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    Plenarprotokoll 13/96 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 96. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. März 1996 Inhalt: Zur Geschäftsordnung 8539 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS 8539 A Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8539 D Joachim Hörster CDU/CSU 8539 D Dr. Peter Struck SPD 8540 B Jörg van Essen F.D.P. 8540 C Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Verfassungsgebotene Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Brandenburg (Drucksache 13/4073) 8540 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Christa Nickels, Volker Beck (Köln), Gerald Häfner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Reformprojekt ,,Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" an Brandenburger Schulen als Beitrag zur Vermittlung von Wertorientierung (Drucksache 13/4090) . 8541 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 8541 A, 8549 D, 8550 C Dr. Hans Otto Bräutigam, Minister (Brandenburg) 8545 A, 8549 B, 8565 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8547 C Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 8548 A Jürgen Türk F.D.P. 8549 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8549 C Rudolf Scharping SPD 8550 B Jörg Tauss SPD 8551 A Dr. Gregor Gysi PDS 8551 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8551 C Dr. Rainer Ortleb F.D.P. 8553 D, 8556 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8556 A Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8557 B Maritta Böttcher PDS 8557 D Rainer Eppelmann CDU/CSU . . 8558 D, 8561 D, 8562 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8561 A Peter Conradi SPD 8562 B Markus Meckel SPD 8562 D, 8565 C Dr. Burkhard Hirsch F D P. 8565 A Namentliche Abstimmung 8565 D Ergebnis 8569 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Fraktion der SPD: Forderungen an die Konferenz zur Überprüfung des Maastricht-Vertrages zur Schaffung eines europäischen Beschäftigungspaktes und einer europäischen Sozialunion (Drucksache 13/ 4002) 8566 B b) Große Anfrage des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorbereitung der Regierungskonferenz '96 („Maastricht II") (Drucksachen 13/ 1471, 13/3198) 8566 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Manfred Müller (Berlin), Hanns-Peter Hartmann, Dr. Willibald Jacob und der Gruppe der PDS: Eine gemeinsame Beschäftigungs- und Sozialpolitik für die Europäische Union (Drucksache 13/4072) 8566 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Regierungskonferenz '96 als Wegbereiterin für eine soziale und ökologische Reform der Europäischen Union (Drucksache 13/4074) 8566 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . 8566 D, 8577 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8571 D Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8573 C Dr. Helmut Haussmann F.D.P. 8575 C Manfred Müller (Berlin) PDS 8577 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 8580 D Ottmar Schreiner SPD 8581 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 8583 A Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 8584 B Petra Bläss PDS 8585 B Leyla Onur SPD 8585 C Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . 8586 D Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 8587 B Dr. Norbert Wieczorek SPD 8588 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 8589 A Peter Dreßen SPD 8590 C Norbert Schindler CDU/CSU 8591 A Dr. Gerd Müller CDU/CSU 8592 B Leyla Onur SPD 8593 A Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Pflegefachkräfte) (Drucksache 13/3696) 8593 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Pflege-Versicherungsgesetzes (Drucksachen 13/99, 13/1845, 13/4091) 8593 C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . 8593 D Gerd Andres SPD 8595 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8597 A Dr. Gisela Babel F.D.P 8598 C Petra Bläss PDS 8600 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU 8601 B Ulrike Mascher SPD 8602 B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 8604 B Namentliche Abstimmung 8606 C Ergebnis 8607 A Tagesordnungspunkt 11: Große Anfrage der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeordneten der PDS: Kriege und bewaffnete Konflikte in Europa und in der Welt (Drucksachen 13/636, 13/2982) 8606 D Nächste Sitzung 8609 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8611* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Verfassungsgebotene Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Brandenburg (Tagesordnungspunkt 8) Robert Antretter SPD 8611* C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 8611* D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Große Anfrage: Kriege und bewaffnete Konflikte in Europa und in der Welt) Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . 8611* D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8613' B Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 8614* A Steffen Tippach PDS 8614* D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 8616* C Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8617* C 96. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. März 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Belle, Meinrad CDU/CSU 15.3. 96 Bierstedt, Wolfgang PDS 15.3. 96 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 15.3. 96 Hartmut Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 15.3. 96 Eylmann, Horst CDU/CSU 15.3. 96 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 15.3. 96 90/DIE GRÜNEN Friedrich, Horst F.D.P. 15.3. 96 Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 15.3. 96 Graf (Friesoythe), Günter SPD 15.3. 96 Hanewinckel, Christel SPD 15. 3. 96 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 15.3. 96 Hiksch, Uwe SPD 15.3. 96 Ilte, Wolfgang SPD 15. 3. 96 Irber, Brunhilde SPD 15.3. 96 Kohn, Roland F.D.P. 15.3. 96 Dr. Küster, Uwe SPD 15.3. 96 Kutzmutz, Rolf PDS 15.3. 96 Lamers, Karl CDU/CSU 15.3. 96 Lange, Brigitte SPD 15.3. 96 Lederer, Andrea PDS 15.3. 96 Lehn, Waltraud SPD 15.3. 96 Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 15. 3. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Luft, Christa PDS 15.3. 96 Mante, Winfried SPD 15.3. 96 Dr. Pfaff, Martin SPD 15. 3. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 15.3. 96 Hermann Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 15.3. 96 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), Brigitte SPD 15.3. 96 Schulz (Berlin), Werner BÜNDNIS 15.3. 96 90/DIE GRÜNEN Schwanitz, Roll SPD 15.3. 96 Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 15.3. 96 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 15.3. 96 Sigrid Stiegler, Ludwig SPD 15.3. 96 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 15.3. 96 Thierse, Wolfgang SPD 15.3. 96 Thieser, Dietmar SPD 15.3. 96 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 15. 3. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 15.3. 96 Karsten D. Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 15.3. 