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    Plenarprotokoll 13/69 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1995 Inhalt: Erklärung zu den Menschenrechtsverletzungen der nigerianischen Militärregierung 6031 A Absetzung des Punktes IV d von der Tagesordnung 6031 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 6031 D Begrüßung des Außenministers der Schweiz 6095 D Zur Geschäftsordnung Joachim Hörster CDU/CSU 6031 D Ottmar Schreiner SPD 6032 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6033 B Ina Albowitz F.D.P.B 6034 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 6034 D Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/2593) 6035 B Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Drucksachen 13/2622, 13/2626) Dieter Schanz SPD 6035 C Steffen Kampeter CDU/CSU 6038 D Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6042 D Jürgen Koppelin F.D.P 6045 A Dr. Ludwig Elm PDS 6047 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 6049A Dr. Ludwig Elm PDS (Erklärung nach § 30 GO) 6050D Dr. Peter Glotz SPD 6051 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 6053 A Haushaltsgesetz 1996 (Drucksachen 13/2627, 13/2630) . . . . 6057 B Tagesordnungspunkt II: a) Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/ 2601 bis 13/2626, 13/2627, 13/2630) . . 6057 C b) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksachen 13/2001, 13/2593, 13/2631) 6057 D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . . 6058 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 6062 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6067 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 6070D Dr. Christa Luft PDS 6075 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 6077 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 6082 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 6083 D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 6086 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . 6087 D Dr. Peter Glotz SPD 6090 A Dr. Christa Luft PDS (Erklärung nach § 30 GO) 6091 B Joachim Hörster CDU/CSU 6094 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6095 A Rudolf Seiters CDU/CSU 6095 C Günter Verheugen SPD 6096 A Ulrich Irmer F.D.P 6096 C Dr. Winfried Wolf PDS 6097 A Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 6097 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) 6098 D Namentliche Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1996 6091 D Ergebnis 6092 B Namentliche Abstimmung über Drucksache 13/2972 6091 D Ergebnis 6101 C Namentliche Abstimmung über Drucksache 13/2922 6092 A Ergebnis 6099 B Tagesordnungspunkt IV: Abschließende Beratungen ohne Aussprache c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Drucksachen 13/2207, 13/2940) 6104 C Petra Bläss PDS (Erklärung nach § 31 GO) 6104 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung der Arbeitsbedingungen bei der Entsendung von Arbeitnehmern (Entsendegesetz) (Drucksache 13/2834) 6105 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz) (Drucksache 13/2898) 6105 C Nächste Sitzung 6105 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6107*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1996 (Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/2627, 13/2630, [Drucksache 13/29721) 6107*B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 3 (ArbeitslosenhilfeReformgesetz) 6107' C Heinz Schemken CDU/CSU 6107*C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . 6108*C Adolf Ostertag SPD 6109* C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6111*B Dr. Gisela Babel F.D.P 6112*B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 6113*A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 6114*A Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 6115* D 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 3 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 11. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dr. Dobberthien, SPD 10. 11. 95 Marliese Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 11.95 Meißner, Herbert SPD 10. 11. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 11. 95 Nickels, Christa BÜNDNIS 10. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Odendahl, Doris SPD 10. 11. 95 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 10. 11.95 90/DIE GRÜNEN Schwanitz, Rolf SPD 10. 11. 95 Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 10. 11. 95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 10. 11. 95 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1996 - Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/2627, 13/2630 - (Drucksache 13/2972) Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unserer Fraktion ist beim Mißbilligungsantrag der SPD auf Drucksache 13/2972 ein Abstimmungsfehler unterlaufen, den ich als Haushaltsobmann auf meine Kappe nehme. Wir haben versehentlich mit Nein gestimmt, obwohl ich in meiner Rede die Zustimmung angekündigt hatte. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 3 (Arbeitslosenhilfe-Reformgestz - AlhiRG) Heinz Schemken (CDU/CSU): In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Arbeitslosenhilfebezieher und die Bezugsdauer erheblich angestiegen. Der mit der Dauer der Arbeitslosigkeit regelmäßig zunehmende Verlust von beruflicher Qualifikation erschwert die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in das Arbeitsleben. Es hat sich ein Sockel von Arbeitslosenhilfebeziehern gebildet, der die Arbeitslosenhilfe nicht nur vorübergehend, sondern immer häufiger mehr als zehn Jahre in Anspruch nimmt. Im geltenden Recht gewährleisten Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe den Schutz vor den finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit. Der vorliegende Gesetzentwuf zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe enthält die im wesentlichen notwendigen strukturellen Änderungen: Erstens. Der Anspruch auf die Arbeitslosenhilfe setzt voraus, daß der Arbeitslose ein Jahr gearbeitet und im Anschluß daran Arbeitslosengeld bezogen hat. Arbeitslose, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, haben den Anspruch auf Sozialhilfe. Diese unterschiedliche Behandlung muß bei einer Langzeitarbeitslosigkeit mehr oder weniger als Zufall gesehen werden. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sind deshalb stärker aufeinander abzustimmen und systemgerechter abzugrenzen. Dieses Ziel könnte durch eine Befristung der Arbeitslosenhilfe erreicht werden. Der Entwurf sieht dies eben nicht vor. Er beruht vielmehr auf der Abwägung, daß es besser ist, durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen langjährigen Arbeitslosen, die auch einen Verlust von beruflicher Qualifikation haben, einen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Da die Nachfrage nach Arbeitsplätzen das Angebot weit übersteigt, kann dieses Ziel erreicht werden: durch eine Verbesserung der bestehenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und produktiven Arbeitsförderung, durch Erschließen neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, die gegenwärtig z. B. vielfach durch ausländische Saisonarbeitnehmer genutzt werden, dabei mit einer finanziellen Anreizleistung, durch das Angebot von Tätigkeiten und Maßnahmen, die zur Wiedereingliederung oder Verbesserung der Vermittlungsaussichten beitragen und dies durch finanzielle Absicherung und Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, durch die Beseitigung von bestehenden Hindernissen für den Versuch von Arbeitlosen, ihren Lebensunterhalt durch eine selbständige Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Zweitens. Mit dem geltenden Recht können diese Ansätze nicht verwirklicht werden. Es ist verwaltungsaufwendig und wegen des weiten Beurteilungsspielraums in der Höhe des Arbeitslosengeldes nicht hilfreich. Der Entwurf sieht deshalb vor, daß die Neufestsetzung und Anpassung an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte jährlich erfolgt und an die Stelle der individuellen Neufestsetzung ein pauschaler Ansatz tritt. Drittens. Da die Nachfrage nach Arbeitsplätzen das Angebot übersteigt, kann die Arbeitsbereitschaft von Arbeitslosenhilfebeziehern vielfach nicht überprüft werden. Arbeitslosenhilfe können deshalb auch Personen beziehen, die keine Arbeit suchen. Sie nehmen die Arbeitslosenhilfe mißbräuchlich in Anspruch. Viertens. Die Arbeitslosenhilfe ist eine aus Steuermitteln des Bundes finanzierte staatliche Fürsorgeleistung. Der Arbeitslose erhält sie, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise bestreiten kann. Die Arbeitslosenhilfe soll deshalb ruhen, wenn der Arbeitslose voraussichtlich die Voraussetzungen einer Rente wegen Alters erfüllt, diese aber nicht beantragt. Fünftens. Das geltende Recht bietet dem Ehegatten des Arbeitslosenhilfebeziehers vielfach keinen Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, weil das Einkommen bei der Arbeitslosenhilfe angerechnet wird. Wie in der Sozialhilfe soll deshalb durch einen zusätzlichen Freibetrag ein entsprechender finanzieller Anreiz für den Ehegatten geschaffen werden. Sechstens. Der vorliegende Entwurf setzt bei der Reform der Arbeitslosenhilfe folgende Schwerpunkte: Erhöhung des Anteils von Arbeitslosenhilfebeziehern an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Arbeitsförderung - §§ 242s, 249h AFG -, Einführung von Trainingsmaßnahmen für Arbeitslosenhilfebezieher unter Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, Erschließung zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten durch Einführung einer Arbeitnehmerhilfe - über 60 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger sind unter 45 Jahre alt - Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser eine selbständige Tätigkeit ohne Nachteile bei der Arbeitslosenhilfe ausüben kann, Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser sein Recht auf Arbeitslosenhilfe nicht verliert, wenn er wegen der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht bedürftig war, pauschalierende und weniger verwaltungsaufwendige jährliche Anpassung des für die Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Arbeitsentgelts, Begrenzung der Arbeitslosenhilfe bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslose frühestens eine Altersrente beanspruchen kann. Natürlich wird durch diese Gesetzgebung auch der Bundeshaushalt entlastet; dies ist erforderlich, um Spielräume für arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zu schaffen. Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Eines, glaube ich, ist in diesem Hause unstrittig: Die Sozialversicherungssysteme Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe müssen effektiver als bisher miteinander kooperieren und aufeinander abgestimmt werden. Aber diese Forderung ist nur sinnvoll, wenn eine Reform der einzelnen Systeme - eben auch der Arbeitslosenhilfe - akzeptiert wird. Man muß den Mund nicht nur spitzen, sondern auch pfeifen. Die Voraussetzungen des Bezuges dieser Sozialleistung haben sich geändert: Arbeitslosenhilfe ist leider nicht mehr nur eine Übergangsleistung bei einem kurzfristigen Verlust des Arbeitsplatzes, sondern sie wird mehr und mehr zu einer Dauerleistung. Über die Ursachen dieser Entwicklung kann man sich streiten, das Faktum jedoch bleibt bestehen: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen und ihr Verbleib in der Arbeitslosenhilfe nehmen zu. Wie soll die Sozialpolitik auf diese Entwicklung reagieren? Soll weiterhin ein reines Versorgungssystem aufrecht erhalten werden, oder können den Langzeitarbeitslosen, denen in ihrer Gesamtheit hier niemand den Arbeitswillen abspricht, nicht auch Perspektiven auf eine Beschäftigung eröffnet werden? Ich denke, das wäre ein vernünftiger Weg. Ich möchte einige Punkte des Gesetzentwurfes der Koalition besonders hervorheben: So sollen in Zukunft mit geringen Ausnahmen nur noch Langzeitarbeitslose in die Allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung zugewiesen werden können. Außerdem werden Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose eingeführt, die ihnen nicht nur bei der Bewerbung helfen sollen sondern unter Umständen auch ihre Eignung und Begabung für eine neue Tätigkeit aufzeigen, insgesamt ihre „Professionalität" verbessern sollen. Eine weitere geplante Maßnahme, die ich für sinnvoll halte, sind Zuschüsse an jüngere Arbeitslosenhilfeempfänger, die sich für befristete und nicht gerade hoch dotierte Beschäftigungen zur Verfügung stellen. Wer etwa bei der Ernte mitarbeitet, erhält 25 DM täglich als Zuschlag zu seinem Entgelt. Wenn man bedenkt, daß ein beträchtlicher Anteil der Arbeitslosenhilfebezieher zu einer solchen Tätigkeit in der Lage ist, ist dieses Angebot - ich möchte die Freiwilligkeit unterstreichen wünschenswert und erfreulich. Wer in diesem Zusammenhang von „Arbeitsdienst" redet, zeigt nicht nur sein historisches Unverständnis, sondern offenbart auch nationalen Hochmut nach dem Motto: „Ein Deutscher bückt sich nicht vor einer Erdbeere." Hunderttausende ausländischer Arbeitnehmer kennen diese Scheu nicht und sind sich für Erntearbeiten in Deutschland nicht zu schade. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang an einen Satz von Willy Brandt erinnern, der zutreffend bemerkte, daß das Sozialstaatsangebot „nicht nur Pflichten des Gemeinwesens gegenüber dem Bürger, sondern auch soziale Verpflichtungen der Bürger im Verhältnis zum Staat" beinhaltet. Liebe Kollegen von der SPD, ich interpretiere in dem heutigen Zusammenhang die Worte ihres ExVorsitzenden so: Wer Hilfe vom Gemeinwesen erhält, der soll sich nach seinen Möglichkeiten auch bemühen, diese Hilfe nicht mehr oder in geringerem Umfang zu benötigen. Nur für den Fall, daß Sie mir vorwerfen sollten, ich würde Sie auf alte Kamellen von vorgestern festnageln, möchte ich auf Äußerungen des Hamburger Bürgermeisters, Ihres Parteifreundes Henning Voscherau, hinweisen. Der forderte in einem Interview vor knapp einer Woche die Abschaffung „überkommener Zumutbarkeitsgrenzen" und erklärte, es könne nicht Sache des einzelnen sein, sich zwischen Arbeit und „einem Einkommen aus der Tasche des Steuerzahlers" zu entscheiden. Ist das, liebe Kollegen von der SPD, ein Anschlag auf den Sozialstaat? Ich habe die meines Erachtens positiven Aspekte des vorliegenden Gesetzentwurfes hervorgehoben und möchte nun einige Sätze zu einer Neuregelung sagen, der ich - und auch einige meiner Fraktionskollegen - nicht ganz ohne Bedenken zustimmen kann: Geplant ist, die Minderung der beruflichen Qualifikation dadurch auszugleichen, daß das Bemessungsentgelt um fünf Prozent gekürzt wird, bis der durchschnittliche Tariflohn der untersten Gruppe erreicht ist. Tatsächlich ist eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe, die ja im Vergleich zum Arbeitslosengeld bereits reduziert ist, nicht unproblematisch. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um eine pauschale Kürzung handelt. Das individuelle Schicksal verliert an Bedeutung, die eigenen Anstrengungen, der Notlage zu entkommen, können nicht gewürdigt werden. Dies begründet auch mein Bedenken gegen die Vorlage. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe nach drei Jahren wegen der Abnahme beruflicher Qualifikation ist ja bekanntlich geltendes Recht; die Durchsetzung wurde wiederholt vom Bundesrechnungshof angemahnt. Es ist aber wichtig, daß ältere Arbeitslose, die nur noch geringe Vermittlungschancen haben, nicht das Gefühl bekommen, bestraft zu werden. Gerade sie müssen im Gegenteil eine besondere Förderung erfahren. Andererseits war eine Regelung, die alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hatte, nur sehr schwer in die Praxis umzusetzen. Bereits bei der alten Regelung endete die Neufestlegung der Arbeitslosenhilfe häufig vor dem Sozialgericht. Eindeutige gesetzliche Regelungen sind hier wohl tatsächlich nötig, um Rechtsklarheit zu erhalten und Ungerechtigkeiten vorzubeugen. Wie gesagt, nicht allen Einzelpunkten der Novellierung stimme ich aus vollem Herzen zu. Ich akzeptiere die aus meiner Sicht problematischen Abschnitte als Notwendigkeit, auf die nicht nur der Sparzwang hinweist. Auch eine Anpassung an den geänderten Charakter der Arbeitslosenhilfe als „Massenleistung" macht eine Reform in der vorgeschlagenen Art nötig. Insofern kann ich den Gesetzentwurf der Koalition als Gesamtpaket mit gutem Gewissen als gelungen bezeichnen. Abschließend möchte ich den Kollegen von der SPD, deren Kriegsgeheul von sozialem Kahlschlag und „menschlicher Sauerei" (Ottmar Schreiner) in den letzten Wochen wieder lauter geworden ist, in Erinnerung rufen: Es sind eure Engel, die den Teufel an die Wand malen. Unter Ihrer Ägide wurden die ersten einschneidenden Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe geplant, nämlich eine Senkung der Arbeitslosenhilfe und eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Damals, im März 1981, titelte der „Spiegel" sogar: „Sozialleistungen werden eingesammelt". Ihr Parteifreund Hans Matthöfer erklärte, „von einer Phase des Ausbaus sozialer Leistungen" sei nun - 1981 - „in eine Phase gesunden Abwägens von sozialer Sicherung und Eigenverantwortung überzugehen". Was damals richtig war, ist auch heute gültig. Insofern sollten auch die Kollegen von der SPD den vorliegenden Entwurf, der jene Forderung des Abwägens erfüllt, als das sehen, was er ist: Eine Sicherungsmaßnahme im Sozialstaat. Adolf Ostertag (SPD): Heute vor einer Woche hat der Bundesarbeitsminister auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall das „Bündnis für Arbeit" als „bedeutsamen Beitrag" bezeichnet und angeboten: Laßt uns auf dem Boden der Vorschläge von Klaus Zwickel, nicht auf der Höhe abstrakter Diskussionen, sondern im Rahmen ganz konkreter Projekte zusammenarbeiten, wo es geht. Vorgestern hat der Kanzler auch lobende Worte gefunden. Ich bezweifle aber, ob Sie dieses Angebot der IG Metall wirklich gelesen haben und auch ernst nehmen. Wörtlich heißt es da: „Dieses Bündnis verpflichtet die Bundesregierung, die Arbeitgeber und auch uns zur Einhaltung ... Wenn die Bundesregierung verbindlich erklärt, bei der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten und die Sozialhilfekriterien nicht zu verschlechtern", nur dann wird es ein „Bündnis für Arbeit" geben. Einen Tag nach diesem Angebot hat das Kabinett unter Leitung des Bundesarbeitsministers den Gesetzentwurf mit dem irreführenden Etikett „Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe" - besser: „Arbeitslosenbekämpfungsgesetz" - beschlossen. Darin stehen genau die Verschlechterungen, die das angebotene „Bündnis für Arbeit" unmöglich machen. Herr Bundesarbeitsminister, was ist mit den „ganz konkreten Projekten" ? Gehört dieser Entwurf dazu? Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt erneut, wie diese Regierung schönfärberisch redet und gleichzeitig eiskalt ihre Politik des sozialen Ausgrenzens weitertreibt. Sie bekämpfen doch die Arbeitslosen statt die Massenarbeitslosigkeit. Sie wälzen die sozialen Risiken einseitig auf die Beitragszahler ab; Sie ruinieren die Finanzen der Gemeinden in unverantwortlicher Weise. Damit hat diese Regierung den Konsens, der für einen Sozialstaat unerläßlich ist, längst verlassen. Und jetzt kommt gleich ein dreifacher Salto zur weiteren Demontage der Arbeitsmarktpolitik: Erstens. Mit den aktuellen Änderungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes werden 35 000 Personen aus der originären Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe abgeschoben, und die Arbeitslosigkeit wird weiter kommunalisiert und statistisch verkleinert. Der Bund stiehlt sich aus seiner Verantwortung. Zweitens. Mit den angekündigten Veränderungen im AFG, die den wohlklingenden Namen „Arbeitsförderungs-Reformgesetz" erhalten sollen, wird das Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter demontiert. Es wird eine Pseudoreform werden, die wieder der Finanzminister diktiert. Drittens. Auch mit dem sogenannten Arbeitslosenhilfe„reform"gesetz, das wir heute beraten müssen, setzt diese Bundesregierung ihre Strategie des Sozialabbaus und der Ausgrenzung konsequent fort. Die Arbeitslosenhilfe soll weiter auf das Sozialhilfeniveau gedrückt werden. Die Ausgliederung aus dem AFG ist der erste Schritt zur generellen Abschaffung. Für viele Arbeitslose und ihre Familien werden diese gesetzgeberischen Untaten zum Salto mortale. Mit Ihren Vorschlägen zur Arbeitslosenhilfe wird sich die finanzielle und soziale Lage der Arbeitslosen verschärfen, von dem psychischen Druck einmal ganz zu schweigen. Erstens. Sie behaupten, mit den vorgeschlagenen Regelungen eine bessere Integration der Arbeitslosenhilfempfänger zu ermöglichen. In Wahrheit geht es Ihnen nur um Kostenverschiebung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund spricht von „Flickschusterei zu Lasten der Kommunen". Die Stadt Frankfurt wird Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einlegen. Das wurde mit den CDU-Stimmen beschlossen. Durch den Gesetzentwurf wollen Sie den Bund in Milliardenhöhe entlasten auf Kosten der Arbeitslosenhilfeempfänger, der Sozialhilfeempfänger sowie der beitragsfinanzierten Arbeitsmarktpolitik. Zweitens. Sie wollen den Anteil von Arbeitslosenhilfebeziehern in Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Arbeitsförderung erhöhen. In diese Maßnahmen dürfen allerdings nur noch Bezieher von Arbeitslosenhilfe einbezogen werden. Diese Maßnahmen werden aus Beitragsmitteln finanziert. Der Bund entlastet sich somit, indem er sich bei den Beitragszahlern „bedient". Darüber hinaus bringt dies auch arbeitsmarktpolitisch nichts, da erst nach einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit die Teilnahme an einer derartigen Maßnahme möglich ist. Statt zügiger Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt wird ein Abgleiten von Arbeitslosengeldempfängern in die Arbeitslosenhilfe programmiert. Drittens. Mit den vorgesehenen Trainingsmaßnahmen bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosenhilfe sollen die Wiedereingliederungschancen verbessert werden. In erster Linie geht es aber darum, die Arbeitsbereitschaft zu testen. Bei einer Verweigerung gibt's Sperrzeit. Damit können die Empfänger von Arbeitslosenhilfe aus dem Leistungsbezug gedrängt werden. Von den Kosten für diese Trainingsmaßnahmen verabschiedet sich der Bund, den Beitragszahlern werden sie aufgehalst. Viertens. Ältere Arbeitslose sollen gezwungen werden, zum frühestmöglichen Termin Rente wegen Alters zu beantragen. Dies würde bei den Betroffenen zu niedrigeren Renten führen, da sich der Zeitraum der Beitragszahlung verkürzt. Falls sich die Bundesregierung mit den von ihr geplanten Abschlägen durchsetzt, würden die Renten noch weiter gekürzt. Fünftens. Die Bundesregierung will das für die Berechnung der Arbeitslosenhilfe maßgebliche Arbeitsentgelt jährlich pauschal um 5 Prozent senken. Als Untergrenze sollen 50 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV festgelegt werden. In Westdeutschland sind das zur Zeit 2 030 DM, in Ostdeutschland 1 645 DM brutto monatlich. Arbeitslosenhilfeempfänger und -empfängerinnen im Westen würden danach wöchentlich 215 DM, im Osten 174 DM (Leistungsklasse C) erhalten. Als Konsequenz ist einmal eine deutlich stärkere Belastung der Sozialhilfe zu erwarten und zum anderen ein verstärkter Druck auf die Arbeitslosen, gering entlohnte Arbeit zu akzeptieren. Sechstens. Eingeführt werden soll eine sogenannte „Arbeitnehmerhilfe" in Höhe von 25 DM täglich. Dadurch leistet die Bundesregierung einem staatlich geförderten Niedriglohnsektor Vorschub. Der Druck auf Arbeitslose, niedrig bezahlte Beschäftigung - möglicherweise unter Tarif - anzunehmen, wird erhöht. Die Tatsache, daß jede Arbeit angenommen werden muß, führt zu einer Dequalifizierung und zu einer Fehlsteuerung von Arbeitskräften. Zusammenfassend heißt das: Diese Bundesregierung zieht sich mit diesem Gesetzentwurf immer weiter von einer sinnvollen Arbeitsmarktpolitik zurück. Die Erwerbslosen werden mehr und mehr zum Sündenbock der Nation gemacht. Die Folgen sind eine weitere Verarmung der Arbeitslosen und eine weiter um sich greifende Kommunalisierung der Massenarbeitslosigkeit. Konkret in Zahlen heißt das: Auf Kosten der Beitragszahler und Kommunen will der Bund seinen Haushalt um insgesamt 3,4 Milliarden DM im Jahr 1996 beziehungsweise 3,8 Milliarden DM in den folgenden Jahren entlasten. Diese Politik steht im krassen Widerspruch zu den ständigen Versprechungen des Bundesarbeitsministers, die Beitragszahler zu entlasten. Seit 13 Jahren könnte diese Regierung was tun - sie redet aber nur und macht das Gegenteil. Ihre Vorschläge zur Arbeitslosenhilfe werden von allen gesellschaftlich wichtigen Gruppen, den Kirchen, den Gewerkschaften, dem Städte- und Gemeindebund, vielen Arbeitgebern und auch vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit abgelehnt. Deshalb fordere ich auch namens der SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung nachdrücklich auf, den Entwurf zurückzuziehen und auch die originäre Arbeitslosenhilfe beizubehalten. Meine Damen und Herren, wir brauchen ein „Bündnis für Arbeit" und ein „Bündnis gegen Arbeitslosigkeit". Im Gegensatz zur Bundesregierung wollen wir Sozialdemokraten, daß die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik produktiv eingesetzt werden und ein einheitliches AFG erhalten bleibt. Ich verweise auf unseren Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes, das wir am 22. Juni des Jahres erstmals beraten haben. Unsere Vorstellungen decken sich mit den Forderungen der Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Wissenschaftlern. Meine Damen und Herren, zu Recht wird Klaus Zwickel jetzt viel gelobt. Vorgestern hat der Kanzler aufgefordert, den IG-Metall-Vorsitzenden vollständig zu zitieren. Ich empfehle dem Kanzler, das Grundsatzreferat vollständig zu lesen. Da steht auch: Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung von 1994 davon gesprochen, in der laufenden Legislaturperiode drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Weder drei Millionen Arbeitsplätze noch blühende Landschaften wurden bislang geschaffen. Bundeskanzler Kohl verspricht vieles, hält jedoch wenig. Ich fürchte, das bleibt auch so. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn sich eine unbefangene Zuhörerin - sollte es sie denn an einem Freitag nachmittag um diese Uhrzeit noch geben - diese Debatte anhört, muß sie glauben, daß hier von ganz unterschiedlichen Gesetzen die Rede ist. Der Kollege Schreiner spricht - und da hat er meine volle Zustimmung - vom Arbeitslosenbekämpfungsgesetz. CDU und FDP behaupten, es ginge um Hilfen für Langzeitarbeitslose, darum, den Ausgegrenzten und sozial Schwachen dieser Gesellschaft die Hand zu reichen. Schade, daß das nichts als blanke Rhetorik ist. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, tun genau das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten. Was Sie hier vorlegen, ist und bleibt soziale Demontage. Kern des Gesetzentwurfs ist die Verschärfung von Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen, das weitere Abdrängen der Betroffenen in Armut und Billiglohnsektor. Die versprochenen zusätzlichen Maßnahmen für Langzeitarbeitslose sind eben keine zusätzlichen - dafür haben Sie der Bundesanstalt ja auch gar kein Geld zur Verfügung gestellt -, sondern gehen zu Lasten anderer Erwerbsloser. Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die Zugangsvoraussetzung für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von sechs auf zwölf Monate erhöhen, produzieren Sie neue Langzeitarbeitslose. Wenn Sie nicht wirklich neue Maßnahmen ergreifen, mehr Angebote an aktiver Arbeitsmarktpolitik machen, führt das zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen denjenigen, die unsere Unterstützung dringend brauchen. Dem Bundeshaushalt für 1996, der heute von Ihnen hier verabschiedet worden ist, liegt die sogenannte Arbeitslosenhilfereform schon zugrunde, obwohl wir den Gesetzentwurf der Regierung heute zum ersten Mal im Parlament beraten. Das macht deutlich, worum es eigentlich geht: nicht um sinnvolle Sozial- und Arbeitspolitik im Konzept, sondern um das Verschieben von Kostenstellen weg vom Bundeshaushalt. Belastet werden sozial Schwache, die wirklich keine Mark entbehren können, nämlich die betroffenen Arbeitslosenhilfebezieher und -bezieherinnen, belastet wird die Arbeitslosenversicherung und auch die Rentenversicherung, belastet werden die Kommunen. Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die Leute gleich an die Sozialhilfe durchgereicht werden , mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit der Produktion neuer Langzeitarbeitsloser. Dieses Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken, daß Sie völlig sachfremd einen Teil Ihrer gesetzlichen Änderungen ins Asylbewerberleistungsgesetz abgeschoben haben. Für so dumm können Sie den Deutschen Städtetag doch nicht ernstlich halten! Ich hoffe, daß Sie mit dem Versuch gründlich auf die Nase fallen, in Ihrem ausländerfeindlichen Asylbewerberleistungsgesetz eine Rechnung aufzumachen, die den Kommunen die neuen Belastungen als finanzielle Erleichterungen verkaufen soll und die Haushaltsdruck gegen politischen Anstand ausspielen will. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe reicht schon jetzt kaum zum Leben. Viele - fast ein Viertel - beziehen weniger als 600 DM im Monat. Sie leben in oder am Rande der Armut. Genau diese Verarmung wollen Sie jetzt noch beschleunigen: Sie konstruieren eine Rutschbahn in Armut und Billiglohnsektor. Die jetztige ist Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, offensichtlich noch nicht steil genug -5 Prozent jährlich sollen die Bemessungsentgelte automatisch abgesenkt werden. Den Vorwurf „Marktwert", Herr Minister, werden Sie sich damit nicht mehr einhandeln; denn mit Markt hat ein Absenkungsautomatismus nichts mehr zu schaffen. Allerdings hat er auch nichts mehr zu tun mit einer Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe bisher gewesen ist. Denn zum Wesen der Erwerbslosigkeit, dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden und „überschüssig" zu sein. Die Ausgrenzung von Millionen Menschen aus der Erwerbsarbeit zur Waffe zu machen und gegen die Betroffenen zu wenden ist schon abenteuerlich. Mit dieser automatischen Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslosenhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter hin zur Sozialhilfe. Sie verschärfen den Druck auf die Arbeitslosenhilfebezieher, jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen. Perspektiven bieten Sie ihnen keine, sondern hier wird lediglich die Situation der Schwäche ausgenutzt, um das Angebot an Billiglohnarbeitskräften zu vergrößern. Das gilt für die Ernteeinsätze genauso wie für die Trainingsmaßnahmen für ALH-Bezieher, die der Gesetzentwurf vorsieht. Bei entsprechender Ausgestaltung könnte ja z. B. ein Bewerbungstraining zumindest eine sinnvolle Förderung im Einzelfall darstellen. Aber darum geht es nicht, das steht erfrischend offen in der Begründung. Die Trainingsmaßnahmen dienen der Einsparung von Haushaltsmitteln, sie sollen die Arbeitsbereitschaft überprüfen und Leistungsmißbrauch feststellen. Sie sind also vor allem Instrument der Kontrolle und eine Schikane gegen Erwerbslose, keineswegs ein Instrument zur Integration in den Arbeitsmarkt. Und hier, so muß ich sagen, macht mir eines wirklich Sorgen: Der ganze Gesetzentwurf spricht immer wieder von Mißbrauchsvermeidung, von schärferen Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen. Das gilt genauso für die entsprechenden Passagen im Asylbewerberleistungsgesetz. Sie erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten die Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten sie nicht arbeiten, als bräuchten sie, wie Herr Schäuble das am Mittwoch in der Haushaltsberatung wieder gesagt hat, Anreize zur Arbeit. Angesichts von zirka 6 Millionen fehlenden Erwerbsarbeitsplätzen ist diese Unterstellung doch offensichtlich absurd. Sie öffnen Tür und Tor für eine Mißbrauchskampagne, die jetzt schon in Teilen der Presse begonnen hat. Das bedeutet Stammtischneid auf das angeblich goldene Leben der ALH-Bezieher, auf die, die auf unsere Kosten leben. Für die Betroffenen heißt das neben der schweren Belastung, aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt zu sein, außerdem noch Diffamierung und Entmutigung. Für das gesellschaftliche Klima ist das ein weiterer Schritt hin zu Entsolidarisierung und Ellbogengesellschaft. Wir werden alles tun, um solchen Diffamierungen entgegenzutreten. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Die Gesetzesänderungen im Arbeitsförderungsgesetz, die wir heute beschließen, sind Teil der Haushaltsgesetzgebung. Sie betreffen die Arbeitslosenhilfeempfänger. Da durch die vorgesehenen Änderungen 1,3 Milliarden DM gespart werden sollen, ist schnell erklärlich, daß diese Sparvorschläge in der öffentlichen Diskussion sehr polemisch erörtert werden. Manchem Sozialpolitiker fällt es schwer, die von Finanzen diktierte Sozialpolitik hier im Bundestag zu verteidigen. Allemal ist es leichter, mit grünem Feldgetöse oder kirchlicher Berufsentrüstung vom Leder zu ziehen, als sich die Mühe zu machen, die Vorschriften genauer anzusehen und zu bewerten. Bezieher von Arbeitslosenhilfe erhalten ihr Geld auf der Grundlage ihres letzten Nettogehaltes. Sie bekommen es zur Hälfte unbegrenzt - was einmalig ist, wenn Sie einmal europäische Nachbarländer zum Vergleich heranziehen - und erleben jährlich die Anpassung an die Steigerungen der Bruttoentgelte. Schon nach geltendem Recht ist die Bemessungsgrundlage nicht statisch, über alle Jahre hinweg auf derselben Höhe. Auch heute werden in einem Zeitraum von drei Jahren die Beträge „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles" neu festgesetzt. In die Praxis ist diese Vorschrift aber kaum umgesetzt worden. Jetzt soll die Bemessungsgrundlage - kurz: der letzte Lohn - jährlich um 5 Prozent gekürzt werden, herunter bis zum niedrigsten Tariflohn der entsprechenden Branche. Daß also jemand, der 600 DM Arbeitslosenhilfe bekommt, diese gekürzt bekommt, wie gestern Redner von der SPD behauptet haben, stimmt nicht. Im Grunde ist es doch schwierig zu begründen, warum jemand, der seit längerem aus dem Arbeitsprozeß herausgefallen ist, immer noch fiktiv auf der selben Lohnstufe die Unterstützungsleistung erhalten soll. Es zeigt sich eben, daß das Fürsorgesystem des Bundes - nichts anderes ist ja das Arbeitslosenhilferecht -, orientiert am einmal verdienten Lohn, in innere Widersprüche gerät. Der Absenkung auf der einen Seite stehen nun aber auch verstärkte Hilfen auf der anderen gegenüber. Eine Verbesserung sehe ich darin, daß den Empfängern von Arbeitslosenhilfe Trainingsmaßnahmen angeboten werden können, daß das Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ihnen mehr als jetzt zugedacht wird. Damit entwickelt sich die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu einem Angebot gerade für den Personenkreis, der länger arbeitslos ist. Daß die in solchen Maßnahmen Beschäftigten dann gleich wieder Ansprüche erwerben und unter Umständen wieder Arbeitslosengeld bekommen können, gehört zu den Fragwürdigkeiten dieses Instruments. Es macht aber durchaus Sinn aus sozialpolitischer Sicht, AB-Maßnahmen auf Arbeitslosenhilfeempfänger zu konzentrieren. Bedenken habe ich bei dieser Operation eher, was die Finanzierung angeht. Sparen tut der Finanzminister, zahlen müssen die Beitragszahler. Denn AB-Maßnahmen werden von den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt. Die über diesen Weg erzielten Einsparungen sind also keine Kürzungen am Unterhalt der Arbeitslosenhilfeempfänger, im Gegenteil eher eine Verstärkung der Hilfen, sie gehen aber zu Lasten der Lohnzusatzkosten. Das widerspricht ganz klar den Absichten der Koalition, die Lohnzusatzkosten zu senken - was auch in der Koalitionsvereinbarung steht. Also, Herr Minister Blüm, von dieser Bürde hat Sie das vorliegende Gesetz nicht befreit. Aus dieser Verantwortung können wir Sie auch nicht entlassen. Setzen Sie Ihre Hoffnungen nicht auf Theo Waigel, bringen Sie selbst Sparvorschläge ein, die dem Ziel „Senkung der Lohnnebenkosten" dienen. Jede Veränderung im Bereich der Arbeitslosenhilfe wird von den Kommunen besonders kritisch beäugt. Sie sorgen sich um zusätzliche Belastungen in der Sozialhilfe. Diese Befürchtungen entzünden sich zur Zeit insbesondere an der Absenkung der Bemessungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe sowie an der Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die an anderer Stelle im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen ist. Ich möchte feststellen, daß ich diese Befürchtungen diesmal für unbegründet halte. Geringfügigen Mehrbelastungen durch die Reform der Arbeitslosenhilfe stehen deutliche Entlastungen der Kommunen durch die Novellierung des Sozialhilfegesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes gegenüber. Voraussetzung ist allerdings, daß die Länder diesen Entlastungen im Bundesrat auch zustimmen. Daher sollten die Städte und Gemeinden ihr Klagelied weniger an den Bund als vielmehr an ihre jeweiligen Landesregierungen richten. Diese stehen für die kommunalen Haushalte nämlich in erster Linie in der Verantwortung. Meine Damen und Herren, bei näherer Betrachtung halte ich die hier zu beschließende Gesetzesänderung für sozial vertretbar. Der Absenkung auf der einen Seite stehen verstärkte Hilfen auf der anderen gegenüber. Die Belastung der Beitragzahler bleibt bedenklich. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Freitag nachmittag - der übliche Zeitpunkt, dieselbe bekannte Runde, gemütlich eigentlich, wenn da nicht diese Themen wären. Woche für Woche werden unter diesen Bedingungen - unter faktischem Ausschluß der Öffentlichkeit - Beschlüsse gefaßt, die das Sozialsystem fortgesetzt aushöhlen. Nun das neueste Elaborat aus dem Hause Blüm: Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz. Ein Blick in die Zielsetzung legt die Vermutung nahe: Der Arbeitsminister hat es geschafft, endlich ist der Kreis quadriert. Da heißt es, Fallzahlen und Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe seien „erheblich gestiegen", mit „der Dauer der Arbeitslosigkeit entstehe ein regelmäßiger Verlust an beruflicher Qualifikation", und das erschwere die Wiedereingliederung; deshalb verbessere die Bundesregierung die bestehenden Möglichkeiten, schaffe zusätzliche, verbessere die Vermittlungsaussichten, erleichtere die Selbständigkeit usw. usw. So viele Wohltaten! Und das Tollste: Diese Aktivitäten für Arbeitslose kosten nicht nur nichts, sie entlasten den Bundeshaushalt auch noch um 2,1 Milliarden DM. Fürwahr, ein Glanzstück - ein Glanzstück nicht der arbeitsmarktpolitischen Intelligenz der Bundesregierung, sondern ein Glanzstück ihrer demagogischen Entsorgungssprache: Die Sorgen der Menschen werden durch Sprachregelungen beseitigt. Gestern, Herr Minister, haben Sie uns dafür wieder ein bemerkenswertes Beispiel geliefert. Sie fragten uns, was wir denn dagegen hätten, wenn endlich auch mal die Langzeitarbeitslosen von der Arbeitsförderung profitierten. Sie wissen natürlich, daß wir dagegen gar nichts haben, uns allerdings fragen, warum Sie nicht längst mehr getan haben, sondern warten, bis die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf fast eine Million angewachsen ist. Und auch das Sonderprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit haben Sie ja nicht freiwillig wiederaufgelegt. Jetzt sollen Arbeitslosenhilfebezieher verstärkt in § 240h-Maßnahmen. Wie soll das gehen, wenn doch heute schon klar ist, daß z. B. die Mittel für die BVS für 1996 gesenkt sind und dort 25 000 bis 28 000 Stellen zur Disposition stehen? Aber in diesem Gesetz geht es ja im Kern auch um etwas ganz anderes: Dieses Gesetz ist ein rüdes Sparprogramm auf Kosten der Arbeitslosenhilfebezieher/ Innen. Um 5 % soll ihre Arbeitslosenhilfe jährlich runtergestuft werden. Ihr Qualifizierungsgerede soll ja nur den Rauchvorhang für diese Ihre eigentliche Absicht abgeben, Ihre Absicht nämlich: ausgerechnet die Leistungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen, um Ihren Chaoshaushalt zu sanieren. Sie wollen weg von der Arbeitslosenhilfe als Dauerleistung, einer Leistung, die Arbeitslose auch für den Fall des dauerhaften Verlustes der Beschäftigung sozial sichern soll. Und weil Sie davon weg wollen, Herr Blüm, gehen Sie landauf, landab mit Ihrem arbeitslosen DiplomIngenieur hausieren. Selbst die IG-Metall-Delegierten haben Sie damit veralbert. Das kommt gar nicht gut an; da helfen Ihnen auch 40 Jahre als Metaller nichts. Zurück zu Ihrem Diplom-Ingenieur also, der nach einem Einkommen von 8 000 DM nunmehr seit 20 Jahren eine üppige Arbeitslosenhilfe kassiert und sich in der sozialen Hängematte ausruht. Für dieses so trefflich demagogisch einzusetzende Einzelbeispiel sollen nun 950 000 Arbeitslosenhilfeempfänger bestraft werden. Das ist soziale Brunnenvergiftung übelster Art. So schafft man ein gesellschaftliches Klima, in dem ein angeblich seriöses Wochenjournal mit Stories „Zum süßen Leben der Sozialschmarotzer" aufmacht und vor allem kritisiert, „daß 90 Prozent der Bundesbürger das soziale Netz ... in Anspruch nehmen". Haben wir uns also schon so weit von der Sozialen Marktwirtschaft verabschiedet, daß diejenigen zu Schmarotzern erklärt werden, die den Sozialstaat beim Wort nehmen? Und Sie machen da noch mit! Wie sieht es wirklich aus? Die maximale Arbeitslosenhilfe beträgt 1995 im günstigsten Fall - verheiratet, ein Kind - 2 740 DM im Monat. Den Anteil derjenigen, die Arbeitslosenhilfe in dieser Höhe bekommen, weiß nicht mal Ihre eigene Statistik auszuweisen, so klein ist er. Aber wir brauchen gar nicht so hoch zu gehen. Nehmen wir nur diejenigen, die Arbeitslosenhilfe nach einem Bruttogehalt oberhalb der Bezugsgröße der Sozialversicherung - 4 060 DM in 1995 - erhalten. Im Februar 1995 waren das 14 Prozent, im günstigsten Fall sind das 1 557 DM im Monat; davon kann eine dreiköpfige Familie nachweislich nicht leben. Diese Familie „entlasten" Sie mit Ihren Kürzungsabsichten nun noch um 67 DM im Monat. Aber 86 Prozent bekommen eben noch weniger Geld. Im August 1995 erhielten 75 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen in der Bundesre- publik Beträge noch unterhalb der Sozialhilfeschwelle. Jede Kürzung der Arbeitslosenhilfe erhöht die Sozialhilfeausgaben und damit die Belastung der Kommunen in unverantwortlicher Weise. Selbst die an sich gute Idee der verstärkten Arbeitsförderung für Arbeitslosenhilfebezieher ist ja nichts anderes als eine Kostenabwälzung auf die Bundesanstalt. Wann begreifen Sie endlich, daß sich fehlende Jobs nicht durch höheren Druck auf Arbeitslose schaffen lassen? Lassen Sie mich mit einem Zitat aus den keinerlei Sympathien für die PDS verdächtigen „Lübecker Nachrichten" vom 4. November schließen: Um 3,4 Milliarden Mark kürzt das Kabinett bei der Arbeitslosenhilfe, der zungenfertige Blüm aber münzt das ganz als Anstrengung für mehr Beschäftigung um - fürwahr ein echter Verpackungskünstler. Ich hoffe nur, die Betroffenen lassen sich nicht länger einpacken. