Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den beachtlichen Vorzügen dieser Debatte, daß es weder einen Streit über die Wichtigkeit dieses Themas, nämlich der Bedeutung der Außenwirtschaft für die Zukunftsperspektiven unserer Volkswirtschaft, noch offensichtlich ernsthafte Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß an Veränderungen gibt, mit denen wir es seit einigen wenigen Jahren zu tun haben.
Wenn selbst der Vertreter der Grünen von den „tiefgreifenden Veränderungen" und von der Notwendigkeit spricht, daraus auch neue Schlußfolgerungen für unser wirtschaftliches, vielleicht auch unser politisches Verhalten herzuleiten, dann läßt dies hoffen, daß jedenfalls die Aussicht besteht, daß wir uns außer über die Einschätzung der Bedeutung des Themas auch über die angemessene Vorgehensweise im Kern verständigen können.
Durch die Gleichzeitigkeit politischer Veränderungen, ökonomischer Veränderungen, auch rechtlicher Veränderungen in Gestalt der neuen Welthandelsordnung und technologischer Herausforderungen, mit denen wir besonders durch die modernen Informationstechnologien konfrontiert sind, hat sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ eine völlig neue Perspektive für den internationalen Handel ergeben.
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
Ich stimme dem Kollegen Mosdorf ausdrücklich zu, wenn er auf diese nicht nur statistische, sondern auch qualitative Veränderung der Geschäftsbedingungen der Außenwirtschaft - heute nicht zum ersten Mal - hingewiesen hat.
Nun haben Sie, Herr Kollege Mosdorf, eine, wie ich finde, hochinteressante Differenzierung zwischen der außenpolitischen und der außenwirtschaftlichen Bewältigung eingetretener Veränderungen vorgenommen. Über dieses Thema könnte man unter unterschiedlichen Gesichtspunkten durchaus ins Schwärmen geraten. Meine Vermutung ist, daß ,wir, wenn sich die deutsche Wirtschaft bei der Bewältigung dieser neuen Herausforderungen außenwirtschaftlich ähnlich schwer täte wie Ihre Partei bei der Bewältigung der außenpolitischen Implikationen, die damit verbunden sind, weniger Grund zur Zuversicht hätten, als diese Debatte das im allgemeinen durchaus nahelegt.
- Weil der Kollege Schily an einer Vertiefung des Themas interessiert ist, will ich ihn nicht enttäuschen. Über das, was Ihr Fraktionsvorsitzender und mancher andere Redner der Opposition in der gestrigen Aktuellen Stunde zur China-Reise des Bundeskanzlers
gesagt haben, mag man, Herr Kollege Schily, unter den unterschiedlichen Aspekten denken, was man will. Aber ein Beitrag zur Außenwirtschaftsförderung war das sicher nicht.
- Ich finde es umgekehrt hochinteressant, wie Sie bei einer Debatte, die im übrigen auf Ihren Wunsch hin stattfindet, zu Einlassungen zum gleichen Zusammenhang, die Sie gestern gemacht haben, heute erklären, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Genau das ist eine der Denkgewohnheiten, die in einer gründlich veränderten Welt überwunden werden müssen, wenn wir unsere eigenen politischen und ökonomischen Interessen in dieser Welt gemeinsam wahrnehmen wollen, und zwar mit der Sensibilität für die eine wie für die andere Facette des gleichen Themas.
Im übrigen will ich ausdrücklich unterstreichen, was eine Reihe von Kollegen, insbesondere die Kollegen Fritz und Graf Lambsdorff, in der Debatte über den Zusammenhang von Außenwirtschaft und Standortsicherung im Inneren gesagt haben. Unsere Wettbewerbsfähigkeit entscheidet sich zunächst einmal zu Hause. Das, was wir überhaupt können, einschließlich der Möglichkeiten politischer Begleitung und Flankierung, wird im wesentlichen auf den eigenen Märkten und unserer dort vorhandenen Konkurrenzfähigkeit bestimmt
und ersetzt ganz sicher nicht, auch bei hohen Haushaltsmitteln, die man dazu bewegen könnte, die Anstrengungen, die wir auf Außenmärkten gemeinsam unternehmen müssen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über moderne Instrumentarien reden, wenn wir überhaupt über die neuen Herausforderungen sprechen, wie sie sich in dieser gründlich veränderten Welt ergeben, dann diskutieren wir im Kern, wenn ich das richtig sehe, über etwa eine Handvoll wichtiger Einzelfragen.
