Rede von
Dr.
Norbert
Röttgen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schutz vor Kriminalität, der Schutz der Rechtsgüter des einzelnen-- Leben, Leib, Freiheit, Eigentum - zählt zu den Kernerwartungen, die die Bürger an ihren Staat haben.
Das ist übrigens auch ein ganz wesentlicher Sinn der Debatte um den schlanken Staat, die wir heute morgen geführt haben: den Staat von unnötigen Aufgaben zu befreien, damit er bei den Aufgaben, für deren Erledigung er unverzichtbar ist und die er dringend zu erledigen hat, um so wirksamer handeln kann. Darum geht es uns auch bei der jetzigen Debatte.
Die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger, die Bekämpfung der Kriminalität zählt ganz sicher an vorderster Stelle zu den unverzichtbaren Aufgaben des Staates. Wir wollen den schlanken Staat, der stark ist, wenn es um die Freiheit und die Sicherheit der Bürger in diesem Land geht, meine Damen und Herren.
Hier verläuft auch die Trennlinie zu Rot-Grün. Sie fordern an jeder Stelle Handeln des Staates, Verantwortung des Staates. Der Staat soll sich um alles kümmern und sorgen, alles regulieren und kontrollieren. Aber ausgerechnet bei der Aufgabe, den Bürger vor Massenkriminalität zu schützen, fordern Sie, daß der Staat zurückstehen und sich nicht des Mittels des Strafrechts bedienen soll.
Meine Damen und Herren, dies ist gleichzeitig eine groteske Über- und Unterforderung des Staates an der jeweils falschen Stelle, die wir nicht mitmachen.
Sie wollen, daß der Staat wegschaut, wenn gestohlen wird.
Wir wollen das Eigentum uneingeschränkt schützen.
Dazu gibt es ein flexibles Instrumentarium im geltenden Recht - Sie wissen das -: verschiedene Formen der Einstellung, beschleunigtes Verfahren, Strafbefehlsverfahren bis zur ordnungsgemäßen Anklage. Damit kommt die Praxis auch gut aus. Von der Praxis her besteht kein Bedürfnis nach Entkriminalisierung, meine Damen und Herren.
Ich möchte aber genauso sagen, daß wir uns durchaus kritisch dafür einsetzen, das Eigentum noch wirksamer zu schützen, als es bislang der Fall ist. Wir fordern erstens, daß endlich Schluß sein muß mit der faktischen Entkriminalisierung, die Sie in den Ländern betreiben, in denen Ihre Justizminister die Staatsanwaltschaften anweisen, bei bestimmten Formen der Kleinkriminalität überhaupt nicht mehr einzuschreiten, wie es beispielsweise in NordrheinWestfalen gehandhabt wird. Damit muß Schluß sein!
Zweitens, meine Damen und Herren, müssen wir das Ziel verfolgen, daß insbesondere geständige Täter, die auf frischer Tat erwischt werden, möglichst schnell vor den Richter kommen und hier keine langen Verfahren durchgeführt werden. Das kann die Praxis im Grunde auch,
aber es hakt daran, daß schnell verfügbare Daten über die Täter, beispielsweise Daten über mögliche Vortaten, nicht vorhanden sind. -
Das wirkt sich natürlich bei der Reaktion des Staates, der Strafzumessung, aus. - Deshalb hat die Koalition im Jahr 1994 im Verbrechensbekämpfungsgesetz ein besonderes Instrument eingeführt,
das sogenannte länderübergreifende Staatsanwaltschaftliche Informationssystem, meine Damen und Herren. 1994 wurde dieses Instrument eingeführt, weil es wichtig ist, Informationen und Daten über den Täter zu haben, um schnell handeln zu können. Jetzt haben wir 1996, und dieses Informationssystem gibt es in der Praxis immer noch nicht.
Wenn man fragt, wie lange es noch dauern wird, dann hört man, erst 1998, 1999 werde es kommen.
Norbert Röttgen
Woran liegt es, daß dieses wichtige Instrument nicht kommt?
Das liegt daran, daß in manchen Ländern, in sozialdemokratisch regierten Ländern, an der Justizpolitik in unverantwortlicher Weise gespart wird, meine Damen und Herren.
Es fehlt an der EDV-Ausstattung der Gerichte. In Bayern läuft es vorbildlich; das Saarland gibt auch an dieser Stelle wieder das Schlußlicht ab. Hier drückt sich der Stellenwert der Justizpolitik aus, wie man klar sehen kann. Sie sparen an der falschen Stelle, meine Damen und Herren.
Wenn es Ihnen wirklich um Effektivität der Justiz geht, dann fordere ich Sie auf: Handeln Sie dort, wo Sie handeln können, wo Sie Verantwortung tragen! Wenn Sie dort weiterhin versagen, wie Sie es seit Jahren tun, dann haben Sie nicht das Recht, hier über die Entlastung und die Effektivität der Justiz zu sprechen.
