Danke schön.
Damit Herr Lensing nicht so lange stehenbleiben muß, mache ich das gleiche wie bei Herrn Hinsken und verzichte auf das Recht der Nichtanrechnung auf die Redezeit. Ich baue die Antwort in meine Rede ein, werde also noch darauf eingehen, Herr Kollege.
Weiter: Sie weigern sich schlichtweg, das Ergebnis des Vermittlungsausschusses anzunehmen. Sachverstand, Konsens und Pragmatismus werden vom Zukunftsminister abgewiesen. Als Krücke für seine Haltung muß nun eine angebliche Verfassungswidrigkeit herhalten.
Goethe hat uns im „Götz von Berlichingen" ein zu diesem Verhalten treffendes Zitat zur Verfügung gestellt; dabei denke ich jetzt nicht an das allgemein bekannte, sondern an dieses:
Der Meister eines Baus gräbt den Grund nur desto tiefer, als er hoch und höher die Mauern führen will.
In der Tat, Herr Rüttgers: Sie graben die Gräben zwischen Land und Bund immer tiefer und bauen immer größere Mauern auf.
Die Sachverständigen haben uns eindeutig beraten und uns ihre Auffassung in den Ausschußberatungen zur Kenntnis gegeben. Wir gemeinsam, alle
Franz Thönnes
Berichterstatter, haben den Ausschußbericht unterschrieben. Ich zitiere daraus:
Es sprachen sich alle Sachverständigen für die Beauftragung der Arbeitsämter mit der Verwaltungsdurchführung des AFBG aus. Gegen die Einrichtung neuer Behörden sprechen nicht nur deren fehlende Fachkompetenz und Erfahrung, sondern auch die damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen in der Anlaufphase und nicht zuletzt auch die wahrscheinlich höher anzusetzenden Verwaltungskosten. Zudem müsse sichergestellt sein, daß eine einheitliche Umsetzung des AFBG erfolge. Nach der im AFBG vorgesehenen Regelung sei aber nicht auszuschließen, daß in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Formen der Umsetzung realisiert werden würden.
Die Sachverständigen waren die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die freien Berufsverbände und die Gewerkschaften. Selbst Bayern hat einen Antrag in die Beratungen im Bundesrat eingebracht. Er lautete - ich zitiere -:
Die Durchführung des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung sollte der Arbeitsverwaltung übertragen werden. Sie kann auf entsprechende Erfahrung zurückgreifen, so daß ein rascher und effektiver Vollzug gewährleistet ist und nicht erst mit großem Aufwand neue Verwaltungsstrukturen aufgebaut oder vorhandene Einrichtungen entsprechend gestärkt werden müssen.
Der Kompromiß im Bundesrat ist ebenfalls mit der breiten Mehrheit der Länder zustande gekommen. Sind nun sie alle Verfassungsgegner? Kennen sie alle sich in der Verfassung nicht aus?
Merken Sie, Herr Minister Rüttgers, eigentlich nicht, wie isoliert Sie dastehen? Nehmen Sie den Sachverstand derjenigen, die wir befragt haben, eigentlich nicht zur Kenntnis? Warum ignorieren Sie ihn? Merken Sie eigentlich nicht, daß Sie mit dem Starrsinn, den Sie einbringen, das Verfahren nur verzögern und blockieren?
Ein Zukunftsminister, der blockiert, konterkariert und ignoriert, bekommt für seine Leistungen und dieses Verhalten keinen Meisterbrief, sondern höchstens den Titel „Blockademeister".
Hören Sie auch endlich auf, uns den Vorwurf zu machen, wir würden 60 000 Arbeitsplätze gefährden! Umgekehrt ist es richtig: Wenn die Zahl der geförderten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Aufstiegsfortbildung nach dem AFG, das durch Sie abgeschafft worden ist, von 139 000 auf 25 000 zurückgegangen ist, dann haben Sie die Arbeitsplätze in den letzten zweieinhalb Jahren gefährdet. Das ist die Realität.
Interessant ist auch, daß in allen Ausführungen des Ministers bis zum 15. Dezember 1995, in der gesamten Debatte im Ausschuß und bei allen Anhörungen das Argument der Verfassungswidrigkeit bei der Regelung mit den Arbeitsämtern nie aufgetaucht ist. Erst bei den weiteren Beratungen kam dann die Krücke des verfassungswidrigen Verhaltens mit in die Begründung hinein.
Ich will Ihnen mal die wahre Begründung sagen, die der Minister auch im Bundesrat formuliert hat: Wir wollen ein Bildungsgesetz und kein Arbeitsförderungsgesetz. Deshalb wollen wir einen Vollzug durch die Ämter für Ausbildungsförderung und keinen Vollzug durch die Arbeitsämter.
Wir dürfen unsere zukünftigen Meister nicht zu den Arbeitsämtern schicken. Junge Menschen reagieren auf solche Signale sehr sensibel.
