Nein, ich gestatte Herrn Lensing keine Zwischenfrage; ich will ihm nicht noch eine Freude bereiten.
- Wissen Sie, das einzige, was eine Freude bereitet, ist, daß das Tauziehen endlich ein Ende hat. Wenn Sie sagen, heute sei ein Tag der Freude, dann entgegne ich: Es war ein Tag der Trauer, als diese Regierung die Aufstiegsfortbildung aus dem AFG gestrichen hat.
Damit wir das einmal deutlich machen: Sie freuen sich über ein Reparaturgesetz, weil Sie erkannt haben, wie dringend notwendig es für dieses Land, für das Handwerk und für den Mittelstand ist, endlich wieder eine Aufstiegsfortbildung zu installieren.
- Falsch war die damalige Entscheidung. Das ist sozusagen der Beweis dafür, was es mit diesem gesamten Gesetzesverfahren auf sich hat. Es ist ja gut, daß Sie das erkannt haben.
Wir müssen schlichtweg immer wieder in Erinnerung rufen, daß seit der Abschaffung der Aufstiegsfortbildungsförderung im AFG die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um die Sie immer so sehr bemüht sind, um 100 000 zurückgegangen ist. Die Lücke und den Bedarf haben Sie im Prinzip selbst mit Ihrer damaligen Vorgehensweise erzeugt.
Wenn die SPD heute diesem Kompromiß zustimmt, dann tut sie dies im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aufstiegswillig sind und sich weiterbilden wollen; sie tut dies im Interesse des Handwerks und im Interesse des Mittelstandes, nach den vielen Diskussionen, die wir auch mit den Handwerkern und auch mit den Vertretern des Mittelstands geführt haben. Wenn Sie sich das Ergebnis der Anhörung sehr genau anschauen, dann werden auch Sie feststellen, daß dieses Gesetz heute immer noch eine Menge an Mängeln beinhaltet, die es möglicherweise in einem weiteren Verfahren nachzubessern gilt.
Für die Verzögerung, die entstanden ist, tragen einzig und allein die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen die Verantwortung.
Der Minister - ich habe ihm das oft genug gesagt - ist hergegangen und hat immer weitere Hürden aufgebaut. Man muß sich erinnern, daß, als Sie diese Konzeption im März letzten Jahres verkündet haben, von einer Mitfinanzierung der Länder überhaupt noch nicht die Rede war. Es ist erst im weiteren Verfahren, bei der Gesetzesvorlage im September, auf den Tisch gekommen, daß Sie eine 35prozentige Mitfinanzierung wollen.
Erst im weiteren Verfahren, als die Arbeitsamtslösung diskutiert wurde, zu der sich alle Sachverständigen bekannt haben, und als der Kompromißvorschlag mit den CDU-Stimmen aus dem Vermittlungsausschuß vorlag, ist diese verfassungsbedenkliche Sichtweise des Ministeriums aufgekommen, daß das Verfahren über das Arbeitsamt angeblich nicht gehen würde. Das war rein ideologisch begründet. Wir bleiben dabei: Die Bundesanstalt für Arbeit darf nicht zu einer Bundesanstalt für Arbeitslose gemacht werden. Weiterbildung und Bildung bleiben auch weiterhin eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe.
Für die Ablehnung des Kompromisses, der im Vermittlungsausschuß getroffen wurde, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen, haben das Handwerk und der Mittelstand kein Verständnis gehabt. Das zeigen die Briefe, das zeigen die Einschätzungen der Gespräche, die geführt worden sind.
Es bleibt auch - da kann man sehr genüßlich die „Frankfurter Rundschau" zitieren - das wahr, was am 24. November in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand: „Es ist noch kein Meisterstück." Es ist richtig, wenn derjenige, der den Kommentar geschrieben hat, am Ende seines Artikels anführt: „Man hätte beizeiten verhandeln sollen, anstatt vorschnell hier Hoffnungen zu wecken."
Der jetzt vorliegende Kompromiß beinhaltet die im Gesetzgebungsverfahren von der SPD geforderten Verbesserungen wie die Senkung der Mindeststundenzahl, um die Teilnehmerkreise, um die Betroffenenkreise zu vergrößern. Er beinhaltet die von uns angesprochene Verbesserung bei der Übernahme der Kinderbetreuungskosten für die Alleinerziehenden und die Teilzeitbeschäftigten, die Sie in einem ersten Verfahren nur als Darlehen gewähren wollten.
Wir halten weiterhin an der Position fest, daß die Arbeitsämter eigentlich die kompetenteren und die geeigneteren Institutionen für eine schnelle Umsetzung des Gesetzes gewesen wären.
Auch die Sachverständigen sagen das. Die Auffassung der Bundesregierung, dies sei verfassungsrechtlich nicht möglich, wird von uns nach wie vor bezweifelt.
