Rede von
Otto
Schily
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Modernisierung von Staat und Verwaltung ist nach unserem Verständnis - das wollen wir heute bekräftigen - eine der zentralen politischen Gestaltungsaufgaben der kommenden Jahre.
Die ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen sich die Tätigkeit von Staat und Verwaltung vollzieht, ändern sich kontinuierlich und mit wachsender Dynamik. Politik und Verwaltung haben sich in immer kürzeren Zeiträumen auf neue Entwicklungen einzustellen, die in aller Regel nicht mehr nur national-internen Charakter haben. Das erfordert ein neues, modernes, weltoffenes Profil der Verwaltung.
Die Komplexität der staatlichen Aufgaben nimmt zu. Gleichzeitig verknappen sich die Ressourcen. Wir alle wissen, daß neue Anstrengungen zur Sicherung der ökonomischen Entwicklungsbedingungen Deutschlands erforderlich sind. Es müssen daher kooperative Instrumente und Lösungen gefunden werden, um bei anhaltend engen finanziellen Handlungsspielräumen die Massenarbeitslosigkeit nicht weiter anwachsen zu lassen und eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.
Der öffentliche Sektor mit seinen vielfältigen Einrichtungen ist in der Vergangenheit immer unüberschaubarer und schwerer steuerbar geworden. Auf neue Probleme wurde häufig mit der Schaffung neuer öffentlicher Einrichtungen und Behörden reagiert.
Das Politikmuster, Probleme durch Mehrausgaben und Ausbau von Verwaltung zu lösen, ist jedoch längst an seine Grenzen geraten. Wird der Staat ständig mit neuen Aufgabenstellungen konfrontiert, ohne daß er sich in vergleichbarem Maße von überkommenen Aufgaben trennt und dadurch Ressourcen für neue Prioritäten freimacht, kann das nur in einem Debakel enden.
Deshalb sollten wir uns aller Dogmen entledigen. Längst nicht alles, was heute durch staatliche Institutionen geleistet wird, kann nur durch den Staat vernünftig geregelt werden.
Andererseits ist eine ideologische Fixierung auf Privatisierung staatlicher Kompetenzen als Allheilmittel verfehlt,
weil nicht bedacht wird, daß im Wettbewerb häufig die staatliche Organisation durchaus kostengünstiger und effizienter arbeitet als ein privater Anbieter.
Vor einer ideologischen Fixierung auf Privatisierung ist nicht zuletzt deshalb zu warnen, weil nichts verbessert, sondern eher alles erheblich verschlechtert wird, wenn am Ende an Stelle eines staatlichen Monopols ein privates Monopol steht.
Staat und Verwaltung müssen Steuerungsfähigkeit zurückgewinnen und durch verstärktes Kostenbewußtsein und erhöhte Wirtschaftlichkeit die Effizienz und Effektivität ihres Handelns steigern. Was die öffentliche Hand tun und was sie lassen soll, muß im politischen Prozeß konkretisiert werden. Das kann sowohl die Übertragung überkommener Aufgaben auf freie Träger oder private Anbieter als auch die gezielte Übernahme neuer Staatsaufgaben bedeuten.
Ich erwähne hier sehr bewußt auch freie Träger, weil wir uns nicht auf die Alternative hie Staat und
Otto Schily
dort private Anbieter unter dem ökonomischen Kalkül beschränken sollten. Ich fand es sehr bedenkenswert, daß kürzlich in einem Leitartikel der „Süddeutschen Zeitung" hervorgehoben wurde, daß wir vielleicht künftig gerade Stiftungen eine größere Rolle im gesellschaftlichen Raum zuordnen sollten.
Man muß eben ein neues Verständnis von freier Trägerschaft entwickeln.
Hohe Flexibilität und Innovationsfähigkeit sind entscheidend. Die Verwaltung braucht anpassungsfähigere Entscheidungsformen und mehr Selbstorganisation. Die SPD hat in diesem Sinne ein neues Leitbild für die Verwaltung formuliert. Elemente dieses Leitbildes sind eine stärkere Zielorientierung der Arbeit der Verwaltungen, mehr Bürgernähe und -freundlichkeit, mehr Kundenorientierung - wir sollten dabei den Begriff der Kunden nicht auf die unternehmerische Seite verengen, zu den Kunden gehören auch der einfache Bürger und die Allgemeinheit; das gilt für die Planungs- und Genehmigungsverfahren -,
mehr Einfühlungsvermögen hinsichtlich der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Kostendenken, mehr Zeitdisziplin, mehr Eigenverantwortung und zugleich mehr Verantwortungsbereitschaft sowie Abbau von Hierarchien.
