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    Plenarprotokoll 13/87 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 87. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Februar 1996 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7675 B Absetzung von Punkten von der Tagesordnung 7675B, 7678B Zur Geschäftsordnung Joachim Hörster CDU/CSU 7675 D Dr. Peter Struck SPD 7676 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7677 A Jörg van Essen F.D.P. 7677 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS 7677 D Tagesordnungspunkt 18: Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses - zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an der Unterstützung für Ostslawonien (United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium = UNTAES) durch die multinationale Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina (IFOR) - zu dem Antrag der Gruppe der PDS: Kein Einsatz der Bundeswehr in Ostslawonien (Drucksachen 13/3708, 13/3693, 13/3730) 7678 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 7678D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . . 7680B Rudolf Seiters CDU/CSU 7682 B Dr. R. Werner Schuster SPD 7683 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7684 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 7685 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . 7685B Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 7686 C Freimut Duve SPD 7686 D Paul Breuer CDU/CSU 7687 D Walter Kolbow SPD 7688 D Uwe Hiksch SPD 7690 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7690 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 7691 C Uwe Hiksch SPD (Erklärung nach § 31 GO) 7692 C Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 7693 A Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (ArbeitslosenhilfeReformgesetz) (Drucksachen 13/2898, 13/3109, 13/3479, 13/3725, 13/3733) . 7693 C Rudolf Meyer (Winsen) CDU/CSU . . 7693 D Ernst Schwanhold SPD 7695 D Adolf Ostertag SPD 7696 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . 7698A Hans Michelbach CDU/CSU 7698 C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7699 B Dr. Gisela Babel F.D.P 7700 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS 7701 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD 7702 D Heinz Schemken CDU/CSU 7703 C Peter Dreßen SPD 7704 C, 7708 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 7705A Erika Lotz SPD 7705D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 7707B Namentliche Abstimmung 7709B Ergebnis 7711B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Rentenberechnung Ost) (Drucksache 13/3697) 7709 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Gruppe der PDS: Rentenmoratorium 1996 (Drucksache 13/3737) 7709C Manfred Grund CDU/CSU 7709D Dr. Barbara Höll PDS 7710D Ulrike Mascher SPD 7713 C Uwe Lühr F.D.P 7715D Petra Bläss PDS 7716 B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 7717A Zusatztagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Drucksache 13/3698) 7718C Werner Lensing CDU/CSU 7718C Doris Odendahl SPD 7719D Franz Thönnes SPD 7720 C Werner Lensing CDU/CSU 7721 C Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7724 C Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . 7726 A Rosei Neuhäuser PDS 7727 A Josef Hollerith CDU/CSU 7727 D Horst Kubatschka SPD 7728 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 7728D Dr. Peter Glotz SPD 7729 A Nächste Sitzung 7730 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7731* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 20 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7731* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 7732* C 87. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Februar 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Belle, Meinrad CDU/CSU 9. 2. 96 Böttcher, Maritta PDS 9. 2. 96 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 9. 2. 96 Haack (Extertal), SPD 9. 2. 96 Karl Hermann Hanewinckel, Christel SPD 9. 2. 96 Hasenfratz, Klaus SPD 9. 2. 96 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 9. 2. 96 Hoffmann (Chemnitz), SPD 9. 2. 96 Jelena Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 9. 2. 96 Kastning, Ernst SPD 9. 2. 96 Klemmer, Siegrun SPD 9. 2. 96 Kohn, Roland F.D.P. 9. 2. 96 Kronberg, CDU/CSU 9.2.96 Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 9. 2. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 9. 2. 96 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 9. 2. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 9. 2. 96 Neumann (Berlin), SPD 9. 2. 96 Kurt Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 9. 2. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 9. 2. 96 Hermann Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 9. 2. 96 Sauer (Stuttgart), CDU/CSU 9. 2. 96 Roland Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 9. 2. 96 90/DIE GRÜNEN Schultz (Köln), SPD 9. 2. 96 Volkmar Schumann, Ilse SPD 9. 2. 96 Sebastian, CDU/CSU 9.2.96 Wilhelm-Josef Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 9. 2. 96 Sigrid Dr. Frhr; von Stetten, CDU/CSU 9. 2. 96 Wolfgang Tappe, Joachim SPD 9. 2. 96 Terbora. Maraitta SPD 9. 2. 96 Teuchner, Jella SPD 9. 2. 96 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 9. 2. 96 Vogt (Duren), CDU/CSU 9. 2. 96 Wolfgang Vosen, Josef SPD 9. 2. 96 Wallow, Hans SPD 9. 2. 96 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 9. 2. 96 Wohlleben, SPD 9.2.96 Verena Zierer, Benno CDU/CSU 9. 2. 96 ' für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 20 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt zwei ganz unterschiedliche Fragen der Rentenversicherung. Da ist zum einen die Veränderung des Verfahrens für die Rentenanpassung. Unstrittig ist, daß die Verfahren zwischen Ost und West angeglichen werden müssen und daß mit jedem Jahr der Vereinigung die Angleichung der Regeln der Rentenversicherung immer unabweisbarer wird. Es kann hier deshalb nicht um die grundsätzliche Frage gehen, ob die Verfahren angeglichen werden sollen. Es kann nur darum gehen, ob der Zeitpunkt der richtige ist. Noch ist es zu früh für eine Beantwortung dieser Frage. Wir müssen die verläßlichen Zahlen des Statistischen Bundesamts abwarten, mit denen wir in vier bis sechs Wochen rechnen können. Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich, warum der Kollege Dreßler sich erneut in die Diskussion über die Renten eingeschaltet hat mit vermeintlich präzisen Zahlenangaben. Über welche Zahlen verfügt die SPD, die allen anderen nicht zugänglich sind? Die Rentenanpassung ist ein sehr sensibles Thema, wir sollten sie daher auch sehr bedachtsam diskutieren, und zwar mit Hilfe der Zahlen und nach einer ausführlichen Erörterung mit Fachleuten in der geplanten Anhörung. Für eine vorsichtige Debatte spricht neben der materiellen Bedeutung, die die Höhe der Rentenanpassung für die Rentnerinnen und Rentner hat, auch die Brisanz der Ost-West-Verteilungsdiskussion. Es ist unsere Aufgabe, die unterschiedliche Lebens- und Einkommenssituation der Rentnerinnen und Rentner in Ost und West zu berücksichtigen und bei jeder Regelung eine sorgfältige Gerechtigkeitserwägung anzustellen: Jede Ungleichbehandlung zwischen Ost und West muß begründbar und vermittelbar sein. Auch beim zweiten Sachverhalt, der hier zur Regelung vorgeschlagen wird, sehe ich die Notwendigkeit zu einer umfassenden Beratung, bevor darüber entschieden wird. Die Bundesregierung möchte mit der Verpflichtung auf die ausschließliche Berücksichtigung der Erwerbsfähigkeit unabhängig von der Arbeitsmarktlage die Rentenversicherung von typischen Arbeitsmarktrisiken befreien. Im Sinne der reinen Lehre ist das ein vernünftiger Vorschlag: Die Rentenversicherung soll nicht überfrachtet werden mit Aufgaben, für die sie nicht zuständig ist. Aber nun wollen wir ja hier im Bundestag nicht einen Preis für das bestgeordnete Sozialsystem gewinnen. Sondern wir müssen nach Wegen suchen, wie das Sozialsystem mit den Folgen der millionenfachen Erwerbslosigkeit fertig wird. Betrachtet man die Sozialversicherungszweige insgesamt, so wird die „Bereinigung" der Rentenversicherung um einen Tatbestand, für den sie nicht zuständig ist, zu Höherbelastungen in der Arbeitslosenversicherung und in der Sozialhilfe führen. Denn was wird geschehen? Die älteren Erwerbslosen, die dann keine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente mehr erhalten, sind auf Arbeitslosengeld angewiesen. Nach den Plänen der Bundesregierung soll der verlängerte Bezug von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose eingeschränkt werden. Das hätte zur Folge, daß diese früher auf Arbeitslosenhilfe angewiesen sind. Viele der davon Betroffenen haben zuvor