Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr sind die Studenten der Anglistischen Fakultät in Aachen an meine Kollegin Edith Müller und an mich als zuständige Wahlkreisabgeordnete herangetreten und haben uns sehr bedrängt, uns für Ken SaroWiwa einzusetzen. Ich muß zugeben, daß ich ihn nicht kannte. Ich bin auch keine Afrika-Expertin. Ich habe mich dann mit den Studentinnen und Studenten sehr oft zusammengesetzt und mich auf einen Prozeß eingelassen. Es ist eine Riesenarbeit geworden, aber auch ein riesengroßer Erkenntnisprozeß.
Ich habe in einem Jahr gelernt, daß Ken SaroWiwa und seine Mitstreiter trotz dieses furchtbaren Regimes in Nigeria unter Einsatz ihres Lebens - obwohl sie ihr Leben lieben und nicht leichtfertig damit umgehen -, trotz der fehlenden wirklichen Solidarität der westlichen Länder weiter die Demokratie und die Menschenrechte hochhalten und unglaublich zäh kämpfen, indem sie versuchen, eine freie Presse zu erhalten, indem sie dem Leiden der Bevölkerung und der Menschen vor Ort eine Stimme geben, die weltweit gehört wird. Damit repräsentieren sie sehr eindrücklich, was ein einzelner ohnmächtiger Mensch doch in Bewegung setzen kann, wenn er die Macht nutzt, die ihm zur Verfügung steht.
Wir haben dann in dieser Zeit - das wissen Sie, Herr Schäfer; wir sind Ihnen vielleicht manchmal lästig gworden - viele Anfragen formuliert und viele Briefe geschrieben und haben unsere Regierung aufgefordert, endlich etwas Durchgreifendes zu tun.
Als das Todesurteil verkündet war, haben wir unglaubliche Angst bekommen, weil wir in dem einen Jahr gelernt haben, was die Fratze dieser Diktatur bedeutet und auch, was die Fratze eines ungebändigten Kapitalismus, einer Firma, für ein Unheil und absolutes Elend für ein ganzes Volk bedeutet. Wir haben unglaublich gezittert, alle Hebel in Bewegung gesetzt und noch eine Anhörung am 12. Oktober 1995 durchgeführt.
Es war heute vor drei Wochen, zur gleichen Zeit, 11.30 Uhr, als wir erfahren haben, daß Ken SaroWiwa hingerichtet worden ist. Als wir es gehört haben, waren wir alle wie betäubt, wie erschlagen. Wir haben unglaublichen Schmerz, sehr große Ohnmacht und Ekel empfunden, einen riesengroßen Ekel vor der Politik, vor diktatorischen Regimen, die sich Regierungen nennen, aber auch vor den westlichen Regierungen, die als Partner von Verhandlungen und Wirtschaftsbeziehungen die Regierung Nigerias schließlich akzeptiert haben.
Wir haben auch Ekel vor uns selbst bekommen, vor unserer eigenen Politik. Ich will Ihnen auch sagen, warum, Herr Schäfer. Man muß doch diese Folterer ernst nehmen. Man muß doch ernst nehmen, wenn Menschen umgebracht, wenn sie vernichtet werden. Das kann man doch nicht wie einen Fernsehfilm behandeln, der vor einem abläuft und dann irgendwann vorbei ist.
Wir müssen doch wissen, daß diesen Folterern und diesen Terrorregimen mit Appellen, mit Protesten, mit Bekenntnissen, mit Demarchen und mit Demonstrationen nicht beizukommen ist. Das ist denen schnurzpiepegal. Die verstehen nur eine einzige Sprache: wenn man ihnen den Geldhahn, das heißt hier den Ölhahn zudreht.
Ich kam mir nach diesem Urteil und seiner Vollstreckung vor wie auf einem Hühnerhof, wo der gesamte Westen wie aufgeschreckt, weil er den Schatten des Adlers gesehen hat, der niederstürzen will, angefangen hat, zu lamentieren und sich laut zu empören. Ich sage Ihnen eines, Herr Schäfer: Herr Minister Kinkel ist stellvertretender Regierungschef, er ist Außenminister eines sehr mächtigen Landes. Dieses Land, seine Regierung und sein Parlament können doch wohl mehr als nur demarchieren und appellieren und protestieren. Ich bitte Sie! Das ist
Christa Nickels
doch eine Ohnmachtserklärung, die den tatsächlichen Gegebenheiten überhaupt nicht entspricht.