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Zur Zeit gibt es in Deutschland mehr als 900 000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Ihre Zahl nimmt ebenso zu wie die Bezugsdauer der Leistung. Tatsache ist auch: Mit jedem Jahr der Arbeitslosigkeit nimmt die berufliche Qualifikation des Arbeitslosenhilfebeziehers ab. Das erschwert eine Wiedereingliederung in das Arbeitsleben. Ein weiterer Punkt, der uns zum Handeln veranlaßt hat: Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern nach langjähriger Arbeitslosigkeit ist unverständlich und mutet willkürlich an. Wer einmal, wenn auch nur kurze Zeit, erwerbstätig war, bezieht den Rest seines Lebens Arbeitslosenhilfe. Der Arbeitslose, der nicht mit dem Erwerbsleben in Kontakt war, bekommt im gleichen Fall Sozialhilfe. Darum wollen und müssen wir das Recht der Arbeitslosenhilfe reformieren. Um was geht es uns bei der Reform? Drei Gesichtspunkte stehen im Vordergrund. Erstens. Wir wollen Arbeitslosenhilfebeziehern, und zwar insbesondere den Langzeitarbeitslosen, Brücken aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt bauen. Sie sollen vom Leistungsbezug unabhängig werden. Zweitens. Wir wollen den Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung verbessern. Drittens. Wir wollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe stärker aufeinander abstimmen. Wir wollen vor allem durch Arbeitsmarktmaßnahmen die Qualifikation der Arbeitslosenhilfebezieher erhalten und verbessern. Sie sollen fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt gemacht werden. Wir müssen die Zugbrücken zur Festung der Arbeitswelt herunterlassen. Wir müssen eine intelligente Arbeitsmarktpolitik betreiben, die den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt auch tatsächlich ermöglicht. Unser Reformvorschlag zur Verbesserung der Lage der Arbeitslosen enthält folgende Maßnahmen. Erstens. Wir konzentrieren die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf langzeitarbeitslose Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Das sind Personen, die es nachweislich schwerer als andere haben, aus eigenen Kräften in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukommen, und denen wir deshalb besonders helfen müssen. Künftig werden in ABM in der Regel nur noch Arbeitslose gefördert, die 12 Monate arbeitslos waren. Diese Maßnahme fördert die Benachteiligten und verbessert die Chancen der beruflichen Integration. Zweitens. Wir werden Arbeitslosenhilfebeziehern Arbeitstrainingsmaßnahmen anbieten. Dadurch soll die Eignung des Arbeitslosen für bestimmte Tätigkeiten festgestellt, der Erwerb zusätzlicher Qualifikationen gefördert und Unterstützung bei Bewerbungen geleistet werden. Der Arbeitslose erhält während der Trainingsmaßnahmen weiterhin Arbeitslosenhilfe. Drittens. Wir werden jüngeren Arbeitslosenhilfebeziehern eine Arbeitnehmerhilfe anbieten, um ihnen die Aufnahme einer befristeten Beschäftigung, insbesondere im Bereich der Saisonarbeiten, zu ermöglichen. Seit einigen Jahren besteht die paradoxe Situation, daß derartige Tätigkeiten trotz hoher Arbeitslosigkeit im Inland von einer großen Zahl ausländischer Arbeitnehmer verrichtet werden. So werden zur Zeit jährlich etwa 150 000 Arbeitserlaubnisse an ausländische Arbeitnehmer erteilt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht einzusehen, weshalb nicht auch jüngere inländische Arbeitslose derartige Saisonarbeiten durchführen können. Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt daher künftig als Arbeitsanreiz zusätzlich zum Arbeitslohn 25 DM pro Tag - und zwar ohne Anrechnung auf die Arbeitslosenhilfe. Viertens. Wir erleichtern Arbeitslosenhilfebeziehern die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Nach der bisherigen Rechtslage gilt: Der Arbeitslose, der bei dem Versuch gescheitert ist, seinen Lebensunterhalt länger als ein Jahr aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu bestreiten, hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Unser Gesetzentwurf sieht vor: Arbeitslosenhilfebezieher sollen eine selbständige Tätigkeit aufnehmen und fast drei Jahre ausüben können, ohne das Recht auf erneute Inanspruchnahme der Leistung zu verlieren. Fünftens. Wir wollen die Subsidiarität der bedürftigkeitsabhängigen Arbeitslosenhilfe stärken. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe soll begrenzt werden, wenn der Arbeitslose eine Altersrente beanspruchen könnte oder wenn er die Voraussetzungen für eine solche Altersrente in absehbarer Zeit erfüllt. Denn die aus Steuermitteln des Bundes finanzierte Arbeitslosenhilfe ist eine gegenüber der Versicherungsrente nachrangige Fürsorgeleistung. Es ist nicht einzusehen, weshalb jemand, der Anspruch auf eine Versicherungsleistung hat, statt dessen die ihr gegenüber subsidiäre Arbeitslosenhilfe beanspruchen kann. Lassen Sie mich schließlich auf die geplanten Änderungen bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe eingehen. Dazu hat es in den letzten Wochen ja viel Kritik und noch mehr Polemik gegeben - auch in diesem Hohen Hause. Worum geht es eigentlich? Das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe soll entsprechend der Dynamisierung der Bruttoarbeitsentgelte steigen. Gleichzeitig soll der Qualifikationsverlust, der mit der zunehmenden Dauer der Arbeitslosigkeit unbestreitbar verbunden ist, jedes Jahr durch einen pauschalierten Abschlag vom Bemessungsentgelt in Höhe von 5 Prozent berücksichtigt werden. Da die Dynamisierung in der Regel zu einer Erhöhung der Bruttoarbeitsentgelte führt, wird die reale Minderung des neuen Bemessungsentgelts tatsächlich geringer sein als 5 Prozent. An zwei Gesichtspunkte möchte ich in diesem Zusammenhang nochmals erinnern, um insbesondere der Gedächtnisschwäche der Opposition auf die Beine zu helfen: Das neue Bemessungsentgelt darf eine Grenze nicht unterschreiten, die sich an der untersten Tariflohngruppe orientiert, denn unter der niedrigsten Tarifgruppe kann niemand Geld verdienen. Die Arbeitslosenhilfe im Anschluß an Arbeitslosengeld wird weiterhin unbefristet gezahlt. Eine Befristung der Arbeitslosenhilfe ist - anders als Sie, Herr Scharping, vorgestern wahrheitswidrig behauptet haben - vom Tisch. Unser Vorschlag ist im übrigen keine revolutionäre Neuerung. Denn bereits das geltende Recht sieht vor, daß die Entwicklung der beruflichen Leistungsfähigkeit alle drei Jahre berücksichtigt wird. Wir machen lediglich das geltende Recht praktikabel. Die bisherige Regelung ist schwer handhabbar. Sie kann zu willkürlichen Ergebnissen führen und ist in der Vergangenheit so gut wie nie umgesetzt worden. Das hat auch der Bundesrechnungshof beanstandet. Wer, wie die Opposition, unsere Reformvorschläge als „Etikettenschwindel", als „Bestrafung der Arbeitslosen" oder als „primitive Konfliktstrategie auf dem Rücken der Arbeitnehmer" bezeichnet, der hat gar nicht begriffen, um was es eigentlich geht. Wir finanzieren nicht Arbeitlosigkeit, wir finanzieren Rückkehrhilfen in den regulären Arbeitsmarkt. Wenn es gelingt, die Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen, dann wird dadurch automatisch Geld gespart. So erzielen wir durch die Maßnahmen zur Rückkehr der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt einen Einspareffekt von 1,5 Milliarden DM im Bundeshaushalt. Die Leistungsempfänger verlieren dadurch keine einzige Mark. Sie stehen sich sogar besser, weil sie eine neue Arbeit erhalten oder weil sie in ABM ein höheres Entgelt bekommen. Das Gesamtpaket zur Reform der Arbeitslosenhilfe wird 1996 zu einer Entlastung des Bundeshaushalts in Höhe von 3,4 Milliarden DM führen. Davon entfallen 2,1 Milliarden DM auf das ArbeitslosenhilfeReformgesetz, 1,3 Milliarden DM auf die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen. Die Entlastung wird - anders als die Opposition glauben machen will - nur zu einem geringeren Teil durch eine Begrenzung von Leistungen erzielt: Gerade einmal 300 Millionen DM werden durch die geplante Änderung bei der Neubemessung der Arbeitslosenhilfe eingespart. Das sind noch nicht einmal 10 Prozent der Mittel zur Verbesserung der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, wie wir sie im ArbeitslosenhilfeReformgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz bereitstellen. 600 Millionen DM werden durch die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe eingespart. Der überwiegende Teil der Entlastung wird durch strukturelle Änderungen der Arbeitslosenhilfe erreicht werden, bei denen die Wiedereingliederung der Arbeitslosenhilfebezieher in den allgemeinen Arbeitsmarkt im Vordergrund steht. Deshalb appelliere ich an Sie: Lesen Sie den Entwurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz aufmerksam. Sie werden dann feststellen, daß dieses weniger ein Spargesetz als ein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung der Lage von Langzeitarbeitslosen ist. Lassen Sie uns darüber unvoreingenommen diskutieren. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 690. Sitzung am 3. November 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Viertes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (4. SGB V-Änderungsgesetz - 4. SGB V-ÄndG) - Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durchführung des Abkommens vom 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung - Gesetz zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen - Gesetz zu dem Vertrag vom 2. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 12. November 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 24. September 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika über die gegenseitige Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 20. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolischen Volksrepublik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 15. Februar 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Die Gruppe der PDS hat mit Schreiben vom 8. November 1995 folgende Vorlagen zurückgezogen: - Antrag: Überarbeitung der Eckpunkte zur Regulierung der Telekommunikation - Drucksache 13/1224 - - Antrag: Erstattung eines Berichtes der Bundesregierung zur „Lage der Nation" und zur Durchsetzung des Einigungsvertrages anläßlich des fünften Jahrestages der staatlichen Vereingung am 3. Oktober 1995 - Drucksache 13/2227 - Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuß Drucksachen 13/1360, 13/1616 Nr. 2 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 13/1070, 13/1233 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zu Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/1614, Nr. 1.6 Drucksache 13/1614, Nr. 1.8 Drucksache 13/2306, Nr. 2.33 Drucksache 13/2306, Nr. 2.85 Haushaltsausschuß Drucksache 13/2306, Nr. 2.37 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/1614, Nr. 1.4, 13/2306 (Berichtigung) Drucksache 13/2306, Nr. 1.10 Drucksache 13/2306, Nr. 2.2 Drucksache 13/2306, Nr. 2.3 Drucksache 13/2306, Nr. 2.6 Drucksache 13/2306, Nr. 2.7 Drucksache 13/2306, Nr. 2.11 Drucksache 13/2306, Nr. 2.12 Drucksache 13/2306, Nr. 2.21 Drucksache 13/2306, Nr. 2.28 Drucksache 13/2306, Nr. 2.46 Drucksache 13/2306, Nr. 2.47 Drucksache 13/2306, Nr. 2.56 Drucksache 13/2306, Nr. 2.59 Drucksache 13/2306, Nr. 2.70 Drucksache 13/2306, Nr. 2.75 Drucksache 13/2306, Nr. 2.84 Drucksache 13/2306, Nr. 2.92 Drucksache 13/2306, Nr. 2.93 Drucksache 13/2306, Nr. 2.104 Drucksache 13/2306, Nr. 2.105 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/1442, Nr. 2.1 Drucksache 13/1799, Nr. 2.5 bis 2.8 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/2306, Nr. 1.13 Drucksache 13/2306, Nr. 2.18 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/2306, Nr. 2.20 Drucksache 13/2306, Nr. 2.23 Drucksache 13/2306, Nr. 2.31 Drucksache 13/2306, Nr. 2.83 Drucksache 13/2306, Nr. 2.101 Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Drucksache 13/1614, Nr. 1.1 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1338, Nr. 1.2 Drucksache 13/1614, Nr. 1.5 Drucksache 13/1898, Nr. 1.1 Drucksache 13/1898, Nr. 1.2 Drucksache 13/2306, Nr. 1.2 Drucksache 13/2306, Nr. 2.74 Drucksache 13/2306, Nr. 2.102
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christa Luft


