Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lippold, ich habe heute die Presseerklärung von Frau Merkel ausführlich gelesen. Ihre Rede kam mir sehr bekannt vor. Sie haben anscheinend die Presseerklärung von Frau Merkel vorgetragen.
So hörte es sich jedenfalls an. Aber sie war auch ausführlich.
Die Bundesumweltministerin erklärte sich nach der Überreichung dieses Gutachtens dankbar, weil dieses Gutachten die Richtigkeit ihrer Politik erkläre.
Ulrike Mehl
Als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob wir vom selben Gutachten reden; denn nach meiner Auffassung hat der Rat doch ganz heftige Kritik an der Politik der Bundesregierung geübt.
Der Rat drückt das recht freundlich, aber doch deutlich aus. Dort steht geschrieben, daß sich Tendenzen in Richtung auf eine gewisse Zurückhaltung, wenn nicht gar auf eine Reduktion des Anforderungsniveaus im Umweltschutz abzeichnen. Es kann doch wohl keiner sagen, daß das eine Erfolgsmeldung gewesen ist.
Seit der Konferenz in Rio hat das Thema zwar an Bedeutung gewonnen. Der Sachverständigenrat sagt aber auch, daß Politik und Gesellschaft unbedingt zum Handeln angehalten werden müssen. Das klingt nicht nach „Weiter so", sondern das klingt nach einem Faustschlag auf den Tisch.
Frau Merkel, ich will Ihnen gerne unterstellen, daß Sie guten Willens sind - das war Herr Töpfer auch -, nur reicht guter Wille nun einmal nicht aus. Ich fordere Sie auf, damit aufzuhören, dieses Gutachten des Sachverständigenrates umzudeuten oder zu ignorieren.
Nutzen Sie lieber die Unterstützung! Das sind doch Leute, die an diesem Thema interessiert sind. Nutzen Sie das, nehmen Sie das als Rückenwind, nehmen Sie die Fakten, und hauen Sie selber einmal auf den Tisch, und zwar auf den Kabinettstisch!
Bewegen Sie etwas in der Umweltpolitik und für die Umwelt selbst, damit Ihre Politik glaubwürdiger wird!
Umweltschutzpolitik kann nicht an Datenmengen oder Papierbergen gemessen werden, sondern daran, wie sie tatsächlich wirkt, was tatsächlich umgesetzt wird. Der Sachverständigenrat stellt dazu eindeutig fest, daß sämtliche Alarmglocken läuten.
Wir brauchen zwar durchaus noch viele Daten, zum Beispiel in der Ökosystemforschung, und wir brauchen die Verknüpfung dieser Daten, um daraus weitere Handlungsmöglichkeiten ableiten zu können. Wir kommen aber keinen einzigen Millimeter weiter, wenn damit nur die Computer gefüttert werden und die handelnden Personen in der Politik und Wirtschaft dies überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen und etwas ganz anderes machen,
nach dem Motto: Wir sind ganz modern, wir machen Umweltschutz im Cyberspace.
Der Sachverständigenrat stellt ausdrücklich fest, daß es von entscheidender Bedeutung ist, interdisziplinär auf eine dauerhaft umweltgerechte Entwicklung hinzuarbeiten. Jetzt frage ich Sie: Wo geschieht denn das in der Bundesregierung? Etwa bei der Finanzierung des Transrapid,
für den Herr Wissmann 44 Prozent der benötigten 7,5 oder offiziell 5,6 Milliarden DM aus allen Ministerien herausquetschen will, unter anderem auch aus dem Umweltministerium?
Frau Merkel, wo wollen Sie das eigentlich einsparen, beim Komplex Reaktorsicherheit oder beim Naturschutz? - Das würde mich schon sehr interessieren.
Ein bedeutender Themenkomplex des Gutachtens ist die Naturschutzpolitik. Der Erhaltung der biologischen Vielfalt mißt der Rat eine besondere Bedeutung bei. Dieses Thema fällt ja regelmäßig in der Politik unter den Tisch.
Daß es aber Bedeutung hat, ist auch daran zu erkennen, daß es ein Sondergutachten für das Konfliktfeld Landwirtschaft und nachhaltige Nutzung ländlicher Räume gibt. Angesichts der Tatsache, daß 68 Prozent der Biotoptypen in Deutschland gefährdet sind, mahnt der Rat dringendst Handeln an.
Wir brauchen ein modernes Naturschutzgesetz, auf das wir schon zehn Jahre warten; wir brauchen mindestens 10 Prozent Vorrangflächen für den Naturschutz; wir brauchen darüber hinaus flächendekkend naturverträgliches Wirtschaften, insbesondere in der Landwirtschaft; wir brauchen Finanzierungsinstrumente, um zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft umsteuern zu können. Dies fordern wir seit Jahren, und dies fordern nicht nur wir.
Dies fordern wir nicht nur aus Lust am Streiten, sondern weil uns die hohen Umweltziele der nationalen und internationalen Abkommen unter den Händen zu zerrinnen drohen.