Wie sollen denn die Arbeitslosen darauf reagieren, wenn sie zum Arbeitsamt gehen sollen?
Wie sollen denn die nachfragenden jungen Menschen reagieren, die keinen Ausbildungsplatz bekommen? Das ist eine Diffamierung der Bundesanstalt für Arbeit. Das ist eine Diffamierung derjenigen, die in den Arbeitsämtern arbeiten.
Mit dieser Begründung wird auch offenbar, was Sie nebenbei noch verwirklichen wollen. Sie wollen die Arbeitsverwaltung zu einer Arbeitslosenverwaltung machen. Das steckt in Wahrheit dahinter.
Leistung, Kompetenz und Bemühungen der vielen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit werden diffamiert. Aktive Arbeitsmarktpolitik, die sie machen, wird ignoriert.
Und es bleibt richtig, und das ist auch die Begründung für die Position der SPD: Die potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennen die Behörde, die für die Aufstiegsfortbildung zuständig ist. Die Bundesanstalt für Arbeit kann unmittelbar an die Erfahrungen anknüpfen, die mit dem 1993 ausgelaufenen Instrumentarium des AFG verbunden waren. Nur die Bundesanstalt für Arbeit verfügt über ausreichende Erfahrungen im Bereich der qualitativen Prüfung der Maßnahmeträger. Nur die Bundesanstalt für Arbeit - sieht man einmal von den Kammern ab - kann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer qualitativ
Franz Thönnes
gut beraten. Und nur die Bundesanstalt für Arbeit sichert auch die dringend gebotene einheitliche Durchführung. Es ist völlig falsch, daß Sie hier trennen wollen. Diese Broschüre hier wird von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegeben und liegt in den Arbeitsämtern aus: „Beratung für Meisterlehrgänge", Ausgabe 1995.
Wenn Sie einmal einen Blick ins AFG werfen, dann finden Sie dort auch noch die Vorschrift, daß man ein Überbrückungsgeld zur Existenzgründung, zur Begründung einer selbständigen Tätigkeit, erhalten kann. Sie wollen die Meister, die in Vollzeitmaßnahmen gehen und ihren Arbeitsplatz vielleicht aufgeben, erst zu den BAföG-Ämtern schicken, und wenn sie nachher arbeitslos sind und eine Existenz gründen wollen, dann landen sie wieder beim Arbeitsamt und holen sich dort ihr Überbrückungsgeld ab. Was Sie dort betreiben, ist eine Verwirrung der Zustände in dieser Republik, die schon ihresgleichen sucht.
Für die SPD steht daher bei dem ganzen Verfahren Praktikabilität und nicht Ideologie im Vordergrund.
Nun zu dem, was sich gestern hier im Hause abgespielt hat mit dem „Rechtsgelehrten" Herrn Irmer aus der „Rechtsstaatspartei", die im Deutschen Bundestag sitzt.
Da geht der Kollege Irmer her und zitiert aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil - er hat nicht gesagt, von welchem - vom 10. Dezember 1980. Da habe ich einmal nachgeguckt, was für ein Urteil das wohl ist. Das war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz der damaligen SPD/F.D.P.-Koalition. Die Opposition ist damals über das Bundesland Bayern zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Da ging es um die Frage, ob der Bundesrat zustimmen mußte. Was dabei herausgekommen ist, ist schon ganz, ganz spannend. Denn vorher geht der Kollege Blens hin und gibt dem Kollegen Irmer einen Zettel, und der Kollege Irmer hat nichts Besseres zu tun, als daraus zu zitieren, ohne sich um hinten und vorne zu kümmern. Und der Rechtsausleger aus der Rechtsstaatspartei F.D.P. wird nun zum Rechtsausleger, der Sie selbst treffen wird.
Es ist nämlich folgendes strittig gewesen: ob man erstens möglicherweise andere Einrichtungen mit der Einziehung der Ausbildungsplatzabgabe beauftragen kann. Im weiteren Verlauf des Verfahrens sind die Berufsgenossenschaften damals dort eingebracht worden. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht als zulässig anerkannt worden.
Der zweite Schritt ist noch viel spannender, Herr Minister Rüttgers. Jetzt bricht Ihr Gemäuer von der Verfassungswidrigkeit in sich zusammen. Der zweite Schritt ist nämlich insofern spannend, als das Bundesverfassungsgericht damals die Zustimmung des Bundesrates für notwendig erklärt hat, weil in dem Gesetz Verwaltungsvorschriften für die Durchführung enthalten waren, die die Zustimmung des Bundesrates erforderlich machen.
Deswegen wird es sich auch bei Ihrem neuen Gesetzentwurf so verhalten, daß dies der Zustimmung des Bundesrates bedarf
und daß damit nicht die Qualität vorhanden ist, die bewirkt, daß es sich nur um ein Einspruchsgesetz handelt. Schauen Sie sich einmal genau Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes an, und schauen Sie sich einmal an, wie die Begründung in dem Urteil aussieht. Das hätte vielleicht der Kollege Irmer auch einmal tun sollen.
