Rede von
Dr.
Rita
Süssmuth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten zum drittenmal in diesem Jahr im Parlament die Rechtsstellung des Abgeordneten und haben ein Paket zur Parlamentsreform und zur Verkleinerung des Bundestages verabschiedet. Wir führen nun den dritten Teil zu Ende, weil die 18. Novelle am Einspruch des Bundesrates gescheitert ist.
Ich halte, wenn ich von einer Sache überzeugt bin, nichts davon populistisch denjenigen nachzugehen, die Einspruch erheben. Ich möchte auch hier noch einmal sagen: Ich halte die 18. Novelle für in sich stringent; es war eine in sich konsistente Reform.
Die heutige Debatte zeigt mir erneut, daß wir wieder anfangen, über die Angemessenheit von Entschädigungen zu diskutieren. Das tun wir nun seit 1976. Wir können ja so weiter machen und dann den Index des Statistischen Bundesamtes heranziehen; das habe ich in den jährlichen Diätenberichten nun auch sechs Jahre gemacht, und wir haben immer wieder darüber beraten. Aber genau das hat dazu geführt, daß in den letzten 18 Jahren neun Nullrunden stattgefunden haben. Wenn ich etwas in den Debatten der letzten Wochen gelernt habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich Ihnen nur
Dr. Rita Süssmuth
raten, zu diesem Instrument der Nullrunden nie mehr Ihre Zuflucht zu nehmen.
Denn ich kann nicht feststellen, daß in der öffentlichen Diskussion diese Nullrunden, auch die der Jahre von 1992 bis zum Herbst 1995, in irgendeiner Weise honoriert oder überhaupt als Nullrunden in die Betrachtung gezogen würden.
Hätten wir uns im Jahre 1977 nur den jährlichen oder zweijährlichen gesetzlichen Anpassungen der Renten angeschlossen, würden wir heute Diäten von 13 657 DM erreicht haben. Ich weiß nicht, welche Diskussion wir dann in diesem Hause geführt hätten. Nur: Wenn wir von Indexsteigerungen sprechen, dann müssen wir irgendwann entscheiden, was wir denn für angemessen halten.
Deswegen sage ich noch einmal: Ob ich nun von dem R-6-Bezug oder von dem B-6-Bezug im Bereich der Kommunen spreche, wichtig ist, daß wir keine andere Richtgröße in das Gesetz eingeführt haben, als sie seit dem Verfassungsgerichtsurteil 1975/77 hier diskutiert wird
und immer zur Grundlage gemacht worden ist. Und heute tun wir so, als würden wir einen willkürlichen Maßstab einführen!
Ich kann zukünftigen Parlamenten nur wünschen, daß sie sich endlich an eine Richtgröße halten;
denn es wird noch lange dauern, bis sie diesen Maßstab erreicht haben. Dann können wir an eine Indexierung gehen.
Lieber Kollege Solms, es ist nicht so, daß die unabhängige Kommission eine Neuerfindung wäre. In der Verfassungskommission ist sie gescheitert, weil es hieß, daß wir dann eine Verfassungsänderung brauchen würden und das Parlament keinen Spielraum mehr hätte.
Wenn das Parlament auch zukünftig den Spielraum behalten soll, dann ergeht es zukünftigen Kommissionen nicht anders als der Leber-Kommission und der Kissel-Kommission. Die eine hat für 1990 eine monatliche Entschädigung von 13 000 DM, die andere 1993 für 1995 eine solche von 14 000 DM vorgeschlagen. Wir konnten uns nicht zur Übernahme einer der beiden Vorschläge entscheiden, und wir stecken in demselben Dilemma, in dem wir vorher gesteckt haben.
Das wollte ich uns hier noch einmal bewußt machen.
Wir haben uns jetzt in Form eines Kompromisses auf die vier Steigerungsstufen bis 12 875 DM geeinigt, aber Tatbestand ist, daß wir die Annäherung an diese Größenordnung seit 1977 weiter verlangsamt haben.
Das zweite, was ich noch einmal sagen möchte: Ich stelle immer wieder fest - das ist mein nächster Appell an dieses Parlament -: Wie wir uns selbst nach außen äußern, bei aller Verschiedenheit der Standpunkte, entscheidet maßgeblich mit über das Ansehen unseres Parlaments.
Ich jedenfalls kenne keine Debatte etwa in dem Sinne, daß die Ministerpräsidenten eine ähnliche Auseinandersetzung über die Höhe ihrer Bezüge im Bundesrat geführt hätten.
Es mag ja hoffentlich auch die eine oder andere interne Diskussion darüber geben, wie das denn mit der Ankoppelung ihrer Bezüge an den öffentlichen Dienst ist. Aber eine öffentliche Diskussion dazu vernehme ich nicht.