Wenn aber Herr Borchert noch weiter darüber nachdenkt, wie er denn den Umweltschutz möglichst umgehen kann, und dieses Kabinett nicht bereit ist, wenigstens Konzepte für eine ökologische Wende zu erarbeiten, bleibt Ihre Umweltpolitik weiterhin eine virtuelle Politik im luftleeren Raum.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert dringend ein Bodenschutzgesetz, das endlich regelt, wie man Bodenbelastungen und Altlasten zu handhaben hat. Wenn Sie ständig davon reden, daß Investitionshemmnisse zu beseitigen sind, dann schließen
Ulrike Mehl
Sie nicht die Öffentlichkeit von den Planungen aus, sondern schaffen Sie mit diesem Gesetz Rechtssicherheit für potentielle Investoren.
Der Sachverständigenrat vermittelt den Eindruck, er hat die Hoffnung bereits aufgegeben, daß dieses Gesetz überhaupt kommt, und es wird vermutlich den Weg des Bundesnaturschutzes gehen.
Wir wollen von Ihnen wissen, Frau Merkel: Wann kommt dieses Gesetz? Kommt es überhaupt, und wenn es kommt, was wollen Sie darin regeln?
Beim Stichwort Öffentlichkeitsarbeit - das ist eben schon gesagt worden - möchte ich noch auf das Kapitel Verbände eingehen.
Der Sachverständigenrat schreibt zwar auch den Verbänden einiges Lesenswerte ins Stammbuch; er stellt aber auch klar, daß Umweltverbände eine entscheidende Rolle bei der notwendigen öffentlichen Diskussion und damit bei der Bewältigung der Umweltprobleme spielen. Er fordert ausdrücklich dazu auf, diese gesellschaftliche Kraft bei der Realisierung von Umweltpolitik weitreichend einzubeziehen.
Deshalb ist es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, warum Sie, Frau Merkel, die Verbandsklage nicht in das Bundesnaturschutzgesetz hineinschreiben wollen.
Die Verbände wollen Verantwortung übernehmen. Warum geben Sie ihnen die Verantwortung nicht?
Das Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik ist inzwischen so groß geworden - das gilt für die Politik insgesamt -, daß die Politik - und damit wir alle - in wachsendem Maße Schwierigkeiten hat, Projekte überhaupt noch umzusetzen. Deswegen ist der Ausweg daraus nicht der, die Öffentlichkeit auszuschließen; der Ausweg kann vielmehr nur der sein, die Öffentlichkeit frühzeitig in Planungen einzubeziehen.
Dadurch werden die Verfahren nicht verlangsamt, sondern im Gegenteil werden Konflikte bereits im Vorfeld gelöst und langwierige Streitereien hinterher vermieden.
- Reden Sie, wenn Sie dran sind!
Wenn wir die massiven Probleme der Gegenwart für die Zukunft lösen wollen, dann müssen die vorliegenden Erkenntnisse und die daraus resultierenden Handlungsansätze für die Menschen nachvollziehbar sein. Das setzt Grundwissen um die Probleme und Transparenz in der Politik voraus. Diese Transparenz kann ich bei der Bundesregierung wahrhaftig nicht erkennen.
Ich bin davon überzeugt, daß die fehlende Bereitschaft zu konsequentem Handeln in Gesellschaft und Politik wesentlich damit zusammenhängt, daß Umweltbildung lange Zeit als nettes Schmuckwerk weniger Engagierter angesehen wurde. Ich schlage Ihnen vor: Machen Sie doch einmal für das Bundeskabinett eine Woche lang eine Klausur zur Umweltbildung! Dann kommen wir mit diesem Thema vielleicht etwas weiter.
- Das resultiert auch daraus, daß hier entsprechend agiert wird. Hören Sie sich doch einmal die Reden Ihrer Minister da an!
Wenn wir auch nicht mit allen Vorschlägen des Sachverständigenrates einverstanden sind - in dem Gutachten gibt es eine Reihe von Vorschlägen, bei denen wir grundsätzlich anderer Meinung sind, zum Beispiel bei der einseitigen Ausrichtung der Müllverbrennung -,
so stimmen wir doch mit dem überwiegenden Teil der Vorschläge überein.
Ich meine, dieses Gutachten bestätigt auch unsere jahrelange Kritik an Ihrer Politik, Frau Merkel. Sie werden uns sicherlich gleich erzählen, wie wichtig und wirksam Ihre Umweltpolitik ist, und werden sagen, daß der Sachverständigenrat Ihnen nur freundliche Verbesserungsvorschläge gemacht hat.
Ich möchte Ihnen folgendes vorschlagen: Wenden Sie das, was Sie für andere für so wirksam halten, nämlich das Öko-Audit, doch einmal bei sich selbst an. Das haben Sie für Ihr Haus bisher abgelehnt.
Machen Sie mit Ihrem Haus einmal kraftvoll vor, wie das zu managen ist, wie man Umweltmanagement, Umweltbetriebsführung und Umweltpläne machen kann. Ihre Kabinettskollegen warten bestimmt schon
Ulrike Mehl
ganz begierig darauf zu sehen, wie das alles zu regeln ist. Dann können Sie zusammen mit der Bundesregierung vielleicht auch dem Ziel näherkommen, daß man Ihnen abnimmt, daß Sie mit Umweltschutz überhaupt etwas anfangen wollen.