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus dem Debattenverlauf in dieser Woche ist unmißverständlich klargeworden, daß wir von der Partei des Demokratischen Sozialismus den Haushalt 1996, wie er vorgelegt worden ist, in Gänze ablehnen, und dies nicht, weil Opposition gemeinhin so verfährt oder weil wir nicht den einen oder den anderen Ausgaben- oder Einnahmenänderungsantrag hätten mittragen können.
    Wir lehnen dieses Papier erstens ab, weil es sich inzwischen um Makulatur handelt, weil dieses Opus mit einem spitzen Bleistift zurechtgerechnet worden ist, weil es Haushaltsrisiken in Fülle enthält und weil die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unverantwortlich hinters Licht geführt werden. Ein Mißbilligungsantrag gegenüber dem Finanzminister ist wohl das Gelindeste, was man in dieser Debatte fordern kann.

    (Beifall bei der PDS)

    Zweitens lehnen wir diese Vorlage ab, weil aus jedem Einzelplan und aus dem Gesamtpaket eine kurzatmige Politik lugt. Sie hangeln sich doch, Herr Finanzminister - er ist im Moment nicht da -,

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

    von Jahr zu Jahr. Die optimistischen Daten, die Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung gegeben haben, sind im Haushaltsvollzug nie eingehalten worden. Vor drei Jahren haben Sie für das kommende Jahr 1996 eine Neuverschuldung von nur 22 Milliarden DM versprochen. Inzwischen wird sie dreimal so hoch sein. Sie nennen das eine Punktlandung.
    Für 1999 haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nun 29 Milliarden DM Neuverschuldung versprochen. Ob Ende des Jahrhunderts eine Multiplikation mit dem Faktor drei ausreichend sein wird, das wage ich sehr zu bezweifeln. Das wird wahrscheinlich wieder eine Landung auf dem Punkt; aber ich fürchte, dieser Punkt wird die Größe eines Bombentrichters haben.

    (Beifall bei der PDS)

    Drittens sagen wir nein, weil auch mit diesem Etatentwurf keinerlei Zukunftsvorsorge getroffen wird. Sie laborieren doch noch immer an den Auswirkungen Ihrer fehlerhaften Politik von gestern.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Jawohl, das sind Folgen Ihrer Politik in den 80er Jahren. Darauf komme ich noch zurück.
    Die Krebsgeschwüre am Körper dieser Gesellschaft, nämlich Massenarbeitslosigkeit, Ausbildungsnotstand, Hochschulmisere, Altersarmut - insbesondere bei Frauen - und Defizite an bezahlbaren Wohnungen, wuchern nach wie vor. Allein in Berlin - wenn ich Ihnen das sagen darf; dort gibt es ja einen Regierenden Bürgermeister von der CDU - gibt es ein Manko von 200 000 Wohnungen für Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Ich frage Sie: Wie wollen Sie diesen Menschen die Zukunftsangst nehmen? Ob Sie das nun mit oder ohne Eurogeld machen, spielt für sie keine Rolle.
    Ein Wort an meine Ausschußkolleginnen und -kollegen von der Koalition. Sie haben die Opposition und damit auch die PDS-Vertreter dafür gerügt, daß sie die Ausschußberatungen verlassen haben.

    (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Ist doch egal, ob Sie dabei oder weg sind!)

    Aber ich frage Sie: Welche Basis hatten Sie denn eigentlich für eine weitere Sachmitarbeit gelegt, Herr Weng und Herr Roth? Wochenlang haben Sie jede Erbse aus einem Oppositionsantrag dreimal gezählt und dann doch weggeworfen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die guten ins Töpfchen!)

    Als dann aber der Finanzminister plötzlich innerhalb von Minuten einen unverdaulichen, 20 Milliarden DM schweren Gesteinsbrocken präsentierte, waren Sie nicht einmal schockiert, sondern sie wiegelten ab. Dies trifft meiner Meinung nach vor allen Dingen für die Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. zu, die immer heimlich die Faust in der Tasche machen, aber sie öffentlich nicht auf den Tisch hauen.

