Rede von
Annelie
Buntenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich meinen Sie ja, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, daß Ihre Gespräche mit den Gewerkschaften, aus denen Sie - wie diese Woche gezeigt hat - allerdings herzlich wenig gelernt haben, Ihrem Gesetz eine Art höhere Weihe verleihen würden.
Dem ist keineswegs so, denn es ist und bleibt ein weiteres Stück Sozialabbau, und es setzt die fatale Linie Ihrer bisherigen Regierungspolitik fort. Statt wirklich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bekämpfen Sie weiter die Arbeitslosen.
Sie senken die Leistungen und verschärfen die Kontrollen gegenüber den Betroffenen: mit Trainingsmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft, mit zusätzlichen Kontrollen der Vermögenslage von Erwerbslosen, die Sie in Ihrem Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Allerdings müssen Sie dafür die gesetzliche Grundlage erst noch schaffen.
Auf diese Weise und auch dadurch, daß Sie immer vom Anreiz zur Arbeit sprechen, stellen Sie alle, die Arbeitslosenhilfe beziehen, unter Mißbrauchsvorbehalt. Sie erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten diese Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten sie gar nicht arbeiten. Diese
Unterstellung ist angesichts von mindestens 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen offensichtlich absurd. Für die Betroffenen heißt das neben der schweren Belastung, aus der Erwerbsarbeit ausgegrenzt zu sein, außerdem noch Diffamierung und Entmutigung.
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, behaupten immer wieder, es gehe um Hilfen. Das Gegenteil ist leider richtig. Ihre „zahlreichen neuen Angebote an Langzeiterwerbslose", die Sie vorhin genannt haben, die Herr Minister Blüm sicherlich auch gleich noch einmal darlegen wird, sind doch nichts als Augenwischerei.
Warum sagen Sie nicht, was Sache ist, daß Sie nämlich im Bundeshaushalt Arbeitslosenhilfegelder einsparen und statt dessen die Kosten zur Bundesanstalt verschieben? Die 1,5 Milliarden DM sind doch kein Ausgabeposten für neue Maßnahmen, sondern die Höhe der Einsparungen im Bundeshaushalt. Neue Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik wird es nicht geben, denn die Bundesanstalt bekommt vom Bund keinen einzigen Pfennig mehr dafür, obwohl das dringend nötig wäre.
Statt Perspektiven zu bieten, veranstalten Sie einen unwürdigen Verschiebebahnhof zwischen verschiedenen Gruppen von Erwerbslosen. Jugendliche fallen mit ihren Projekten hinten herunter, und wenn Sie den Zugang zu Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik von sechs Monaten auf zwölf Monate hochsetzen, schaffen Sie neue Langzeitarbeitslose. Statt Integrationsangebote zu machen, schüren Sie den Verdrängungswettbewerb zwischen denjenigen, die unsere Unterstützung dringend brauchen.
Mit diesem Gesetz basteln Sie weiter an der Rutschbahn in den Billiglohnsektor. Die Leistungen sollen in Zukunft automatisch jedes Jahr abgesenkt werden, inzwischen immerhin nicht mehr um 5 Prozent von den Bemessungsentgelten, sondern - nach Intervention der Gewerkschaften - um 3 Prozent jährlich. Mit einer Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe immer noch ist, hat eine solche Art von Absenkung nichts zu tun. Denn zum Wesen der Erwerbslosigkeit, zu dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden, überschüssig zu sein.
Mit der automatischen Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslosenhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter hin zur Sozialhilfe. Daß Sie genau das wollen, hat sich in der Anhörung zum Gesetzentwurf ganz eindeutig bestätigt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, vom Sparen sprechen, dann muß man immer ganz genau hinhören; denn mit Spa-
Annette Buntenbach
ren im landläufigen Sinne hat das nichts zu tun. Übersetzt heißt es meist, die Ausgaben im Bundeshaushalt zu Lasten Dritter zu kürzen. Bei diesem Gesetz belasten Sie die Betroffenen, von denen schon jetzt fast ein Viertel weniger als 600 DM im Monat bezieht. Sie belasten die Bundesanstalt für Arbeit, und Sie belasten die Kommunen. Die sind es schließlich, die für die Sozialhilfe aufkommen müssen - und immer noch nicht der Bund.
Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die Leute direkt in die Sozialhilfe abgeschoben werden, mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit der Produktion neuer Langzeiterwerbsloser.
Dieses Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken, daß Sie - völlig sachfremd - einen Teil Ihrer gesetzlichen Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Die Gegenrechnung, die Sie hier den Kommunen aufmachen, ist schlicht unmoralisch: Sparen durch Ausländerfeindlichkeit gegen Mehrausgaben in der Sozialhilfe. Sie spielen Haushaltsdruck gegen politischen Anstand aus.
Man kann sich nur wünschen, daß die Kommunen mit ihrer Verfassungsklage Erfolg haben und sich gegen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, den Finanzspielraum erkämpfen können, ohne den jede kommunale Selbstverwaltung eine Farce ist.
Eines noch: Sie stochern und schneiden in den sozialen Sicherungssystemen herum und richten damit Schaden an, der oft auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist.
Für die Situation ausländischer Kolleginnen und Kollegen hat ihre Abschiebung von der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe ganz gravierende Folgen. Zumindest für einen Teil von ihnen wird sich der Aufenthaltsstatus ändern. Denn wer ganz oder zu großen Teilen von Sozialhilfe leben muß, ist von Ausweisung bedroht.
Wie viele Menschen diese Wirkung zu spüren bekommen werden, nicht einmal darüber konnten uns die Regierungsvertreter im Ausschuß Auskunft geben. So Schindluder mit den realen Ängsten von Menschen zu treiben, finde ich wirklich unverantwortlich.
Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen völlig untauglichen Gesetzentwurf zurückzuziehen und endlich etwas Sinnvolles zu unternehmen, was den Betroffenen Perspektiven zur Integration in den Arbeitsmarkt eröffnet und die Rechte von Langzeiterwerbslosen sichert.