Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über das
Dr. Rupert Scholz
Thema „Überregulierung, Überbürokratisierung, Vorschriftenflut" wird in unserem Lande seit Jahren diskutiert, und zwar genaugenommen auch mit viel einheitlicher Kritik. Das ist unbestreitbar.
Daß das Thema, das im Ergebnis sehr viel weiter zu spannen ist - Stichwort: Verschlankung des Staates -, mit wirklichem Nachdruck und mit der nötigen Stringenz jetzt in das Bewußtsein getreten ist und daß das von der Koalition von Anfang an als eine ihrer zentralen Aufgaben für diese Legislaturperiode in Ansatz gebracht worden ist, ist etwas, was mit Nachdruck zu begrüßen ist, so wie die Gesetzentwürfe, die heute als erster Schritt hier eingebracht worden sind, zu begrüßen sind.
Heute muß über die Grenzen staatlicher Zuständigkeiten, staatlicher Regulierungen, staatlicher Lenkungen, auch staatlicher Verteilungsmaßnahmen nun wirklich von Grund auf neu nachgedacht werden; denn der Staat ist mit der Last seiner Zuständigkeiten, mit dem Ausmaß der von ihm übernommenen Verantwortlichkeiten buchstäblich an die Grenze dessen gelangt, was für ihn selbst verträglich und - was wohl noch bedeutsamer ist - was für eine ebenso freie wie sozial verantwortliche, mobile, moderne, innovationsfähige Leistungsgesellschaft erträglich ist.
Die Signale dafür, daß unser Staat in vielfältiger Weise an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit und Kapazität gestoßen ist, sind unübersehbar. Ich weise nur hin auf die Staatsquote, die bekanntlich wieder über 50 Prozent liegt, und ich weise hin auf eine Gesetzgebungs- und Regulierungsmaschinerie, die immer schneller läuft, die immer weiter ausholt und immer intensiver wird und die in zunehmendem Maße nicht mehr, sondern weniger Effektivität, mehr Ineffektivitäten, Intransparenzen und Überregulationen produziert.
Auf Grund dessen benötigen wir schon auf der Ebene der Gesetzgebung die Bereitschaft zu mehr Zurückhaltung, zu weniger, dafür besseren, transparenten und dauerhafteren Regelungen, die Bereitschaft zur Einschränkung unverhältnismäßig großer Regulierungsansprüche, eine vorab wirksame Gesetzesfolgenabschätzung, die Bereitschaft zur Respektierung von mehr gesellschaftlicher Eigenverantwortung, insgesamt die Bereitschaft zur wirklichen und durchgreifenden Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Vom Subsidiaritätsprinzip sprechen bekanntlich viele; ernst genommen wird dieses Prinzip aber viel zuwenig. Unser Staat hat sich - die Zeit ist wahrhaftig gekommen - endlich und mit Nachdruck auf das Subsidiaritätsprinzip zu besinnen.
Dies bedeutet naturgemäß nicht, daß sich der Staat, wie manche fordern, etwa auf den Kanon der klassischen Hoheitsaufgaben zurückzuziehen hätte. Nein, im System unseres Rechts- und Sozialstaates ist der Staat auch und definitiv dazu berufen, in umfassender Weise Partner der Gesellschaft zu sein, eben nicht nur Aufsichts- und Sicherheitsorgan, sondern auch umfassendes Dienstleistungsunternehmen für eine Gesellschaft, die von staatlichen Leistungs-, Vorsorge- und Lenkungssystemen natürlich in vielfältiger Weise, ja mitunter existentiell abhängig ist.
Dennoch muß das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Eigenverantwortung und staatlicher Vorsorge wie Lenkung im wesentlichen neu justiert werden. Zwischen mehr gesellschaftlicher Eigenverantwortung und prinzipiell subsidiärer staatlicher Lenkung müssen neue und wieder zukunftsfähige Umgewichtungen vorgenommen werden, was allerdings zunächst die kritische Bestandsaufnahme und dann auch die Rücknahme vieler Überregulierungen voraussetzt.
Die grundlegende Verschlankung des Staates ist somit eine der wichtigsten, politisch existentiellen Forderungen an Staat und Gesellschaft. Ohne eine entsprechende Verschlankung des Staates ist unsere Zukunft nicht mehr zu sichern.
Dies gilt namentlich und insbesondere für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Heute fehlen uns in Deutschland bereits rund 4 Millionen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Der Rückgang der Investitionen, vor allem in zukunftsfähige Technologien und Industrien, wird immer augenfälliger.
Die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist in vielfältiger Weise bedroht. Sie ist nicht zuletzt auch durch einen Staat bedroht, der etwa über seine Planungs- und Genehmigungsverfahren längst Überregulierungen, Verkrustungen und Überbürokratien geschaffen hat, die im internationalen Vergleich evidente Wettbewerbsnachteile mit sich bringen. Während die Errichtung einer modernen, neuen Industrieanlage in ihrer Planung und Genehmigung in Deutschland manchmal Jahre braucht, werden dafür in unseren europäischen Nachbarländern mitunter nur Monate, in Japan und in USA mitunter nur Wochen benötigt.