    (Beifall bei der PDS)

    Das sind schon böse Erfahrungen, die man macht.
    Der Ausschußvorsitzende hat in den oft hochschlagenden Wellen - zumindest in der letzten Phase schlugen sie besonders hoch - äußerlich wie ein Fels in der Brandung gewirkt, und er war um Begrenzung der atmosphärischen Schäden sehr bemüht. Dafür gebührt ihm der Respekt, den ich ihm namens der PDS-Vertreterinnen und -Vertreter im Haushaltsausschuß gern zolle.

    (Beifall bei der PDS)

    Wie aber können Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dem Finanzminister den plötzlichen Steueroffenbarungseid so widerspruchslos abnehmen?

    (Unruhe bei der CDU/CSU)


    Dr. Christa Luft
    - Hören Sie doch einmal zu. Das ist es doch, was in diesem Parlament wenigstens möglich sein sollte. Jeder sollte unabhängig von der politischen Farbe seiner Partei seine Meinung sagen können.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie können sich doch nicht mit den honorigen Leuten herausreden, die die Steuerschätzungen zu verantworten haben. Soll der Finanzminister doch in den erlauchten Kreis dieser Schätzer auch Experten aufnehmen, die nicht blind den Selbstheilungskräften des Marktes frönen. Aber eine Kontraposition, ein rechtzeitiger Widerspruch ist ihm und offenbar auch Ihnen von der Koalition nicht genehm.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Es kam nicht nur von den Steuerschätzern, sondern auch von der Regierung bis kurz vor Toresschluß nichts als Gesundbeterei. Ich könnte Ihnen die Antworten zitieren, die uns Herr Minister Rexrodt auf Kleine Anfragen gegeben hat, in denen es immer hieß, die Bundesrepublik erfreue sich eines expansiven Wachstumskurses. Das war noch bis Ende September schriftlich von Ihnen zu bekommen.
    Der Finanzminister sonnte sich gar bis Anfang Oktober - vor allem im Ausland - im Glorienschein des erfolgreichen Haushaltssanierers. Ich frage Sie: Was hat Trickserei auf der Einnahmenseite mit Haushaltssanierung zu tun?
    Von der sozialen und fiskalischen Wahnsinnsidee, 44 000 Wohnungen innerhalb eines Jahres privatisieren zu wollen, war hier schon die Rede. Aber wir wollen doch nicht übersehen, daß das Wohnungen waren, die mit öffentlichen Geldern gebaut wurden, und zwar für sozial Schwache. Jetzt sollen Private daran verdienen. Das nenne ich ein Vergehen am Steuerzahler.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie stilisieren die Privatisierung von Bundesvermögen zu einer ordnungspolitischen Tugend. Es ist nichts dagegen zu sagen, daß man die Privatisierung dort, wo sie vernünftig ist, machen muß. Aber Sie stilisieren sie zu einer ordnungspolitischen Tugend. Wenn Sie wenigstens zugeben würden, daß Sie sich mit Ihrer Politik in ein Finanzloch manövriert haben und jetzt nach jedem Strohhalm greifen, ob er sich eignet oder nicht.
    Sie schlachten die Henne, nur um an das Ei zu kommen, bevor es gelegt wurde. Das muß man einmal öffentlich sagen.

    (Beifall bei der PDS)

    Für einen kurzfristigen Einmaleffekt opfern Sie einen dauerhaften Vorteil, nämlich die Quelle, mit der die öffentliche Hand ihren grundgesetzlichen Pflichten zum Leistungsangebot für die Allgemeinheit zu günstigen Bedingungen nachkommen kann.
    Was werden Sie, Herr Roth, Herr Weng und Herr Finanzminister Waigel, künftigen Generationen noch an öffentlichem Vermögen und damit an Rückhalt und als Sicherheitspolster hinterlassen? Sie haben das in Ihrer Regierungszeit noch vorgefunden. Sie haben das öffentliche Vermögen in Ihrer Regierungszeit so gut wie verschwinden lassen.

    ( Vo rs it z : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

    Schuldenberge türmen sich auf. Obwohl Sie besonders in den 80er Jahren munter privatisiert haben, ist die öffentliche Verschuldung laufend gestiegen. Das nenne ich eine Versündigung an den Kindern und Enkeln, denen Sie die Erblast verfehlter Finanz- und Wirtschaftspolitik hinterlassen.

    (Beifall bei der PDS Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie und Erblasten!)

    Sie sind nicht einmal dem Rat Ihrer Großmütter gefolgt, die sicherlich wie auch meine gesagt haben: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

    (Beifall bei der PDS Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn Sie das gemacht hätten, wären Sie nicht hier! Dankward Buwitt [CDU/CSU]: Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu!)

    Sie haben in den 80er Jahren konjunkturell günstige Entwicklungen gehabt. Sie haben die 80er Jahre nicht genutzt. Herr Buwitt, Sie müssen das zugeben.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    - Ich rede nicht von der Zeit ab 1989. Ich rede von den Jahren davor. - Sie haben die 80er Jahre nicht genutzt, um auch nur eine einzige Mark, die Sie aus Privatisierungserlösen erhalten haben, zu nehmen, um die nationale Bürde abzubauen.
    Ich komme zu den haushaltspolitischen Inkonsequenzen der Regierung und der Koalitionsabgeordneten. Sie sagen: Das Haushaltsgesetz schreibt vor, das, was für das kommende Jahr an Ausgaben vorauszusehen ist, muß auch etatisiert werden. Das haben Sie bei den Diäten getan.
    Darf ich das Faktum, daß Sie im Etat 1996 für die Beseitigung der Strafelemente im Rentenrecht und für die Behebung der Überführungslücken im Rentenüberleitungsgesetz keine einzige Mark bisher vorgesehen haben, als Signal dafür nehmen, daß Sie entgegen ihren öffentlichen Ankündigungen keinen Handlungsbedarf mehr sehen?
    Dann, meine Damen und Herren von der Koalition und von der Regierung, müssen Sie das aber der Öffentlichkeit auch ganz deutlich mitteilen.

    (Beifall bei der PDS)

    Noch ein Faktum. Sie haben gestern, vorgestern und auch heute den IG Metall-Chef Zwickel für seine Vorschläge, die er unterbreitet hat, gelobt. Dann kann ich aber nicht verstehen, wie Sie heute nachmittag noch über die Reform - oder besser gesagt: über die Kürzung - der Arbeitslosenhilfe reden wollen. Sie schaffen ja damit vom Parlament aus schon wieder Fakten, bevor Sie überhaupt mit Herrn Zwickel über sein Angebot diskutiert haben. Das ist doch unredlich!

    (Beifall bei der PDS)


    Dr. Christa Luit
    Wir sind in einem Punkt mit den Koalitions- und mit den Oppositionsparteien kaum auseinander. Wir meinen auch, die Nettokreditaufnahme hat einen Pegel erreicht, dessen Überschreitung einen nicht kaltlassen darf; dies aber nicht wegen der rechtzeitigen Erreichung der Maastricht-Kriterien, wie es des Finanzministers Ehrgeiz ist, sondern um den gegenwärtigen Lohnsteuerzahlern und den künftigen Generationen nicht den Atem abzuschnüren und um endlich wieder die finanzpolitischen Spielräume für soziale Projekte auszudehnen.
    Wir haben uns daher - ich hoffe, das haben Sie bemerkt - in der zweiten Lesung auf die arbeitsmarktpolitischen, bildungspolitischen und wohnungspolitischen Anträge konzentriert, die nach unseren Vorstellungen gegenfinanzierbar sind. Natürlich sind unsere gesellschaftspolitischen Schwerpunkte andere als Ihre, aber den PopulismusVorwurf können Sie sich endlich ersparen.

    (Beifall bei der PDS)

    In der energischen Rückführung der öffentlichen Schuldenlast, dieser ungeheuren Bürde, sollten alle Parteien eine Aufgabe von nationalem Rang sehen. Diese Lösung läßt sich allerdings nicht herbeiführen, indem man nur weiter Tafelsilber verkauft oder indem man sich kaputtspart. Sie müssen endlich dort anpacken, wo die Chancen für die Überwindung der Misere liegen. Agieren Sie doch in der Regierung nicht weiter auf Nebenschauplätzen: Ladenschlußgesetz, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe, jetzt das Neueste: die Schaffung von 500 000 Arbeitsplätzen über subventionierte Dienstleistungschecks für Leihkräfte in privaten Haushalten. Das führt doch aus der Sackgasse nicht heraus.
    Wenn dieses Hecheln von Jahr zu Jahr nicht anhalten soll, dann müssen Sie sich bequemen, endlich Einnahmequellen zu nutzen, die Sie bisher geschont oder arrogant verweigert haben. Bekämpfen Sie die Steuerhinterziehung! Allein eine 10prozentige Eindämmung dieses Betrugs könnte noch im Jahre 1996 15 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen bringen. Eine solche 10prozentige Kürzung werden Sie sich ja wohl wenigstens zutrauen.

    (Beifall bei der PDS)

    Dies wäre übrigens auch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Tausende von Finanzbeamten.
    Verlängern Sie die Verjährungsfristen für Finanzdelikte im gewerblichen Bereich, beispielsweise auf 15 Jahre. Holen Sie die zweistelligen Milliardenbeträge zurück, um die westdeutsche Geldinstitute den Bund und damit den west- und ostdeutschen Steuerzahler beim Verkauf der DDR-Banken geprellt haben.

    (Beifall bei der PDS)

    Die altbundesdeutschen Geldinstitute haben die DDR-Schulden, von denen man abschätzig sagt, sie seien ja nur in Aluchips gemacht, inzwischen versilbert und vergoldet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja zum Totlachen!)

    Gehen Sie endlich mit dem DDR-Vermögen, das dem Bund gehört, so um, daß es Nutzen abwirft und nicht weiter vor sich hinmodert wie große Teile des Auslandsvermögens.

    (Beifall bei der PDS)

    Setzen Sie eine Expertenkommission ein, die das Für und Wider der Besteuerung spekulativer Börsenumsätze kritisch durchleuchtet, anstatt diese Idee von vornherein in den Papierkorb zu werfen. Warum ergreift der Finanzminister, der sich international auf jeder Bühne gerne feiern läßt, nicht die Initiative, um dieses Thema ebenfalls auf die internationale Bühne zu bringen?

    (Beifall bei der PDS)

    Wenn die Bundesrepublik Deutschland, wenn die Bundesregierung, wenn die Koalitionsabgeordneten endlich das gleiche Tempo wie bei der Änderung von Gesetzen zur Absenkung sozialer Leistungen auch bei der Mittelumschichtung bzw. der Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Erhöhung der Steuereinnahmen an den Tag legen würden, dann könnten bereits im Laufe des Jahres 1996 erhebliche beschäftigungspolitische Wirkungen erzielt werden.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der PDS)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Für die Bundesregierung hat jetzt Herr Minister Dr. Waigel das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Dienstag hatten wir noch die Hoffnung, die Opposition werde sich auf ihre gesamtstaatliche Verantwortung besinnen und zu einer sachorientierten Diskussion zurückkehren.

    (Zuruf von der SPD: Fängt er schon wieder an!)

    Im Lichte des Leitantrags für Ihren Parteitag waren wir immerhin mit bescheidenen Hoffnungen davon ausgegangen, bei dieser Debatte konstruktive Vorschläge von der Opposition zu hören.
    Diese Haushaltswoche hat statt dessen einmal mehr bestätigt: Sie haben kein Konzept, sondern nur Polemik angeboten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie erweisen sich als unfähig, dringende Zukunftsprobleme des Standorts Deutschland mit einer modernen Wirtschafts- und Finanzpolitik anzugehen. Die Diskussion in dieser Woche hat wieder einmal bewiesen: Zur Finanzpolitik dieser Koalition gibt es keine Alternative.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu Ihnen, Herr Wieczorek, auch als Vorsitzender des Haushaltsausschusses: Ich habe am 29. September keine neuen Eckdaten, sondern Annahmen und Schätzungen von mir gegeben. Der SPD und Ihnen standen die gleichen Informationen zur Verfü-

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    gung. Sie wissen, daß es ein sehr offener, transparenter Prozeß ist, wie sich die Steuereinnahmen von Monat zu Monat entwickeln.