keine sehr hohen Einkommen gehabt, so daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen sind. Also werden von dieser Neuordnung des Erwerbsunfähigkeitsrentenrechts einerseits andere Sozialkassen betroffen sein. Andererseits bedeutet sie aber auch schlicht die Absenkung des Leistungsniveaus, auf dem die älteren Erwerbsunfähigen abgesichert werden. Das trifft eine Gruppe von ohnehin nicht sehr einkommensstarken Arbeitslosen. Aus diesem Grund bin ich sehr skeptisch gegenüber dem Vorschlag der Bundesregierung. Ich hoffe, daß die Anhörung noch größere Klarheit über die Folgen dieser Neuregelung bringen wird. Wir sollten alle sehr offen dafür sein, gegebenenfalls das Vorhaben aufzugeben, wenn sich erweisen sollte, daß damit die Lasten der Erwerbslosigkeit nur zwischen den Kassen verschoben würden und die Rentenversicherung auf dem Rücken von relativ schwachen Erwerbsunfähigen entlastet würde. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Rechtsausschuß Drucksachen 12/7177, 13/725 Nr. 36 Drucksachen 12/7489, 13/725 Nr. 37 Ausschuß für Wirtschaft Drucksachen 13/2681, 13/2973 Nr. 4 Drucksachen 13/1660, 13/2790 Nr. 4 Drucksache 13/2489 Ausschuß für Verkehr Drucksachen 13/2682, 13/3092 Nr. 1 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/2306 Nr. 2.45 Drucksache 13/3182 Nr. 1.2 Finanzausschuß Drucksache 13/2804 Nr. 2.3 Drucksache 13/3182 Nr. 1.8 Drucksache 13/3182 Nr. 1.9 Haushaltsausschuß Drucksache 13/2674 Nr. 2.19 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3117 Nr. 2.7 Drucksache 13/3117 Nr. 2.14 Drucksache 13/3117 Nr. 2.17 Drucksache 13/3117 Nr. 2.18 Drucksache 13/3117 Nr. 2.23 Drucksache 13/3117 Nr. 2.25 Drucksache 13/3117 Nr. 2.29 Drucksache 13/3182 Nr. 1.3 Drucksache 13/3182 Nr. 1.5 Drucksache 13/3182 Nr. 1.6 Drucksache 13/3182 Nr. 1.7 Drucksache 13/3182 Nr. 1.10 Drucksache 13/3182 Nr. 2.1 Drucksache 13/3182 Nr. 2.2 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/1614 Nr. 2.19 Drucksache 13/2306 Nr. 2.22 Drucksache 13/2674 Nr. 2.25 Drucksache 13/3117 Nr. 2.28 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/2494 Nr. 1.3 Drucksache 13/2674 Nr. 2.23 Drucksache 13/3117 Nr. 2.26 Drucksache 13/3286 Nr. 2.3 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/1338 Nr. 1.1 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/2306 Nr. 2.60 Drucksache 13/2494 Nr. 1.20 Drucksache 13/2988 Nr. 1.3 Drucksache 13/3182 Nr. 1.12 Drucksache 13/3182 Nr. 1.13
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    Rede von Annelie Buntenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich meinen Sie ja, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, daß Ihre Gespräche mit den Gewerkschaften, aus denen Sie - wie diese Woche gezeigt hat - allerdings herzlich wenig gelernt haben, Ihrem Gesetz eine Art höhere Weihe verleihen würden.
    Dem ist keineswegs so, denn es ist und bleibt ein weiteres Stück Sozialabbau, und es setzt die fatale Linie Ihrer bisherigen Regierungspolitik fort. Statt wirklich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bekämpfen Sie weiter die Arbeitslosen.
    Sie senken die Leistungen und verschärfen die Kontrollen gegenüber den Betroffenen: mit Trainingsmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft, mit zusätzlichen Kontrollen der Vermögenslage von Erwerbslosen, die Sie in Ihrem Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Allerdings müssen Sie dafür die gesetzliche Grundlage erst noch schaffen.
    Auf diese Weise und auch dadurch, daß Sie immer vom Anreiz zur Arbeit sprechen, stellen Sie alle, die Arbeitslosenhilfe beziehen, unter Mißbrauchsvorbehalt. Sie erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten diese Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten sie gar nicht arbeiten. Diese
    Unterstellung ist angesichts von mindestens 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen offensichtlich absurd. Für die Betroffenen heißt das neben der schweren Belastung, aus der Erwerbsarbeit ausgegrenzt zu sein, außerdem noch Diffamierung und Entmutigung.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, behaupten immer wieder, es gehe um Hilfen. Das Gegenteil ist leider richtig. Ihre „zahlreichen neuen Angebote an Langzeiterwerbslose", die Sie vorhin genannt haben, die Herr Minister Blüm sicherlich auch gleich noch einmal darlegen wird, sind doch nichts als Augenwischerei.