96 Margareta 90/DIE GRÜNEN Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Verfassungsgebotene Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Brandenburg (Tagesordnungspunkt 8) Robert Antretter (SPD): Ich hege an der von der Landesregierung Brandenburg geplanten Schulgesetzgebung verfassungsrechtliche Zweifel. Doch dem Antrag der CDU/CSU und F.D.P. gebe ich aus folgenden Gründen meine Zustimmung nicht: 1. Inhalt und Sprache seitens der Koalitionsfraktionen in der heutigen Debatte ließen auf peinliche Weise erkennen, daß es der Regierungskoalition an einem denkbar ungeeigneten Thema um Wahlkampf und nicht um die Sache geht. 2. Der Antrag stellt eine unzulässige Einmischung eines Bundesorgans in die Zuständigkeit eines Landesorgans dar. Nach Verabschiedung des Landesschulgesetzes für Brandenburg werde ich die Entscheidung treffen bzw. mittragen, die Bundestagsabgeordneten zu Gebote stehen, wenn meine Zweifel an der fehlenden Verfassungsmäßigkeit nicht ausgeräumt sind. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Der von den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. dem Plenum vorgelegte Antrag zum Religionsunterricht im Bundesland Brandenburg ist eine dem Bundestag nicht zustehende Einmischung des Bundestages in die ureigenste Entscheidungskompetenz der Länder. Als überzeugter Vertreter der demokratischen Grundordnung unseres Landes bin ich nicht bereit, mich an der Beschädigung der in unserem Grundgesetz eindeutig formulierten förderalistischen Struktur des Staates zu beteiligen. Als überzeugter Christ lehne ich den Antrag der Koalitionsfraktionen als Verstoß gegen das 8. Gebot ab, weil er aus durchsichtigen Wahlkampfgründen nur dazu dienen soll, falsch Zeugnis wider den Nächsten abzulegen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden, die bis Redaktionsschluß vorlagen, zu Tagesordnungspunkt 11 (Große Anfrage: Kriege und bewaffnete Konflikte in Europa und in der Welt) Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): „Was kümmert's uns, wenn weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen! ,,Solches Denken, das Goethe sagen läßt, ist im globalen Dorf Erde, in dem wir leben, noch fragwürdiger als es in den vergangenen Jahrhunderten gewesen sein mag. Dennoch lohnt es sich, den Satz auf die zugrundeliegende Denkhaltung zu untersuchen. Neben der erkennbaren Beschränktheit des Interesses auf den Bereich vor der eigenen Haustür, ist sie aber auch aus der Erkenntnis geboren, daß die Mittel beschränkt sind, von außen Kriege zu verhindern und Konflikte zu befrieden. Die Beschränktheit des Interesses ist in keiner Weise mehr Stand der Erkenntnis. Nicht nur das allgemeine humanitäre Interesse an Frieden und Wohlergehen für alle Menschen führte solches Denken ad absurdum. Heute wissen wir auch, daß wir potentiell in nahezu jeden Konflikt auf dieser Erde verwickelt werden können oder die Auswirkungen des Konflikts zu spüren bekommen. Flüchtlingsbewegungen, Störungen der Ökonomie und der Ökologie - ich erinnere hier nur an die grandiosen Umweltverschmutzungen durch brennende Ölfelder und künstlich erzeugte Ölseen des Kriegstreibers Saddam Hussein vor gerade fünf Jahren - erhebliche notwendige Finanztransfers, um nicht die Gefahren terroristischer Aktivitäten zu vergessen, gebieten uns, uns besser mit nahezu jedem Konflikt in der Welt zu befassen als ihn treiben zu lassen. Daraus resultiert die Bereitschaft zum Handeln auf internationaler und multilateraler Ebene. Darauf beziehen sich die Vorschläge der Agenda für den Frieden des VN-Generalsekretärs, darauf beziehen sich auch die OSZE, die WEU in ihrer Petersberger Erklärung, und auch die NATO. Gleichzeitig müssen wir erkennen, daß die Beschränktheit der Mittel - im Gegensatz zur Beschränktheit des Interesses - nach wie vor eine Tatsache ist. Die internationale Medienszene - das Paradebeispiel hierfür ist CNN - führt dazu, daß Konflikte unmittelbar ins Wohnzimmer jedes einzelnen Bürgers jedes Landes übertragen werden, fast so wie ein Fußballspiel, gaukelt vor, daß die Weltgemeinschaft ohne weiteres in der Lage wäre, diesen oder jenen Konflikt sofort zu befrieden. Der Bürger schwankt dann zwischen dem Ruf „Da muß man etwas tun!" und der Forderung, andere sollten das lösen. Allerdings trägt diese Medienöffentlichkeit auch dazu bei, daß es sich mancher Aggressor überlegt, vor diesen laufenden Kameras loszuschlagen. Eine weitverbreitete Geisteshaltung, lassen Sie mich sie so nennen, die „Schule der Krisenromantiker", glaubt, daß jeder Konflikt bei rechtzeitiger Prävention und internationaler Aktion vermeidbar ist. Die Anfrage der PDS atmet genau diesen Geist. Ich will den theoretischen Ansatz dieser Überlegung hier außer acht lassen. Jedenfalls hält dieser Ansatz der Realitätsprüfung nicht stand. Wer theoretisch wissen will, warum dies nicht klappt, dem empfehle ich die Lektüre von Kants „Schrift zum ewigen Frieden". Die Weltregierung existiert nicht. Natürlich ist es richtig und notwendig, durch ausgedehnte Krisenprävention und Konfliktverhütung möglichst wenig an „heißen" Auseinandersetzungen entstehen zu lassen. Dennoch ist auch hier im Bereich der nicht-militärischen Intervention, im Bereich der präventiven Intervention das Register der zur Verfügung stehenden Mittel beschränkt: Wirtschaftsförderung, Konsultation, Krisenmanagement im Sinne eines „trouble shooters" - Herr Präsident, ich bitte Sie, mir die Verwendung dieses amerikanischen Terminus zu gestatten; er ist in die deutsche Sprache schwer zu übersetzen, und wie wir an Richard Holbrook kürzlich feststellen konnten, leider auch in der europäischen Außenpolitik realiter noch nicht vorhanden. Ich halte fest: Konfliktverhütung und Krisenprävention sind dringend notwendig. Es ist dummes Geschwätz der Kommunisten, daß Bundesregierung oder Europa hier zu wenig tun würden. Die Bundesregierung nutzt ihre Mittel aus und ist gerade im Hinblick auf die notwendigen Verbesserungen insbesondere der europäischen Handlungsmöglichkeiten mit einem guten Konzept ausgerüstet, um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union zu verbessern. Es gehören hierzu die gemeinsame Planungs- und Analysekapazität, schnellere Abstimmungs- und Entscheidungsverfahren einschließlich des Prinzips der Mehrheitsentscheidung bei außenpolitischen Sachverhalten und eine mittelfristige Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union, um den Wirrwarr der Zuständigkeiten und der Personen zu stoppen. Das große Mißverständnis der „Krisenromantiker" oder - wie man im Blick auf die Kommunisten besser sagen sollte - „Krisenideologen" ist allerdings die Vorstellung, daß auf die militärische Intervention, auf den unmittelbaren Zwang verzichtet werden kann. Aber der Kommunismus hatte auch den Frieden zu einer Friedensideologie erhöht, um dann um so brutaler diese Ideologie zu mißbrauchen. Ganz im Gegenteil müssen die Konflikte, die mangels Willen und mangels geeigneter Mittel nicht frühzeitig entschärft werden können, dann mit dem sehr viel teureren und gefährlicheren Mittel militärischer Intervention gelöst werden. Im Jahr 1996, zu einem Zeitpunkt, zu dem die NATO und andere versuchen, den Konflikt in Bosnien mit Soldaten zu befrieden, brauche ich hier nicht weiter ausholen. Ich kann es nicht verstehen, wenn in der Anfrage der PDS wieder der alte Sermon von der Militarisierung der deutschen Außenpolitik heruntergebetet wird, so wie jahrzehntelang auf Parteitagen der kommunistischen Parteien der SED in unerträglicher Formelhaftigkeit unerträgliche Agitprop heruntergeredet worden war. Dieses Gerede von der Militarisierung der deutschen Außenpolitik ist jedenfalls dummes Geschwätz. Die Zurückhaltung der Bundesregierung und auch die Zurückhaltung der Europäer und unserer Bündnispartner insgesamt im Einsatz militärischer Mittel ist ein Zeichen, daß wir im Gegenteil wissen, daß militärische Interventionen die Ultima ratio der Konfliktbeendigung sind. Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik ist ebenso wie die Außenpolitik auf Konfliktverhütung, Einflußnahme zur Sicherung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß Rechtssicherheit, Tendenz zu einer marktwirtschaftli- chen und sozialen Wirtschaftsordnung und Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns geprägt. Die Bundesrepublik Deutschland war zu jedem Zeitpunkt ihres Bestehens auch bedacht, der Herrschaft des Rechts zum Durchbruch zu verhelfen. Es besteht überhaupt kein Grund, hiervon abzuweichen. Nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts sind allerdings neue Herausforderungen an die Weltgemeinschaft herangetreten. Da wird es nicht möglich sein, daß sich Deutschland als größtes Land in der Europäischen Union von allen Händeln fernhält. Das Grundmißverständnis der Kommunisten ist, daß der Zweck zwar einerseits nicht die Mittel heiligt, andererseits aber einen völkerrechtlich abgesicherten Einsatz im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung oder der Friedensschaffung durchaus zuläßt, ja, solch eine Intervention im Sinne der Humanität zwingend notwendig werden kann. Als vor drei Jahren bei der Eröffnung des Holocaust-Museums in Washington Eli Wiesel den amerikanischen Präsidenten Clinton aufforderte, in Bosnien zu intervenieren, tat er dies mit dem Hinweis auf die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit. Auch wir dürfen nicht in die Geschichte flüchten zu einem blanken „Ohne-mich", sondern müssen Verantwortung vor der Geschichte zeigen durch die Bereitschaft, sich an Missionen des Rechts und der Gerechtigkeit zu beteiligen, wenn es unabdingbar ist. Und darüber hinaus werden wir nach wie vor im Rahmen der Konfliktverhütung den großen Beitrag weiter leisten, der bisher von Deutschland erbracht worden ist. Kein Land übertrifft uns in der Sensibilität gegen Schüren von Konflikten. Die Politik der Bundesregierung fügt sich gut ein in die gewachsene Verantwortung und in das Verständnis von Friedfertigkeit, das auf der Welt herrschen sollte. Angelika Baer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat nicht zum Ende von Kriegen geführt. Im Gegenteil, die Zahl der Kriege hat zugenommen. Die neuen Kriege sind vor allem innergesellschaftliche Kriege, in denen Kleinwaffen, unter anderem auch Landminen, zum Einsatz kommen. Die Folgen sind für die Menschen und für die Gesellschaften verheerend. Als eines der reichsten Länder der Erde, das seit Jahren zu den größten Waffenexporteuren gehört, steht die Bundesrepublik Deutschland in einer besonderen Verantwortung für eine globale friedliche Entwicklung. Als Land, das in diesem Jahrhundert die Welt zweimal mit Kriegen überzogen hat, ist sie besonders zur Entwicklung von zivilen Konfliktlösungsstrategien verpflichtet. Die Bundesregierung spricht gern von „stiller Diplomatie", die in der Realität nichts anderes ist als die Augen vor den Auswirkungen einer fehlgeleiteten Außenpolitik zu verschließen. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage gleicht einem Offenbarungseid. Die Politik der präventiven Krisenfrüherkennung findet in der Praxis nicht statt, sondern es geht ihr in erster Linie um die „Stabilität" der Bundesrepublik. Solange der Rubel rollt und die Wirtschaft floriert, wurden und werden Rüstungsgüter in Krisenregionen sowie an undemokratische Regime geliefert, für die das Wort Menschenrechte allenfalls auf dem Papier existiert. Die in dieser Drucksache dokumentierte Politik der Wahrung der eigenen Interessen wird besonders an den Krisen- und Kriegsbeispielen wie Ruanda, Nigeria, Somalia, Sudan, Indonesien, Ex-Jugoslawien, dem Irak und der Türkei deutlich. In all diese Länder hat man Rüstungsgüter geliefert und diese Kooperation erst beendet, wenn es zu offenen Kriegshandlungen gekommen ist und/oder die UN Rüstungsembargos beschlossen haben. Und selbst von der internationalen Gemeinschaft beschlossene Embargos wurden - entgegen den Beteuerungen der Regierung - teilweise versucht zu unterlaufen. Ich erinnere nur an den U-Boot-Blaupausen-Deal mit Südafrika vor einigen Jahren. Die Auswirkungen dieser Politik lassen sich exemplarisch an den Beispielen Irak und Türkei aufzeigen: Obwohl international seit Jahren bekannt war, daß das Regime Saddam Husseins über Leichen geht, wurden Rüstungsgüter an den Irak geliefert. Nur mit der Unterstützung deutscher Firmen war Saddam in der Lage, das Giftgas zu produzieren, mit dem er das kurdische Halabjah angriff. Morgen jährt sich der Tag, an dem über 5 000 Kurdinnen grausam ermordet wurden, zum achten Mal (16. März 1988). Aber erst als es buchstäblich knallte, weil Kuwait von irakischen Truppen besetzt wurde, beendete man die Aufrüstung Iraks. Dann die zweite Phase: Massenflucht der Kurdinnen. Ein Zeitpunkt, zu dem die humanitäre Hilfe einsetzt, derer sich die Bundesregierung so besonders rühmt. Real aber ist diese humanitäre Hilfe oft nur der Feuerlöscher für Konflikte, die man selbst mit verursacht hat. Dieses Paradox hält die Innenpolitiker allerdings nicht davon ab, die deutschen Grenzen immer weiter abzuschotten und Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsregionen wieder abzuschieben. Diese Politik ist nicht präventiv, sondern menschenverachtend und kriegsfördernd. Dieser nicht endende Kreislauf der falschen Schritte führt zu der Konsequenz, daß aktuell die Bundeswehr umgerüstet wird und Krisenreaktionskräfte sich zukünftig an der militärischen Eindämmung von Krisen und Konflikten beteiligen. Ich komme zur Türkei: Da liefert die Bundesregierung, die für sich in Anspruch nimmt, eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik zu betreiben, alte Waffen, die aufgrund des KSE-Vertrages abgerüstet werden sollten, an eine Diktatur, in der Folter zum Alltag gehört. Diese Waffen werden gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt, in einem Krieg, in dem ganze Dörfer vernichtet und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben wurden. Und dann wird mit Unschuldsmiene und scheinjuristischer Wortklauberei abgestritten, daß die Waffen aus deutschen Lieferungen stammen. Diese Politik erfordert klare Alternativen. Ein generelles Rüstungsexportverbot schützt nicht nur vor der Anheizung bestehender Konflikte, sondern spart auch bei uns Millionen, die für eine zivile Außenpoli- tik sowie für Konversionsprogramme und neue Arbeitsplätze benötigt werden. Der Verteidigungshaushalt muß drastisch nach unten gefahren, die finanzielle Unterstützung für die Vereinten Nationen und die OSZE erhöht werden. Eine Wende in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik wäre auch die Rote Karte für die Politik von Verteidigungsminister Volker Rühe. Er könnte sich dann nicht mehr der Verstetigung des Verteidigungshaushalts auf knapp 50 Milliarden DM rühmen. Die OSZE würde nicht weiter an den Rand gedrückt, um der NATO-Osterweiterung und damit einer sicherheitspolitischen Spaltung Europas das Wort zu reden. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Die Bundesregierung hat ein beeindruckendes Dokument über die von ihr in den letzten Jahrzehnten durchgeführte Friedens- und Sicherheitspolitik vorgelegt. Man kann sich im Detail über die verschiedenen humanitären Maßnahmen unseres Landes in anderen Teilen der Welt informieren. Der PDS kann man eigentlich nur dafür danken, daß sie diese wirklich außergewöhnliche Zusammenstellung der deutschen weltpolitischen Bemühungen angestoßen hat. Aus der Antwort auf die Anfrage der PDS wird die gesamte Spannbreite der erfolgreichen deutschen Außen- und Friedenspolitik sichtbar. Interessant ist allerdings, nach welchen Ländern die PDS nicht gefragt hat. Ist es Zufall, daß Länder, in denen die PDS-Vorgängerpartei, die SED, massive Militärhilfe geleistet hat, wie z. B. Äthiopien und Mosambik, in dem PDS-Fragenkatalog nicht auftauchen? Wie immer man dieses bewerten mag, die Bundesregierung hat ihre weltweiten Aktivitäten zur friedlichen und sozialen Einflußnahme auf politische Ereignisse dargestellt. Die Bundesregierung kann mit beeindruckenden Zahlen deutscher Hilfsbereitschaft und humanitärer Aktivität offenlegen, daß der Hauptgrund für die Konflikte in der Welt im Sozialbereich liegt. Besonders hervorzuheben sind die vielfältigen Leistungen, um nur ein Beispiel zu nennen, die der friedlichen Entwicklung und dem Ausgleich in Ex-Jugoslawien zugewiesen wurden. Hier verweist die Regierung auch auf ihren Bericht über deutsche humanitäre Hilfe im Ausland, der der interessierten Öffentlichkeit weitere Hinweise auf die humanitären und sozialen Aktivitäten Deutschlands bietet. Ich begrüße besonders, daß der Bericht offenlegt, was seit Jahren ein Bestandteil liberaler Außenpolitik geworden ist: die immer enger werdende gute Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Organisationen. Die Bundesregierung kann mit Recht auf eine Vielzahl von Hilfsmaßnahmen der deutschen Streitkräfte verweisen, wie Kurdenhilfe, Hungerhilfe Mombasa, humanitäre Hilfe Bosnien, Unterstützung des UN-Einsatzes in Georgien, Hilfsoperationen zur Rettung ruandischer Flüchtlinge und viele andere mehr. Die aktuellen Ereignisse in Jugoslawien haben uns auch verdeutlicht, daß die Bedeutung der militärischen Abschreckung gestiegen ist, daß sie wieder ein fester Bestandteil von auf Frieden und Ausgleich gerichteter Außen- und Sicherheitspolitik geworden ist. Nach Jahren der erfolglosen Verhandlungen, Beschwichtigungen und Beschwörungen hat der entschlossene Wille der Staatengemeinschaft die Konfliktparteien in Ex-Jugoslawien an einen runden Tisch gebracht, der schließlich zum Friedensabkommen von Dayton führte. Dieses Abkommen muß sich allerdings im zivilen Bereich noch bewähren. Heute ist klar: Friedensbrecher müssen in letzter Konsequenz auch mit harter Hand angefaßt und zum Frieden gezwungen werden, Völkerrecht muß geschützt und Völkermord verhindert werden. Erst wenn das geschehen ist, müssen und können die staatlichen und privaten Organisationen ihre soziale Friedensarbeit aufnehmen. Beides muß aber im Zusammenhang gesehen werden. Von daher sind die stereotypen Forderungen der PDS, die Bundeswehr abzuschaffen, völlig sinnwidrig. Es wäre sicher interessant zu wissen, wie die PDS - auch gerade einem Teil ihrer Wähler - erklären will, wie man ohne Streitkräfte in manchen Teilen der Welt für Frieden und dann für sozialen Ausgleich sorgen könne. So wie der Herr Bundespräsident die Bundeswehr eine Armee des Friedens genannt hat, so konnte durch die auf Ausgewogenheit und Ausgleich gerichtete Politik der Bundesregierung in vielen Teilen der Welt helfend und unterstützend gehandelt werden. Die Unterstellungen der PDS, daß die Bundesregierung den nichtmilitärischen Lösungen viel zu wenig Aufmerksamkeit zukommen lasse, sind in jeder Hinsicht gegenstandslos und werden von uns energisch zurückgewiesen. Die ständigen Bemühungen unserer Regierung auf allen Kanälen ihres diplomatischen Dienstes, im Bereich der Regierung selbst, in anderen mit der Regierung zusammenarbeitenden Organisationen und letztendlich die Kontakte der deutschen Wirtschaft und Kultur im Ausland werden von der PDS einfach negiert. Dieser Beitrag für Frieden und Ausgleich kann jedoch gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich möchte an dieser Stelle für die F.D.P.-Bundestagsfraktion den ungezählten Diplomaten, staatlichen Vertretern, Wirtschaftsvertretern, Künstlern und Soldaten und vielen anderen mehr ausdrücklich danken für die ausgezeichnete Arbeit, die von ihnen in allen Teilen der Welt im Sinne unserer Werteordnung geleistet wird. Die F.D.P.-Fraktion unterstützt die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik mit vollem Nachdruck und wird ihr ohne Einschränkung weitere Unterstützung gewähren. Steffen Tippach (PDS): Lassen Sie mich zu Beginn den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes danken, die mit der Antwort auf unsere Große Anfrage eine enorme Fleißarbeit vorgelegt haben. Daß dieses allerdings auch ein gutes Stück Zeit gedauert hat, dokumentiert die beinahe prähistorisch zu nennende Drucksachennummer 13/636. Wir haben diese recht umfangreiche Anfrage aus mehreren grundsätzlichen Erwägungen gestellt. In der Folge globaler Veränderungen nach 1989 ist es zu einer starken Zunahme regionaler Konflikte und Kriege gekommen. Ursache sind zumeist aufbrechende Nationalismen, vor allem jedoch eine Verschärfung ökonomischer Verteilungskämpfe auf Grund nachlassender Unterstützungsleistungen für die Staaten des Trikont und der durch die Industrieländer vorangetriebenen globalen Deregulierungskonzepte, die soziale Spannungen verschärft haben. Folge ist zudem ein erhebliches Anschwellen von Flüchtlingsbewegungen, die zumeist regional auf gefangen werden müssen und somit ganze Regionen weiter destabilisieren. Wir haben mit der Thematisierung wenngleich nicht aller, so jedoch einer großen Zahl bestehender Kriege und bewaffneter Konflikte versucht, diese oftmals „vergessenen Kriege" auf die Ebene politischer Diskussion zurückzuholen. Vorab gesagt: Natürlich wäre es unredlich, von der Bundesregierung zu verlangen, alle Konflikte dieser Welt zu beseitigen oder auch nur jeweils eine Lösung aus der Tasche ziehen zu können. Daß die Bundesregierung jedoch, auf die Bewertung eines Großteils dieser Konflikte angesprochen, nur zu der Formulierung „die Bundesregierung bedauert diesen Konflikt" fähig ist - nebenbei gesagt setze ich es eigentlich voraus, daß die Existenz eines Konfliktes nicht auch noch begrüßt wird -, diese Hilflosigkeit spricht für das generelle Problem dieser Regierung, nämlich die Nichtexistenz von auch nur Ansätzen einer außenpolitischen Perspektive jenseits von Krisenreaktionskräften. Die stets zu knappen Mittel für humanitäre Hilfe und Armutsbekämpfung werden eingesetzt, zudem noch in aberwitziger Konkurrenz verschiedener Ministerien, um ausgebrochene Konflikte entweder einzudämmen oder im schlimmsten Fall sogar um Konflikte in die gewünschte Richtung zu manipulieren. Gleichzeitig jedoch weisen selbst die offiziellen Angaben der Bundesregierung zu Ausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern den erschreckenden Tatbestand aus, daß ein Großteil der genannten Krisenregionen in den letzten 10 Jahren mit Rüstungsgütern und Ausstattungshilfe versorgt wurden. Der Ansatz, eine Region hochzurüsten, um später die Folgen des Waffeneinsatzes wiederum eindämmen zu müssen, ist entweder Planlosigkeit oder aber Vorsatz, der mit ziviler Außenpolitik nicht viel gemein hat. Die 2 Milliarden DM, die allein für die Bundeswehr im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der letzten Jahre ausgegeben wurden, unterstreichen dies. Erstens. Aus der Gesamtantwort wird zunächst einmal sichtbar, daß sicherheitspolitisches Handeln der Bundesrepublik zumeist erst dann beginnt, wenn ein Konflikt ausgebrochen ist und militärisch ausgefochten wird. Das ist eine verfehlte Politik der Konfliktbewältigung. Der Einsatz für eine zivil orientierte Außen- und Sicherheitspolitik wird vielfach auf das Verbale und Alibihandlungen beschränkt. Es ist doch bezeichnend, wenn z. B. eine zusammenhängende Forschung auf dem Gebiet der Konfliktprävention und -lösung überhaupt nicht betrieben wird, von den für Konfliktforschung überhaupt zur Verfügung stehenden Mitteln ganz zu schweigen. Hier zeigt sich, was wir an der heutigen deutschen Außenpolitik ständig monieren: Krisen und Konflikte in der Welt werden genutzt, um horrende Militärausgaben zu rechtfertigen. Für übergeordnete wirtschaftliche Interessen, den Kampf um Märkte, die Richtung der Geld- und Warenströme, den Zugang zu Energie- und Rohstoffquellen und für die strategische und geopolitische Absicherung dieser Interessen werden Konflikte instrumentalisiert und werden - wie im Falle Jugoslawiens - sogar militärische Risiken bewußt in Kauf genommen. Die eigentlichen Gefahren für Frieden und Sicherheit gehen von den nicht rechtzeitig beseitigten Ursachen bzw. von den durch die offizielle Politik selbst erzeugten Möglichkeiten aus, Konflikte zu militarisieren. Zweitens. Die Bundesregierung gibt in solchen Fällen wie Jugoslawien und Tschetschenien auch schon einmal schlichtweg falsche Antworten, indem sie nichtleugbare Tatsachen verschweigt. In Jugoslawien hat sie einseitig die Auflösung des Vielvölkerstaates unterstützt, ohne Gewaltverzicht und einen zivilisierten, staats- und völkerrechtlich geregelten, verfassungskonformen Prozeß der Lostrennung zur Bedingung zu machen. Sie hat damit zu Handlungen ermutigt, die militärische Konflikte provozieren mußten. Sie agierte mit einer Organisation, der EU, die weder eine Sicherheitsorganisation ist noch gegenüber Jugoslawien oder seinen Nachfolgestaaten irgendeine Kompetenz besitzt und sich obendrein infolge gegensätzlicher Interessen ihrer einflußreichen Länder lähmte. Ein anderes Beispiel: Tschetschenien. Mit dem Argument innere Angelegenheit überläßt sie Rußland die Austragung des Konflikts in der allen bekannten Grausamkeit und nutzt nicht ihre intensiven Beziehungen zu dieser Großmacht, die geradezu brüderlichen Beziehungen des Bundeskanzlers zum russischen Präsidenten, um zu erreichen, daß militärische Lösungsversuche endlich eingestellt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Alles, was der Bundeskanzler, was der Außenminister in diesem Falle getan haben, kann und wird von russischer Seite nur als stillschweigendes „Weiter so!" aufgefaßt. Damit hat diese Regierung eindeutig eine Mitverantwortung dafür, daß dieser Krieg noch immer andauert! Drittens. Das Beispiel Tschetschenien zeugt davon, wie doppelzüngig von dieser Regierung die Berufung auf die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt wird. Ist sie z. B. im Falle Somalia Argument für die Beteiligung an einem sinnlosen Blauhelmeinsatz, wird sie bei Tschetschenien, da offensichtlich andere Interessen im Spiel sind, völlig vernachlässigt. Die Bundesregierung versteckt sich hinter ohnmächtigen Erklärungen der UN-Menschenrechtskommission. Nicht einmal auf einen einzigen eindeutigen Protest gegenüber der russischen Regierung kann sie ver- weisen, geschweige denn erklären, was sie in europäischen oder internationalen Organisationen dazu getan hat. Viertens. Bezeichnend, ja geradezu entlarvend ist, daß die Bundesregierung für die Entwicklungszusammenarbeit die Beachtung der Menschenrechte zum ersten Kriterium erhebt (wogegen nichts einzuwenden ist), während für den Export von Waffen und Rüstungsgütern die innenpolitische Lage des Landes insgesamt und „unter anderem auch seine Menschenrechtssituation berücksichtigt" werden. Die beiden Behauptungen wurden durch die gegebenen Antworten selbst widerlegt. Die Zahlen über die Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern, in denen massiv die Menschenrechte verletzt werden wie in Indonesien, Ruanda, Guatemala, sind vergleichsweise keineswegs gering. Die Zahlen für Rüstungslieferungen, bei denen man sich ohnehin pauschal hinter der Behauptung einer angeblich restriktiven Rüstungsexportpolitik und sogenannten Endverbleibserklärungen zu verstecken sucht, sprechen ohnehin eine andere Sprache. Hier greift die Bundesregierung zu verschiedenen Tricks. So werden in bezug auf Ex-Jugoslawien die eigentlich interessierenden Angaben, wer wann welche Waffen bekommen hat, hinter der Pauschalangabe „1985 bis 1995" versteckt. Völlig offen bleiben auch Angaben über die Art der gelieferten Waffen und sonstigen Rüstungsgüter; die bloße wertmäßige Angabe verschleiert vor allem Gefährlichkeit und Verwendungszweck. Landminen, Handgranaten und Schützenmunition sind bekanntlich relativ billig. Auch findet sich keine Angabe darüber, wer in welchem Umfang Waffen, Ausrüstungen und Munition z. B. aus NVA-Beständen kostenlos überlassen bekam. Das kann aber nicht allbekannte Tatsachen aus der Welt schaffen: Einschlägige Statistiken - SIPRI bis zum UN-Waffenregister - und selbst Untersuchungen des amerikanischen Kongreß weisen aus, daß die Bundesrepublik auf Platz zwei der Liste der „Todeshändler" steht. Allein 1994 hat sie ihren Verkaufserlös aus Waffen und Militärgerät verdoppelt. Der Einsatz deutscher Waffen in der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung spricht für sich! Im Klartext: 893 Millionen DM für Indonesien, 285 Millionen DM für Iran, 5,32 Milliarden DM für die Türkei an Rüstungslieferungen, hier von Primat der MR zu sprechen, ist der blanke Hohn. Fünftens. Die Bundesregierung vermag kaum eigene kreative Ideen, Initiativen oder Aktionen anzuführen, die auf eine Stärkung der Konfliktprävention und Konfliktlösungen mit zivilen Mitteln hinweisen würden. Sie beteiligt sich lediglich an einigen Maßnahmen der OSZE und der UNO, die aber so lange unzureichend bleiben müssen, wie sie bestimmte Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik, gegenüber der NATO vernachlässigen und nicht mit den erforderlichen Mitteln und Kompetenzen ausstatten. Der sichere Indikator dafür, ob die Bundesregierung der zivilen oder der militärgestützten Konfliktbearbeitung Priorität einräumt, ist letztlich der Haushalt. Der Rüstungshaushalt wurde für 1996/97 bei über 48 Milliarden DM „stabilisiert", danach soll er weiter steigen, für die OSZE hat man gerade einmal 5 Millionen DM übrig. Für den Ausbau der WEU zum militärischen Arm der EU werden in einem Jahr problemlos 10 Millionen DM hingeblättert. Dabei bedarf