Rede von
Matthias
Berninger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fange jetzt nicht an, hier aus dem „Prometheus" zu zitieren. Also lassen wir das: Bedecke Deinen Himmel, Zeus.
Für mich ist die Linie, die Herr Glotz in dieser Debatte vorgegeben hat, erstens sehr richtig und zweitens ganz wichtig. Taschenspielertricks eignen sich nicht dazu, Bildungspolitik in diesem Lande zukunftsfähig zu machen. Taschenspielertricks sind das, was wir ungefähr seit einem halben Jahr, seit das Kabinett beschlossen hat, das BAföG verzinsen zu wollen, erleben. Sie haben natürlich völlig recht, Herr Kollege Rüttgers: Wir haben ein Finanzproblem; wir haben vergleichsweise wenig Geld. Die Frage ist aber, ob diese Regierung und auch die Opposition in dieser Finanzkrise so weitermachen können, wie sie bisher agiert haben. Es scheint Ihnen völlig egal zu sein, wofür Sie Geld ausgeben und wo Sie Geld einsparen. Es scheint Ihnen jede Mark gleich zu sein. Ich halte das für einen absolut fatalen Fehler. Kein Unternehmen, kein vernünftig denkender Mensch würden so agieren. Die Frage ist, wo man investiert und wo man einspart.
Die Bundesregierung traut sich beispielsweise nicht, den Rentnerinnen und Rentnern zu sagen, daß das Problem der Rentenkasse nicht nur ein gegenwärtiges, sondern auch ein zukünftiges ist. Sie traut sich nicht, massiv in die Jugend zu investieren. Statt
Matthias Berninger
dessen akzeptiert sie es, daß beispielsweise junge Familien nach wie vor ganz massiv von Sozialhilfe leben müssen. Sie plant sogar, das, was sie im Rahmen des Familienlastenausgleichs bereits zugesagt hatte, eventuell doch nicht zu machen, weil man beim Kindergeld wunderbar viel Geld sparen kann. Diese politische Haltung ist in der bildungspolitischen Landschaft Gift für unser Land.
Wir brauchen eine bildungspolitische Debatte. Das ist das einzige Verdienst, lieber Kollege Rüttgers, das Sie sich letzten Endes an den Hut stecken können. Wir brauchen diese bildungspolitische Debatte. Sie haben sie bekommen.
Nirgends haben Sie Zustimmung für Ihren Vorschlag bekommen. Das liegt nicht etwa daran, daß andere keinen Mut haben, Einschnitte hinzunehmen; nein, es liegt daran, daß Sie auf Kosten derer, die BAföG empfangen, das Spielgeld für Ihre dürftigen hochschulpolitischen Vorstellungen zusammenbekommen wollen. Das machen nicht nur die Sozialdemokraten nicht mit, das macht nicht nur meine Fraktion von den Bündnisgrünen nicht mit, sondern das machen selbst die Bayern im Bundesrat nicht mit.
Das letzte Mal, als jemand eine solche bildungspolitische Bruchlandung im Bundesrat erleiden mußte - das war der Kollege Möllemann -, gab es für das vorgeschlagene Hochschulrahmengesetz wenigstens noch eine Stimme, nämlich die von den Bayern. Diesmal, Herr Kollege Rüttgers, gibt es eine 16:0- Niederlage. Eine solche Schlappe im Bundesrat sollte Ihnen, Herr Rüttgers, zu denken geben und sollte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, endlich die Augen öffnen und klarmachen, daß Sie mit diesem Vorschlag, das BAföG zu verzinsen, wodurch Sie für die BAföG-Empfänger schlechtere Bedingungen schaffen, um allen ein paar kleine Programmchen im Hochschulbereich zukommen zu lassen, wirklich auf dem Holzweg sind.
