sie zur Lohnzurückhaltung aufgefordert haben. Ich unterstütze dies. Aber wenn wir jetzt glücklicherweise eine größere Stabilität haben, als noch vor einem Jahr angenommen, dann - da stimme ich Ihnen zu, und das ist auch unser Vorschlag - müssen wir die Sozialhilferegelsätze im nächsten Jahr nicht anheben.
    Aber wenn wir die Sozialhilferegelsätze nicht anheben müssen, weil wir Preisstabilität haben, weil wir keine Inflation haben, dann, denke ich, ist es auch richtig, daß wir gemeinsam noch einmal darüber reden - das ist unser Vorschlag -, ob wir die Anhebung des steuerfreien Existenzminimums nicht um ein Jahr verschieben können, genauso wie wir gemeinsam sagen, die Anhebung der Sozialhilfesätze kann um ein Jahr verschoben werden. Das hängt doch miteinander zusammen. Das halte ich nicht für unzumutbar, auch wenn es eine Sache ist, die niemandem von uns leicht fällt.
    In der Familienpolitik, im Werben für mehr Familienleistungsausgleich läßt sich - nehmen Sie es mir nicht übel, verehrte Freunde von der F.D.P. - die CDU/CSU-Fraktion ungern von. irgend jemandem übertreffen.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Das haben wir beim Jahressteuergesetz gemerkt!)

    Ich sage aber ganz ehrlich: Ich glaube, bei einem Konsolidierungsbedarf von 50 Milliarden DM für die öffentlichen Gesamthaushalte und 25 Milliarden DM für den Bundeshaushalt, der doch gar nicht bestritten ist, und bei den Schwierigkeiten, in einem Jahr diesen Konsolidierungsbedarf sozial zumutbar und ausgewogen zu erbringen, ist es doch richtig, daß man, wenn man die Sozialhilfesätze nicht anhebt - dafür werben im übrigen insbesonders die Städte, Gemeinden und Landkreise -, dann das steuerfreie Existenzminimum, das einen Bezug zu den Sozialhilfesätzen hat, ebenfalls nicht anheben sollte. Wenn wir von ausgewogenen Konzeptionen reden, dann, finde ich, ist unser Vorschlag ausgewogener als der Ihre, zu sagen: Die Sozialhilfe wird nicht angehoben, aber die Steuerfreibeträge werden weiter angehoben.
    Steuerfreibeträge und Kindergeld - darauf haben wir uns im letzten Jahr mühsam miteinander verständigt - müssen einander entsprechen. Deswegen ist unser ausgewogener Vorschlag richtig und notwendig. Er ist uns nicht leichtgefallen, und ich will die Probleme auch gar nicht verharmlosen.
    Angesichts dieser Lage sollten im übrigen diejenigen, die für die öffentlichen Verwaltungen Tarifverhandlungen zu führen haben, ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber, Herr Lafontaine, damit das auch klar ist: Sie haben Vorschläge für das, was dort verhandelt werden soll, gemacht. Sie haben das Wort Sockelbetrag in den Mund genommen. Ich rate dringendst - ich bin Innenminister und Verhandlungsführer für Tarifverhandlungen gewesen -, jeden Einfluß der Politik auf Tarifverhandlungen zu unterlassen.

    (Lachen bei der SPD Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausgerechnet! Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Ein Ausbund an Zynismus ist das ! Weitere Zurufe)

    - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie
    mir bitte eine Bemerkung: Wenn Sie die Tonart, in
    der Ihr Parteivorsitzender gesprochen hat, noch in

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Erinnerung haben - ich habe mich sogar bemüht, ihm trotzdem hinreichende Ruhe zu verschaffen - und diese mit der Tonart vergleichen, in der ich - ohne jede Verletzung - darauf antworte, dann werden Sie Unterschiede feststellen. Auch ich könnte Ihnen Unverschämtheiten an den Kopf werfen. Das interessiert aber die Menschen in unserem Lande überhaupt nicht. Sie interessiert, wie wir das Land voranbringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben vielleicht noch nicht die Gelegenheit gehabt, unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung zu lesen. Auch deswegen hat diese Debatte ja ihren Sinn. Auf Seite 13 unseres Programms haben wir unter der Ziffer VI geschrieben:
    Angesichts der extrem angespannten Lage der öffentlichen Haushalte steht für Tariferhöhungen und Besoldungsanpassungen keine Verteilungsmasse zur Verfügung.
    Das ist genau das, was ich sage: Wir vermeiden jeden Ratschlag und jede Aussage dazu, wie das Ergebnis der Tarifverhandlungen aussehen soll; denn das ist Sache der Verhandlungen der Tarifpartner. Das ist unser Verständnis und der Respekt vor der Tarifautonomie. Ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie das genauso, machen Sie keine Vorschläge für die Tarifverhandlungen. Sie bezahlen am Ende nur teuer dafür. Ich habe das selber erlebt. Jemand hat einmal gesagt, mehr als 4 Prozent dürften es nicht sein, und dann war die Meßlatte schon entsprechend angelegt. Das war eine teure Veranstaltung, Herr Parteivorsitzender Gerhardt. Das ist schon ein paar Jahre her, aber ich habe daran noch eine gewisse Erinnerung.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich kann mich auch noch daran erinnern!)