es keines Beweises, daß in jedem Falle nichtmilitärische Konfliktlösung weniger Mittel verschlingt als militärische. Sechstens. Fazit also ist: Es reicht nicht, der Gewaltvorbeugung das Wort zu reden, sich aber gleichzeitig auf Gewaltanwendung - wo auch immer in der Welt - vorzubereiten und in der Außen- und Sicherheitspolitik immer mehr militärischen Kategorien den Vorzug zu geben. Anfänge können und dürfen hier auch vor dem Hintergrund der schlimmen Erfahrung deutscher Geschichte nicht hingenommen werden. Was wir brauchen, ist die Debatte über eine präventive, zivile Außenpolitik, über die Durchsetzung politischer und sozialer MR, über eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS „Kriege und bewaffnete Konflikte in Europa und der Welt" ausführlich ihre internationalen Friedensbemühungen in einer Vielzahl von Ländern Europas, Afrikas, Asiens und Lateinamerikas dargestellt. Wir Deutsche haben wegen der geographischen Lage unseres Landes, aber auch wegen unserer Geschichte, in. der wir so oft im Gegensatz zu unseren Nachbarn standen, ein vitales Interesse und eine besondere Verantwortung für die Erhaltung des Friedens. Dabei sind unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union und im Nordatlantischen Bündnis Grundentscheidungen für Freiheit, Frieden, Menschenrechte und Selbstbestimmung, aber gerade auch für eine dauerhaft friedliche und gerechte Ordnung in Europa. Unser besonderes Augenmerk ist dabei auf die Stärkung der internationalen Ordnung und ihrer Institutionen, auf die Einbeziehung auch Mittel- und Osteuropas in ihre stabilisierende, friedenstiftende Wirkung, auf die Verbesserung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen und auf konkrete Beiträge zur Sicherung eines dauerhaften Friedens gerichtet. Vor allem bedarf es auch der praktischen Durchsetzung der Menschenrechte, um den äußeren Maßnahmen zur Friedenswahrung auch innere Festigkeit und Überzeugungskraft zu verleihen. Hier geht es um elementare Rechte, die überall in der Welt gelten müssen, in Europa nicht weniger als auf anderen Kontinenten. Auch für unsere Politik gegenüber der Dritten Welt gilt, daß Friedenspolitik ohne umfassende Gewährleistung der Menschenrechte für uns undenkbar ist. Mit erheblicher Sorge registrieren wir die große Zahl der Krisen und Konflikte, der Menschenrechtsverletzungen, der Fälle von Folter und Diskriminierung. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sich Deutschland aktiv bemüht, zu politischen Konfliktlösungen in allen Teilen der Welt beizutragen und diese mit umzusetzen. So war und ist die Bundesrepublik Deutschland an den Bemühungen zur Lösung der großen, von den Vereinten Nationen behandel- ten Konflikte, wie beispielsweise in Namibia, Ruanda, Kambodscha sowie im ehemaligen Jugoslawien, wesentlich beteiligt. Unser Engagement umfaßt hierbei nicht nur politische, sondern auch menschenrechtliche und entwicklungspolitische Aspekte. Dies ist deshalb geboten, weil Konflikte in aller Regel nur in einem differenzierten Ansatz beigelegt werden können. Dabei muß auf alle zur Verfügung stehenden Instrumente zurückgegriffen werden. Die Schwerpunkte der vorgelegten Antwort liegen daher in der Darstellung der Maßnahmen präventiver Diplomatie, aber auch der erbrachten humanitären, entwicklungspolitischen sowie Flüchtlingshilfe. Dabei möchte ich darauf hinweisen, daß Deutschland über seine bilaterale Hilfe hinaus in erheblichem Umfang auch durch die Europäische Union und durch die Vereinten Nationen Hilfsleistungen erbringt. Die Antwort geht auch auf die Ausfuhr von Rüstungsgütern ein. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang erneut die grundsätzlich restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung unterstreichen. Ausfuhrgenehmigungen werden auf der Grundlage des KWKG und AWG sowie nach Maßgabe der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom 28. April 1982 erteilt. Danach wird bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern auch die innenpolitische Lage des betreffenden Landes, darunter auch seine Menschenrechtssituation, berücksichtigt. Insbesondere darf die Lieferung von Rüstungsgütern nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen. Lieferungen an Länder, bei denen die Gefahr des Ausbruchs einer bewaffneten Auseinandersetzung besteht, scheiden daher grundsätzlich aus. So werden Embargos des VN-Sicherheitsrates und der EU strikt respektiert. Ohne Entwicklung der Dritten Welt gibt es keinen dauerhaften sicheren Frieden. Eine Welt, in der die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zunimmt, in der Hunger und Elend in den Entwicklungsländern sich ausbreiten, in der Regionen immer wieder von Krisen betroffen sind, kann den Frieden nicht bewahren. Wir brauchen eine Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Dritten Welt und stabiles Wachstum in den Industrieländern. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten der Völkergemeinschaft ist die Grundlage für eine dauerhafte friedliche Ordnung unserer Welt. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 13. März 1996 ihren Antrag „Alternativen zur geplanten ICE-Neubaustrecke München-Ingolstadt-Nürnberg" - Drucksache 13/1934 - zurückgezogen. Die Gruppe der PDS hat mit Schreiben vom 14. März 1996 ihren Antrag „Sofortige politische Konsequenzen aus dem Umgang mit Subventionsmitteln beim Bremer Vulkan Verbund" - Drucksache 13/3976 - zurückgezogen. Der Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: - Drucksachen 12/7537, 13/325 Nr. 142 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.13 Drucksache 13/3668 Nr. 1.24 Drucksache 13/3668 Nr. 1.25 Innenausschuß Drucksache 13/725 Nr. 25 Drucksache 13/2804 Nr. 2.1 Drucksache 13/2804 Nr. 2.2 Drucksache 13/2804 Nr. 2.5 Drucksache 13/2804 Nr. 2.6 Drucksache 13/3117 Nr. 2.2 Drucksache 13/3117 Nr. 2.4 Drucksache 13/3117 Nr. 2.9 Drucksache 13/3117 Nr. 2.12 Drucksache 13/3117 Nr. 2.13 Drucksache 13/3668 Nr. 2.3 Drucksache 13/3668 Nr. 2.24 Drucksache 13/3668 Nr. 2.63 Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 13/2674 Nr. 1.2 Drucksache 13/2674 Nr. 2.3 Ausschuß für Gesundheit Drucksache 13/269 Nr. 2.4 Drucksache 13/2988 Nr. 1.5 Drucksache 13/2988 Nr. 1.26 Drucksache 13/3286 Nr. 2.17
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Frau Präsidentin! Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat in seiner Rede zum Verhältnis von Staat und Kirchen und auch zur Behandlung von Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Zeit der DDR Stellung genommen. Dem, was er gesagt hat, kann man im Prinzip zustimmen. Das will ich ausdrücklich betonen.
    Ich will hinzufügen: Es war ein ganz großer Mangel, daß in den Schulen der DDR nicht einmal Religionsgeschichte unterrichtet wurde, was unter anderem, von Wertfragen abgesehen, zu einem Bildungsverlust geführt hat, so daß viele Jugendliche in der DDR zum Beispiel mit bestimmten alten Kunstwerken überhaupt nichts anfangen konnten, weil sie sie nicht verstanden haben, weil sie die Geschichte des Christentums, die Heilige Schrift, nicht kannten.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    - Ich finde, gegen das, was ich im Augenblick sage, können Sie doch nicht im Ernst etwas einwenden. Das müßte doch eigentlich Ihre Zustimmung finden.

