Rede von
Walter
Kolbow
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich ist es die ureigenste Aufgabe der Opposition, die Schwächen und die Mängel der Regierung aufzuzeigen. Gestern ist ja deutlich geworden, daß es davon genug gibt. Nur, der Maßstab bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen, die dem Parlament abverlangt werden, kann nicht das innenpolitische Versa-
Walter Kolbow
gen dieser Bundesregierung sein. Auf dem Feld der außenpolitischen Beziehungen ist kein Platz für Opposition um der Opposition willen oder gar, Herr Kollege Lippelt, für taktisches Verhalten.
Dafür geben die traditionsreichen Demokratien unserer wichtigsten Verbündeten gute Beispiele. Bei ihnen bestehen Übereinstimmungen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen häufig. Warum sollte das bei uns also anders sein?
Dabei sind insbesondere bei allen internationalen Einsätzen der Bundeswehr sowie bei der heutigen Entscheidung über den Antrag der Bundesregierung der Maßstab die Notwendigkeit und die Verantwortbarkeit des Auftrags für unsere Soldaten sowie die Bündnis- und Partnerfähigkeit unseres Landes. Auf dieser Grundlage ist die Frage einer möglichen deutschen Beteiligung zum Schutz der UNTAES-Kräfte für Ostslawonien zu bewerten. Ich sage auch, daß der Text meiner Fraktion im Entschließungsantrag vom 29. November 1995 zur Beteiligung der Bundeswehr am IFOR-Einsatz in Bosnien-Herzegowina eine hilfreiche Stütze ist. Denn dort heißt es:
Nach den Vereinbarungen von Dayton gilt es, durch ein umfassendes politisches und wirtschaftliches sowie ein begrenztes militärisches Engagement der internationalen Gemeinschaft den Frieden im ehemaligen Jugoslawien abzusichern. Hierbei sollte über einen Wiederaufbau der Kriegsgebiete hinaus den Menschen in allen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien die gleiche Chance eines Neubeginns gegeben werden.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Was uns jetzt abverlangt wird, ist alternativlos, auch in Ostslawonien. Auch hier müssen wir dafür sorgen, daß der Krieg nicht mehr an seinen Ursprungsort zurückkehrt. Herr Kollege Seiters, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen. Hier fing das Morden an, das später fast ganz Kroatien und Bosnien ergriff. Wenige Kilometer vor Vukovar liegt die berüchtigte Stätte Ovcava, das erste Massengrab des ethnischen Vertreibungskrieges im ehemaligen Jugoslawien.
Im übrigen: Kroatiens Aufnahme in den Europarat kann nur nähergetreten werden - so sehe ich das -, wenn es das Ostslawonienproblem genauso wie die Mostarfrage lösen hilft, meine Damen und Herren.
Die Absicherung der Reintegration ist zwingend notwendig, weil dieser Prozeß wegen der begangenen Verbrechen, der Vertreibungen und der Besetzungen außerordentlich schwierig sein wird. Ein Scheitern des Friedensprozesses in Ostslawonien - ich unterstreiche das vor mir Gesagte - würde den Friedensprozeß in ganz Bosnien-Herzegowina gefährden. Diesen untrennbaren Zusammenhang müssen wir erkennen und bei unserer Entscheidung berücksichtigen. Wir haben uns immer für einen
Friedensprozeß ausgesprochen, der keine ungelösten Konflikte im ehemaligen Jugoslawien zurückläßt. Auch insofern ist die friedliche Lösung in Ostslawonien von höchster Bedeutung.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung trägt zutreffende militärische und politische Gründe für die deutsche Beteiligung an der vorgesehenen UNO-Unterstützung vor. Ich füge hinzu, daß wir die deutsche Beteiligung - wenn Sie so wollen - auch aus humanitären Gründen für notwendig erachten. Wie sollen denn die UNTAES-Kräfte ihre Friedensaufgabe zum Wohle der ostslawonischen Bevölkerung, der Kroaten und der serbischen Minderheit, sonst erfüllen können, wenn sie nicht die Gewißheit haben, daß ihnen ihre Partner in Lebensgefahr helfen werden? Sie müssen den gleichen Schutz erwarten können, wie ihn auch Hans Koschnick in Mostar erwarten und bekommen muß, wie wir aus der leidvollen Erfahrung vom Mittwoch dieser Woche gesehen haben. Auch daß die belgische Regierung aus Christ- und Sozialdemokraten im NATO-Rat um die Unterstützung ihrer Soldaten und die der anderen truppenstellenden Nationen gebeten hat, spricht für dieses Argument.
