Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Meyer, Sie und Ihre Kollegen brüsten sich damit, daß Sie sich bei der beabsichtigten Kürzung der Arbeitslosenhilfe mit einigen Gewerkschaftsführern einig wissen. Ich hingegen bin froh darüber, daß ich mich mit Zehntausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in der Ablehnung dieses unwürdigen Gesetzes einig weiß.
Ich hoffe nur, daß diese Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am kommenden Montag bei der Kundgebung der IG Metall ihren Protest gegen die neuerlichen Sozialkürzungen nachdrücklich zum Ausdruck bringen.
Die PDS lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf ab. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß Sie jetzt die Arbeitslosenhilfe jährlich um 3 Prozent statt, wie vorgesehen, um 5 Prozent senken wollen. Das ist Ihr großmütiger Beitrag zum Bündnis für Arbeit. Nein, wir lehnen dieses Gesetz ab, weil es angesichts dieser dramatischen Beschäftigungslage absolut kontraproduktiv ist. Jede Form von Sozialleistung verschlimmert diese Lage auf unverantwortliche Weise.
4,2 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose und mehr als 7 Millionen fehlende Arbeitsplätze reichen
7702 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 87, Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1996
Dr. Heidi Knake-Werner
offenbar immer noch nicht, um Ihnen von Regierung und Koalition bewußt zu machen, daß Ihre alten Rezepte versagt haben. Sozialabbau und Deregulierung wirken nicht nur nicht gegen Arbeitslosigkeit; sie verschärfen vielmehr die gegenwärtige Beschäftigungskatastrophe, und sie torpedieren das Bündnis für Arbeit, bevor es überhaupt eine Chance gehabt hat, sich zu entwickeln.
4,2 Millionen Menschen erwarten von dieser Bundesregierung eine Politik, die ihnen endlich wieder die Chance eröffnet, durch ihre eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern. Sie erwarten keine weiteren Leistungskürzungen, und schon gar nicht wollen sie auf Sozialhilfe angewiesen sein. Viele dieser Erwerbslosen haben überhaupt kein Verständnis für ein Gesetz, das die Erwerbslosen gegeneinander ausspielt und sie in Konkurrenz um Arbeitsförderungsmaßnahmen treibt.
Das sogenannte Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz ist eine weitere Kampfansage an die Arbeitslosen und keine Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit. Dieses Gesetz schafft keinen einzigen Arbeitsplatz, und es stockt auch die notwendigen öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen nicht auf. Dieses Gesetz schafft nichts weiter als soziale Unsicherheit bei denjenigen, die auf soziale Transfers angewiesen sind.
Es sollen hier einmal mehr Kostenverschiebungen zugunsten des Bundeshaushaltes stattfinden; das ist uns ja aus der letzten Woche hinreichend bekannt. Diesmal soll es eine Kostenverschiebung geben erstens zu Lasten der Kommunen - das ist hier schon ausgeführt worden - durch den steigenden Sozialhilfebedarf und zweitens zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit durch den steigenden Bedarf beim Arbeitslosengeld, schließlich zu Lasten der Sozialversicherung, insbesondere der Renten, und nicht zuletzt zu Lasten der Langzeitarbeitslosen selbst, die nun weniger im Portemonnaie haben werden.
Um etwa 2 Milliarden DM soll der Bundeshaushalt durch diese Operation entlastet werden. Bei den ohnehin gebeutelten Kommunen entstehen dadurch Mehrkosten von 200 Millionen DM, weil nun noch mehr Arbeitslose auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen sind.
Schon heute, vor der Kürzung, liegen die durchschnittlichen Leistungen der Arbeitslosenhilfe in den alten Bundesländern bei 984 DM und in den neuen Bundesländern bei 776 DM monatlich. Im August 1995 bekamen 75 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen eine Arbeitslosenhilfe, die unterhalb der Sozialhilfeschwelle lag. Lediglich 18 Prozent der Arbeitslosenhilfebezieher und -bezieherinnen erhielten eine Arbeitslosenhilfe oberhalb von 1 200 DM.
Glauben Sie wirklich, daß es diese Frauen und Männer, die Sozialleistungen auf diesem Niveau erhalten, nötig haben, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu bekommen? Nein, diese Menschen brauchen keinen Druck von Ihnen. Sie wollen gerne arbeiten, aber Sie geben ihnen keine Arbeit, und Sie kürzen ihnen auch noch die wenigen Groschen, die sie bekommen.
Von der Absenkung der Arbeitslosenhilfe werden vor allem die Frauen betroffen sein, die auf Grund der niedrigeren Erwerbseinkommen schon traditionell eine geringe Arbeitslosenhilfe bekommen.
Die Kostenverschiebung, die zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit geht, ist brisant. 95 Prozent der aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollen künftig für Langzeitarbeitslose zur Verfügung stehen. Damit hier kein falscher Zungenschlag reinkommt: Wir von der PDS sind sehr dafür, daß endlich auch die Langzeitarbeitslosen von der Arbeitsförderung profitieren. Das haben wir in unseren arbeitsmarktpolitischen Sofortmaßnahmen selbst gefordert, Wir wollten sogar die Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher einbeziehen.
Was Sie aber vorschlagen, ist ein absolutes Nullsummenspiel, das zu einem üblen Verdrängungsprozeß unter den Arbeitslosen führen wird. Denn Sie stocken ja die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht gleichzeitig auf. Das führt dazu, daß um die verbleibenden 5 Prozent arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen nicht nur diejenigen konkurrieren, die noch nicht zu den Langzeitarbeitslosen gehören, sondern auch die arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen. Gerade dazu gehören die Jugendlichen.