Dies alles liegt an einer Fülle von sehr unterschiedlichen Ursachen, Ursachen, die aber sehr oft schon bei den Gesetzgebungen beginnen, Gesetzgebungen, die nicht mehr den modernen Anforderungen von Effektivität genügen.
Diese Probleme setzen sich bei unseren Verwaltungsverfahren, unseren Planungs- und Genehmigungsverfahren fort, und sie enden schließlich im politischen Bereich bei vielfach mangelnder Bereitschaft, die Notwendigkeiten für moderne Technologien, für ihre Nutzung, für ihre Akzeptanz in unserem Lande anzuerkennen. Vor allem dort, wo rotgrüne Regierungen Verwaltungen steuern, kennen wir diese Malaisen bekanntlich zur Genüge.
Vor allem zu nennen sind die - im übrigen bundesrechtswidrigen; ich betone das - immer wieder inszenierten Ausstiegsszenarien. Das geht vom Ausstieg aus der Kernenergie über die Behinderung der Gen- und Biotechnologie bis zu sonstigen Pervertierungen staatlicher Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Dr. Rupert Scholz
Überall leidet der Wirtschaftsstandort Deutschland, leiden vor allem die Arbeitnehmer, geht die Zukunftsfähigkeit unseres Landes verloren.
Die Koalition leitet mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzesvorhaben grundlegende erste Schritte zur Verschlankung ein. Diese Maßnahmen stehen im weitgehenden Zusammenhang mit dem von der Koalition vorgelegten Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze. Verschlankung des Staates heißt - um es noch einmal hervorzuheben - für uns, für die Koalition, entscheidend auch Förderung und Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und seiner Zukunftsfähigkeit.
Der öffentliche Dienst und die öffentliche Verwaltung müssen den neuen Anforderungen angepaßt werden. Sie müssen in vielfacher Hinsicht strukturell modernisiert werden. Dies bedeutet für den öffentlichen Dienst aber nicht etwa - wie dies von manchen unverantwortlichen Geistern immer wieder geltend gemacht wird -, daß man den Staat durch das schlichte Rasenmäherprinzip, also allein durch quantitative Verringerungen, verbessern, verschlanken könnte; Herr Kanther hat bereits darauf hingewiesen.
Kein öffentlicher Dienst, meine Damen und Herren, kann im übrigen besser und effektiver sein, als es die Gesetze sind, die er zu vollziehen hat, und als es die Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrukturen sind, mit denen er zu leben und die er zu operationalisieren hat. In diesem Sinne ist die Reform des öffentlichen Dienstes untrennbar mit der Reform der öffentlichen Verwaltung insgesamt verbunden.
In vielfältiger Hinsicht können die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und des öffentlichen Dienstes heute zurückgenommen werden, kann und muß stärker auf private Eigenverantwortung bis hin zu Maßnahmen der Privatisierung gesetzt und vertraut werden. Ich betone ganz ausdrücklich, Herr Schily: Privatisierung ist kein Ideologiethema und darf es auch nicht werden,
wie es bei Ihnen wieder angeklungen ist.
Der Bund ist in dieser Hinsicht bekanntlich weit vorausgeschritten.
- Endlich kommt Leben in die Bude, na, wie schön! Endlich kommt Leben rein. O wie schön!
Der Bund ist in dieser Frage, meine Damen und Herren, wie wir wissen, weit vorangeschritten, wie vor allem die grundlegenden Privatisierungen bei
Post und Bahn belegen. Auf der Agenda steht eine Fülle weiterer Unternehmen. Ich füge hinzu: Solche Privatisierungen dürfen natürlich nicht nur nach den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit, sondern sie müssen auch nach den Grundsätzen von Sozialverträglichkeit und Infrastrukturgerechtigkeit vorgenommen werden.
Vor allem bei Post und Bahn ist dies erfolgreich gelungen. Ich erinnere an das Telekommunikationsgesetz, bei dem die gleichen Voraussetzungen in richtunggebender Weise vorgesehen sind.
Um gleich ein weiteres Mißverständnis auszuräumen: Verstärkte Privatisierungserfordernisse bedeuten natürlich nicht, daß auf das Berufsbeamtentum zu verzichten wäre.
Auch das ist ja ein Thema, das die Altideologen inzwischen wieder herausholen. Wir halten am Berufsbeamtentum fest und bekennen uns gleichzeitig zu seiner Reform.
Meine Damen und Herren, das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nimmt die gegebenen, die allzu groß gewordenen Defizite in unseren Planungs- und Genehmigungsverfahren auf und begegnet diesen durch Maßnahmen zur substantiellen Beschleunigung, Konzentration und Öffnung für mehr private Eigenverantwortung. Flexiblere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind notwendig: notwendig für den Wirtschaftsstandort, notwendig für mehr Eigenverantwortung, notwendig für Investitionsvorhaben, notwendig für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dies alles ist das entscheidende Programm, ist die entscheidende Philosophie dieser Gesetzgebung. Wir brauchen mehr kooperative Verantwortung von Verwaltung und Privaten, vom Projektmanagement bis zum Öko-Audit. Auch das muß erkannt und umgesetzt werden.