Wir reden dabei aber den Stellenwert, den mittelständische Unternehmen im Zusammenhang mit außenwirtschaftlichen Entwicklungen haben, und über die Begleitungen, die sie stärker als Großunternehmen benötigen, um ihre Interessen wahrnehmen zu können.
Wir sprechen über die Relevanz einzelner Regionen unter Berücksichtigung ihrer Wachstumsperspektiven und ihrer technologischen Potentiale. Wir müssen über die Frage der Instrumentarien diskutieren, die sowohl industriell als auch politisch verfügbar sind, um diese Chancen mit Aussicht auf Erfolg wahrnehmen zu können.
Schließlich müssen wir über das schwierige, aber zentrale Thema einer sinnvollen Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft reden und über die Frage, was in dem Zusammenhang vernünftig und was möglicherweise weniger vernünftig ist. Nicht jede Erwartung, die an die Politik herangetragen wird, ist vernünftig.
Beispielsweise ist die Identifizierung von Marktchancen, die Identifizierung von Regionen, in denen ein solches Engagement besonders notwendig ist, zunächst einmal eine Aufgabe der Wirtschaft und ganz sicher nicht des Staates. Darüber werden wir hoffentlich keine Meinungsverschiedenheiten haben.
Daß im übrigen vor dem Hintergrund der Kompetenzverteilungen unserer Verfassung die Frage der konzertierten Aktionen zwischen verschiedenen politischen Entscheidungsebenen, insbesondere der Kooperation zwischen Bund und Ländern, ganz wesentlich gerade für unsere Präsenz auf Drittmärkten ist, bedarf sicher keiner besonderen Beweisführung.
Ich möchte, weil in der Debatte und insbesondere auch in der Großen Anfrage zu Recht nachgefragt worden ist, wie die Bundesregierung diesen neuen Herausforderungen begegnet, gerne auf ein paar Fakten aufmerksam machen.
Die Bundesregierung hat die Aufwendungen für Auslandsmessen und Außenhandelskammern unter Berücksichtigung des veränderten Stellenwertes der Außenwirtschaft für unsere ökonomischen Zukunfts-
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
perspektiven von etwas über 50 Millionen DM Anfang der 80er Jahre auf über 120 Millionen DM in den Haushalten 1995 und 1996 mehr als verdoppelt. Zusammen mit der Bundesstelle für Außenhandelsinformation wendet das BMWi für außenwirtschaftliche Informations- und Beratungsstrukturen 160 Millionen DM pro Jahr auf.
Was die mittelständischen Interessen angeht, will ich darauf aufmerksam machen, daß 90 Prozent der Auslandsmesseförderung auf kleine und mittlere Unternehmen entfallen, selbstverständlich zu Recht. Die Schwerpunktbildung, die in dieser Debatte immer wieder eingefordert wird, ist bei der Bewirtschaftung dieser Mittel durchaus nachweisbar.
Die Bundesregierung hat mit ihren Instrumenten der Öffnung Osteuropas und der Dynamik im asiatisch-pazifischen Raum zu einer Zeit Rechnung getragen, als viele noch völlig auf den europäischen Binnenmarkt, seine Vorbereitung und sein Inkrafttreten, fixiert waren. Hier kann der Vorwurf einer nachträglichen und deswegen zu späten Berücksichtigung von neuen Entwicklungen ganz sicher nicht erhoben werden.
Ganz im Gegenteil: Wir haben bereits zum Zeitpunkt der weitgehenden Orientierung eines Großteils der deutschen Öffentlichkeit, auch der deutschen Wirtschaft, auf europäische Zusammenhänge die notwendige Ausweitung auf außereuropäische Märkte vorgenommen. Durch das Asien- und das Lateinamerikakonzept der Bundesregierung, übrigens in einer engen Kooperation zwischen den Ressorts, haben wir mit einer nicht ausschließlich ökonomischen, sondern gleichzeitig politischen und entwicklungspolitischen Perspektive für diese neuen Herausforderungen neue Instrumente geschaffen.
Wir haben inzwischen eine Verteilung der von uns geförderten Messeaktivitäten, wonach aus guten Gründen in diesem wie im kommenden Jahr mehr als die Hälfte an asiatischen Standorten stattfinden wird und ein Viertel an Plätzen in Mittel- und Osteuropa, um den dortigen großen Veränderungen operativ Rechnung zu tragen.