    Warum sagen Sie nicht, was Sache ist, daß Sie nämlich im Bundeshaushalt Arbeitslosenhilfegelder einsparen und statt dessen die Kosten zur Bundesanstalt verschieben? Die 1,5 Milliarden DM sind doch kein Ausgabeposten für neue Maßnahmen, sondern die Höhe der Einsparungen im Bundeshaushalt. Neue Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik wird es nicht geben, denn die Bundesanstalt bekommt vom Bund keinen einzigen Pfennig mehr dafür, obwohl das dringend nötig wäre.
    Statt Perspektiven zu bieten, veranstalten Sie einen unwürdigen Verschiebebahnhof zwischen verschiedenen Gruppen von Erwerbslosen. Jugendliche fallen mit ihren Projekten hinten herunter, und wenn Sie den Zugang zu Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik von sechs Monaten auf zwölf Monate hochsetzen, schaffen Sie neue Langzeitarbeitslose. Statt Integrationsangebote zu machen, schüren Sie den Verdrängungswettbewerb zwischen denjenigen, die unsere Unterstützung dringend brauchen.
    Mit diesem Gesetz basteln Sie weiter an der Rutschbahn in den Billiglohnsektor. Die Leistungen sollen in Zukunft automatisch jedes Jahr abgesenkt werden, inzwischen immerhin nicht mehr um 5 Prozent von den Bemessungsentgelten, sondern - nach Intervention der Gewerkschaften - um 3 Prozent jährlich. Mit einer Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe immer noch ist, hat eine solche Art von Absenkung nichts zu tun. Denn zum Wesen der Erwerbslosigkeit, zu dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden, überschüssig zu sein.
    Mit der automatischen Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslosenhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter hin zur Sozialhilfe. Daß Sie genau das wollen, hat sich in der Anhörung zum Gesetzentwurf ganz eindeutig bestätigt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, vom Sparen sprechen, dann muß man immer ganz genau hinhören; denn mit Spa-

    Annette Buntenbach
    ren im landläufigen Sinne hat das nichts zu tun. Übersetzt heißt es meist, die Ausgaben im Bundeshaushalt zu Lasten Dritter zu kürzen. Bei diesem Gesetz belasten Sie die Betroffenen, von denen schon jetzt fast ein Viertel weniger als 600 DM im Monat bezieht. Sie belasten die Bundesanstalt für Arbeit, und Sie belasten die Kommunen. Die sind es schließlich, die für die Sozialhilfe aufkommen müssen - und immer noch nicht der Bund.
    Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die Leute direkt in die Sozialhilfe abgeschoben werden, mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit der Produktion neuer Langzeiterwerbsloser.
    Dieses Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken, daß Sie - völlig sachfremd - einen Teil Ihrer gesetzlichen Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Die Gegenrechnung, die Sie hier den Kommunen aufmachen, ist schlicht unmoralisch: Sparen durch Ausländerfeindlichkeit gegen Mehrausgaben in der Sozialhilfe. Sie spielen Haushaltsdruck gegen politischen Anstand aus.
    Man kann sich nur wünschen, daß die Kommunen mit ihrer Verfassungsklage Erfolg haben und sich gegen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, den Finanzspielraum erkämpfen können, ohne den jede kommunale Selbstverwaltung eine Farce ist.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

    Eines noch: Sie stochern und schneiden in den sozialen Sicherungssystemen herum und richten damit Schaden an, der oft auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist.
    Für die Situation ausländischer Kolleginnen und Kollegen hat ihre Abschiebung von der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe ganz gravierende Folgen. Zumindest für einen Teil von ihnen wird sich der Aufenthaltsstatus ändern. Denn wer ganz oder zu großen Teilen von Sozialhilfe leben muß, ist von Ausweisung bedroht.