Wenn es dann auch noch um die Durchführung geht, empfehle ich Ihnen noch eines: Schauen Sie sich einmal die Broschüre aus Ihrem Haus „BAföG 95/96" an und schauen Sie nach, daß darin vorgesehen ist, daß auch das Bundesverwaltungsamt beauftragt wird, etwas durchzuführen und umzusetzen. So verfassungswidrig, wie Sie die Arbeitsamtslösung diffamieren, ist sie nicht. Ihr Gesetzentwurf regelt an mehreren Stellen das Verwaltungsverfahren: Es geht darum, welche Angaben in die Bescheide hinein müssen; es geht darum, wer prüft; es geht darum, wer den Antragstellern die Bescheinigung ausstellt - alles Formulierungen, die mit dazu beitragen, daß dieses Gesetz im Bundesrat ausführlich beraten werden muß. Ich kann nur allen Rechtsausschüssen, die damit befaßt sind, dringend raten, sich sehr, sehr intensiv mit diesem Fragenkomplex auseinanderzusetzen.
Hören Sie auch endlich mit Ihrer Verdummungskampagne auf, wie Herr Doß es in seiner Pressemitteilung macht, in der er schreibt, die SPD wolle die Durchführung des Gesetzes durch die für Bildung zuständigen Länder nicht akzeptieren, sondern der Arbeitslosenversicherung aufbürden. So einen Quatsch glaubt Ihnen doch draußen kein Mensch. Es geht eindeutig darum, daß natürlich dann, wenn Sie von einem Leistungsgesetz sprechen, auf dessen Leistungen Rechtsansprüche bestehen sollen, die Kosten für die Durchführung von denen zu tragen sind, die sich dafür entscheiden, und das ist in dem Fall der Bund. Das wird dann durch einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit geregelt, und es wird nicht der Arbeitslosenversicherung aufgebürdet.
Herr Minister, Sie haben sich selbst mit Ihrer Vorgehensweise bei dem gesamten Gesetzgebungsverfahren auf verfassungspolitisches Glatteis begeben, und Sie begeben sich zunehmend in engere Konfliktsituationen mit den Ländern. Die „VDI nachrichten" haben sehr, sehr treffend am 2. Februar, in der letzten Woche, geschrieben:
Mit drei großen Projekten hat Rüttgers in den
letzten Monaten versucht, Profil zu gewinnen,
Franz Thönnes
mit der Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, der Neuformulierung der Aufstiegsfortbildung und dem Vorschlag, ein Multimediagesetz auf den Weg zu bringen. Doch statt die Formulierung solcher Leitprojekte voranzutreiben, sucht Rüttgers, wie kaum ein anderer Forschungsminister vor ihm, den Konflikt mit den Bundesländern und droht sich dabei festzufahren.
Herr Rüttgers, Zukunftspolitik für den Mittelstand und für das Handwerk und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestaltet man zusammen mit den Ländern und nicht gegen sie.
In den Text für die „Meistersinger von Nürnberg" hat Wagner geschrieben: Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst. - Das sollte für Sie eigentlich ein Leitbild sein: Achten Sie die Meister; geben Sie Ihre Blockadepolitik auf. Diese Bundesrepublik braucht keinen Konflikt- und Blockademinister; diese Bundesrepublik braucht einen Zukunftsminister, der sich wirklich um die Zukunft des Landes kümmert. Die Zukunft unseres Landes, die Zukunft des Handwerks, des Mittelstandes und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf nicht durch ideologische Streitereien des Zukunftsministers im Fingerhakelspiel mit den Ländern aufs Spiel gesetzt werden.
Ich kann abschließen mit den Worten des Präsidenten des niedersächsischen Handwerkstages, Herrn Kurt Rehkopf, der in bezug auf die Kompromißbereit-schaft, die ja von allen angedeutet worden ist, die Sie in den Wind schlagen, formuliert hat:
Wenn Bundesminister Rüttgers oder der Deutsche Bundestag jetzt nicht zustimmen würden, könnte das Handwerk diese Haltung nur mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen. Alle politischen Ankündigungen zur besseren Förderung von Existenzgründungen wären dann als reine Sonntagsreden entlarvt.
Es wäre schön, wenn Sie diese Aussagen Lügen strafen würden. Allein, bei dem Verfahren, das Sie anstreben, sehe ich, daß Sie fest entschlossen sind, Ihre ideologische Haltung umzusetzen, die Bundesanstalt für Arbeit aus dem Bereich der Ausbildungsförderung voll herauszunehmen, weiter den Konflikt mit den Ländern zu suchen. Das wird mit der Opposition nicht zu machen sein. Wir wollen ein Ausbildungsförderungsgesetz, das im Einklang mit den Interessen der Wirtschaft und des Handwerks steht und das schnell und zügig umgesetzt werden kann. Dies geht über die Bundesanstalt für Arbeit.