Franz Thönnes
Wir respektieren aber die jetzt gefundene Lösung, nach der die Länder eigenverantwortlich über die mit der Durchführung des Gesetzes zu beauftragenden Behörden entscheiden, um den Kompromiß zu ermöglichen. Die 22prozentige Beteiligung der Länder an der Finanzierung unterstreicht deren Bereitschaft zur Mitverantwortung für die Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung.
Gleichwohl - was wir auch in unserem Antrag geschrieben haben - bleibt in dem Gesetz eine Fülle von qualitativen Mängeln erkennbar. Das Finanzvolumen ist noch immer unzureichend. Ich will zwei Zahlen in Erinnerung rufen: Mit 800 Millionen DM pro Jahr ist die AFG-Förderung für den Bereich der Aufstiegsfortbildung damals finanziert gewesen; mit 163 Millionen DM steigt man in diesem Jahr in eine Wiederbelebung ein.
Wir teilen auch weiterhin die kritische Position des Deutschen Industrie- und Handelstages zur Fördersystematik. Er sagt deutlich: Die Konzentration auf die Förderung der Vollzeitmaßnahmen ist bildungspolitisch, arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Es wäre sinnvoller, diejenigen stärker zu bezuschussen, die sich in Teilzeitmaßnahmen befinden, die sich berufsbegleitend - und dadurch mit einem Mehraufwand neben ihrer Arbeitszeit - weiterbilden wollen. Bei dieser Konzentration besteht die große Gefahr, daß die Arbeitsplätze derjenigen, die sich weiterbilden wollen, aufgegeben werden müssen.
Wir halten die Verzinsung der Darlehen weiterhin für falsch.
Ich wiederhole: Wir lassen es nicht zu - sollten Sie bei den weiteren Beratungen über das BAföG auf diesen Gedanken kommen -, unsere heutige Zustimmung zu diesem Kompromiß als präjudizierendes Element zu betrachten, wenn es darum geht, auch beim BAföG eine Verzinsung einzuführen.
Wir werden keine Verschlechterung in anderen Förderungsbereichen akzeptieren.
Wir wollen auch, daß dieses Gesetz nach zwei Jahren durch unabhängige Sachverständige - so ist das auch in unserem Antrag enthalten - evaluiert wird. Wir wollen, daß mit den Verbänden, die wir in der Anhörung hatten, in eine kritische Debatte darüber eingetreten wird, wie dieses Gesetzesvorhaben wirkt.
Ein Meisterwerk ist weder der Weg des Zustandekommens der jetzigen Lösung noch das Gesetz selbst. Dies muß dem Minister deutlich in das Stammbuch geschrieben werden.
Wenn es denn eines wäre, könnte man ihm ja mit solchen Dingen eine Freude machen. Ich will nur hoffen, daß andere Gesetze, die Sie noch auf den Weg
zu bringen haben, eine bessere Qualität haben und mit mehr Kompromißbereitschaft sowie in einem schnelleren Verfahren mit den Ländern hier auf den Tisch kommen.
Sie sollten eigentlich ein bißchen danach trachten, als einer der Ersten selbst in diesem Rahmen eine Meisterausbildung zu machen. Dann könnten wir sehen, ob dieses Gesetz am Ende auch auf der Ministerbank Wirkung zeigen würde. Ob es die Qualität eines Gesellenstücks erreicht, wird sich zeigen müssen. Dies werden wir uns nach zwei Jahren anschauen.
Bei all dem, was wir in diesem Zusammenhang diskutiert haben, haben wir immer nur die Zielgruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge gehabt. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es in den Bereichen der Beschäftigten weiteren Handlungsbedarf gibt, Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entwickeln. Dies sollten wir auch weiterhin hier in diesem Hause diskutieren.
Ich denke dabei insbesondere an die fünf bis sechs Millionen an- und ungelernten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Hierzu sagt der Arbeitsminister selbst: Die Hälfte der Arbeitsplätze, die diejenigen heute innehaben, werden in den nächsten vier bis fünf Jahren wegfallen. Ich denke an die Frauen, die einen Wiedereinstieg in das Berufsleben wollen. Ich denke an die fünf bis sechs Millionen Arbeitslosen in diesem Lande.
Weiterbildung muß für uns in einem rohstoffarmen Land einer der wesentlichsten Innovationsfaktoren und einer der zentralen Investitionsfaktoren sein.
Der Kompromiß, dem wir heute zustimmen, ist ein Fortschritt für das Handwerk, für den Mittelstand und für die weiterbildungswilligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Er ist deswegen ein Fortschritt, weil Sie 1993 die Aufstiegsfortbildung leider Gottes gestrichen haben. Wir stimmen zu, damit in der Bundesrepublik wieder ein Stück Gerechtigkeit und ein Stück Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung umgesetzt werden kann. Es ist ein kleiner Schritt und es ist kein Meilenstein auf dem Weg in die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, Herr Minister.