    (Beifall bei der PDS)

    Weil das so ist, sind wir sehr dafür, daß im Unterricht genau dieses Wissen vermittelt wird; denn damit hängt immer auch eine gewisse Orientierung zusammen. Das ist ganz klar.
    Aber Sie wollen in gewisser Hinsicht die Indoktrination, und davor kann ich nur warnen. Das hat, wenn auch mit anderen Inhalten, die DDR immer versucht. Daran ist sie, wenn Sie so wollen, in dieser Hinsicht glücklicherweise gescheitert. Das ist keine Lösung. Ich werde Ihnen das beweisen.
    Herr Schäuble hat hier von der Freiwilligkeit gesprochen. Als das Bundesverfassungsgericht im Kruzifix-Urteil genau nichts anderes gefordert hat als die Freiwilligkeit, da waren es CDU und CSU, die darauf bestanden, daß religiöse Symbole staatlich angeordnet werden, und sich nicht damit abfinden konnten, daß sie freiwillig angebracht werden. Sie wollen gar nicht Überzeugung. Sie wollen die staatliche Anordnung. Genau dagegen wehren wir uns in den neuen
    Bundesländern und auch in Brandenburg. Das ist die entscheidende Auseinandersetzung.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Mein letzter Satz in dem Zusammenhang. Ich stimme voll dem zu, was der Landesjustizminister gesagt hat. Ich behaupte, bei der gleichen Auseinandersetzung zur Schulgesetzgebung in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz oder in einem anderen alten Bundesland hätten Sie diese Debatte nie gewagt. Sie führen sie nur bei einem neuen Bundesland, weil Sie das Gefühl haben, dort noch belehren zu müssen und weil Sie dort eine ganz andere, pharisäerhafte Haltung an den Tag legen. Genau das lehnen wir ab.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächste hat das Wort in der Debatte die Abgeordnete Christa Nikkels.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christa Nickels


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stimme Ihnen zu, Herr Gysi. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir heute nicht die letzte Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vor drei Wahlen in den alten Bundesländern hätten, gäbe es diese Debatte nicht.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber ganz sicher würde es die geben! Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Sie können das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen unterscheiden!)

    Ich muß sagen, daß ich es unangemessen und ein Stück weit auch niederträchtig finde, zum Nutzen und Frommen von Wahlkämpfern in den alten Bundesländern und auf Kosten der verfassungsmäßig garantierten Rechte des Landes Brandenburg sowie zu Lasten der Würde der Bürgerinnen und Bürger in einem der neuen Bundesländer eine solche Debatte zu veranstalten.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Worum geht es? Ich beziehe mich ausdrücklich auf den Antrag, den Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, schriftlich vorgelegt haben. Herr Kollege Schäuble, verschanzen Sie sich nicht hinter dem Willen der Kirchen. Sie sind hier die Antragstellenden, und Sie behaupten in dem Antrag, daß das Vorhaben des Landes Brandenburg verfassungswidrig sei. Das muß nachdrücklich zurückgewiesen werden.
    Es ist so, daß sich auf die Bremer Klausel selbstverständlich auch alte Bundesländer bezogen haben. In Berlin haben wir eine vergleichbare Regelung, die schlechter ist als die Regelung, die Brandenburg jetzt will. Ich will Ihnen einmal den entsprechenden Paragraphen des Schulgesetzes von Berlin, § 23, zitieren.

    Christa Nickels
    Danach erhalten in Berlin nur „diejenigen Schülerinnen und Schüler Religionsunterricht, deren Erziehungsberechtigte eine dahin gehende schriftliche Erklärung abgeben". Die Schule hat dafür Sorge zu tragen, daß für die Kinder, die angemeldet sind, wöchentlich zwei Schulstunden für Religionsunterricht im Stundenplan freigehalten werden. Wer sich nicht anmeldet, ist nicht verpflichtet, an einem Werteunterricht neutraler Art teilzunehmen.
    Das heißt, wenn Kinder nicht angemeldet werden, gibt es erstens keinen Religionsunterricht. Zweitens gibt es keinen staatlich garantierten weltanschaulichen neutralen Unterricht, wo Kindern die Grundwerte und Auffassungen in der Gesellschaft vermittelt werden. Herr Schäuble, ich stimme Ihnen ja zu, daß eine große Unsicherheit vorhanden ist, wo Kinder gemeinsam diskutieren könnten.
    Die Berliner Regelung ist also weit schlechter als das, was Brandenburg will. Ich wundere mich allerings nicht, daß Sie auf Brandenburg einknüppeln und über Berlin, wo es seit Jahrzehnten praktiziert wird, kein Wort verlieren.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Sie behaupten, Herr Kollege Schäuble, daß mit dem Brandenburger Vorschlag der Religionsunterricht abgeschafft werden soll. In den neuen Bundesländern gibt es nichts abzuschaffen. Da gab es keinen Religionsunterricht, wie wir ihn kennen. Da gab es in 40 Jahren SED-Diktatur nur von oben verordnete Indoktrination im Sinne der herrschenden Ideologie. Man muß erst einmal feststellen, daß sich die Menschen endlich davon befreit haben. Ich erinnere daran, daß sie sich selber auf Grund einer sanften Revolution davon befreit haben. Dies ist eine unglaubliche Errungenschaft, die hier mit Füßen getreten wird.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Es geht darum, diesen Freiraum zu nutzen, den Kindern, Schülerinnen und Schülern endlich einmal einen Ort im Unterricht anzubieten, wo sie sich alle zusammen auf der Grundlage ihrer verschiedenen Vorstellungen in einem weltanschaulich neutralen Fach, aber auch einem wertorientierten Fach, auseinandersetzen können.
    Brandenburg hat zusätzlich alles, aber auch alles in den letzten fünf Jahren getan, den großen Kirchen goldene Brücken zu bauen; Vorschläge gemacht, sie einzubeziehen.
    Zu diesem Zweck hat man auch faule Kompromisse geschlossen. Ich sage an die Adresse der Kollegen der SPD im Land Brandenburg: Sie haben gestern von seiten der SPD-Fraktion im Land Brandenburg die Abmeldemöglichkeit beschlossen, weil der Druck von den Kirchen so groß war. Sie können heute sehen, daß der Kollege Schäuble das sofort ausnützt, um das nicht als honorige Geste zu sehen, sondern um Ihnen zu unterstellen, der neue Unterricht sei tatsächlich weltanschaulich nicht neutral. So läuft das in der Bundesrepublik. Es ist unerträglich, wenn ein Entgegenkommen im Interesse eines Konsens gleich wieder dazu genutzt wird, das Projekt an sich auszuhebeln. Das ist doch Fakt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde ist kein Ersatzfach für Religionsunterricht. Es ist ein eigenständiges Unterrichtsfach.