    Wie viele Menschen diese Wirkung zu spüren bekommen werden, nicht einmal darüber konnten uns die Regierungsvertreter im Ausschuß Auskunft geben. So Schindluder mit den realen Ängsten von Menschen zu treiben, finde ich wirklich unverantwortlich.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen völlig untauglichen Gesetzentwurf zurückzuziehen und endlich etwas Sinnvolles zu unternehmen, was den Betroffenen Perspektiven zur Integration in den Arbeitsmarkt eröffnet und die Rechte von Langzeiterwerbslosen sichert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gisela Babel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Arbeitslosenhilfe ist ein Spargesetz. Aber deswegen ist es noch lange kein ungerechtes oder gar ein unmenschliches Gesetz. Es geht um Kontrolle, um Klarstellungen, es geht um Eingrenzung und für einige Betroffene auch um Einschnitte. Das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Arbeitslosenhilfe hat aber deutlich gemacht, wie gut sich dieses Thema - ebenso wie die Sozialhilfe - für Unterstellungen, Verdrehungen und falsche Darstellungen eignet.
    Die einschneidendste und am meisten kritisierte Maßnahme ist zweifellos die jährliche Anpassung der Arbeitslosenhilfe. Ein Ergebnis der Kanzlerrunde war es, daß die jährliche Absenkung nicht 5 Prozent, sondern 3 Prozent beträgt. Dabei möchte ich jetzt ehrlicherweise hier hinzufügen, daß das Einsparpotential dennoch gehalten wird, weil der Zeitpunkt vorverlegt wird.
    Nun ist es sehr interessant, wie im Ausschuß über diesen Punkt diskutiert worden ist. Da hat man den Abgeordneten der SPD vorgehalten, daß der DGB-Vorsitzende Schulte seine Zustimmung zu diesem Gesetz mitgeteilt habe - und das ist ja ein Politikum. Seitens der Kollegen der SPD wurde daraufhin sehr nett entgegnet, der DGB-Vorsitzende Schulte habe ihnen gesagt, er hätte sehr wohl Verständnis für sie, wenn sie als SPD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag das Gesetz ablehnten. Er würde, wenn er Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag wäre, das Gesetz vielleicht ebenfalls ablehnen.

    (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Der kandidiert gar nicht für die SPD!)

    Das heißt aber doch, daß er als Gewerkschaftsführer, der die Signale vielleicht ein bißchen sensibler aufnimmt und das Notwendige erkennt, in seiner Verantwortung meint, dieses Gesetz sei tragbar.
    Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Ich halte es wirklich für ganz mutig und wichtig - was Sie hier auch anerkennen sollten -, daß wir hier ein Spargesetz gemacht haben - ich rede nicht drumherum: es ist eins -, für das wir auch die Zustimmung des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben.
    Jetzt noch einmal zur Arbeitslosenhilfe selbst, weil man darüber sehr viel Nebel verbreitet hat: Schon nach heutigem Recht ist im Grunde alle drei Jahre eine neue Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe erforderlich; das ist heutiges Recht. Geändert hat sich nur, daß wir jetzt, weil die Umsetzung in einer Massenverwaltung nicht so gelungen ist und weil man das Gesetz nicht so stringent angewendet hat, einen Automatismus eingeführt haben, der darin besteht, daß jetzt jährlich eine Anpassung vorgenommen werden soll.
    Wir müssen in der öffentlichen Diskussion auch darauf hinweisen, daß der Veränderung der Bemessungsgrundlage um jährlich 3 Prozent eine Anpassung an die Lohnentwicklung gegenübersteht, so daß sich das insgesamt durchaus gegenseitig aufheben kann. Es ergibt sich also nicht unbedingt immer ein Minus bei Einkommen. Dieses alles blenden Sie

    Dr. Gisela Babel
    aus. Es ist wichtig, daß man hier einmal darauf hinweist.
    Es gibt also nicht einen Fall ins Bodenlose, sondern die Mindestsätze orientieren sich am niedrigsten Tariflohn. Auch hier ist die Behauptung, die Absenkung der Arbeitslosenhilfe führe immer zur Sozialhilfe, keineswegs richtig.