In die gleiche Richtung weist das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren. Auch hier werden die entsprechenden Verfahren im Bereich zentraler Aufgabenfelder des Umweltschutzes gestrafft und vereinfacht, und dies, wie mit Nachdruck hervorzuheben ist, ohne jede Einschränkung an qualitativem Umweltschutz. Die umweltrelevanten Schutzstandards werden nicht zurückgenommen. Der materielle Standard bleibt auch im Bereich des Immissionsschutzrechtes erhalten. Gerade deshalb ist den hier angesprochenen Besorgnissen, daß Umweltschutzstandards zurückgenommen werden könnten, mit Nachdruck zu widersprechen.
Dr. Rupert Scholz
Bei Ihrem Papier allerdings, Herr Fischer, das wir heute mitzuberaten haben, braucht man nur die Überschrift zu lesen: „Kein Abbau von Umweltstandards und Bürgerrechten" . Sie glauben doch nach wie vor an die Allmacht des Staates, und das hat mit Bürgerrechten überhaupt nichts zu tun.
Da steht ausdrücklich drin - man muß es nur lesen -: Wo Genehmigungsverfahren, wo Kontrollverfahren zurückgenommen werden, bedeutet dies für die Grünen die Rücknahme von Standards. Die Wahrheit ist das Gegenteil. Aber Sie haben eben kein Bild vom eigenverantwortlichen Bürger, und deshalb verstehen Sie auch nichts von Bürgerrechten. Das ist ganz einfach.
Aber ich möchte darüber hinaus darauf hinweisen, daß der Umweltschutz ebenso wie die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen im System einer ebenso sozialen wie ökologischen Marktwirtschaft nicht isoliert, nicht getrennt voneinander gesehen und verfolgt werden können. Es bedarf hier einer wirklichen Gesamtschau von Ökonomie und Ökologie. Hier bestehen keine einseitigen Prioritäten zugunsten der einen oder anderen Seite, sondern hier besteht eine Gesamtverantwortung zugunsten einer ebenso ökonomisch leistungsfähigen wie ökologisch sicheren und verantwortlichen Wirtschaft.
Wer einen wirklich schlankeren und damit auch effizienteren Staat will, darf schließlich auch am System unseres Verwaltungsrechtsschutzes nicht vorbeigehen. Folgerichtig gehört in den Kontext unserer heutigen Debatte auch der Entwurf eines Änderungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung. Das System unseres Verwaltungsrechtsschutzes basiert bekanntlich auf der umfassenden Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Hiernach ist dem Bürger ein ebenso umfassender wie effektiver Rechtsschutz von Verfassungs wegen gewährleistet. Ein solcher Rechtsschutz muß aber auch gerade im System unseres gewaltenteiligen Rechtsstaates in einem adäquaten Verhältnis zu den Anforderungen einer effektiven Verwaltungsverantwortung und der von ihr für Staat und Gesellschaft insgesamt zu erfüllenden Aufgaben gesehen und operationalisiert werden. Dies bedeutet, daß auch im Lichte eben dieser Rechtsschutzgarantie der Gesetzgeber immer wieder mit für die nötigen Verfahrensvereinfachungen, Verfahrensverbesserungen sowie Beschleunigungen im System unseres Verwaltungsrechtsschutzes insgesamt zu sorgen hat. Es kann nicht der Sinn eines Systems verfassungskonformer Rechtsschutzgarantien sein, daß die reine Prozeßführung, die reine Durchführung und Einlegung von Rechtsmitteln gesamtstaatliche, gesamtgesellschaftliche Erfordernisse im Übermaß inhibiert. Wir leben auf dem Weg - der Innenminister hat darauf hingewiesen -, Individualgerechtigkeiten mitunter überzubetonen. Individualgerechtigkeiten sind unverzichtbar, natürlich. Aber es gibt auch gesamtstaatliche, gesamtgesellschaftliche Belange, und es gibt auch Gleichheitsbelange. Das ist etwas, was in unserer Rechtsprechung, in unserem System des Verwaltungsrechtsschutzes zunehmend in den Hintergrund getreten ist. Die Reparatur liegt im richtigen Ansatz gesehen dort, wo es um verfahrensmäßige Entschlakkungen geht. Auch hierzu bildet diese Novelle zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung einen ersten wichtigen Einstieg.
Meine Damen und Herren, insgesamt sind die von der Bundesregierung, von der Koalition eingebrachten neuen Gesetze ein erster wichtiger Schritt für die Modernisierung unseres Gemeinwesens insgesamt, zur Einleitung eines wirklich notwendigen Prozesses und vor allem auch ein Beitrag für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für den Umweltstandort Deutschland und vor allem für die Arbeitsplätze und den Arbeitsmarkt in Deutschland. Das sind die Themen unserer Zeit.
Ich danke Ihnen.