    Herr Kollege Schäuble, ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie als Fraktionschef der CDU/CSU, der größten Fraktion im Deutschen Bundestag, als jemand, der in einem Land lebt, wo wir einen Wertekonsens haben, der alle eint, ganz gleich ob konfessionell gebunden oder nicht, an den sich alle in Deutschland lebenden Menschen halten können und der in unserem Grundgesetz niedergelegt ist, behaupten, daß allein die Kirchen einen Werteboden schaffen können. Das ist unerträglich. Damit stellen Sie die Leute, die nicht religiös gebunden sind, in eine Ecke, als wären es Banausen, die keine Werte haben und die nichts dazu beitragen, Menschenrechte und Grundrechte hochzuhalten.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Zusätzlich zu den Bemühungen, ein Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde einzurichten, ist in Brandenburg alles getan worden, um die Möglichkeit zu schaffen, auf freiwilliger Basis Religionsunterricht zu erteilen. Herr Bräutigam hat das Wesentliche schon gesagt. Sie haben gesagt, daß Sie im großen Maßstab - es waren meines Wissens im letzten Jahr 65 Millionen DM - Mittel für den Religionsunterricht zur Verfügung gestellt haben. Räume werden zur Verfügung gestellt, jegliche Hilfestellung wird gegeben. In den Auswertungskommissionen zum Modellversuch hat man sogar der katholischen Kirche angeboten, mitzuarbeiten, obwohl diese von Anfang an eine strikte Gegnerin war und mit unqualifizierten Argumenten - das sage ich als katholisch-konfessionell gebundene Christin - Ihnen laufend Knüppel zwischen die Beine geworfen hat. Großzügiger geht es meines Erachtens nicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was in der Debatte zu kurz kommt. Für mich ist es nicht hinnehmbar, daß die Frage, was die Kinder und Jugendlichen in einer zunehmend säkularen und pluralistischen Gesellschaft wirklich brauchen, überhaupt keine Rolle spielt. In Brandenburg sind 80 Prozent der Erwachsenen nicht konfessionell gebunden. 93 Prozent der Kinder sind nicht getauft. Und dann hinzugehen und zu sagen: Jawohl, diese Konsequenz einer SED-Diktatur verewigen Sie, wenn sie den Menschen keinen Religionsunterricht aufs Haupt drücken, finde ich unerträglich.

    (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dann muß man das ändern!)

    Die Menschen in den neuen Bundesländern konnten
    sich nur deshalb in einer friedlichen Revolution von

    Christa Nickels
    ihrem System befreien, weil sie Grundwerten verpflichtet waren. Sie müssen die Möglichkeit haben, freie Luft zu atmen und sich darüber zu verständigen, was wichtig ist in der Gesellschaft. Gerade dazu ist es nötig, daß man einen Ort anbietet, an dem Kinder mit ihrer ganzen Breite von verschiedensten Erfahrungen zusammentreffen, reden und lernen können.
    Unsere Gesellschaft ist, auch im Westen - da hat Antje Vollmer völlig recht -, einer zunehmenden Werteerosion unterworfen. Die großen Konfessionen haben dies nicht verhindern können. Zu erwarten, Herr Schäuble, daß der Religionsunterricht als staatlich verordnetes Fach - in Brandenburg als aufoktroyiertes Fach - alles, was an Angsten, an Zukunftsnot und an Sinnfragen in der Gesellschaft aufbricht, aufheben kann, halte ich bestenfalls für naiv.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die Kinder und Jugendlichen haben mit dem Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde die Möglichkeit, Fachwissen über Religion und Glauben zu erlangen. Damit lernen sie erstmals - was sie vorher nicht konnten - wirklich etwas auch über diese Wurzeln des europäischen Abendlandes. Daneben ist es ureigenste Aufgabe der Kirchen, durch einen lebendig gelebten Glauben und durch eine Ausstrahlung, die die Menschen wirklich von dem, was die Substanz des Glaubens ist, fasziniert, die Menschen für ein christlich gelebtes Leben zu interessieren. Das kann die Kirche, wenn sie in eigener Verantwortung an den Schulen einen Religionsunterricht auf freiwilliger Basis erteilt und wenn sie den Platz, der ihr jetzt in den neuen Ländern endlich gegeben wird, mit dieser Strahlkraft wirklich ausfüllt.
    Für meine Begriffe wird in dieser Debatte genau das Gegenteil gemacht. Viele von den Christen, die in der früheren SED-Diktatur brutal unterdrückt worden sind und die mit dazu beigetragen haben, daß das System weggefegt worden ist, waren bei ihren Mitbürgern anerkannt. Viele nichtchristlich gebundene Menschen hatten unglaubliche Bewunderung für den Mut und die Ausstrahlung, die diese Christen hatten. Jetzt - kaum sechs Jahre nach der Vereinigung - wird dieser Gründungsimpuls beiseite gefegt, verleugnet und totgetreten. Statt dessen wird ein Fach staatlich verordnet, das die alleinseligmachende, wertestiftende Institution sein soll, die wir in der Bundesrepublik brauchen.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Meiner Meinung nach geht es nicht, daß hier auf Kosten der Rechte der neuen Länder, auf Kosten der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger dort, auf Kosten der Bedürfnisse der Kinder, Wahlkampf getrieben wird und zusätzlich Probleme der alten Bundesländer gelöst werden sollen.
    Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Debatte auch im Hinblick auf die Fusion von Brandenburg und Berlin angezettelt wurde. Man möchte das Berliner Modell, das in Ihrem Sinne schlechter ist, als das, was Brandenburg jetzt einführen will, überrollen, indem man Brandenburg deckelt, ihm das alte System aufzwingt und so hofft, daß dieses in Berlin demnächst auch eingeführt wird. Flurbereinigung in Berlin über Brandenburg - das ist schon unverschämt. Wenn Sie das wollen, sollten Sie das auch offen aussprechen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Zum Schluß. Herr Kollege Schäuble hat gesagt, daß es wichtig sei, Menschen zu haben, die den gelebten Glauben ausstrahlen würden und damit anziehend wirkten. In den alten Ländern haben wir eine tiefgreifende Krise der christlichen Kirchen. Nach Umfragen ist bei 70 Prozent der Gläubigen ein stillschweigendes Ruhen des Bekenntnisses festzustellen. Zwei Drittel sind in einer starken inneren Emigration zu ihrer Kirche befangen. Viele tragen sich mit Austrittsgedanken. Zunehmend melden sich Kinder aus dem Religionsunterricht ab. Die Kirchen sollten, anstatt eine falsche und unsachliche Verfassungsdebatte vom Zaun zu brechen, vor Ihrer eigenen Haustür kehren und dafür sorgen, daß Sie sich selber bekehren und den Glauben wieder leben.
    Ich möchte noch einmal auf den Gründungsimpuls des Christentums eingehen. Damals gab es eine kleine Gruppe, die keine institutionellen Rechte hatte. Die hat ihre Strahlkraft nicht dadurch entwikkelt, weil irgendwann von oben her der Religionsunterricht verordnet worden ist, sondern weil die Mitglieder dieser Gruppe an der Seite der Bedrängten und der Beladenen standen und mit ihrem eigenen Leben für deren Rechte und für deren Würde einstanden. Es wäre beispielhaft, sich zu mühen, das hier einmal vorzuleben. Das wäre im Sinne der Wertedebatte wirklich wichtig.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Im Osten, in Brandenburg, wächst etwas Neues. Wenn wir da doch erst einmal zuhören würden, und das nicht gleich mit unseren - ich sage das einmal so - großen Wessi-Stiefeln platttrampelten, könnten wir in den alten Bundesländern selber ungeheuer davon profitieren. Ich kann Sie nur ermutigen, diesen Weg weiterzugehen.
    Danke schön.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)