Es umfaßt ferner Beseitigungen von Fehl- und Überregulierungen und Verringerung des Papierkriegs unter Wahrung der Bürgerbeteiligung und der rechtlichen, der Sicherheits- und der Umweltstandards.
Wenn eine Modernisierung der Verwaltung im Sinne dieses Leitbildes gelingen soll, dann muß für die Reform ein umfassender Ansatz gewählt werden. Das heißt, die Dienstrechtsreform, die wir heute auch diskutieren, muß in ein umfassendes Reformkonzept integriert sein.
Dabei muß der methodisch richtige Weg gewählt werden. Eine stumpfsinnige Rotstiftpolitik, die sich darauf beschränkt, möglichst viele Stellen abzubauen, hat mit einem sinnvollen Konzept zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Die Tatsache, daß bei dem Programm der Bundesregierung zur Straffung der Bundesbehörden nicht der Bundesinnenminister, sondern auffälligerweise der Bundesfinanzminister federführend ist, beweist, daß die Bundesregierung bedauerlicherweise einen falschen Ansatz gewählt hat.
Selbstverständlich kann niemand ernsthaft die These vertreten, der Staat könne Arbeitslosigkeit dadurch auffangen, daß er mehr Stellen anbietet oder auf notwendige Einsparungen verzichtet. Wenn der Staat jedoch der Wirtschaft und der Gesellschaft allgemein abverlangt, sich darauf zu besinnen, daß es besser ist, Geld für Arbeit als für Arbeitslosigkeit aufzuwenden, darf er sich selbst aus dem „Bündnis für Arbeit" nicht verabschieden,
sondern er muß aktiver Teilnehmer an diesem Bündnis sein.
An die erste Stelle gehört daher im Rahmen eines Gesamtkonzepts „Modernisierung der Verwaltung" die Prüfung der Frage, wie können wir die vorhandenen Fähigkeiten und Begabungen der Menschen im öffentlichen Dienst sinnvoll und effizient so einsetzen, daß die dem Staat zukommenden Aufgaben in optimaler Weise gelöst werden können. Dabei spielt die Motivation der Beschäftigten eine herausragende Rolle.
Kernstück einer Verwaltungsreform muß immer die Steigerung der Leistungsbereitschaft und die Stärkung der Eigenverantwortung der Beschäftigten sein. Wir haben das schon des öfteren an dieser Stelle gesagt, ich wiederhole es bewußt: Eine Verwaltungsreform, die gegen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Gang gesetzt werden soll, ist von Beginn an gescheitert.
Es sollte daher der Bundesregierung zu denken geben, wenn es in einer Verlautbarung des Deutschen Beamtenbundes heißt:
Das Bündnis für Arbeit des Finanzministers besteht offenbar lediglich darin, Behörden aufzulösen, zusammenzulegen oder zu privatisieren. Dafür kann er von den Gewerkschaften weder Verständnis noch Unterstützung erwarten.
Ich füge hinzu: Er kann dafür auch weder Verständnis noch Unterstützung seitens der SPD erwarten.
In einer Grundsatzrede hat Rudolf Scharping vor zwei Jahren fünf Leitprinzipien für die Verwaltungsmodernisierung formuliert, an die ich erinnern will:
Erstens. Steuern statt rudern.
Zweitens. Resultate sind wichtiger als Regeln. Drittens. Autonomie statt Hierarchie.
Viertens. Wettbewerb statt Monopol.
Fünftens. Motivation statt Alimentation.
Nun frage ich Sie: Folgt die Bundesregierung dem ersten Prinzip? - Offenkundig ist das nicht der Fall. Sie rudert herum, statt zu steuern. Sie hat keinen Kompaß, oder sie versteht ihn nicht zu lesen.
Otto Schily
Das gilt auch für die Dienstrechtsreform, auf die mein Fraktionskollege Fritz Rudolf Körper noch näher eingehen wird.
Ein Mangel dieser Dienstrechtsreform ist vor allem, daß sie keine Vorschläge für ein besseres Personalmanagement bringt. Gerade das ist aber, glaube ich, ein wichtiges Element innerhalb einer solchen Dienstrechtsreform.
Zu kritisieren sind auch die geplanten Einschränkungen im Versorgungsrecht, weil über Veränderungen in diesem Bereich erst verhandelt werden kann, wenn der überfällige Versorgungsbericht vorgelegt wird. Warum, Herr Bundesinnenminister, halten Sie den Versorgungsbericht immer noch, streng bewacht, unter Verschluß? Gehört dieser Versorgungsbericht zu den streng gehüteten Geheimnissen, die der erstaunten Öffentlichkeit erst nach den Landtagswahlen am 24. März offenbart werden sollen?