Es gibt noch ein anderes BAföG, nämlich das BAföG für Reiche: die Möglichkeit, die Ausbildung von Kindern steuerlich abzusetzen. Nein, lieber Herr Kollege Rüttgers, das tasten Sie natürlich nicht an. Sie machen im Grunde keinen Reformvorschlag, sondern versuchen mal eben über die Verzinsung ein bißchen Geld zu verdienen.
Ich finde, ein Bildungsminister muß sich, wenn er das ernst meint und keine Krokodilstränen weint wie Sie, Herr Rüttgers, wirklich Gedanken über Reformvorschläge machen. Das ist aber alles andere als ein Reformvorschlag; das ist soziale Kälte, und das ist eine Umverteilung von unten nach oben.
Ich glaube, daß sich die Bildungspolitiker und auch die in der Bildung tätigen Menschen in diesem Land sehr viel Gedanken über Alternativvorschläge gemacht haben. Einig dürften wir uns darüber sein, daß dieses Dickicht von verschiedenen staatlichen Transfers in Richtung Ausbildung, in Richtung Lebensunterhalt von Studierenden, daß dieses Dikkicht, von dem alle wissen, daß es an vielen Stellen sehr ungerecht ist, dringend der Überprüfung bedarf. Ich hätte gern von Herrn Rüttgers gehört, daß er das vorhat. Das will er aber natürlich nicht; denn er möchte seinen Vorschlag - wie ein Taschenspieler das nun mal will - in irgendeiner Form durchbringen.
Meine Damen und Herren, wir haben einen Vorschlag gemacht, wie wir ein Grundproblem an den deutschen Hochschulen lösen wollen. Ich behaupte - so lange bin ich da noch nicht weg -, das Hauptproblem besteht darin, daß die meisten Studierenden überhaupt nicht mehr in der Lage sind, Vollzeitstudierende zu sein und sich auf ihr Studium zu konzentrieren, sondern letzten Endes viel mehr Zeit damit verbringen müssen, Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich glaube, daß das ein zentrales Problem ist, das eine Ursache dafür ist, daß so viele Menschen studieren und daß so viele Menschen so lange studieren.
Wenn es ein Problem ist, daß so lange studiert wird - was wir alle glauben -, muß man sich Gedanken darüber machen, wie man dieses Problem bewältigen kann.
Ein weiteres aus meiner Sicht großes Problem an den deutschen Hochschulen ist die Auslastung. Wir leisten es uns, die Hochschulen mehrere Monate lang leerstehen zu lassen. Wenn man weiß, daß man nicht genug Geld für den Hochschulbau hat, dann muß man sich doch überlegen: Wie kann man eine Hochschule besser auslasten?
Auch darüber sollte man diskutieren. Da kommt natürlich die Debatte über Trimester auf.
Aber wie soll man Trimester ermöglichen, wenn klar ist, daß die Studierenden in diesem Land die meiste Zeit damit verbringen müssen, das Geld für ihren Lebensunterhalt durch irgendeinen Job zu beschaffen? Deswegen haben wir einen Vorschlag gemacht, der in vielen Punkten sicherlich umstritten sein dürfte, der - so glaube ich - aber der Schlüssel für eine Hochschulreform sein kann.
Wir sagen erstens: Es ist völlig egal, wie die elterliche Herkunft von Studierenden ist. Wir wollen jedem Studierenden ermöglichen, im Monat 1 050 DM aus einem Fonds, den wir Bundesausbildungsförderungsfonds nennen, zu erhalten.
Zweitens. Wir wollen von den Studierenden im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangen, am Ende ihres Studiums Beiträge in diesen Fonds zurückzufinanzieren. Wir wollen einen neuen Generationenvertrag im Bereich der Bildungspolitik. Wir wollen, daß Schluß damit ist, daß immer gesagt wird, man spare für die kommenden Genera-
Matthias Berninger
tionen; wobei man aber letzten Endes bleibt, ist Sparen bei den kommenden Generationen.