Es ist diese fatale Kombination von unverantwortlichem Sparen am Rechtsstaat und Abbau strafrechtlicher Schutzvorschriften, die wir nicht mitmachen.
Es wird ein zweiter Begründungsversuch unternommen. Sie sagen, man müsse sich auf die schwere Kriminalität konzentrieren; deshalb brauche man es bei der kleinen Kriminalität nicht so genau zu nehmen. Meine Damen und Herren, ich frage im Ernst: Wie soll der Staat glaubwürdig schwere Kriminalität verfolgen, wenn er nach Ihren Vorstellungen bereits beim Ladendiebstahl kapitulieren soll? Das ist nicht möglich.
Es ist im Ansatz verfehlt, die eine Kriminalität gegen die andere Kriminalität auszuspielen. Kriminelle Karrieren fangen nicht alle bei Mord und Totschlag an.
Die Gesellschaft wird auch im kleinen geprägt. Auch im kleinen werden Maßstäbe von Recht und Unrecht ausgeprägt, wird das Klima der Gesellschaft geschaffen. Wir wollen verhindern, daß es beim Ladendiebstahl anfängt und beim bewaffneten Raubüberfall aufhört, meine Damen und Herren,
und darum brauchen wir die general- und spezialpräventive Wirkung des Strafrechts, auf die Sie verzichten wollen.
Im übrigen betreiben Sie eine völlig deplazierte Bagatellisierung dieser Massenkriminalität. Natürlich sind das im einzelnen kleine Fische - das will kein Mensch bestreiten -, aber Bedeutung gewinnt diese Kriminalität dadurch, daß sie ein Massenphänomen ist.
Im Jahr 1993 hat allein der Ladendiebstahl 10 % der erfaßten Kriminalität insgesamt ausgemacht. 10 % der gesamten Kriminalität allein Ladendiebstahl! Der Einzelhandelsverband schätzt den jährlichen Schaden, der eintritt, auf 4 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, was Sie hier vorschlagen, ist eine unverantwortliche Verharmlosung dieser Kriminalität. Sie wollen diese Kriminalität so behandeln, wie wenn jemand falsch geparkt hat. Auf diesem falschen Wege machen wir nicht mit.
- Das wird nicht bestraft; das ist eine Ordnungswidrigkeit. Mit dem geltenden Recht kennen Sie sich offenbar nicht so gut aus.
Ich komme jetzt zu dem für meine Begriffe entscheidenden Gesichtspunkt, der eigentlich jenseits der engeren Justizpolitik liegt. Das ist die Frage nach der gesellschaftspolitischen Wirkung der Entkriminalisierung. Welchen Effekt hat das denn, meine Damen und Herren?
Was heißt es denn, wenn Ladendiebstahl, Schwarzfahren und andere Delikte so um sich greifen, daß man von einem Massenphänomen sprechen muß? Darin drückt sich doch der gesellschaftliche Trend aus, daß es in unserer Gesellschaft immer mehr akzeptiert wird, daß sich der einzelne auf Kosten anderer und auf Kosten der Gesellschaft seinen Vorteil einfach nimmt.
Dem müssen wir entgegentreten. Sie sagen: Weil dies ein Massenphänomen ist, soll sich der Staat darum nicht kümmern. Wir sagen: Gerade weil es ein Massenphänomen ist, müssen wir uns diesem Trend mit den Mitteln des Staates entgegenstemmen und dürfen nicht einfach hinnehmen, was sich dort tut.
Das Fatale an der Entkriminalisierung ist, daß sie einen Verzicht auf Veränderung der Wirklichkeit bedeutet. Sie verhindern nicht eine einzige Straftat!
Sie verzichten darauf, die Veränderung der Gesellschaft und der Wirklichkeit herbeizuführen. Sie wollen über die Wirklichkeit nur anders reden. Sie wollen Statistiken beschönigen. Wir wollen die Wirklich-
Norbert Röttgen
keit verändern. Das ist der entscheidende Unterschied zu Ihnen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, finden die Vorschläge von SPD und Grünen, Frau DäublerGmelin,
bei dem ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung keine Zustimmung. 85 Prozent der Bevölkerung sagen nach einer Allensbach-Umfrage, daß sie diese Vorschläge von SPD und Grünen ablehnen. Mehr als zwei Drittel Ihrer Wählerschaft sagen das genauso, meine Damen und Herren. Es ist Ihnen noch nicht gelungen, das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung zu irritieren, obwohl Sie immer wieder Vorstöße zur Entkriminalisierung machen. Die Bevölkerung lehnt diese Vorschläge ganz überwiegend ab. Die Bevölkerung ist der Auffassung, daß nicht nur die Themen Wirtschaft und Arbeit, sondern auch die Themen des Rechtsstaates, die Themen von Freiheit und Sicherheit bei Rot-Grün in schlechten Händen sind.