Ich muß sagen: Wir führen unsere Debatten mit großer Transparenz. Aber ich lege auch Wert darauf, festzustellen: Es genügt nicht, zu sagen, daß die Abgeordneten unabhängig sein und angemessen entschädigt werden sollen. Wir müssen viel mehr darüber reden - denn das ist in der Öffentlichkeit unbekannt -, was in diesem Parlament und in den Wahlkreisen geleistet wird. Erstens nimmt die Öffentlichkeit an, wir würden sowieso ein Gehalt von 13 000 DM beziehen; zweitens nimmt sie an, daß wir ein 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld bekommen und daß wir unsere Entschädigungen nicht versteuern. Über all das muß mehr geredet werden. Man nimmt auch an, daß wir die Pauschale, mit der die Unkosten im Wahlkreis und im gesamten Mandatsgebiet Bundesrepublik beglichen werden müssen, dem Gehalt zuschlagen.
Deswegen fordere ich auch hier dazu auf: Achten wir auf höchste Qualität unserer Debatten; zeigen wir, daß die Situation in der Bundesrepublik seit 1949 ausschlaggebend durch die Entscheidungen unserer Parlamente geprägt worden ist, ob es sich um den äußeren Frieden oder den inneren Frieden handelt, ob es sich um die Entwicklung des Wohlstands oder Umweltfragen handelt. Es geht nicht um eine Reduktion des Politischen, sondern es geht um eine Darstellung des Politischen im parlamentarischen Entscheidungsprozeß.
Ich habe in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen erlebt, daß die Arbeit unserer Parlamentarier im Wahlkreis so gut wie unbekannt ist. Man kann sich nicht vorstellen, daß im Jahr 2000 und mehr Bürgerbriefe bei Abgeordneten eintreffen. Man
Dr. Rita Süssmuth
kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, bei den Verbänden und den verschiedensten Organisationen präsent zu sein. Es ist ebenfalls nicht bekannt, daß wir aus der Entschädigung Spenden für viele Bereiche, etwa für Behinderte, leisten.
Deswegen glaube ich, daß wir bei aller Sparsamkeit des Parlaments in bezug auf den Etat für die Öffentlichkeitsarbeit schon etwas mehr brauchen, um uns selbst öffentlich darzustellen.
Wir führen keine Klage darüber, daß unsere Tätigkeit mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist; niemand hat uns dazu gezwungen. Es werden aber ständig Vergleiche zu Rentnern oder Sozialhilfeempfängern gezogen. Ich weiß nicht, welche andere Berufsgruppe auf die Idee kommen würde, sich mit Personen zu vergleichen, deren Probleme in der Sache anders gelagert sind.
Es gibt eine Gesamtverantwortung und Fürsorgepflicht. Der Staat hat sozial ausgleichend zu wirken und der Gerechtigkeit verpflichtet zu sein. Aber ich finde, wir selbst dürfen die Maßstäbe nicht ständig durcheinanderbringen.
Deswegen sage ich abschließend: Ich folge dem Kompromiß, den CDU/CSU und SPD erarbeitet und vorgelegt haben. Aber ich bitte auch diejenigen, die in der Rechtsstellungskommission waren, endlich aufzuhören, Worte wie „Schweinsgalopp" oder „Diätencoup" zu gebrauchen.
Länger, als wir diese Fragen beraten haben, kann man sie nicht beraten. Ich frage: Was soll denn bei einer weiteren Beratung über eine angemessene Entschädigung herauskommen?
Das ist rauf- und runterdiskutiert worden. Deswegen stimmt, was Herr Wiefelspütz in der Rechtsstellungskommission gesagt hat: Wir haben nicht weiteren Beratungs-, sondern Entscheidungsbedarf.
Ich glaube auch, daß wir uns sehr wohl fragen müssen, ob wir nicht wichtigere Dinge zu tun haben, als diese Beratungen noch zu verlängern, ohne daß dies zu anderen Ergebnissen führt.
Ein Weiteres: Wir haben den Vorwurf der Selbstbedienung nicht ausräumen können; das haben wir gewollt. Ich erinnere übrigens daran, daß 75 Prozent unserer europäischen Nachbarstaaten, Mitgliedstaaten der Europäischen Union, eine Ankoppelung haben.
Nun kann man sagen: Wir sind gescheiter als die. Aber es gibt unterschiedliche Gründe dafür, zu sagen, dies soll aus dem jährlichen Streit herausgehalten werden. Das Verfassungsgerichtsurteil sagt etwas anderes; deswegen war es ganz wichtig, daß der Maßstab im Gesetz verankert wurde. So kommen wir aus der ständigen Kritik der Willkür und aus dem Vorwurf, wir hätten keine Maßstäbe, heraus.
Wenn wir uns darüber einigen könnten, daß wir einen Maßstab brauchen, um nicht immer wieder neu ins Gerede zu kommen, wären wir schon ein großes Stück weitergekommen.
Ich möchte Sie auffordern: Wir stellen uns der Öffentlichkeit, auch der öffentlichen Kritik. Vieles muß unserer Bevölkerung erklärt werden. Das Parlament ist, wenn ich die jüngste Patzelt-Studie nehme, offenbar noch immer das unbekannte Wesen. Deswegen: Dank an alle, die über viele Monate hinweg erneut Fragen der Rechtsstellung, der Parlamentsreform und der Verkleinerung des Parlaments, die wir beschlossen haben, beraten haben. Ich hoffe, daß wir in der nächsten Woche diese Beratungen im Deutschen Bundestag endlich beenden können.
Ich danke.