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    Plenarprotokoll 13/69 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1995 Inhalt: Erklärung zu den Menschenrechtsverletzungen der nigerianischen Militärregierung 6031 A Absetzung des Punktes IV d von der Tagesordnung 6031 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 6031 D Begrüßung des Außenministers der Schweiz 6095 D Zur Geschäftsordnung Joachim Hörster CDU/CSU 6031 D Ottmar Schreiner SPD 6032 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6033 B Ina Albowitz F.D.P.B 6034 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 6034 D Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/2593) 6035 B Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Drucksachen 13/2622, 13/2626) Dieter Schanz SPD 6035 C Steffen Kampeter CDU/CSU 6038 D Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6042 D Jürgen Koppelin F.D.P 6045 A Dr. Ludwig Elm PDS 6047 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 6049A Dr. Ludwig Elm PDS (Erklärung nach § 30 GO) 6050D Dr. Peter Glotz SPD 6051 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 6053 A Haushaltsgesetz 1996 (Drucksachen 13/2627, 13/2630) . . . . 6057 B Tagesordnungspunkt II: a) Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/ 2601 bis 13/2626, 13/2627, 13/2630) . . 6057 C b) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksachen 13/2001, 13/2593, 13/2631) 6057 D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . . 6058 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 6062 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6067 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 6070D Dr. Christa Luft PDS 6075 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 6077 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 6082 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 6083 D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 6086 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . 6087 D Dr. Peter Glotz SPD 6090 A Dr. Christa Luft PDS (Erklärung nach § 30 GO) 6091 B Joachim Hörster CDU/CSU 6094 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6095 A Rudolf Seiters CDU/CSU 6095 C Günter Verheugen SPD 6096 A Ulrich Irmer F.D.P 6096 C Dr. Winfried Wolf PDS 6097 A Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 6097 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) 6098 D Namentliche Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1996 6091 D Ergebnis 6092 B Namentliche Abstimmung über Drucksache 13/2972 6091 D Ergebnis 6101 C Namentliche Abstimmung über Drucksache 13/2922 6092 A Ergebnis 6099 B Tagesordnungspunkt IV: Abschließende Beratungen ohne Aussprache c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Drucksachen 13/2207, 13/2940) 6104 C Petra Bläss PDS (Erklärung nach § 31 GO) 6104 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung der Arbeitsbedingungen bei der Entsendung von Arbeitnehmern (Entsendegesetz) (Drucksache 13/2834) 6105 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz) (Drucksache 13/2898) 6105 C Nächste Sitzung 6105 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6107*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1996 (Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/2627, 13/2630, [Drucksache 13/29721) 6107*B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 3 (ArbeitslosenhilfeReformgesetz) 6107' C Heinz Schemken CDU/CSU 6107*C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . 6108*C Adolf Ostertag SPD 6109* C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6111*B Dr. Gisela Babel F.D.P 6112*B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 6113*A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 6114*A Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 6115* D 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 3 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 11. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dr. Dobberthien, SPD 10. 11. 95 Marliese Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 11.95 Meißner, Herbert SPD 10. 11. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 11. 95 Nickels, Christa BÜNDNIS 10. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Odendahl, Doris SPD 10. 11. 95 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 10. 11.95 90/DIE GRÜNEN Schwanitz, Rolf SPD 10. 11. 95 Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 10. 11. 95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 10. 11. 95 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1996 - Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/2627, 13/2630 - (Drucksache 13/2972) Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unserer Fraktion ist beim Mißbilligungsantrag der SPD auf Drucksache 13/2972 ein Abstimmungsfehler unterlaufen, den ich als Haushaltsobmann auf meine Kappe nehme. Wir haben versehentlich mit Nein gestimmt, obwohl ich in meiner Rede die Zustimmung angekündigt hatte. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 3 (Arbeitslosenhilfe-Reformgestz - AlhiRG) Heinz Schemken (CDU/CSU): In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Arbeitslosenhilfebezieher und die Bezugsdauer erheblich angestiegen. Der mit der Dauer der Arbeitslosigkeit regelmäßig zunehmende Verlust von beruflicher Qualifikation erschwert die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in das Arbeitsleben. Es hat sich ein Sockel von Arbeitslosenhilfebeziehern gebildet, der die Arbeitslosenhilfe nicht nur vorübergehend, sondern immer häufiger mehr als zehn Jahre in Anspruch nimmt. Im geltenden Recht gewährleisten Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe den Schutz vor den finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit. Der vorliegende Gesetzentwuf zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe enthält die im wesentlichen notwendigen strukturellen Änderungen: Erstens. Der Anspruch auf die Arbeitslosenhilfe setzt voraus, daß der Arbeitslose ein Jahr gearbeitet und im Anschluß daran Arbeitslosengeld bezogen hat. Arbeitslose, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, haben den Anspruch auf Sozialhilfe. Diese unterschiedliche Behandlung muß bei einer Langzeitarbeitslosigkeit mehr oder weniger als Zufall gesehen werden. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sind deshalb stärker aufeinander abzustimmen und systemgerechter abzugrenzen. Dieses Ziel könnte durch eine Befristung der Arbeitslosenhilfe erreicht werden. Der Entwurf sieht dies eben nicht vor. Er beruht vielmehr auf der Abwägung, daß es besser ist, durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen langjährigen Arbeitslosen, die auch einen Verlust von beruflicher Qualifikation haben, einen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Da die Nachfrage nach Arbeitsplätzen das Angebot weit übersteigt, kann dieses Ziel erreicht werden: durch eine Verbesserung der bestehenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und produktiven Arbeitsförderung, durch Erschließen neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, die gegenwärtig z. B. vielfach durch ausländische Saisonarbeitnehmer genutzt werden, dabei mit einer finanziellen Anreizleistung, durch das Angebot von Tätigkeiten und Maßnahmen, die zur Wiedereingliederung oder Verbesserung der Vermittlungsaussichten beitragen und dies durch finanzielle Absicherung und Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, durch die Beseitigung von bestehenden Hindernissen für den Versuch von Arbeitlosen, ihren Lebensunterhalt durch eine selbständige Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Zweitens. Mit dem geltenden Recht können diese Ansätze nicht verwirklicht werden. Es ist verwaltungsaufwendig und wegen des weiten Beurteilungsspielraums in der Höhe des Arbeitslosengeldes nicht hilfreich. Der Entwurf sieht deshalb vor, daß die Neufestsetzung und Anpassung an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte jährlich erfolgt und an die Stelle der individuellen Neufestsetzung ein pauschaler Ansatz tritt. Drittens. Da die Nachfrage nach Arbeitsplätzen das Angebot übersteigt, kann die Arbeitsbereitschaft von Arbeitslosenhilfebeziehern vielfach nicht überprüft werden. Arbeitslosenhilfe können deshalb auch Personen beziehen, die keine Arbeit suchen. Sie nehmen die Arbeitslosenhilfe mißbräuchlich in Anspruch. Viertens. Die Arbeitslosenhilfe ist eine aus Steuermitteln des Bundes finanzierte staatliche Fürsorgeleistung. Der Arbeitslose erhält sie, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise bestreiten kann. Die Arbeitslosenhilfe soll deshalb ruhen, wenn der Arbeitslose voraussichtlich die Voraussetzungen einer Rente wegen Alters erfüllt, diese aber nicht beantragt. Fünftens. Das geltende Recht bietet dem Ehegatten des Arbeitslosenhilfebeziehers vielfach keinen Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, weil das Einkommen bei der Arbeitslosenhilfe angerechnet wird. Wie in der Sozialhilfe soll deshalb durch einen zusätzlichen Freibetrag ein entsprechender finanzieller Anreiz für den Ehegatten geschaffen werden. Sechstens. Der vorliegende Entwurf setzt bei der Reform der Arbeitslosenhilfe folgende Schwerpunkte: Erhöhung des Anteils von Arbeitslosenhilfebeziehern an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Arbeitsförderung - §§ 242s, 249h AFG -, Einführung von Trainingsmaßnahmen für Arbeitslosenhilfebezieher unter Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, Erschließung zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten durch Einführung einer Arbeitnehmerhilfe - über 60 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger sind unter 45 Jahre alt - Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser eine selbständige Tätigkeit ohne Nachteile bei der Arbeitslosenhilfe ausüben kann, Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser sein Recht auf Arbeitslosenhilfe nicht verliert, wenn er wegen der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht bedürftig war, pauschalierende und weniger verwaltungsaufwendige jährliche Anpassung des für die Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Arbeitsentgelts, Begrenzung der Arbeitslosenhilfe bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslose frühestens eine Altersrente beanspruchen kann. Natürlich wird durch diese Gesetzgebung auch der Bundeshaushalt entlastet; dies ist erforderlich, um Spielräume für arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zu schaffen. Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Eines, glaube ich, ist in diesem Hause unstrittig: Die Sozialversicherungssysteme Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe müssen effektiver als bisher miteinander kooperieren und aufeinander abgestimmt werden. Aber diese Forderung ist nur sinnvoll, wenn eine Reform der einzelnen Systeme - eben auch der Arbeitslosenhilfe - akzeptiert wird. Man muß den Mund nicht nur spitzen, sondern auch pfeifen. Die Voraussetzungen des Bezuges dieser Sozialleistung haben sich geändert: Arbeitslosenhilfe ist leider nicht mehr nur eine Übergangsleistung bei einem kurzfristigen Verlust des Arbeitsplatzes, sondern sie wird mehr und mehr zu einer Dauerleistung. Über die Ursachen dieser Entwicklung kann man sich streiten, das Faktum jedoch bleibt bestehen: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen und ihr Verbleib in der Arbeitslosenhilfe nehmen zu. Wie soll die Sozialpolitik auf diese Entwicklung reagieren? Soll weiterhin ein reines Versorgungssystem aufrecht erhalten werden, oder können den Langzeitarbeitslosen, denen in ihrer Gesamtheit hier niemand den Arbeitswillen abspricht, nicht auch Perspektiven auf eine Beschäftigung eröffnet werden? Ich denke, das wäre ein vernünftiger Weg. Ich möchte einige Punkte des Gesetzentwurfes der Koalition besonders hervorheben: So sollen in Zukunft mit geringen Ausnahmen nur noch Langzeitarbeitslose in die Allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung zugewiesen werden können. Außerdem werden Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose eingeführt, die ihnen nicht nur bei der Bewerbung helfen sollen sondern unter Umständen auch ihre Eignung und Begabung für eine neue Tätigkeit aufzeigen, insgesamt ihre „Professionalität" verbessern sollen. Eine weitere geplante Maßnahme, die ich für sinnvoll halte, sind Zuschüsse an jüngere Arbeitslosenhilfeempfänger, die sich für befristete und nicht gerade hoch dotierte Beschäftigungen zur Verfügung stellen. Wer etwa bei der Ernte mitarbeitet, erhält 25 DM täglich als Zuschlag zu seinem Entgelt. Wenn man bedenkt, daß ein beträchtlicher Anteil der Arbeitslosenhilfebezieher zu einer solchen Tätigkeit in der Lage ist, ist dieses Angebot - ich möchte die Freiwilligkeit unterstreichen wünschenswert und erfreulich. Wer in diesem Zusammenhang von „Arbeitsdienst" redet, zeigt nicht nur sein historisches Unverständnis, sondern offenbart auch nationalen Hochmut nach dem Motto: „Ein Deutscher bückt sich nicht vor einer Erdbeere." Hunderttausende ausländischer Arbeitnehmer kennen diese Scheu nicht und sind sich für Erntearbeiten in Deutschland nicht zu schade. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang an einen Satz von Willy Brandt erinnern, der zutreffend bemerkte, daß das Sozialstaatsangebot „nicht nur Pflichten des Gemeinwesens gegenüber dem Bürger, sondern auch soziale Verpflichtungen der Bürger im Verhältnis zum Staat" beinhaltet. Liebe Kollegen von der SPD, ich interpretiere in dem heutigen Zusammenhang die Worte ihres ExVorsitzenden so: Wer Hilfe vom Gemeinwesen erhält, der soll sich nach seinen Möglichkeiten auch bemühen, diese Hilfe nicht mehr oder in geringerem Umfang zu benötigen. Nur für den Fall, daß Sie mir vorwerfen sollten, ich würde Sie auf alte Kamellen von vorgestern festnageln, möchte ich auf Äußerungen des Hamburger Bürgermeisters, Ihres Parteifreundes Henning Voscherau, hinweisen. Der forderte in einem Interview vor knapp einer Woche die Abschaffung „überkommener Zumutbarkeitsgrenzen" und erklärte, es könne nicht Sache des einzelnen sein, sich zwischen Arbeit und „einem Einkommen aus der Tasche des Steuerzahlers" zu entscheiden. Ist das, liebe Kollegen von der SPD, ein Anschlag auf den Sozialstaat? Ich habe die meines Erachtens positiven Aspekte des vorliegenden Gesetzentwurfes hervorgehoben und möchte nun einige Sätze zu einer Neuregelung sagen, der ich - und auch einige meiner Fraktionskollegen - nicht ganz ohne Bedenken zustimmen kann: Geplant ist, die Minderung der beruflichen Qualifikation dadurch auszugleichen, daß das Bemessungsentgelt um fünf Prozent gekürzt wird, bis der durchschnittliche Tariflohn der untersten Gruppe erreicht ist. Tatsächlich ist eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe, die ja im Vergleich zum Arbeitslosengeld bereits reduziert ist, nicht unproblematisch. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um eine pauschale Kürzung handelt. Das individuelle Schicksal verliert an Bedeutung, die eigenen Anstrengungen, der Notlage zu entkommen, können nicht gewürdigt werden. Dies begründet auch mein Bedenken gegen die Vorlage. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe nach drei Jahren wegen der Abnahme beruflicher Qualifikation ist ja bekanntlich geltendes Recht; die Durchsetzung wurde wiederholt vom Bundesrechnungshof angemahnt. Es ist aber wichtig, daß ältere Arbeitslose, die nur noch geringe Vermittlungschancen haben, nicht das Gefühl bekommen, bestraft zu werden. Gerade sie müssen im Gegenteil eine besondere Förderung erfahren. Andererseits war eine Regelung, die alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hatte, nur sehr schwer in die Praxis umzusetzen. Bereits bei der alten Regelung endete die Neufestlegung der Arbeitslosenhilfe häufig vor dem Sozialgericht. Eindeutige gesetzliche Regelungen sind hier wohl tatsächlich nötig, um Rechtsklarheit zu erhalten und Ungerechtigkeiten vorzubeugen. Wie gesagt, nicht allen Einzelpunkten der Novellierung stimme ich aus vollem Herzen zu. Ich akzeptiere die aus meiner Sicht problematischen Abschnitte als Notwendigkeit, auf die nicht nur der Sparzwang hinweist. Auch eine Anpassung an den geänderten Charakter der Arbeitslosenhilfe als „Massenleistung" macht eine Reform in der vorgeschlagenen Art nötig. Insofern kann ich den Gesetzentwurf der Koalition als Gesamtpaket mit gutem Gewissen als gelungen bezeichnen. Abschließend möchte ich den Kollegen von der SPD, deren Kriegsgeheul von sozialem Kahlschlag und „menschlicher Sauerei" (Ottmar Schreiner) in den letzten Wochen wieder lauter geworden ist, in Erinnerung rufen: Es sind eure Engel, die den Teufel an die Wand malen. Unter Ihrer Ägide wurden die ersten einschneidenden Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe geplant, nämlich eine Senkung der Arbeitslosenhilfe und eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Damals, im März 1981, titelte der „Spiegel" sogar: „Sozialleistungen werden eingesammelt". Ihr Parteifreund Hans Matthöfer erklärte, „von einer Phase des Ausbaus sozialer Leistungen" sei nun - 1981 - „in eine Phase gesunden Abwägens von sozialer Sicherung und Eigenverantwortung überzugehen". Was damals richtig war, ist auch heute gültig. Insofern sollten auch die Kollegen von der SPD den vorliegenden Entwurf, der jene Forderung des Abwägens erfüllt, als das sehen, was er ist: Eine Sicherungsmaßnahme im Sozialstaat. Adolf Ostertag (SPD): Heute vor einer Woche hat der Bundesarbeitsminister auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall das „Bündnis für Arbeit" als „bedeutsamen Beitrag" bezeichnet und angeboten: Laßt uns auf dem Boden der Vorschläge von Klaus Zwickel, nicht auf der Höhe abstrakter Diskussionen, sondern im Rahmen ganz konkreter Projekte zusammenarbeiten, wo es geht. Vorgestern hat der Kanzler auch lobende Worte gefunden. Ich bezweifle aber, ob Sie dieses Angebot der IG Metall wirklich gelesen haben und auch ernst nehmen. Wörtlich heißt es da: „Dieses Bündnis verpflichtet die Bundesregierung, die Arbeitgeber und auch uns zur Einhaltung ... Wenn die Bundesregierung verbindlich erklärt, bei der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten und die Sozialhilfekriterien nicht zu verschlechtern", nur dann wird es ein „Bündnis für Arbeit" geben. Einen Tag nach diesem Angebot hat das Kabinett unter Leitung des Bundesarbeitsministers den Gesetzentwurf mit dem irreführenden Etikett „Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe" - besser: „Arbeitslosenbekämpfungsgesetz" - beschlossen. Darin stehen genau die Verschlechterungen, die das angebotene „Bündnis für Arbeit" unmöglich machen. Herr Bundesarbeitsminister, was ist mit den „ganz konkreten Projekten" ? Gehört dieser Entwurf dazu? Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt erneut, wie diese Regierung schönfärberisch redet und gleichzeitig eiskalt ihre Politik des sozialen Ausgrenzens weitertreibt. Sie bekämpfen doch die Arbeitslosen statt die Massenarbeitslosigkeit. Sie wälzen die sozialen Risiken einseitig auf die Beitragszahler ab; Sie ruinieren die Finanzen der Gemeinden in unverantwortlicher Weise. Damit hat diese Regierung den Konsens, der für einen Sozialstaat unerläßlich ist, längst verlassen. Und jetzt kommt gleich ein dreifacher Salto zur weiteren Demontage der Arbeitsmarktpolitik: Erstens. Mit den aktuellen Änderungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes werden 35 000 Personen aus der originären Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe abgeschoben, und die Arbeitslosigkeit wird weiter kommunalisiert und statistisch verkleinert. Der Bund stiehlt sich aus seiner Verantwortung. Zweitens. Mit den angekündigten Veränderungen im AFG, die den wohlklingenden Namen „Arbeitsförderungs-Reformgesetz" erhalten sollen, wird das Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter demontiert. Es wird eine Pseudoreform werden, die wieder der Finanzminister diktiert. Drittens. Auch mit dem sogenannten Arbeitslosenhilfe„reform"gesetz, das wir heute beraten müssen, setzt diese Bundesregierung ihre Strategie des Sozialabbaus und der Ausgrenzung konsequent fort. Die Arbeitslosenhilfe soll weiter auf das Sozialhilfeniveau gedrückt werden. Die Ausgliederung aus dem AFG ist der erste Schritt zur generellen Abschaffung. Für viele Arbeitslose und ihre Familien werden diese gesetzgeberischen Untaten zum Salto mortale. Mit Ihren Vorschlägen zur Arbeitslosenhilfe wird sich die finanzielle und soziale Lage der Arbeitslosen verschärfen, von dem psychischen Druck einmal ganz zu schweigen. Erstens. Sie behaupten, mit den vorgeschlagenen Regelungen eine bessere Integration der Arbeitslosenhilfempfänger zu ermöglichen. In Wahrheit geht es Ihnen nur um Kostenverschiebung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund spricht von „Flickschusterei zu Lasten der Kommunen". Die Stadt Frankfurt wird Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einlegen. Das wurde mit den CDU-Stimmen beschlossen. Durch den Gesetzentwurf wollen Sie den Bund in Milliardenhöhe entlasten auf Kosten der Arbeitslosenhilfeempfänger, der Sozialhilfeempfänger sowie der beitragsfinanzierten Arbeitsmarktpolitik. Zweitens. Sie wollen den Anteil von Arbeitslosenhilfebeziehern in Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Arbeitsförderung erhöhen. In diese Maßnahmen dürfen allerdings nur noch Bezieher von Arbeitslosenhilfe einbezogen werden. Diese Maßnahmen werden aus Beitragsmitteln finanziert. Der Bund entlastet sich somit, indem er sich bei den Beitragszahlern „bedient". Darüber hinaus bringt dies auch arbeitsmarktpolitisch nichts, da erst nach einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit die Teilnahme an einer derartigen Maßnahme möglich ist. Statt zügiger Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt wird ein Abgleiten von Arbeitslosengeldempfängern in die Arbeitslosenhilfe programmiert. Drittens. Mit den vorgesehenen Trainingsmaßnahmen bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosenhilfe sollen die Wiedereingliederungschancen verbessert werden. In erster Linie geht es aber darum, die Arbeitsbereitschaft zu testen. Bei einer Verweigerung gibt's Sperrzeit. Damit können die Empfänger von Arbeitslosenhilfe aus dem Leistungsbezug gedrängt werden. Von den Kosten für diese Trainingsmaßnahmen verabschiedet sich der