Müssen Sie befürchten, daß Ihre Finanzplanung vollends zur Makulatur wird, wenn die Zahlen des Versorgungsberichtes auf dem Tisch liegen?
Verwaltungsmodernisierung verstehen wir als ein umfassendes Vorhaben, das sich nicht nur auf die Verbesserung von organisatorischen Abläufen beschränkt; Bestandteil eines solchen umfassenden Konzepts muß auch eine grundlegende Steuerreform sein. Was sich im Bereich der Steuerverwaltung abspielt, hat mit moderner, effizienter Verwaltung auch nicht das Geringste zu tun. Hier muß richtig aufgeräumt werden. Eine grundlegende Steuerreform setzt sicherlich einen breiten Konsens voraus. Wir bieten dazu unsere konstruktive Mitarbeit an.
Schließlich bedarf es auch einer Verständigung darüber, inwieweit eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erreicht werden kann, ohne Umweltschutz, Sicherheitsstandards und Bürgerbeteiligung zu vernachlässigen. Sie haben dazu einige Gesetze eingebracht, die unterschiedlich zu bewerten sind.
Ein deutliches Defizit bei diesen Gesetzgebungsvorhaben sehen wir darin, daß sich die Bundesregierung nicht um verläßliche empirische Daten bemüht hat. Wer nicht weiß, wie lange Genehmigungsverfahren in der Praxis dauern, kann kaum zu vernünftigen Verbesserungsvorschlägen gelangen.
Die Kritik, die in dem jüngst vorgelegten Umweltgutachten an den Vorschlägen der Bundesregierung zur Verfahrensbeschleunigung und Deregulierung geübt wird, sollten Sie eingehend studieren.
Wir begrüßen wie der Umweltrat Vorschläge, die sich mit dem Verfahrensmanagement beschäftigen und die erkennbar werden lassen, daß in dem bestehenden System noch erhebliche Beschleunigungspotentiale vorhanden sind, die ausgeschöpft werden können. Eine Absenkung von Umwelt- und Sicherheitsstandards und eine Verschlechterung der Bürgerbeteiligung lehnen wir aber in Übereinstimmung mit dem Umweltrat entschieden ab.
Dazu wird mein Fraktionskollege Dietmar Schütz noch in Einzelheiten Stellung nehmen.
- Ja, ja, ich habe ihn gelesen. Es gibt durchaus interessante Ansätze, Herr Hinsken. Aber bei einer Absenkung von Umwelt- und Sicherheitsstandards kann man, wie gesagt, nicht mit unserer Zustimmung rechnen.
Skeptiker meinen, meine Damen und Herren, in der Vergangenheit habe man schon des öfteren ehrgeizige Ziele zur Reform des öffentlichen Dienstes und zum Abbau von Bürokratie auf die Fahnen geschrieben; es sei jedoch immer alles im Sande verlaufen; inzwischen füllten ungezählte Gutachten und Bücher die Bibliotheken, ohne daß etwas Ernsthaftes geschehen sei. Von diesen skeptischen Einwänden sollten wir uns nicht beeindrucken lassen. Wir haben gar keine andere Wahl, wenn wir im globalen Wettbewerb bestehen wollen, als uns der Reformaufgabe zu stellen.
Ermutigen sollten uns die Erfolge, die viele Städte und Kommunen bei der Reform der Verwaltung bereits erzielt haben. Die Städte Passau und Heidelberg sind dafür herausragende Beispiele.
Aber auch die wirtschaftlichen Erfolge, die Neuseeland zu verzeichnen hat, sollten beispielgebend sein. Neuseeland erhält von der OECD die besten Noten und hält den Spitzenplatz in der internationalen Wettbewerbsrangliste bei Staatsleistungen. Das ist nicht zuletzt einer umfassenden Modernisierung von Staat und Verwaltung in diesem Lande zu verdanken.
Hans Peter Bull, der ehemalige Innenminister Schleswig-Holsteins, meinte: Der Öffentliche Dienst wird sich nur bessern - ich zitiere -, „wenn er wirklich von einem neuen Geist der Modernisierung erfaßt wird" . Ob die ziemlich abgeschlaffte amtierende Bundesregierung diesen neuen Geist einzuflößen vermag, unterliegt allerdings ernsthaften Zweifeln.
Ich danke Ihnen.