    (Zuruf von der F.D.P.: Sehr wahr!)

    Nichts von der Beratung des Haushaltsausschusses ist durch diese neue Einschätzung überflüssig geworden. Sie tun manchmal so, als hätten Sie wochenlang vergeblich über die anderen Dinge beraten. Nichts ist davon überflüssig oder Makulatur geworden.
    Was nun meine Tischvorlage anbelangt, so kann ich nur sagen: Wenn Sie künftig so etwas nicht mehr wollen, dann machen wir das nicht mehr. Es gab bloß bei Ihnen keine Nachfragen zu den Themen, die wir angesprochen haben,

    (Karl Diller [SPD]: Falsch!)

    weil Sie das Spektakel wollten und nicht die Diskussion, nicht die Information, nicht die Aufklärung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Das ist unwahr!)

    Herr Kollege Wieczorek, Sie haben sehr oft das Wort „unredlich" verwandt. Ich weiß nicht, ob Sie schon 1981 dem Haushaltsausschuß angehörten.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja!)

    - Dann müßten Sie sich noch sehr genau daran erinnern, daß Sie damals ohne Ergänzungsvorlage nur durch eine mündliche Unterrichtung den Haushalt in der Bereinigungssitzung entsprechend angepaßt haben.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das hat auch wehgetan!)

    War dies dann unredlich?

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja!)

    - Ach so, das war unredlich. Warum haben Sie sich denn damals nicht geäußert, daß dies unredlich ist? Wenn 1981 etwas unredlich war, dann mußte man sich damals schon dazu äußern. Dann hat man auch das Recht, das gleiche ein paar Jahre später zu sagen. Aber Sie dürfen nicht jetzt damit kommen, wenn Sie damals geschwiegen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Trotzdem, Kollege Wieczorek, möchte ich als Bundesfinanzminister Ihnen für Ihre faire, überparteiliche und kluge Leitung des Haushaltsausschusses danken.
    Herr Kollege Metzger, Sie haben recht: Wir haben noch weiteren Konsolidierungsbedarf. Die Konsolidierung ist nicht zu Ende, sondern sie muß fortgesetzt werden. Sie beginnt aber auch nicht erst; denn zwei Drittel der Lasten der deutschen Einheit sind über Umschichtungen und über Einsparungen bisher schon finanziert worden. Aber der Prozeß muß weitergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Allerdings, Herr Kollege Metzger: Treiben Sie Ihre Annäherung an die Finanzpolitik der Regierung nicht zu weit! Sie wissen sehr wohl, daß das sonst für Sie und für mich erhebliche Probleme mit sich bringen könnte.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Weng, Sie haben mich zum Thema Mehrheitswahlrecht ganz persönlich angesprochen. Ich will dem Thema auch hier nicht ausweichen. Es ist ein Vorschlag, den der SPD-Abgeordnete Penner gemacht hat.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut! Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Nomen est omen!)

    1966 hat einen solchen Vorschlag Herbert Wehner zusammen mit anderen gemacht. Unser Bedarf an Diskussion zu diesem Thema ist seitdem erschöpft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich hoffe, daß wir alle uns darüber im klaren sind.

    Völlig unverständlich und widersprüchlich sind die Ausführungen des SPD-Fraktions- und -Parteivorsitzenden Scharping, was Maastricht und die Kriterien anbelangt. Wir sind seit Monaten mit unseren Partnern im Gespräch. Ich habe am 30. September beim informellen Ecofin in Valencia noch einmal einen Vorschlag gemacht, wie sich die Länder, die die dritte Stufe erreichen, dann finanzpolitisch verhalten sollten, um auf die Dauer ein Funktionieren einer Wirtschafts- und Währungsunion erreichen zu können.
    Diese Vorschläge von uns sind auf großes Interesse und auf Zustimmung der Partner gestoßen. Sie enthalten keine Vertragsänderung und keine Nachverhandlungen, damit darüber Klarheit besteht. Ein SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament hat zu Recht festgestellt: Mit der Kritik am Vertrag stehen die Vertragstreue der Bundesrepublik und die Verläßlichkeit der deutschen Sozialdemokraten auf dem Spiel.
    Ich darf die Kernelemente unseres Vorschlags noch einmal nennen: 3 Prozent Defizit sind die absolute Obergrenze, auch in wirtschaftlich ungünstigen Zeiten. 1 Prozent Defizit ist das mittelfristige Ziel für die wirtschaftliche Normallage. Abweichungen davon sind nur mit Zustimmung der Partner und in extremen Ausnahme- und Notfällen möglich. Die Teilnehmer der dritten Stufe gründen einen Stabilitätsrat, der über die Koordination der nationalen Finanzpolitiken berät.
    Beim Überschreiten des 3-Prozent-Defizits - das ist auch wichtig - treten automatisch Sanktionen in Kraft. Der betroffene Mitgliedstaat in der dritten Stufe hat - das ist ein Vorschlag - pro angefangenen Punkt Defizitüberschreitung 0,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts als Stabilitätseinlage abzuführen. Werden die 3 Prozent wieder unterschritten, wird die Einlage zurückgezahlt. Ist das Defizitziel nach zwei Jahren weiterhin verfehlt, wird die Stabilitätseinlage in eine Geldbuße umgewandelt und in den EU-Haushalt eingestellt.
    Das sind, so meine ich, wirksame und schnell wirkende Mechanismen, mit denen die Eingangskrite-

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    rien nicht verändert, erschwert oder erleichtert werden, sondern mit denen sehr wohl weiterführende, auf Dauer ausgerichtete Merkmale und Möglichkeiten angeboten werden, die die Länder, die die dritte Stufe erreichen, unter sich vereinbaren sollten.
    Wir haben diese Fragen bilateral mit allen unseren Partnern und natürlich auch im Rat besprochen, und wir werden das weiter tun. Unser Ziel ist es, ein hohes Maß an Gemeinsamkeit zu erreichen. Unser Ziel ist es, damit Akzeptanz in allen Ländern, auch bei uns, zu erreichen. Und unser Ziel ist es, damit Akzeptanz auf den Finanzmärkten zu erreichen - das ist auch erfolgreich -, um Turbulenzen auszuschließen, die sonst denkbar wären.
    Meine Damen und Herren, die Erfahrungen von 40 Jahren zeigen: Die harte Mark hat dazu beigetragen, Investitionen und Innovationen immer wieder anzukurbeln, Importpreise günstig zu halten. Davon haben wir letztlich profitiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn man mir vorwirft, wenn ich auf die harten Kriterien und ihre strikte Einhaltung hinweise, ich hätte Deutschland damit volkswirtschaftlichen Schaden zugefügt,

    (Zuruf von der F.D.P.: Unglaublich!)

    dann, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage: Will jemand eine Aufweichung? Will jemand eine weichere Mark? Meint jemand, mit Subventionswettlauf und Abwertungswettlauf könnten wir die Fragen der Zukunft lösen? - Doch ganz sicher nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, nun noch einige Anmerkungen zum Haushalt 1996. Die Einbeziehung der Steuerausfälle in den Haushalt 1996 ist nach einem absolut normalen und durch die Bundeshaushaltsordnung jederzeit gedeckten Verfahren in der Souveränität des Haushaltsausschusses abgelaufen.
    Ich habe zu den lange anstehenden Privatisierungen schon Stellung bezogen. Ich erinnere nur daran, daß der Bericht zur Privatisierung der Postbank im Haushaltsausschuß vorlag.
    Ein Ergänzungshaushalt ist weder notwendig noch geboten. Gerade die Bereinigungsvorlage dient dazu, Verzögerungen bei der Haushaltsaufstellung zu vermeiden. Jede Verzögerung stört das Vertrauen der Märkte, behindert die Kapitalbildung und damit die Investitionen in Ost und West.
    Ihnen von der Opposition ist es doch nicht darum gegangen, ein anderes Haushaltsverfahren zu erreichen. Was Sie wollen, ist Unruhe. Was Sie wollen, ist Unsicherheit. Was Sie wollen, ist, aus der Unsicherheit Kapital zu schlagen. Damit, meine Damen und Herren, haben Sie bei uns aber keinen Erfolg!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Was haben Sie in den letzten Jahren nicht alles für „Löcher" beschworen und sind selber hineingefallen!

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Seit 1989 haben wir in jedem Jahr die veranschlagte Neuverschuldung unterschritten: 1989 um rund 9 Milliarden DM, 1990 um rund 20 Milliarden DM, 1991 um rund 10 Milliarden DM, 1992 um rund 2 Milliarden DM, 1993 um rund 1,5 Milliarden DM und 1994 um rund 19 Milliarden DM. Seit 1989 hat der Bund also 60 Milliarden DM weniger Schulden gemacht als geplant.

    (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!)

    Die Ausgaben des Haushalts 1996 sinken im Vergleich zum Haushalt 1995, bereinigt um die Systemumstellung beim Kindergeld. Hier schlägt sich das Ergebnis unserer Sparanstrengungen in Mark und Pfennig nieder.
    Sie, Frau Matthäus-Maier, wollen eine Hochrechnung auf das Ist-Ergebnis des Jahres 1995 mit dem Ausgaben-Soll für 1996 vergleichen. Das ist absolut unzulässig; denn dann hätten wir Monat für Monat eine andere Steigerungsrate. Das Ergebnis der Einsparungsbemühungen wird eindeutig durch den Vergleich von Soll zu Soll dokumentiert.
    Wenn Sie, Frau Kollegin, anschließend wieder mit altbekannten Themen Ihre Philippika anstimmen, dann gönne ich Ihnen das heuer. Das dürfen Sie tun. Sobald die Resozialisierungsphase des Ministerpräsidenten Schröder in der SPD abgeschlossen ist, werden wieder die Troikaner kommen. Dann müssen Sie in das zweite Glied zurücktreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, auch wenn wir die geplanten mit den tatsächlichen Ausgaben seit 1989 vergleichen, zeigt sich ein günstiges Bild: 1989 betrug die Minderausgabe 1,5 Milliarden DM, 1990 16 Milliarden DM und 1991 8,5 Milliarden DM. 1992 gab es Mehrausgaben in Höhe von 2 Milliarden DM. 1993 gab es eine Minderausgabe von 0,5 Milliarden DM und 1994 von 9 Milliarden DM. Die Minderausgaben in den Jahren von 1990 bis 1994 betragen insgesamt rund 34 Milliarden DM.
    Meine Damen und Herren, das Investitionsvolumen übersteigt um etwa 5,5 Milliarden DM klar die Investitionen des Jahres 1994. Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben wird auch 1996 mit 14,8 Prozent deutlich über dem Stand des Jahres 1989 mit 13,5 Prozent liegen. Wir haben also eine hohe Investitionsquote, und das ist für das Wachstum in Deutschland gut.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch weiterhin fließt ein überproportionaler Teil der Investitionsausgaben in die neuen Länder.
    Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Subventionen. Der Konsolidierungskurs des Bundes wird auch bei den Subventionen und Finanzhilfen fortgesetzt. Zwar steigen die Finanzhilfen im Jahre

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    1996 wegen der Kohleverstromung gegenüber 1995 an. Bereits jetzt hätten wir ohne die Übernahme der Kohlelasten in den Bundeshaushalt insgesamt einen Rückgang bei den Subventionen zu registrieren, der insbesondere in den alten Ländern sehr deutlich ausfiele.
    Die Erfolge des Subventionsabbaus lassen sich leicht an einer Relation ablesen: Während die Summe der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes 1980 noch 1,7 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmachten, betrug dieser Anteil im Jahre 1989 1,3 Prozent und liegt 1996 bei rund 1,2 Prozent. Er würde noch um 0,2 Prozent sinken, wenn wir die Verstromungshilfen herausrechneten.
    Es bleibt dabei: Der Subventionsabbau muß vorangebracht werden.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