Wir haben unsere Präsenz in Asien deutlich ausgebaut. Wir verfügen inzwischen in Warschau, Prag und Budapest über vollwertige Außenhandelskammern. Wir haben in diesen Räumen mittlerweile deutlich überproportionale Wachstumsraten, nicht nur gemessen an unserem Inlandssozialprodukt, sondern auch gemessen an den Volumina, die im Außenhandel stärker zunehmen, als das in bezug auf unser Bruttoinlandsprodukt gegenwärtig der Fall ist.
Die Bundesregierung hat also neuen Märkten zu einer Zeit Rechnung getragen, als viele geglaubt haben, wir seien voll fixiert auf die allerdings zentralen Herausforderungen der deutschen Einheit und allenfalls noch mit den Veränderungen befaßt, die sich im europäischen Binnenmarkt ergeben.
Wir haben im übrigen auch auf den Nahost-Friedensprozeß rechtzeitig reagiert. Wir haben gerade vor wenigen Wochen zusammen mit dem DIHT in Israel eine neue Außenhandelskammer eröffnet und in den palästinensischen Gebieten und im Libanon
Delegiertenbüros der deutschen Wirtschaft eingerichtet.
Wir haben qualitative Verbesserungen des außenwirtschaftlichen Dienstleistungsangebots, übrigens auch durch verbesserte Informationsmedien im Bereich der Bundesstelle für Außenhandelsinformation, erreicht. Wir haben Entgeltdifferenzierungen bei den Exportfinanzierungen ermöglicht und auf diese Weise zu einer Senkung der Gebühren gerade auf den Wachstumsmärkten der Welt beigetragen.
Wir haben das Instrument der Kapitalanlagegarantien, von dem wiederum überwiegend mittelständische Unternehmen Gebrauch machen, besonders stark im mittel- und osteuropäischen Bereich eingesetzt.
Im Ganzen ist das eine Entwicklung, die sich sicher sehen lassen kann und die die Zuversicht durchaus stützt, die in dieser Diskussion vorgetragen worden ist.
Allerdings finde ich die Skepsis berechtigt, die Graf Lambsdorff in einem Teil seiner Rede zum Ausdruck gebracht hat, als er, wie ich finde, mit guten Gründen Fragezeichen an der inzwischen populär gewordenen Forderung nach geradezu ständiger und regelmäßiger politischer Begleitung aller möglichen ökonomischen Ambitionen angebracht hat. Ich sage auch hier ganz freimütig: Für einen Fortschritt der Zivilisation halte ich es nicht,
daß auf immer mehr Märkten und an immer mehr Plätzen in der Welt ohne den gleichzeitigen Auftritt von Politik und Wirtschaft nicht einmal das Ingangsetzen von Gesprächen mit Aussicht auf Erfolg möglich zu sein scheint. Wir sollten uns von daher neben dem notwendigen Blick für die Realitäten - und die Realitäten sind so, wie sie sind - schon die Vorstellung von den Funktionsbedingungen von Welthandelsmärkten bewahren und aus einem vielleicht im Augenblick notwendigen Übel nicht vorschnell gemeinsam eine vermeintliche Tugend herbeireden. Dies wäre eher der Anfang vom Ende der Wettbewerbsbeziehungen, die wir uns auf den Weltmärkten vorstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine abschließende Bemerkung. Der Kollege Mosdorf hat in einer sehr respektablen Weise am Beginn seiner Rede die heutige Berichterstattung im „Handelsblatt" und das Gespräch mit dem BDI-Präsidenten in diese Debatte eingeführt. Ich will das zum Schluß, auch um den breiten Konsens zu vertiefen, gerne fortführen. In diesem Artikel wird der BDI-Präsident mit der Bemerkung zitiert:
In der Außenwirtschaftspolitik hat die Bundesregierung keine weiteren Ratschläge nötig.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht mir zu weit. Gute Ratschläge haben wir immer nötig. Wenn
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
sie in dieser Debatte, nach dieser Debatte, in den Ausschußberatungen, durch Große Anfragen und was damit bewegt wird an uns herangetragen werden, machen wir davon natürlich gerne Gebrauch.
Wenn dann schließlich in demselben Artikel immerhin der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie erklärt, die derzeitige Außenwirtschaftspolitik der Regierung Kohl stelle einen echten Standortvorteil dar, dann ist dies eine schöne, verdiente und dazu pünktliche Attestierung einer erfolgreichen Außenwirtschaftspolitik der Bundesregierung, für die ich mich ausdrücklich bedanken möchte.