Bund, den Beitragszahlern werden sie aufgehalst. Viertens. Ältere Arbeitslose sollen gezwungen werden, zum frühestmöglichen Termin Rente wegen Alters zu beantragen. Dies würde bei den Betroffenen zu niedrigeren Renten führen, da sich der Zeitraum der Beitragszahlung verkürzt. Falls sich die Bundesregierung mit den von ihr geplanten Abschlägen durchsetzt, würden die Renten noch weiter gekürzt. Fünftens. Die Bundesregierung will das für die Berechnung der Arbeitslosenhilfe maßgebliche Arbeitsentgelt jährlich pauschal um 5 Prozent senken. Als Untergrenze sollen 50 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV festgelegt werden. In Westdeutschland sind das zur Zeit 2 030 DM, in Ostdeutschland 1 645 DM brutto monatlich. Arbeitslosenhilfeempfänger und -empfängerinnen im Westen würden danach wöchentlich 215 DM, im Osten 174 DM (Leistungsklasse C) erhalten. Als Konsequenz ist einmal eine deutlich stärkere Belastung der Sozialhilfe zu erwarten und zum anderen ein verstärkter Druck auf die Arbeitslosen, gering entlohnte Arbeit zu akzeptieren. Sechstens. Eingeführt werden soll eine sogenannte „Arbeitnehmerhilfe" in Höhe von 25 DM täglich. Dadurch leistet die Bundesregierung einem staatlich geförderten Niedriglohnsektor Vorschub. Der Druck auf Arbeitslose, niedrig bezahlte Beschäftigung - möglicherweise unter Tarif - anzunehmen, wird erhöht. Die Tatsache, daß jede Arbeit angenommen werden muß, führt zu einer Dequalifizierung und zu einer Fehlsteuerung von Arbeitskräften. Zusammenfassend heißt das: Diese Bundesregierung zieht sich mit diesem Gesetzentwurf immer weiter von einer sinnvollen Arbeitsmarktpolitik zurück. Die Erwerbslosen werden mehr und mehr zum Sündenbock der Nation gemacht. Die Folgen sind eine weitere Verarmung der Arbeitslosen und eine weiter um sich greifende Kommunalisierung der Massenarbeitslosigkeit. Konkret in Zahlen heißt das: Auf Kosten der Beitragszahler und Kommunen will der Bund seinen Haushalt um insgesamt 3,4 Milliarden DM im Jahr 1996 beziehungsweise 3,8 Milliarden DM in den folgenden Jahren entlasten. Diese Politik steht im krassen Widerspruch zu den ständigen Versprechungen des Bundesarbeitsministers, die Beitragszahler zu entlasten. Seit 13 Jahren könnte diese Regierung was tun - sie redet aber nur und macht das Gegenteil. Ihre Vorschläge zur Arbeitslosenhilfe werden von allen gesellschaftlich wichtigen Gruppen, den Kirchen, den Gewerkschaften, dem Städte- und Gemeindebund, vielen Arbeitgebern und auch vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit abgelehnt. Deshalb fordere ich auch namens der SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung nachdrücklich auf, den Entwurf zurückzuziehen und auch die originäre Arbeitslosenhilfe beizubehalten. Meine Damen und Herren, wir brauchen ein „Bündnis für Arbeit" und ein „Bündnis gegen Arbeitslosigkeit". Im Gegensatz zur Bundesregierung wollen wir Sozialdemokraten, daß die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik produktiv eingesetzt werden und ein einheitliches AFG erhalten bleibt. Ich verweise auf unseren Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes, das wir am 22. Juni des Jahres erstmals beraten haben. Unsere Vorstellungen decken sich mit den Forderungen der Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Wissenschaftlern. Meine Damen und Herren, zu Recht wird Klaus Zwickel jetzt viel gelobt. Vorgestern hat der Kanzler aufgefordert, den IG-Metall-Vorsitzenden vollständig zu zitieren. Ich empfehle dem Kanzler, das Grundsatzreferat vollständig zu lesen. Da steht auch: Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung von 1994 davon gesprochen, in der laufenden Legislaturperiode drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Weder drei Millionen Arbeitsplätze noch blühende Landschaften wurden bislang geschaffen. Bundeskanzler Kohl verspricht vieles, hält jedoch wenig. Ich fürchte, das bleibt auch so. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn sich eine unbefangene Zuhörerin - sollte es sie denn an einem Freitag nachmittag um diese Uhrzeit noch geben - diese Debatte anhört, muß sie glauben, daß hier von ganz unterschiedlichen Gesetzen die Rede ist. Der Kollege Schreiner spricht - und da hat er meine volle Zustimmung - vom Arbeitslosenbekämpfungsgesetz. CDU und FDP behaupten, es ginge um Hilfen für Langzeitarbeitslose, darum, den Ausgegrenzten und sozial Schwachen dieser Gesellschaft die Hand zu reichen. Schade, daß das nichts als blanke Rhetorik ist. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, tun genau das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten. Was Sie hier vorlegen, ist und bleibt soziale Demontage. Kern des Gesetzentwurfs ist die Verschärfung von Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen, das weitere Abdrängen der Betroffenen in Armut und Billiglohnsektor. Die versprochenen zusätzlichen Maßnahmen für Langzeitarbeitslose sind eben keine zusätzlichen - dafür haben Sie der Bundesanstalt ja auch gar kein Geld zur Verfügung gestellt -, sondern gehen zu Lasten anderer Erwerbsloser. Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die Zugangsvoraussetzung für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von sechs auf zwölf Monate erhöhen, produzieren Sie neue Langzeitarbeitslose. Wenn Sie nicht wirklich neue Maßnahmen ergreifen, mehr Angebote an aktiver Arbeitsmarktpolitik machen, führt das zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen denjenigen, die unsere Unterstützung dringend brauchen. Dem Bundeshaushalt für 1996, der heute von Ihnen hier verabschiedet worden ist, liegt die sogenannte Arbeitslosenhilfereform schon zugrunde, obwohl wir den Gesetzentwurf der Regierung heute zum ersten Mal im Parlament beraten. Das macht deutlich, worum es eigentlich geht: nicht um sinnvolle Sozial- und Arbeitspolitik im Konzept, sondern um das Verschieben von Kostenstellen weg vom Bundeshaushalt. Belastet werden sozial Schwache, die wirklich keine Mark entbehren können, nämlich die betroffenen Arbeitslosenhilfebezieher und -bezieherinnen, belastet wird die Arbeitslosenversicherung und auch die Rentenversicherung, belastet werden die Kommunen. Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die Leute gleich an die Sozialhilfe durchgereicht werden , mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit der Produktion neuer Langzeitarbeitsloser. Dieses Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken, daß Sie völlig sachfremd einen Teil Ihrer gesetzlichen Änderungen ins Asylbewerberleistungsgesetz abgeschoben haben. Für so dumm können Sie den Deutschen Städtetag doch nicht ernstlich halten! Ich hoffe, daß Sie mit dem Versuch gründlich auf die Nase fallen, in Ihrem ausländerfeindlichen Asylbewerberleistungsgesetz eine Rechnung aufzumachen, die den Kommunen die neuen Belastungen als finanzielle Erleichterungen verkaufen soll und die Haushaltsdruck gegen politischen Anstand ausspielen will. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe reicht schon jetzt kaum zum Leben. Viele - fast ein Viertel - beziehen weniger als 600 DM im Monat. Sie leben in oder am Rande der Armut. Genau diese Verarmung wollen Sie jetzt noch beschleunigen: Sie konstruieren eine Rutschbahn in Armut und Billiglohnsektor. Die jetztige ist Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, offensichtlich noch nicht steil genug -5 Prozent jährlich sollen die Bemessungsentgelte automatisch abgesenkt werden. Den Vorwurf „Marktwert", Herr Minister, werden Sie sich damit nicht mehr einhandeln; denn mit Markt hat ein Absenkungsautomatismus nichts mehr zu schaffen. Allerdings hat er auch nichts mehr zu tun mit einer Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe bisher gewesen ist. Denn zum Wesen der Erwerbslosigkeit, dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden und „überschüssig" zu sein. Die Ausgrenzung von Millionen Menschen aus der Erwerbsarbeit zur Waffe zu machen und gegen die Betroffenen zu wenden ist schon abenteuerlich. Mit dieser automatischen Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslosenhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter hin zur Sozialhilfe. Sie verschärfen den Druck auf die Arbeitslosenhilfebezieher, jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen. Perspektiven bieten Sie ihnen keine, sondern hier wird lediglich die Situation der Schwäche ausgenutzt, um das Angebot an Billiglohnarbeitskräften zu vergrößern. Das gilt für die Ernteeinsätze genauso wie für die Trainingsmaßnahmen für ALH-Bezieher, die der Gesetzentwurf vorsieht. Bei entsprechender Ausgestaltung könnte ja z. B. ein Bewerbungstraining zumindest eine sinnvolle Förderung im Einzelfall darstellen. Aber darum geht es nicht, das steht erfrischend offen in der Begründung. Die Trainingsmaßnahmen dienen der Einsparung von Haushaltsmitteln, sie sollen die Arbeitsbereitschaft überprüfen und Leistungsmißbrauch feststellen. Sie sind also vor allem Instrument der Kontrolle und eine Schikane gegen Erwerbslose, keineswegs ein Instrument zur Integration in den Arbeitsmarkt. Und hier, so muß ich sagen, macht mir eines wirklich Sorgen: Der ganze Gesetzentwurf spricht immer wieder von Mißbrauchsvermeidung, von schärferen Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen. Das gilt genauso für die entsprechenden Passagen im Asylbewerberleistungsgesetz. Sie erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten die Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten sie nicht arbeiten, als bräuchten sie, wie Herr Schäuble das am Mittwoch in der Haushaltsberatung wieder gesagt hat, Anreize zur Arbeit. Angesichts von zirka 6 Millionen fehlenden Erwerbsarbeitsplätzen ist diese Unterstellung doch offensichtlich absurd. Sie öffnen Tür und Tor für eine Mißbrauchskampagne, die jetzt schon in Teilen der Presse begonnen hat. Das bedeutet Stammtischneid auf das angeblich goldene Leben der ALH-Bezieher, auf die, die auf unsere Kosten leben. Für die Betroffenen heißt das neben der schweren Belastung, aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt zu sein, außerdem noch Diffamierung und Entmutigung. Für das gesellschaftliche Klima ist das ein weiterer Schritt hin zu Entsolidarisierung und Ellbogengesellschaft. Wir werden alles tun, um solchen Diffamierungen entgegenzutreten. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Die Gesetzesänderungen im Arbeitsförderungsgesetz, die wir heute beschließen, sind Teil der Haushaltsgesetzgebung. Sie betreffen die Arbeitslosenhilfeempfänger. Da durch die vorgesehenen Änderungen 1,3 Milliarden DM gespart werden sollen, ist schnell erklärlich, daß diese Sparvorschläge in der öffentlichen Diskussion sehr polemisch erörtert werden. Manchem Sozialpolitiker fällt es schwer, die von Finanzen diktierte Sozialpolitik hier im Bundestag zu verteidigen. Allemal ist es leichter, mit grünem Feldgetöse oder kirchlicher Berufsentrüstung vom Leder zu ziehen, als sich die Mühe zu machen, die Vorschriften genauer anzusehen und zu bewerten. Bezieher von Arbeitslosenhilfe erhalten ihr Geld auf der Grundlage ihres letzten Nettogehaltes. Sie bekommen es zur Hälfte unbegrenzt - was einmalig ist, wenn Sie einmal europäische Nachbarländer zum Vergleich heranziehen - und erleben jährlich die Anpassung an die Steigerungen der Bruttoentgelte. Schon nach geltendem Recht ist die Bemessungsgrundlage nicht statisch, über alle Jahre hinweg auf derselben Höhe. Auch heute werden in einem Zeitraum von drei Jahren die Beträge „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles" neu festgesetzt. In die Praxis ist diese Vorschrift aber kaum umgesetzt worden. Jetzt soll die Bemessungsgrundlage - kurz: der letzte Lohn - jährlich um 5 Prozent gekürzt werden, herunter bis zum niedrigsten Tariflohn der entsprechenden Branche. Daß also jemand, der 600 DM Arbeitslosenhilfe bekommt, diese gekürzt bekommt, wie gestern Redner von der SPD behauptet haben, stimmt nicht. Im Grunde ist es doch schwierig zu begründen, warum jemand, der seit längerem aus dem Arbeitsprozeß herausgefallen ist, immer noch fiktiv auf der selben Lohnstufe die Unterstützungsleistung erhalten soll. Es zeigt sich eben, daß das Fürsorgesystem des Bundes - nichts anderes ist ja das Arbeitslosenhilferecht -, orientiert am einmal verdienten Lohn, in innere Widersprüche gerät. Der Absenkung auf der einen Seite stehen nun aber auch verstärkte Hilfen auf der anderen gegenüber. Eine Verbesserung sehe ich darin, daß den Empfängern von Arbeitslosenhilfe Trainingsmaßnahmen angeboten werden können, daß das Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ihnen mehr als jetzt zugedacht wird. Damit entwickelt sich die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu einem Angebot gerade für den Personenkreis, der länger arbeitslos ist. Daß die in solchen Maßnahmen Beschäftigten dann gleich wieder Ansprüche erwerben und unter Umständen wieder Arbeitslosengeld bekommen können, gehört zu den Fragwürdigkeiten dieses Instruments. Es macht aber durchaus Sinn aus sozialpolitischer Sicht, AB-Maßnahmen auf Arbeitslosenhilfeempfänger zu konzentrieren. Bedenken habe ich bei dieser Operation eher, was die Finanzierung angeht. Sparen tut der Finanzminister, zahlen müssen die Beitragszahler. Denn AB-Maßnahmen werden von den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt. Die über diesen Weg erzielten Einsparungen sind also keine Kürzungen am Unterhalt der Arbeitslosenhilfeempfänger, im Gegenteil eher eine Verstärkung der Hilfen, sie gehen aber zu Lasten der Lohnzusatzkosten. Das widerspricht ganz klar den Absichten der Koalition, die Lohnzusatzkosten zu senken - was auch in der Koalitionsvereinbarung steht. Also, Herr Minister Blüm, von dieser Bürde hat Sie das vorliegende Gesetz nicht befreit. Aus dieser Verantwortung können wir Sie auch nicht entlassen. Setzen Sie Ihre Hoffnungen nicht auf Theo Waigel, bringen Sie selbst Sparvorschläge ein, die dem Ziel „Senkung der Lohnnebenkosten" dienen. Jede Veränderung im Bereich der Arbeitslosenhilfe wird von den Kommunen besonders kritisch beäugt. Sie sorgen sich um zusätzliche Belastungen in der Sozialhilfe. Diese Befürchtungen entzünden sich zur Zeit insbesondere an der Absenkung der Bemessungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe sowie an der Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die an anderer Stelle im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen ist. Ich möchte feststellen, daß ich diese Befürchtungen diesmal für unbegründet halte. Geringfügigen Mehrbelastungen durch die Reform der Arbeitslosenhilfe stehen deutliche Entlastungen der Kommunen durch die Novellierung des Sozialhilfegesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes gegenüber. Voraussetzung ist allerdings, daß die Länder diesen Entlastungen im Bundesrat auch zustimmen. Daher sollten die Städte und Gemeinden ihr Klagelied weniger an den Bund als vielmehr an ihre jeweiligen Landesregierungen richten. Diese stehen für die kommunalen Haushalte nämlich in erster Linie in der Verantwortung. Meine Damen und Herren, bei näherer Betrachtung halte ich die hier zu beschließende Gesetzesänderung für sozial vertretbar. Der Absenkung auf der einen Seite stehen verstärkte Hilfen auf der anderen gegenüber. Die Belastung der Beitragzahler bleibt bedenklich. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Freitag nachmittag - der übliche Zeitpunkt, dieselbe bekannte Runde, gemütlich eigentlich, wenn da nicht diese Themen wären. Woche für Woche werden unter diesen Bedingungen - unter faktischem Ausschluß der Öffentlichkeit - Beschlüsse gefaßt, die das Sozialsystem fortgesetzt aushöhlen. Nun das neueste Elaborat aus dem Hause Blüm: Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz. Ein Blick in die Zielsetzung legt die Vermutung nahe: Der Arbeitsminister hat es geschafft, endlich ist der Kreis quadriert. Da heißt es, Fallzahlen und Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe seien „erheblich gestiegen", mit „der Dauer der Arbeitslosigkeit entstehe ein regelmäßiger Verlust an beruflicher Qualifikation", und das erschwere die Wiedereingliederung; deshalb verbessere die Bundesregierung die bestehenden Möglichkeiten, schaffe zusätzliche, verbessere die Vermittlungsaussichten, erleichtere die Selbständigkeit usw. usw. So viele Wohltaten! Und das Tollste: Diese Aktivitäten für Arbeitslose kosten nicht nur nichts, sie entlasten den Bundeshaushalt auch noch um 2,1 Milliarden DM. Fürwahr, ein Glanzstück - ein Glanzstück nicht der arbeitsmarktpolitischen Intelligenz der Bundesregierung, sondern ein Glanzstück ihrer demagogischen Entsorgungssprache: Die Sorgen der Menschen werden durch Sprachregelungen beseitigt. Gestern, Herr Minister, haben Sie uns dafür wieder ein bemerkenswertes Beispiel geliefert. Sie fragten uns, was wir denn dagegen hätten, wenn endlich auch mal die Langzeitarbeitslosen von der Arbeitsförderung profitierten. Sie wissen natürlich, daß wir dagegen gar nichts haben, uns allerdings fragen, warum Sie nicht längst mehr getan haben, sondern warten, bis die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf fast eine Million angewachsen ist. Und auch das Sonderprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit haben Sie ja nicht freiwillig wiederaufgelegt. Jetzt sollen Arbeitslosenhilfebezieher verstärkt in § 240h-Maßnahmen. Wie soll das gehen, wenn doch heute schon klar ist, daß z. B. die Mittel für die BVS für 1996 gesenkt sind und dort 25 000 bis 28 000 Stellen zur Disposition stehen? Aber in diesem Gesetz geht es ja im Kern auch um etwas ganz anderes: Dieses Gesetz ist ein rüdes Sparprogramm auf Kosten der Arbeitslosenhilfebezieher/ Innen. Um 5 % soll ihre Arbeitslosenhilfe jährlich runtergestuft werden. Ihr Qualifizierungsgerede soll ja nur den Rauchvorhang für diese Ihre eigentliche Absicht abgeben, Ihre Absicht nämlich: ausgerechnet die Leistungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen, um Ihren Chaoshaushalt zu sanieren. Sie wollen weg von der Arbeitslosenhilfe als Dauerleistung, einer Leistung, die Arbeitslose auch für den Fall des dauerhaften Verlustes der Beschäftigung sozial sichern soll. Und weil Sie davon weg wollen, Herr Blüm, gehen Sie landauf, landab mit Ihrem arbeitslosen DiplomIngenieur hausieren. Selbst die IG-Metall-Delegierten haben Sie damit veralbert. Das kommt gar nicht gut an; da helfen Ihnen auch 40 Jahre als Metaller nichts. Zurück zu Ihrem Diplom-Ingenieur also, der nach einem Einkommen von 8 000 DM nunmehr seit 20 Jahren eine üppige Arbeitslosenhilfe kassiert und sich in der sozialen Hängematte ausruht. Für dieses so trefflich demagogisch einzusetzende Einzelbeispiel sollen nun 950 000 Arbeitslosenhilfeempfänger bestraft werden. Das ist soziale Brunnenvergiftung übelster Art. So schafft man ein gesellschaftliches Klima, in dem ein angeblich seriöses Wochenjournal mit Stories „Zum süßen Leben der Sozialschmarotzer" aufmacht und vor allem kritisiert, „daß 90 Prozent der Bundesbürger das soziale Netz ... in Anspruch nehmen". Haben wir uns also schon so weit von der Sozialen Marktwirtschaft verabschiedet, daß diejenigen zu Schmarotzern erklärt werden, die den Sozialstaat beim Wort nehmen? Und Sie machen da noch mit! Wie sieht es wirklich aus? Die maximale Arbeitslosenhilfe beträgt 1995 im günstigsten Fall - verheiratet, ein Kind - 2 740 DM im Monat. Den Anteil derjenigen, die Arbeitslosenhilfe in dieser Höhe bekommen, weiß nicht mal Ihre eigene Statistik auszuweisen, so klein ist er. Aber wir brauchen gar nicht so hoch zu gehen. Nehmen wir nur diejenigen, die Arbeitslosenhilfe nach einem Bruttogehalt oberhalb der Bezugsgröße der Sozialversicherung - 4 060 DM in 1995 - erhalten. Im Februar 1995 waren das 14 Prozent, im günstigsten Fall sind das 1 557 DM im Monat; davon kann eine dreiköpfige Familie nachweislich nicht leben. Diese Familie „entlasten" Sie mit Ihren Kürzungsabsichten nun noch um 67 DM im Monat. Aber 86 Prozent bekommen eben noch weniger Geld. Im August 1995 erhielten 75 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen in der Bundesre- publik Beträge noch unterhalb der Sozialhilfeschwelle. Jede Kürzung der Arbeitslosenhilfe erhöht die Sozialhilfeausgaben und damit die Belastung der Kommunen in unverantwortlicher Weise. Selbst die an sich gute Idee der verstärkten Arbeitsförderung für Arbeitslosenhilfebezieher ist ja nichts anderes als eine Kostenabwälzung auf die Bundesanstalt. Wann begreifen Sie endlich, daß sich fehlende Jobs nicht durch höheren Druck auf Arbeitslose schaffen lassen? Lassen Sie mich mit einem Zitat aus den keinerlei Sympathien für die PDS verdächtigen „Lübecker Nachrichten" vom 4. November schließen: Um 3,4 Milliarden Mark kürzt das Kabinett bei der Arbeitslosenhilfe, der zungenfertige Blüm aber münzt das ganz als Anstrengung für mehr Beschäftigung um - fürwahr ein echter Verpackungskünstler. Ich hoffe nur, die Betroffenen lassen sich nicht länger einpacken. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Zur Zeit gibt es in Deutschland mehr als 900 000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Ihre Zahl nimmt ebenso zu wie die Bezugsdauer der Leistung. Tatsache ist auch: Mit jedem Jahr der Arbeitslosigkeit nimmt die berufliche Qualifikation des Arbeitslosenhilfebeziehers ab. Das erschwert eine Wiedereingliederung in das Arbeitsleben. Ein weiterer Punkt, der uns zum Handeln veranlaßt hat: Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern nach langjähriger Arbeitslosigkeit ist unverständlich und mutet willkürlich an. Wer einmal, wenn auch nur kurze Zeit, erwerbstätig war, bezieht den Rest seines Lebens Arbeitslosenhilfe. Der Arbeitslose, der nicht mit dem Erwerbsleben in Kontakt war, bekommt im gleichen Fall Sozialhilfe. Darum wollen und müssen wir das Recht der Arbeitslosenhilfe reformieren. Um was geht es uns bei der Reform? Drei Gesichtspunkte stehen im Vordergrund. Erstens. Wir wollen Arbeitslosenhilfebeziehern, und zwar insbesondere den Langzeitarbeitslosen, Brücken aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt bauen. Sie sollen vom Leistungsbezug unabhängig werden. Zweitens. Wir wollen den Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung verbessern. Drittens. Wir wollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe stärker aufeinander abstimmen. Wir wollen vor allem durch Arbeitsmarktmaßnahmen die Qualifikation der Arbeitslosenhilfebezieher erhalten und verbessern. Sie sollen fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt gemacht werden. Wir müssen die Zugbrücken zur Festung der Arbeitswelt herunterlassen. Wir müssen eine intelligente Arbeitsmarktpolitik betreiben, die den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt auch tatsächlich ermöglicht. Unser Reformvorschlag zur Verbesserung der Lage der Arbeitslosen enthält folgende Maßnahmen. Erstens. Wir konzentrieren die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf langzeitarbeitslose Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Das sind Personen, die es nachweislich schwerer als andere haben, aus eigenen Kräften in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukommen, und denen wir deshalb besonders helfen müssen. Künftig werden in ABM in der Regel nur noch Arbeitslose gefördert, die 12 Monate arbeitslos waren. Diese Maßnahme fördert die Benachteiligten und verbessert die Chancen der beruflichen Integration. Zweitens. Wir werden Arbeitslosenhilfebeziehern Arbeitstrainingsmaßnahmen anbieten. Dadurch soll die Eignung des Arbeitslosen für bestimmte Tätigkeiten festgestellt, der Erwerb zusätzlicher Qualifikationen gefördert und Unterstützung bei Bewerbungen geleistet werden. Der Arbeitslose erhält während der Trainingsmaßnahmen weiterhin Arbeitslosenhilfe. Drittens. Wir werden jüngeren Arbeitslosenhilfebeziehern eine Arbeitnehmerhilfe anbieten, um ihnen die Aufnahme einer befristeten Beschäftigung, insbesondere im Bereich der Saisonarbeiten, zu ermöglichen. Seit einigen Jahren besteht die paradoxe Situation, daß derartige Tätigkeiten trotz hoher Arbeitslosigkeit im Inland von einer großen Zahl ausländischer Arbeitnehmer verrichtet werden. So werden zur Zeit jährlich etwa 150 000 Arbeitserlaubnisse an ausländische Arbeitnehmer erteilt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht einzusehen, weshalb nicht auch jüngere inländische Arbeitslose derartige Saisonarbeiten durchführen können. Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt daher künftig als Arbeitsanreiz zusätzlich zum Arbeitslohn 25 DM pro Tag - und zwar ohne Anrechnung auf die Arbeitslosenhilfe. Viertens. Wir erleichtern Arbeitslosenhilfebeziehern die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Nach der bisherigen Rechtslage gilt: Der Arbeitslose, der bei dem Versuch gescheitert ist, seinen Lebensunterhalt länger als ein Jahr aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu bestreiten, hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Unser Gesetzentwurf sieht vor: Arbeitslosenhilfebezieher sollen eine selbständige Tätigkeit aufnehmen und fast drei Jahre ausüben können, ohne das Recht auf erneute Inanspruchnahme der Leistung zu verlieren. Fünftens. Wir wollen die Subsidiarität der bedürftigkeitsabhängigen Arbeitslosenhilfe stärken. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe soll begrenzt werden, wenn der Arbeitslose eine Altersrente beanspruchen könnte oder wenn er die Voraussetzungen für eine solche Altersrente in absehbarer Zeit erfüllt. Denn die aus Steuermitteln des Bundes finanzierte Arbeitslosenhilfe ist eine gegenüber der Versicherungsrente nachrangige Fürsorgeleistung. Es ist nicht einzusehen, weshalb jemand, der Anspruch auf eine Versicherungsleistung hat, statt dessen die ihr gegenüber subsidiäre Arbeitslosenhilfe beanspruchen kann. Lassen Sie mich schließlich auf die geplanten Änderungen bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe eingehen. Dazu hat es in den letzten Wochen ja viel Kritik und noch mehr Polemik gegeben - auch in diesem Hohen Hause. Worum geht es eigentlich? Das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe soll entsprechend der Dynamisierung der Bruttoarbeitsentgelte steigen. Gleichzeitig soll der Qualifikationsverlust, der mit der zunehmenden Dauer der Arbeitslosigkeit unbestreitbar verbunden ist, jedes Jahr durch einen pauschalierten Abschlag vom Bemessungsentgelt in Höhe von 5 Prozent berücksichtigt werden. Da die Dynamisierung in der Regel zu einer Erhöhung der Bruttoarbeitsentgelte führt, wird die reale Minderung des neuen Bemessungsentgelts tatsächlich geringer sein als 5 Prozent. An zwei Gesichtspunkte möchte ich in diesem Zusammenhang nochmals erinnern, um insbesondere der Gedächtnisschwäche der Opposition auf die Beine zu helfen: Das neue Bemessungsentgelt darf eine Grenze nicht unterschreiten, die sich an der untersten Tariflohngruppe orientiert, denn unter der niedrigsten Tarifgruppe kann niemand Geld verdienen. Die Arbeitslosenhilfe im Anschluß an Arbeitslosengeld wird weiterhin unbefristet gezahlt. Eine Befristung der Arbeitslosenhilfe ist - anders als Sie, Herr Scharping, vorgestern wahrheitswidrig behauptet haben - vom Tisch. Unser Vorschlag ist im übrigen keine revolutionäre Neuerung. Denn bereits das geltende Recht sieht vor, daß die Entwicklung der beruflichen Leistungsfähigkeit alle drei Jahre berücksichtigt wird. Wir machen lediglich das geltende Recht praktikabel. Die bisherige Regelung ist schwer handhabbar. Sie kann zu willkürlichen Ergebnissen führen und ist in der Vergangenheit so gut wie nie umgesetzt worden. Das hat auch der Bundesrechnungshof beanstandet. Wer, wie die Opposition, unsere Reformvorschläge als „Etikettenschwindel", als „Bestrafung der Arbeitslosen" oder als „primitive Konfliktstrategie auf dem Rücken der Arbeitnehmer" bezeichnet, der hat gar nicht begriffen, um was es eigentlich geht. Wir finanzieren nicht Arbeitlosigkeit, wir finanzieren Rückkehrhilfen in den regulären Arbeitsmarkt. Wenn es gelingt, die Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen, dann wird dadurch automatisch Geld gespart. So erzielen wir durch die Maßnahmen zur Rückkehr der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt einen Einspareffekt von 1,5 Milliarden DM im Bundeshaushalt. Die Leistungsempfänger verlieren dadurch keine einzige Mark. Sie stehen sich sogar besser, weil sie eine neue Arbeit erhalten oder weil sie in ABM ein höheres Entgelt bekommen. Das Gesamtpaket zur Reform der Arbeitslosenhilfe wird 1996 zu einer Entlastung des Bundeshaushalts in Höhe von 3,4 Milliarden DM führen. Davon entfallen 2,1 Milliarden DM auf das ArbeitslosenhilfeReformgesetz, 1,3 Milliarden DM auf die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen. Die Entlastung wird - anders als die Opposition glauben machen will - nur zu einem geringeren Teil durch eine Begrenzung von Leistungen erzielt: Gerade einmal 300 Millionen DM werden durch die geplante Änderung bei der Neubemessung der Arbeitslosenhilfe eingespart. Das sind noch nicht einmal 10 Prozent der Mittel zur Verbesserung der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, wie wir sie im ArbeitslosenhilfeReformgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz bereitstellen. 600 Millionen DM werden durch die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe eingespart. Der überwiegende Teil der Entlastung wird durch strukturelle Änderungen der Arbeitslosenhilfe erreicht werden, bei denen die Wiedereingliederung der Arbeitslosenhilfebezieher in den allgemeinen Arbeitsmarkt im Vordergrund steht. Deshalb appelliere ich an Sie: Lesen Sie den Entwurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz aufmerksam. Sie werden dann feststellen, daß dieses weniger ein Spargesetz als ein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung der Lage von Langzeitarbeitslosen ist. Lassen Sie uns darüber unvoreingenommen diskutieren. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 690. Sitzung am 3. November 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Viertes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (4. SGB V-Änderungsgesetz - 4. SGB V-ÄndG) - Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durchführung des Abkommens vom 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung - Gesetz zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen - Gesetz zu dem Vertrag vom 2. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 12. November 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 24. September 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika über die gegenseitige Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 20. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolischen Volksrepublik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 15. Februar 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Die Gruppe der PDS hat mit Schreiben vom 8. November 1995 folgende Vorlagen zurückgezogen: - Antrag: Überarbeitung der Eckpunkte zur Regulierung der Telekommunikation - Drucksache 13/1224 - - Antrag: Erstattung eines Berichtes der Bundesregierung zur „Lage der Nation" und zur Durchsetzung des Einigungsvertrages anläßlich des fünften Jahrestages der staatlichen Vereingung am 3. Oktober 1995 - Drucksache 13/2227 - Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuß Drucksachen 13/1360, 13/1616 Nr. 2 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 13/1070, 13/1233 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zu Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/1614, Nr. 1.6 Drucksache 13/1614, Nr. 1.8 Drucksache 13/2306, Nr. 2.33 Drucksache 13/2306, Nr. 2.85 Haushaltsausschuß Drucksache 13/2306, Nr. 2.37 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/1614, Nr. 1.4, 13/2306 (Berichtigung) Drucksache 13/2306, Nr. 1.10 Drucksache 13/2306, Nr. 2.2 Drucksache 13/2306, Nr. 2.3 Drucksache 13/2306, Nr. 2.6 Drucksache 13/2306, Nr. 2.7 Drucksache 13/2306, Nr. 2.11 Drucksache 13/2306, Nr. 2.12 Drucksache 13/2306, Nr. 2.21 Drucksache 13/2306, Nr. 2.28 Drucksache 13/2306, Nr. 2.46 Drucksache 13/2306, Nr. 2.47 Drucksache 13/2306, Nr. 2.56 Drucksache 13/2306, Nr. 2.59 Drucksache 13/2306, Nr. 2.70 Drucksache 13/2306, Nr. 2.75 Drucksache 13/2306, Nr. 2.84 Drucksache 13/2306, Nr. 2.92 Drucksache 13/2306, Nr. 2.93 Drucksache 13/2306, Nr. 2.104 Drucksache 13/2306, Nr. 2.105 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/1442, Nr. 2.1 Drucksache 13/1799, Nr. 2.5 bis 2.8 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/2306, Nr. 1.13 Drucksache 13/2306, Nr. 2.18 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/2306, Nr. 2.20 Drucksache 13/2306, Nr. 2.23 Drucksache 13/2306, Nr. 2.31 Drucksache 13/2306, Nr. 2.83 Drucksache 13/2306, Nr. 2.101 Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Drucksache 13/1614, Nr. 1.1 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1338, Nr. 1.2 Drucksache 13/1614, Nr. 1.5 Drucksache 13/1898, Nr. 1.1 Drucksache 13/1898, Nr. 1.2 Drucksache 13/2306, Nr. 1.2 Drucksache 13/2306, Nr. 2.74 Drucksache 13/2306, Nr. 2.102
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Peter Glotz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl wir als Opposition den Einzelplan 30 des Haushalts unbefriedigend finden, beginne ich diese Rede mit einem Gefühl tiefer Befriedigung. Vor eineinhalb Jahren haben der frühere schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Thomas und ich bei Econ eine neue Gründerwelle gefordert. Zur selben Zeit verlangten Herbert Henzler und Lothar Späth eine neue Kultur der Selbständigkeit.