    Einschneidend ist zweifellos die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Aber hier möchte ich nun einmal ein bißchen genauer hinschauen. Aus systematischen Gründen und auch aus Gleichheits-
    und Gerechtigkeitsgründen ist dieser Schritt durchaus richtig. Es kann doch nicht angehen, daß Menschen, die keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung entrichten, auf einmal eine Arbeitslosenhilfeleistung bekommen, während andere, die ebensowenig eingezahlt haben, diese nicht bekommen.
    Daß der Bundesrat dies als Fürsorgeleistung betrachtet und die Kürzung durchaus eingesehen hat, erkennen Sie schon daran, daß er im Jahre 1993 einer Befristung auf ein Jahr zugestimmt hat. Auch richtig ist es, daß die verstärkte Erfassung von Kapitalvermögen des Arbeitslosenhilfeempfängers möglich ist. Es muß doch ein Grundsatz in der Sozialpolitik bleiben, daß nur derjenige eine steuerfinanzierte Sozialleistung bekommt, der bedürftig ist. Hier müssen wir doch zumindest überprüft haben, ob eine solche Notwendigkeit besteht. - Die Ehrlichen werden heutzutage doch eher zu Dummen gemacht. - Ich glaube, daß auch dieser Gedanke durchaus akzeptabel ist.
    Meine Damen und Herren, in meinen Augen ist die Frage, ob es richtig ist, AB-Maßnahmen für Langzeitarbeitslose vorzusehen, etwas bedenklich, und zwar aus folgendem Grund: Langzeitarbeitslose sind in der Regel Arbeitslosenhilfeempfänger und so steuerfinanziert. Mit einer AB-Maßnahme werden sie beitragsfinanziert unterstützt. Das heißt, hier haben wir, wenn auch in einem kleinen Schritt, wieder eine Umfinanzierung von einer Steuerfinanzierung in eine Beitragsfinanzierung. Wir haben hier und an anderer Stelle immer wieder gesagt, daß es eigentlich richtiger ist, beitragsfinanzierte Leistungen in eine Steuerfinanzierung umzuwandeln als umgekehrt. Das Ganze ist jedenfalls ein bedenklicher Schritt.
    Man könnte auch die Tatsache, daß man mit einer solchen Maßnahme wartet, bis jemand Langzeitarbeitsloser ist, als bedenklich ansehen. Wir liegen mit dem neuen Reformansatz meiner Ansicht nach richtig, indem wir nämlich sagen, daß wir die Erteilung einer AB-Maßnahme bzw. einer Fortbildung oder Umschulung vorziehen, damit die Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt besser erfüllt werden kann.
    Jetzt zu den Vorwürfen: Die Grünen sprechen von einer Versicherungsleistung. Sie haben das auch in einem Infoblättchen so formuliert. Das ist nicht zutreffend. Das Ganze ist keine Versicherungsleistung, sondern eine Fürsorgeleistung. Nur Deutschland leistet sich zwei parallel laufende Fürsorgesysteme. Wir können diese beiden Systeme nicht zusammenführen, weil wir den fairen Ausgleich für die Belastungen der Kommunen, für den ich absolut bin, nicht erreichen. Da wir die Wegelagerer, die Länder, die die Postkutsche abwarten und überfallen, dazwischengeschaltet haben, können wir in dieser Frage Reformen nicht durchführen.
    Ebenso falsch ist es, zu behaupten, die Bundesregierung unterstelle, daß die Bezieher von Arbeitslosenhilfe diese Leistungen zu Unrecht erhielten. Das, was Sie machen, ist schon fast Demagogie. Damit wecken Sie nur falsche Emotionen. Das ist nicht richtig.
    Zur SPD gewandt: Wenn Sie sich hier in der sozialpolitischen Debatte ganz anders äußern als Ihr eigener wirtschaftspolitischer Sprecher bzw. der Ministerpräsident von Niedersachsen, der einen Einstellungsstopp und Arbeitszeitverlängerungen verfügt hat, dann frage ich mich: Hat die SPD im Kleiderschrank eigentlich für jede Debatte das richtige Kostüm und für jeden Konflikt den passenden Redner?

    (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie hat im Bundestag immer das gleiche Kostüm an!)

    Gibt es irgend jemanden, der noch überschauen
    kann, was die Linie in der SPD zu diesen Themen ist?
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)