Für die schwierige Friedensmission stellt unsere Unterstützung eine wirksame Rückversicherung, gewissermaßen eine Lebensversicherung dar, weil die Partner wissen und sich darauf verlassen können, daß sie im Falle eines Notfallabzuges eine zusätzliche Sicherheit haben.
Das ergänzte Aufgabenspektrum erweitert den Auftrag materiell nicht. Es ist erstens keine Risikosteigerung des IFOR-Einsatzes unserer Soldaten. Es bedarf zweitens keiner anderen oder zusätzlichen deutschen Kräfte bzw. Mittel über diejenigen hinaus, die schon durch IFOR bereitgestellt werden. Es gibt drittens auch keine deutschen Bodentruppen in Ostslawonien, viertens - auch das gilt es zu bedenken - keine zusätzliche Kosten für unser Land und fünftens keine Umstationierung nach Nordkroatien.
Die deutsche Beteiligung an diesem ergänzenden Auftrag bedeutet nicht, daß die genannten Aufgaben auch durchgeführt werden müssen. Im Gegenteil: Während die Luftunterstützung durch deutsche Flugzeuge im Rahmen von IFOR bereits stattfinden kann, bleibt die Luftunterstützung auf Anforderung von UNTAES eine mögliche Option für den Fall, daß Nothilfe für unsere Partner geleistet werden muß. Im übrigen - dies ist bereits gesagt worden, muß aber wegen einiger Argumente, die durch meine Vorredner angeführt wurden, noch einmal unterstrichen werden - hat die serbische Seite einer möglichen deutschen Beteiligung in Ostslawonien ausdrücklich zugestimmt. Der Auftrag ist also auch aus dieser Sicht verantwortbar.
Vor diesem Hintergrund sind wir zu der Überzeugung gelangt, daß bei der deutschen Beteiligung für Ostslawonien die politisch und militärisch gebotene Zurückhaltung als Maßstab für das politische Handeln gewahrt ist. Dies wird auch durch den Beschluß der Bundesregierung deutlich, in dem das Gebiet um die Halbinsel Prevlaka, wo gegenwärtig UN-Beob-
Walter Kolbow
achter stehen, nicht in den ergänzenden Auftrag der deutschen Beteiligung einbezogen wird.
Die Bundesregierung hat damit die richtige Konsequenz aus der unübersichtlichen Verhandlungslage und dem nicht hinreichend präzisen Resolutionstext gezogen und auf einen Vorratsbeschluß für eventuelle künftige Planungen verzichtet. Insofern handelt es sich nicht um die von einigen ins Feld geführte und beschworene Salamitaktik, die einer scheibchenweisen Ausdehnung des Einsatzes deutscher Streitkräfte das Wort redet, sondern um einen maßvollen, angemessenen und notwendigen deutschen Beitrag zu dem nach wie vor schwierigen, empfindsamen, ja, zerbrechlichen Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien.
Unabhängig von dieser Entscheidung heute, die die SPD mit großer Mehrheit für den Antrag der Bundesregierung treffen wird, werden wir unsere Soldaten bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen. Wir werden uns weiter um die vorbereitende Ausbildung kümmern. Die Besuche mehrerer Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion im Ausbildungszentrum Hammelburg, auf dem Truppenübungsplatz Münsingen sowie beim Heeresführungskommando in Koblenz mögen davon zeugen.
Wir werden uns wie Sie, Herr Bundesminister Rühe, weiter um den bestmöglichen Schutz und die notwendige Fürsorge für unsere Soldaten bemühen. In den Standorten und den Familienbetreuungszentren kümmern wir uns um die Angehörigen.
Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten, die im ehemaligen Jugoslawien ihren Einsatz für die friedliche Entwicklung und eine bessere Zukunft des Landes leisten. Wir danken aber genauso überzeugt allen, die wertvolle Hilfe bei nichtmilitärischen Aufgaben leisten. Ihnen gebührt ebenso wie allen anderen Dank, Anerkennung und Respekt.
Das gilt - lassen Sie mich das zum Schluß meiner Ausführungen sagen - auch für die 60 000 Soldaten aus anderen Nationen, die mit diesem Auftrag auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien stehen. Wir hoffen und wünschen, daß sie gesund zu ihren Familien in die Heimat zurückkehren. Unser Mitgefühl gilt den amerikanischen, den britischen, den schwedischen, den spanischen und den portugiesischen Familien der Soldaten, die ihren Einsatz bei dieser Friedensmission leider bereits mit dem Leben bezahlen mußten.
Ich danke Ihnen für die Geduld.