    Herr Lafontaine, Sie sollten diesen Fehler nicht machen.
    Ich glaube, daß es insgesamt um das geht, was wir in unserem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung vorlegen: Abbau von Einstellungshindernissen, Stärkung der kleinen Betriebe und des Mittelstands, Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich und in privaten Haushalten, Deregulierung, Verbesserung der Möglichkeiten des Zugangs für Eigen- und Fremdkapital, aber auch Stabilisierung der Beitragssätze, wobei wir auch die Kraft aufgebracht haben, notwendige Prioritäten zu setzen - wir halten an der Pflegeversicherung für stationäre Behandlung fest, was in einer solchen Situation auch nicht leicht, aber richtig und notwendig ist -, Reduzierung des Krankenversicherungsbeitrags, Stabilisierung des Rentenversicherungsbeitrags unter 20 Prozent, eine begrenzte Beitragsreduzierung bei der Bundesanstalt für Arbeit und darüber hinaus Senkung des Bundeszuschusses zur Bundesanstalt im nächsten Jahr, weil das notwendig und unvermeidbar ist; denn wir müssen die Konsolidierung von 25 Milliarden DM im Bundeshaushalt erreichen, und wir erreichen das auf eine Weise, die insgesamt ausgewogen ist, die niemandem in diesem Lande Unzumutbares zumutet und die die Grundlagen unseres Sozialstaates nicht gefährdet, sondern für die Zukunft sichert. Darum geht es.
    Deswegen werbe ich dafür: Reden Sie nicht das Programm in einer diffamierenden Weise schlecht, sondern ringen Sie mit uns um den besten Weg! Das ist eine Anstrengung, die wir in diesem Lande gemeinsam leisten müssen, Bund, Länder und Gemeinden. Das ist ein Konzept, das auch die finanziellen Interessen, die Haushaltsprobleme von Ländern und Gemeinden, angemessen berücksichtigt. Das ist eine Konzeption, die die Tarifpartner in ihrer Autonomie nicht einschränkt, aber in ihrer Verantwortung voll in Anspruch nimmt. Das müssen wir auch, weil wir das Land sonst nicht voranbringen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, unterstützen wir Ihre Bemühungen auch gegen manche Diffamierung, diesen für die Zukunft notwendigen Dialog zwischen Politik, Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften weiterzuführen.
    Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich war froh, daß der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, am Mittwoch - allem öffentlichen Schlachtengetümmel nach dem Dienstagabend zum Trotz - zusammen mit den Spitzenverbänden von Wirtschaft und Gewerkschaften eine gemeinsame Initiative von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen und zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit vorstellen konnte. Das ist genau der richtige Weg, den wir gehen. Sie haben das Thema angesprochen. Das zeigt, daß wir auch weiter darauf setzen können und setzen werden, alle Kräfte in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zur Bewältigung unserer Zukunftsprobleme in Anspruch zu nehmen.
    Aber das bedeutet auch: Jeder muß in seinem Bereich seine Verantwortung wahrnehmen. Das Bemühen um Konsens darf nicht dazu führen, daß wir am Ende auf Grund des Prinzips des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht mehr zur Lösung von Problemen fähig sind. Vielmehr heißt Konsens: gemeinsame Verantwortung, gemeinsames Ringen um den besseren Weg. Das heißt aber auch: Wahrnehmung von Verantwortung, Entscheidungsfähigkeit.
    Wir dürfen nicht der Versuchung nachgeben, am Ende jeden Besitzstand zu verteidigen. Denn in einer Zeit, in der das Ausmaß und das Tempo von Veränderungen in unserer Gesellschaft wie in der Welt um uns herum größer sind, als es uns lieb ist, müssen wir zur Innovation fähig bleiben. Wir nehmen unseren Teil der Verantwortung wahr. Dem dient unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung. Dazu bitte ich Sie um Ihre Mitwirkung.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)