Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der oberste ökonomische Türöffner der Republik, Bundeskanzler Kohl, hat anläßlich seiner zurückliegenden Asienreise, die unter dem Motto „Den Tigern auf der Spur" stattgefunden hat, die bundesdeutsche Wirtschaft zu mehr Pioniergeist aufgerufen. Allerdings scheint es mir so zu sein, daß es auch den Pionieren mitunter etwas an Mut fehlt. So schreibt die „ Süddeutsche Zeitung" vom 16. November dieses Jahres über das deutsche Engagement in Vietnam, die Euphorie habe deutlich nachgelassen. Besonders die Vertreter der Automobilindustrie ahnten Böses. In Vietnam seien mittlerweile zehn internationale Unternehmen tätig, hätten grünes Licht von der dortigen Regierung zur Aufnahme der Produktion erhalten. In ganz Vietnam seien 1994 nur 10 000 Automobile verkauft worden. Der deutschen Wirtschaft gehe es zunächst um etwas ganz anderes. Dazu heißt es in diesem Artikel: „Präsent sein ist alles." Aber Präsenz ist nicht alles. Es muß auch Geld verdient werden, wenn Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden sollen. Dann bedarf es auch realistischer Außenwirtschaftsstrategien, die die Aufnahmefähigkeit der möglichen Exportländer berücksichtigen.
Das darf also nicht alles gewesen sein. Deswegen lauten die Ausgangsfragen zu meinem heutigen Debattenbeitrag: Wie kann eine nachhaltige Form des Handels am Ende des 20. Jahrhunderts aus-
Wolfgang Schmitt
sehen? Welche Produkte werden in Zukunft überhaupt handelsfähig sein? Wie muß eine zukunftsfähige Produktion in der Bundesrepublik Deutschland beschaffen sein? Wird der internationale Außenhandel in einen mehr oder weniger international akzeptierten ordnungspolitischen Rahmen eingebettet sein, oder erleben wir quasi eine Art ökonomischen kalten Krieg jenseits jeglicher Selbstbeschränkungen und internationaler Einbindungen?
Nun haben auch wir Grünen verstanden, daß sich nicht erst seit dem tiefen politischen Einschnitt 1989, dem Ende des bipolaren Zeitalters, auch die Bundesrepublik Deutschland tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen gegenübersieht. Die Globalisierungstendenzen, die unter anderem in einer rasanten Zunahme des internationalen Handels vor dem Hintergrund veränderter Informations- und Kommunikationstechnologie, liberalisierter Finanz- und Kapitalmärkte zum Ausdruck kommt, stellen die Volkswirtschaften vor neue Herausforderungen und Fragen.
Mit dem Abschluß der Uruguay-Runde haben sich die globalen Handelsbedingungen entscheidend verändert. Der Versuch, durch die Vertiefung von wirtschaftlicher und politischer Integration in regionalen Wirtschaftsräumen enger zusammenzurücken, Freihandelszonen aufzubauen, wie es bei den dynamischen Volkswirtschaften Asiens und Lateinamerikas der Fall ist, beschleunigt den Trend zur Zunahme des internationalen Handels ungeheuer. In Zahlen ausgedrückt: Wurde vor 25 Jahren rund ein Zehntel der weltweiten Produktion international gehandelt, sind es heute bereits 25 Prozent. Über 80 Prozent des Weltexports werden in Westeuropa, Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum abgewickelt.
Aber, meine Damen und Herren, was wird aus den Ländern, die das Tempo der Liberalisierung nicht mithalten können? Ihnen drohen die weitere Marginalisierung und ein Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Die Zahl der absolut in Armut lebenden Menschen ist weltweit auf 800 Millionen gestiegen. Gleichzeitig wächst die Erkenntnis vom Ausmaß ökologischer Zerstörung und der Zunahme globaler Umweltprobleme. Der Versuch, mit internationalen Konventionen wie der Deklaration von Rio und der Agenda 21 auf diese Gefahren zu reagieren, erkennt den dringenden Handlungsbedarf an.
Meine Damen und Herren, der internationale Handel darf kein Selbstzweck sein.
- Hören Sie einmal zu, Herr Kollege! Ich glaube, Ihnen ist nicht ganz klar, welche Folgen die von Ihnen begrüßten und von uns zur Kenntnis genommenen internationalen Globalisierungstendenzen in den einzelnen Ländern haben. Ich habe den Eindruck, Sie haben noch nie einen Sweatshop oder eine Maquilladores von innen gesehen und damit auch nicht das Elend beobachtet, das ein internationaler Deregulierungswettlauf, Umwelt- und Sozialdumping für die betroffenen Menschen zur Folge
haben können. Diese Folgen sind im übrigen auch in der Bundesrepublik Deutschland zu spüren. Nicht nur Gewerkschaften, sondern auch die deutsche Industrie und die Wirtschaft weisen nachdrücklich darauf hin, daß ein vollkommen entfesselter internationaler Konkurrenzkampf an den Standorten für die Betroffenen, aber auch für die beteiligten Industrien nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch sein kann.
Ich denke, das Schicksal der beteiligten Menschen sollte uns interessieren.
Eine umfassende außenwirtschaftliche Rahmenkonzeption hat genau diesen Faktoren Rechnung zu tragen. Nach der Lektüre der Antwort der Bundesregierung zur Außenwirtschaftsförderung, aber auch nach der Lektüre des Außenwirtschaftsantrags der SPD habe ich gleich mehrere Verdächte.
Erstens. Es geht nicht mehr darum, was gefördert wird. Es geht vielmehr um eine Förderung um jeden Preis.
Zweitens. Die Bundesregierung läuft durch ihre Politik Gefahr, den weltweiten Subventionswettlauf zu forcieren.
Drittens. Andere Politikfelder wie zum Beispiel die Entwicklungspolitik werden im Sinne der Außenhandelsförderung einseitig instrumentalisiert.
Meine Damen und Herren, natürlich müssen die außenwirtschaftlichen Instrumente zielsicher, kosteneffektiv und koordiniert eingesetzt werden. Auch wir wissen, daß gerade die Exportanstrengungen kleinerer und mittlerer Unternehmen einer außenwirtschaftlichen Flankierung bedürfen. Eine Außenwirtschaftskonzeption aber, die ,diesen Namen verdient, beinhaltet für uns Grüne mehr. Die zentrale Aufgabe besteht darin, ökologische und soziale Mindeststandards im internationalen Handel völkerrechtlich zu verankern.
Lohn- und Ökodumping lösen Entwicklungen aus, die mittelfristig sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrieländern katastrophale soziale und ökologische Folgen haben. Sie führen überdies dazu, daß die Zunahme des internationalen Handels in der Bundesrepublik eher als Jobkiller verstanden wird, der obendrein ökologisch und sozial niemandem nutzt.
Sie sehen ja, was in den Vereinigten Staaten von Amerika passiert. Dort wird versucht, unter der Instrumentalisierung internationaler Standards neue Elemente eines Protektionismus in den Welthandel einzuführen. Das allerdings wollen wir nicht. Wir sagen: Es geht um fairen Handel, um gerechte Handelsbeziehungen. Es geht nicht um Politikkonzepte,
Wolfgang Schmitt
die unter dem Motto „Deutschland zuerst" die Konkurrenten vom deutschen Markt fernhalten sollen.
Meine Damen und Herren, noch zwei Bemerkungen zu den Rahmenbedingungen, die die Politik am Wirtschaftsstandort Deutschland schaffen sollte.