    (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Den Thomas hat Frau Simonis entlassen!)

    Am Mittwoch hat der Bundeskanzler in seiner Rede vor diesem Hohen Haus wörtlich gesagt, daß wir eine breite Gründungswelle brauchen, so wie wir sie in den 50er Jahren erreicht haben, und eine neue Kultur der Selbständigkeit. Ich kann nur feststellen: Die Behauptung, daß der Kanzler, den vorwitzige Kritiker inzwischen mit Buddha vergleichen, nicht lernfähig sei, ist falsch.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sagen tut er schon das Richtige. Jetzt geht es nur noch darum, daß auch noch das Richtige getan wird, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das kommt gerade von Ihnen!)

    Aber auch da scheint der Bundeskanzler auf dem richtigen Weg zu sein. Dem „Spiegel" vom 30. Oktober konnten wir entnehmen, daß er jungen Leuten die Entscheidung zur Selbständigkeit leichtmachen will. -

    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann zitieren Sie eigentlich Herrn Scharping?)

    Er will seinen Reden auf dem CDU-Parteitag und hier im Parlament offensichtlich Taten folgen lassen. - Dann allerdings schreibt der „Spiegel" wörtlich:
    Doch die wichtigen Dinge überläßt Kohl schon längst nicht mehr den zuständigen Ministern, er beauftragte Sieghard Nehring, seinen Abteilungsleiter für Wirtschaft im Kanzleramt, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen und Ideen für ein günstiges Umfeld für Existenzgründer zu entwickeln.
    Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Der Kanzler gebraucht seinen Zukunftsminister als Zukunftssäusler.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn gehandelt werden soll, nimmt er die Sache selber in die Hand. Das Mißverhältnis zwischen Reden und Handeln in diesem Zukunftsministerium ist inzwischen peinlich geworden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Sie ignorieren die Realität, Herr Glotz!)