    Steuergelder dürfen nicht dafür verwendet werden, überkommene wirtschaftliche Strukturen auf Dauer zu subventionieren und damit den Strukturwandel hin zu einer modernen, international konkurrenzfähigen Wirtschaft zu bremsen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu dem Punkt haben Sie doch in den letzten Jahren überhaupt nichts beigetragen.
    Meine Damen und Herren, in verschiedenen Debattenbeiträgen ist behauptet worden, die Hauptlast der Konsolidierung im Bundeshaushalt fiele auf die neuen Länder. Zunächst einmal: Rund ein Drittel der Zinslasten, die wir 1996 zu bewältigen haben, sind Zinserstattungen für den Erblastentilgungsfonds und den Fonds „Deutsche Einheit". Sie stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wiedervereinigung.
    1996 werden rund 97 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt nach Ostdeutschland fließen. Zusätzlich trägt der Bund im Rahmen des neu geregelten Finanzausgleichs mit rund 36 Milliarden DM zur Sicherung der Finanzausstattung der neuen Länder bei. Mit diesen rund 133 Milliarden DM liegen wir deutlich über dem Transferniveau der Jahre 1991 bis 1994. Das gilt auch für den Nettotransfer.
    Meine Damen und Herren, auf Grund der erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern werden die Aufwendungen zum Beispiel im Bereich des Arbeitsmarktes zurückgehen, und das ist positiv.
    Noch ein Wort zum Sozialbudget. Wenn man immer wieder von Sozialabbau, Kahlschlag und ähnlichen Dingen spricht, so muß ich sagen, daß zwischen 1990 und 1995 die Sozialausgaben des Bundes von 103 Milliarden DM auf 175 Milliarden DM stiegen. Ihr Anteil am Bundeshaushalt stieg von 27 auf fast 37 Prozent. Die gesamten Sozialausgaben in Deutschland stiegen gleichzeitig von knapp 800 Milliarden DM auf über 1 100 Milliarden DM, das heißt, von 29 auf 31 Prozent des Bruttosozialproduktes. Dies ist und bleibt ein Sozialstaat, nämlich der Sozialstaat Deutschland, und er geht auf unsere Leistungen zurück.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ein Wort zur Steuerschätzung. In der Wochenzeitschrift „Die Woche" hat sich der beteiligte Steuerschätzer des Ifo-Institutes Josef Körner zu Prognosefehlern geäußert. Zur Erhellung darf ich Ihnen vorlesen:
    26 Milliarden DM sind viel Geld, aber nur 3 Prozent des Steueraufkommens. Eine Fehlermarge von 2 Prozent ist normal.
    Und weiter:
    Prognosen bei Einkommen- und Körperschaftsteuer sind dagegen recht schwierig ...
    Auf die Frage: „Was kann man verbessern?" gibt Körner eine klare Antwort: „Unsere Arbeit gerechter beurteilen. "
    Wenn Ihnen etwas nicht paßt, dann fragen Sie einmal, warum uns die Mehrheit der Ländervertreter nicht etwas anderes gesagt hat. Mich hier der Unwahrheit und der Falschinformation zu zeihen, dort mitzuwirken und dies zu akzeptieren, ist unredlich, Herr Kollege Wieczorek.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Noch ein Wort zu den DDR-Banken; dieses Thema haben Sie, Frau Luft, noch einmal aufgegriffen. Bereits unter der Regierung Modrow, der Sie ja angehörten, sind bindende Vereinbarungen über die Rechtsnachfolge der DDR-Banken nach bestem Wissen und Gewissen und unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten getroffen worden. Nach dem 3. Oktober haben wir uns intensiv bemüht, schnell ein für den Wiederaufbau unbedingt notwendiges, funktionierendes Bankensystem aufzubauen.
    Wir haben hier keiner Frage auszuweichen, und wir tun dies auch nicht. Aber das ist die alte Methode, wie in der letzten Legislaturperiode, nämlich sehr schnell etwas zu unterstellen und jemanden zu diffamieren. Das werden wir nicht zulassen.
    Auf eines bin ich sehr stolz: Wir haben der Regierung Modrow und Luft die 15 Milliarden DM, die sie damals haben wollte und die sie in den Orkus geschmissen hätte, Gott sei Dank nicht gegeben. Das war eine wichtige und richtige Entscheidung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben um jede Mark gekämpft. Im deutschrussischen Überleitungsabkommen konnte der Aufwand für den frühzeitigen Abzug der russischen Truppen auf 17 Milliarden begrenzt werden. Meine Damen und Herren, wenn man sich heute, nach fünf Jahren, die Situation im Kaukasus vor Augen führt, muß man sagen: Ein solches Ergebnis hätten wir nie wieder erzielt. Heute sagen die Gesprächspartner von damals: Wenn wir eine Null drangehängt hätten, hättet ihr es auch in zehn Jahren bezahlt.

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Wir sind mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers auch bei der Wiedervereinigung sehr gewissenhaft und sehr sparsam umgegangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Acht Milliarden DM Nachforderungen der russischen Seite für die freigemachten Liegenschaften haben wir in Sawidowo damals abgewehrt. Für die deutschen Transfer-Rubel-Guthaben konnte bislang in schwierigen und langwierigen Verhandlungen immerhin ein Gegenwert von über 1 Milliarde DM hereingeholt werden. An Auslandsforderungen der ehemaligen DDR in westlichen Währungen wurden bisher rund 3,5 Milliarden DM eingezogen bzw. sichergestellt.
    Zu den Defiziten und zu den Schulden: In der Zeit der sozialdemokratischen Finanzminister hat sich die Schuldenquote des Bundes von 7 Prozent auf 19 Prozent mehr als verdoppelt. Seit 1982 ist sie um 2,5 Prozentpunkte gestiegen.
    1989 hatte der Staatssektor einen leichten Überschuß; es gab insgesamt eine Nettotilgung. Ohne die Wiedervereinigung - Gott sei Dank kam sie - hätten wir die Bundesschuldenquote deutlich zurückgeführt. Trotz der Einheit erfüllen wir heute die Defizitkriterien von Maastricht.
    In allen gebräuchlichen Statistiken der internationalen Institutionen stehen wir hervorragend da. Wir brauchen uns überhaupt nicht selbst zu beweihräuchern. Das kann man nachlesen, wenn man die Dokumente zu Rate zieht. Sie können sie weder bezweifeln, noch können Sie sie fälschen. Das sagen die OECD, der IWF und die Europäische Kommission.
    Wenn Sie noch einmal die 2 000 Milliarden DM Schulden ansprechen, dann gebietet es schon ein Mindestmaß an Anstand, ihre Verteilung darzustellen.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!)

    300 Milliarden DM Schulden hat diese Koalition von ihren Vorgängern übernommen. 700 Milliarden DM Schulden gehen auf das Konto von Ländern und Gemeinden. 450 Milliarden DM Schulden gehen direkt auf das Konto von 40 Jahren Sozialismus, im Erblastentilgungsfonds und im Fonds „Deutsche Einheit".
    Daß die PDS hierherkommt und diese Schulden kritisiert, das ist eine intellektuelle Unredlichkeit ganz besonderer Art.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Was haben wir in den letzten vier Jahren finanzpolitisch bewegt? Der Bund hat 500 Milliarden DM für den Aufbau der neuen Bundesländer ausgegeben. An die GUS-Staaten gingen 100 Milliarden DM, um dort Stabilität und Demokratie herbeizuführen, 45 Milliarden DM an die mittel- und osteuropäischen Staaten, um ihnen die Chance zu geben, wieder nach Europa zurückzukommen und an der Integration Europas teilzunehmen, 30 Milliarden DM an
    internationale Organisationen, 66 Milliarden DM an Entwicklungsländer.
    Das ist eine stolze Bilanz. Wir haben sie gemeistert und verfügen neben Luxemburg heute über die besten finanzpolitischen Kennziffern in Europa, und auf diese Leistung sind wir stolz.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur, auch jenseits von Angebot und Nachfrage muß man einmal fragen: Was steht auf der Sollseite, und was steht auf der Habenseite? Auf der Habenseite dieser Bilanz steht die deutsche Einheit, stehen Freiheit und Demokratie unseres Vaterlandes. Auf der Habenseite steht der Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft und Infrastruktur in den neuen Bundesländern, und auf der Habenseite steht das Ende des Eisernen Vorhangs - eine Jahrhundertchance für Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganz Europa.
    Das ist in Ihren Diskussionsbeiträgen nicht einmal in Ansätzen zum Ausdruck gekommen, nämlich das, worauf wir eigentlich im ganzen deutschen Volk, bei allen demokratischen Kräften, stolz sein dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Noch ein Wort zur Steuerquote: Sie beträgt im Jahr 1995 24,5 Prozent. Weiß eigentlich die SPD noch, wie die Steuerquote in sozialdemokratischer Zeit war? 1977 lag die Steuerquote bei sage und schreibe 26,5 Prozent.
    Meine Damen und Herren, Sie kennen doch die Struktur ganz genau; Sie wissen, daß heutzutage zwei Drittel des Lohnsteueraufkommens vom oberen Viertel der Lohnsteuerpflichtigen getragen werden. Hier handelt es sich doch nicht mehr um die Arbeiter im klassischen Sinne. Es sind dabei vielmehr die von Ihnen so oft geschmähten „Besserverdienenden", die leitenden Angestellten oder auch die ehemals Selbständigen, die heute als Geschäftsführer von GmbHs fungieren und die seit dem Körperschaftsteuergesetz 1977 nun Lohnsteuer zahlen.
    Klar ist doch auch, daß die Unternehmen in Ost und West, die wir zu Investitionen im Osten ermutigt haben und denen wir die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, heute nicht die entsprechende Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuer zahlen können.
    Wir haben gerade auch in unserer Steuerpolitik, beim Jahressteuergesetz die unteren Einkommensschichten und die Familien überproportional im Sinne einer vernünftigen sozialen Symmetrie entlastet.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist das! - Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

    Wenn Sie, Herr Kollege Poß, und Ihre Freunde die Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform durch Rückführung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter kritisieren, so möchte ich an Ihr Modell für eine Reform der Unternehmensteuern aus dem Jahr 1992 erinnern.
    In diesem Modell haben Sie selber eine Rückführung der Abschreibung von 30 auf 25 Prozent vorge-

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    sehen. Es ist schon eine merkwürdige Sinneswandlung, die hier stattfindet. Wenn wir etwas tun, dann wird das abgelehnt, was man 1992 selber noch für richtig empfunden hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Konjunktur und Finanzmärkte, das alles hat auch mit Vertrauen zu tun. Vertrauen ist für die Politik notwendig. Es ist notwendig, daß Bürger Vertrauen in die Politik und in die Politiker haben.
    Die Akzeptanz zeigt sich oft in ganz nüchternen Zahlen. In meinem Wahlkreis Neu-Ulm bin ich mit 58,6 Prozent gegenüber 27,1 Prozent der SPD gewählt worden. Als Spitzenkandidat der CSU haben wir vor einem Jahr in Bayern 51,2 Prozent erreicht, die SPD 29,6. Auf einem Parteitag vor wenigen Wochen bin ich in geheimer Wahl mit 95,1 Prozent gewählt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Ich empfehle es zur Nachahmung. Es muß nicht sein, aber wir wüßten immerhin endlich, lieber Wolfgang Schäuble, wie wir hier wieder dran sind. Ich jedenfalls - dafür bin ich dankbar - besitze das Vertrauen der CDU/CSU-Fraktion

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und das Vertrauen der Koalition. Das haben die Sprecher der F.D.P. zum Ausdruck gebracht. Dafür bin ich ihnen dankbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich besitze außerdem das Vertrauen des Bundeskanzlers.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Mit diesem Vertrauen und mit genügend Selbstvertrauen werde ich die Finanzpolitik dieser Bundesregierung fortsetzen.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)