Wir haben doch wirklich Mittel und Möglichkeiten. Ich frage: Warum werden sie denn nicht eingesetzt? Warum legt uns das Wirtschaftsministerium in dieser Woche, als wir um diesen Antrag gerungen haben, schon wieder ein Gutachten vor - Sie wissen das, Frau Becker-Inglau -, das besagt: Das EU-Recht läßt es nicht zu, daß man als einzelner Staat ein Ölembargo verhängt oder auch nur die Auslandskonten sperrt? Ich frage Sie: Warum wendet das Wirtschaftsministerium Finesse auf, um so etwas zu beweisen? Warum wenden Sie nicht alle Kraft und Finesse auf, um nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie man das in der internationalen Staatengemeinschaft durchsetzen kann?
Es sitzen noch viele in nigerianischen Gefängnissen. Erneut sind 19 Menschen eingesperrt worden, denen im Januar ein Unrechtsprozeß gemacht wird. Herr Jawurek, ich bin Ihnen äußerst dankbar, daß Sie hier so gesprochen haben und sich für diese Leute eingesetzt haben; ich danke auch Frau BeckerInglau und allen Kolleginnen und Kollegen, die sich engagieren. Aber wir dürfen nicht auf den Bericht im März 1996 warten. Wir müssen alle Kräfte, die wir haben, anspannen, um unsere Regierung zu treiben, damit sie die Menschenrechte durch die machtpolitischen Instrumente auch durchsetzt, die wir haben. Wir können uns doch nicht ohnmächtiger als diese Menschen stellen, die der Gewalt nackt ausgesetzt sind und die trotzdem erreichen, daß ihre Stimme gehört wird. Wir haben doch Einfluß. Den müssen wir nutzen. Die zu treffenden Maßnahmen sind in dieser Debatte aufgezeigt worden.
Ich erwarte, daß Herr Kinkel das, was er begrüßenswerterweise angekündigt hat, daß er sich nämlich international einsetzen will, auch durchhält und offensiv in der Außenministerrunde, auf höchster Ebene, versucht, das endlich durchzukämpfen. Er wird jede Unterstützung durch dieses Parlament haben; da bin ich mir absolut sicher.
Ich möchte auch noch einmal sagen: Ich komme mir - ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen - sehr hilflos vor, und das, obwohl wir einen Abgeordnetenstatus haben. Ich möchte, daß Sie wissen, daß Sie in diesem Parlament sehr bedeutend sind. Wichtiger, als eine Konferenz abzusagen, ist es, eine Mehrheit dafür zu bekommen, daß man die Regierung treibt und daß wirklich etwas effektiv gemacht wird.
Ich möchte zum Schluß zitieren, was Ken SaroWiwa aus dem Gefängnis heraus gesagt hat. Ich muß gestehen: Ich hätte die Kraft dazu nicht. Er hat im Mai 1995 geschrieben:
Ob ich lebe oder sterbe, ist unerheblich. Es reicht mir, daß ich weiß, daß Menschen Zeit, Geld und Energie einsetzen, um gegen ein Übel unter vielen anzukämpfen. Wenn sie nicht heute Erfolg haben, so werden sie morgen erfolgreich sein. Wir müssen weiter kämpfen, damit die Welt ein besserer Ort für die Menschheit wird. Und jeder
kann seinen Teil dazu beitragen. Ich begrüße alle diese Menschen.
Ich bedauere unendlich - ich und wir alle sind furchtbar traurig -, daß diese Menschen sterben mußten, daß Ken Saro-Wiwa tot ist. Aber sein Vermächtnis soll uns, wenn wir uns schäbig und ein Stück ohnmächtig fühlen, auch ermutigen, daß wir die Macht, die wir haben, auch wirklich gebrauchen und daß wir nicht kneifen.
Ich danke Ihnen.