    Dabei muß ausdrücklich bemerkt werden: Was Herr Rüttgers sagt, ist gelegentlich höchst vernünftig.

    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er lobt ununterbrochen unsere Leute! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich zitiere zwei Sätze aus seiner Rede auf dem CDUParteitag. Dort heißt es:
    Unsere Aufgabe ist es, der Bildungspolitik einen neuen Stellenwert zu geben.
    Das ist richtig.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Rüttgers hat sogar den Satz gesagt:

    Wir brauchen wieder mehr Investitionen in unser Bildungssystem.
    Auch das ist richtig. Nur, sein Haushalt in Höhe von 16 Milliarden DM steigt, einschließlich des jetzt beschlossenen Sonderprogramms für die Berufsbildung, um ganze 169 Millionen DM. Er spitzt den Mund, aber pfeifen darf er nicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist, wenn Sie mir erlauben, das ins Medizinische zu wenden und es ganz liebenswürdig zu meinen, so gefährlich wie Harnverhaltung. Wir machen uns Sorgen um Herrn Rüttgers, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Gelegentlich ärgern wir uns aber auch über ihn. Er ist, wenn wir hier über unseren Etat diskutieren, höchst sachlich. Dann allerdings gibt er Interviews, die beispielsweise mit dem schönen Satz enden - man muß sich das einmal richtig reintun, um in der Sprache unserer Kinder zu reden -:
    Unter Rudolf Scharping ist die SPD endgültig von einer Volkspartei zu einer Widerstandsgruppe verkommen.
    Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, daß Herr Rüttgers die Bissigkeiten, die er sich als Funktionär der Jungen Union und als Geschäftsführer angeeignet hat, nicht nur bei Parteipolemik, sondern auch im Kabinett im Kampf um seinen Haushalt anwenden würde.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)


    Dr. Peter Glotz
    Herr Rüttgers, beißen Sie doch einmal Herrn Rexrodt! Der kann durch Narben nur farbiger werden.
    Ein zweiter Punkt: Herr Rüttgers, Sie haben den Bundeskanzler genötigt, in seiner Regierungserklärung eine zentrale bundesweite Akademie der Wissenschaften zu fordern. Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Seitdem hat weder das Parlament noch die Öffentlichkeit ein Sterbenswörtchen über diese Akademie der Wissenschaften gehört. Wenn Sie zu der Erkenntnis gekommen sein sollten, daß das, was Sie gefordert haben, falsch war, dann sollten Sie es diesem Parlament sagen, es aber nicht foppen, indem in einer Regierungserklärung hochoffiziell etwas gefordert wird, was dann hinterher plötzlich vergessen wird, was dann - gluck, gluck, gluck - im Abwasser verschwindet. Das geht nicht!

    (Beifall bei der SPD)

    Und das ist nicht das einzige, meine Damen und Herren. Ich stelle fest, daß in der Regierungserklärung die sinnvolle Idee enthalten war, marktwirtschaftliche Anreize zur Umsetzung von Schlüsseltechnologien in Produkte und Verfahren zu entwikkeln. - Nichts dergleichen hat stattgefunden. Ich stelle fest, daß in der Regierungserklärung die kontinuierliche Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern versprochen worden ist. - Nichts dergleichen hat stattgefunden. Sie gehen diesmal im Etat von 18 Millionen auf 16 Millionen DM zurück. Ich stelle weiter fest, daß die Bundesregierung - ich zitiere den „General-Anzeiger" vom 24. März 1995 - bis zur Sommerpause einen Regierungsbericht Info 2000 vorlegen wollte. - Nichts dergleichen hat stattgefunden. Nach einem Jahr Tätigkeit, Herr Kollege Rüttgers, erweisen Sie sich weniger als Bildungs- und Forschungs- denn als Ankündigungsminister.

    (Beifall bei der SPD)

    Inzwischen muß ich immer, wenn ich Jürgen Rüttgers sehe, an den Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt denken. Der hat gesagt:
    Das Gute im Menschen ist, daß er über Einsichten verfügt.
    Und dann hat er hinzugefügt:
    Und das Schlechte an ihm ist, daß er nicht danach handelt.
    Er muß Sie gekannt haben, Herr Rüttgers.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Auf einem Gebiet sind Sie allerdings zugegebenermaßen aktiv geworden. Sie wissen natürlich, daß Sie scheitern müßten, wenn Sie nicht neue Akzente in und mit dem Haushalt setzen könnten. Sie wissen auch - und haben es offensichtlich akzeptiert -, daß der Bundesfinanzminister eine Verschiebung der Prioritiäten zugunsten von Bildung nicht zuläßt. Also haben Sie das Konzept entwickelt, sich das Geld, das Sie aus anderen Etats nicht bekommen können, bei den einkommensschwächsten Studierenden zu holen, indem Sie diese zwingen, ihre Darlehen zu verzinsen. Ich habe Ihnen schon in der ersten Lesung zu diesem Haushalt gesagt - und das nach eingehenden Gesprächen mit den Ländern -,
    daß Sie mit dieser Absicht im Bundesrat scheitern werden und daß wir auch dazu beitragen werden, daß Sie dort damit scheitern.

    (Beifall bei der SPD)

    Es darf aber nicht so weit kommen, daß notwendige Mittel für den Hochschulbau, die Max-PlanckGesellschaft oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft gestrichen werden müssen, weil Sie im Bundesrat mit der Art Ihrer Geldbeschaffung in die Sackgasse laufen. Ich wiederhole deshalb mein Angebot, das Problem so schnell wie möglich in einem hochrangigen Gespräch, an dem auch die A- und B-Länder beteiligt sind, aufzugreifen. Ich warne Sie: Der Versuch, die hochkomplizierten Probleme der Finanzierung unseres Bildungswesens im Vermittlungsausschuß zu lösen, muß scheitern, Herr Kollege Rüttgers.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre verantwortungslos, wenn Sie die notwendigen Leistungen für die Max-Planck-Gesellschaft, um dieses Beispiel herauszugreifen, oder den Hochschulbau mit Luftbuchungen decken würden, die Ihnen spätestens bei Vorlage eines zustimmungsbedürftigen BAföG-Gesetzes im Bundesrat platzen müßten. Suchen Sie Kooperation mit uns, statt auf einem chancenlosen Konzept sitzenzubleiben!

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in ihren Koalitionsvereinbarungen haben die Union und die F.D.P. eine „Offensive für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur" versprochen. Über nicht weniger als „die Zukunft Deutschlands" sollte dieser Feldzug entscheiden, und der auserkorene Feldherr sollte fortan „Zukunftsminister" heißen. Ein Jahr später fragen wir: Wo sind die identifizierten Zukunftsthemen? Wo sind die vielbeschworenen Visionen?

    (Jörg Tauss [SPD]: Nirgends!)

    Wo ist zum Beispiel das deutsche Pendant zum „Zero Emission Car", zum „Clean Car", das in Kalifornien ab 1998 angeboten werden muß?