Wenn wir nicht in die Bildung investieren, meine Damen und Herren, werden wir, statt Spielräume in der Zukunft zu schaffen - das wollen wir ja alle, gerade die Kollegen von der F.D.P. sind immer der Meinung, daß das unser Hauptziel ist -, die Finanzspielräume in Zukunft gefährden, aber auch die Möglichkeit, in Zukunft überhaupt irgend etwas auf die Reihe zu bekommen.
Wir wollen durch diesen Fonds ermöglichen, daß sich Studierende auf die Hochschulen konzentrieren, daß sie sich den ganzen Tag an den Hochschulen aufhalten können und daß die Hochschulen optimal ausgelastet sind. Ich sage Ihnen, das hat viele Effekte. Ich nenne ein paar Beispiele.
Studierende jobben neben ihrem Studium. Wenn man das zusammenrechnet, werden etwa 400 000 Jobs von Studierenden in Anspruch genommen. Ich gehe davon aus, daß nicht alle aufhören zu jobben und daß nicht jeder Job ersetzt werden kann. Ich wage dennoch die Behauptung, daß durch unseren Vorschlag 100 000 Jobs für Leute, die arbeitslos sind, frei werden.
Des weiteren wage ich die Behauptung, daß durch unseren Vorschlag endlich eine Debatte an den Hochschulen in Gang kommt, die sich nicht mehr nur mit Mängelverwaltung beschäftigt, sondern die vielmehr Kreativität für neue Vorschläge freisetzt. Wir werden natürlich in die Finanzierung dieses Vorschlages heute investieren müssen. So war das beim alten Bismarck ja auch: Wenn man einen Generationenvertrag in Gang bringt, muß man zunächst einmal investieren. Wir werden aber durch diesen Vorschlag langfristig sparen.
Ich glaube, daß die Linie der Bundesregierung, diesen Haushalt nur durch Sozialabbau sanieren zu wollen, völlig falsch ist. Ein Unternehmen investiert, wenn es irgend etwas erreichen will, und erhofft sich ein return on investment. Genau das verlange ich im Bereich der Haushaltspolitik auch.
Deswegen glaube ich, daß unser Vorschlag, der am Anfang vielleicht Geld kostet, so viele positive Effekte haben wird, daß er in Zukunft tragfähig ist, und daß es ein sehr nachhaltiger Vorschlag ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. - das gilt auch für viele Unionskollegen -, zum Abschluß: Wenn man durch das Land fährt, findet man es relativ selten, daß sie sich überhaupt zu solchen Diskussionen trauen, weil bei dem Vorschlag des Herrn Bildungsministers alle unter den Tisch gucken und wissen, daß dieser Vorschlag im Grunde eine Unverschämtheit ist.
Herr Möllemann hat gesagt, er ist gegen diesen Vorschlag. Herr Laermann hat sich so geäußert. Ich habe es auch von Ihnen gehört, Herr Guttmacher. Warum, meine Damen und Herren, muß dieser Vorschlag das Parlament passieren, wenn alle Länder dagegen sind, wenn alle relevanten Gruppen im
Hochschulbereich dagegen sind und wenn auch die
guten Argumente der Opposition dagegen sprechen?
Überdenken Sie Ihre Position, meine Damen und Herren; denn - das weiß auch Herr Rüttgers - sein Vorschlag wird sich langfristig überhaupt nicht rechnen. Ich muß mir, weil er vorhin von Rechnen geredet hat, nur die Zahlen in seinem Haus ansehen, die er selber bereitgestellt hat. Langfristig kostet Ihr Vorschlag mehr Geld, das heißt, er wird den Haushalt langfristig nicht entlasten.
Sparen Sie nicht auf Kosten der Ärmsten, sondern haben Sie endlich den Mut, eine vernünftige Hochschulpolitik zu machen. Haben Sie den Mut, einen Grundstein in die Hochschulreform zu legen. Wir sind natürlich gern bereit, uns bei einer solchen Diskussion sehr konstruktiv zu beteiligen.
Vielen Dank.