    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das gucken wir uns noch mal genau an!)

    Dort hat man konkret etwas gemacht.
    Schon wahr: Beim Thema Zukunft geht es nicht nur um Geld; es geht auch um faszinierende Konzepte, um langfristige Perspektiven, um anstachelnde Szenarios. Der amerikanische Vizepräsident Al Gore hat mit seinem Feldzug für eine moderne Informationsgesellschaft gezeigt, wie man Begeisterung und Investitionen mobilisieren kann. In der heutigen Zwischenbilanz muß ich feststellen, daß es dem Zukunftsminister dieser Regierung bisher sowohl an Realisierungsstärke als auch an Vermittlungskompetenz gebricht.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Dr. Peter Glotz
    Deutschland bräuchte einen, der die Rolle von Al Gore in unserem Land spielen könnte. Sie sind es offensichtlich nicht, Herr Rüttgers.

    (Beifall bei der SPD Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war dürr und matt!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Rüttgers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich mich beim Herrn Kollegen Glotz für das Dürrenmatt-Zitat bedanken: Ich wußte nicht, daß schon Dürrenmatt über mich geschrieben hat. Sie geben mir ganz sicher die Fundstelle; das interessiert mich doch.
    Nun verhält es sich ja so, daß diese Haushaltsdebatte den Zweck hat, daß die Opposition auch sagen kann, was sie an der Regierung nicht gut findet und was im Haushalt nicht in Ordnung ist. Daß natürlich dann in dem einen oder anderen Fall über das Ziel hinausgeschossen wird, das gehört zum Ritual; das ist normal. Nun will ich zunächst einmal feststellen: Derjenige, der jetzt behaupten würde, daß alles, was die Opposition in dieser Woche gesagt hat, falsch ist, der würde die Unwahrheit sagen. Wer aber das Gegenteil behauptet, der sagt allerdings auch die Unwahrheit.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb will ich mich einfach auf das beziehen, was Herr Glotz und die anderen Redner jetzt gesagt haben. Ich will zunächst einmal feststellen: Er hat sowohl im zuständigen Fachausschuß wie jetzt eben hier sowohl etwas Richtiges als auch etwas Falsches gesagt. Ich will einmal mit dem Fehler anfangen; das scheint ein Problem der Rechenfähigkeit zu sein. Der Kollege Glotz hat moniert, wir hätten zuwenig Geld und wären nicht bereit, unsere Vorstellungen zu finanzieren. - Lieber Herr Glotz, das ist falsch; egal, wie Sie rechnen: Es ist falsch. 15,7 Milliarden DM stehen im Haushalt 1996 für das BMBF zur Verfügung. Das sind im Vergleich zum bereinigten Haushalt 1995 - man kann ja nicht Äpfel mit Birnen vergleichen - nun einmal 456 Millionen DM mehr.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Zum bereinigten Haushalt! Aber wenn wir das machen!)

    - Entschuldigen Sie mal, Frau Matthäus-Maier. Wenn in einer Sache bestimmte Aufgaben nicht mehr drin sind, die im vorigen Haushalt enthalten waren, dann kann man das anhand dieser Basis nicht mehr vergleichen. Das muß ich dann eben ganz konkret benennen, und das sind dann 456 Millionen DM.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wenn das der Herr Waigel hört!)

    Frau Matthäus-Maier, das ist nach Adam Riese - nicht nach Gesamtschule - eine Steigerung um 2,9 Prozent,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

    und das bei einem Haushalt, der um 1,4 Prozent zurückgeht. Das zeigt, daß man etwas bewegen kann.
    Nun muß ich fairerweise allerdings auch benennen, was der Kollege Glotz an Richtigem gesagt hat. In der Öffentlichkeit macht er das nicht so wie im Ausschuß; im Ausschuß haben Sie, Kollege Glotz, das ein bißchen klarer gesagt. Im Ausschuß hat Herr Glotz - weil das so spannend ist, möchte ich es dem Hohen Hause mitteilen - gesagt, daß ich mit diesem Haushalt die Schwerpunkte richtig gesetzt habe. Insofern, lieber Herr Glotz, bedanke ich mich für die Zustimmung und den Konsens. Das ist wichtig. Auch ich finde, daß wir die bildungs- und forschungspolitischen Schwerpunkte richtig gesetzt haben.
    Nun haben Sie gerade hier gefragt, Herr Glotz: Wo ist das Konzept? Nun ist das in dieser Beziehung so wie mit dem Rechnen: Man kann nur zu richtigen Ergebnissen kommen, wenn man es kann. Wenn man Konzepte sehen will, kann man sie nur wahrnehmen, wenn man die Augen aufmacht. Deshalb will ich jetzt einfach einmal ein paar Punkte nennen. Ich bitte die anderen Kollegen um Verständnis; das wird vielleicht jetzt ein bißchen schnell und ein bißchen langweilig. Ich will einfach, damit Herr Glotz noch einmal die Chance hat, das wahrzunehmen, die Punkte vom letzten Jahr hintereinander schnell nennen.

    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Besser in die Richtung der SPD! Der hat es nötig!)

    - Mir wäre lieber, Kollege Steffen Kampeter, wenn wir jetzt erlebt hätten, daß zum Beispiel Herr Scharping, der am Dienstag immer gesagt hat, es finde keine Zukunftspolitik statt, hier wäre. Er könnte viel lernen, nicht nur für die Republik, sondern auch für seine Zukunft.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der sitzt schon in der dritten Reihe!)

    Es weiß ja auch jeder. Er hat es im Moment ein bißchen schwer.
    Herr Glotz, noch einmal ganz schnell und hintereinander:
    900 Millionen DM Innovationskapital für kleine Technologieunternehmen mobilisiert.
    Weichen für mittelständische Unternehmen im Bereich der Produktion gestellt mit dem Konzept „Produktion 2000", 450 Millionen DM.
    Für 600 000 junge Leute eine sichere Lehrstelle und 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Ländern geschaffen.
    Neue Verfahren zur Entwicklung von Zukunftsberufen eingeführt.

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    1,6 Milliarden DM für die Hochschulerneuerung im Zusammenhang mit einer 10prozentigen BAföGErhöhung durch den Vorschlag zur Reform der Ausbildungsförderung freigemacht.
    5 Prozent Steigerung in diesem und in den nächsten Jahren für die Spitzenorganisationen DFG und Max-Planck-Gesellschaft.
    Rat für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler installiert.
    Förderung der Informations- und Kommunikationstechnik auf Milliardenhöhe gesteigert.
    Hochgeschwindigkeitsnetz für die Universitäten in Gang gesetzt.
    Deutschland auf den Weg in die Biotechnologie gebracht.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Auf den Weg!)

    Biologische Sicherheitsforschung ausgebaut, Humangenomforschung mit 200 Millionen DM eingesetzt

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist alles richtig!)

    und den Wettbewerb um die besten Bioregionen mit 150 Millionen DM angefangen.
    Initiative für ein neues Mobilitätskonzept, für die Entkopplung von Verkehrs- und Wirtschaftswachstum gestartet.
    Kostenorientierten Ausbau des Forschungszentrums CERN mit einer Einsparung von 1,4 Milliarden DM erreicht.
    Europäische Raumfahrt mit Planungssicherheit bis zum Jahr 2004 in Gang gesetzt.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Schneller, Herr Rüttgers!)

    Asien-Pazifik-Konzept für Bildung und Forschung vorgelegt.
    Jetzt geht mir die Luft aus, weil ich es einfach nicht mehr vortragen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur, ich frage mich: Was soll man eigentlich in einem einzigen Jahr noch alles machen, damit Herr Glotz überhaupt etwas wahrnehmen kann?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da ich mir das gedacht habe, lieber Herr Glotz, und da das jetzt ein bißchen schnell und vielleicht auch ein bißchen holzschnittartig war, was ich ja zugebe, habe ich das Ganze im Ministerium noch schriftlich. Wenn Sie das nachlesen wollen, können Sie das alles haben.
    Meine Damen und Herren, die Politik für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat das Ziel, Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Das will
    ich jetzt einmal bei meinen nächsten Ausführungen deutlich machen.

    (Jörg Tauss [SPD]: Sollte das Ziel haben!)

    - Lieber Herr Tauss, der Kollege Maaß hat gesagt: Es gibt Sachen, die tun wirklich weh. Ihre Zwischenrufe tun weh, und zwar körperlich.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Finden Sie?)

    - Ja, passen Sie einmal auf! Weil ich weiß, daß Sie das nicht zum erstenmal machen, weil das jetzt bei Ihnen wieder weitergeht.
    Herr Tauss - damit die Öffentlichkeit das einmal weiß und vielleicht die Kollegen, die das noch nicht wissen - ist der Vorsitzende des virtuellen Ortsvereins der SPD.

    (Jörg Tauss [SPD]: Das ist falsch!)

    - Im Internet ist nachzulesen: Virtueller Ortsverein unter Mitwirkung von Herrn Tauss. Das nenne ich, damit man weiß, wes Geistes Kinder das sind. Es ist natürlich völlig klar: Wenn der Partei die reellen Mitglieder weglaufen, dann gründet man einen virtuellen Ortsverein.

    (Zuruf von der SPD: Das ist der Rat des Zukunftsministers!)

    Das zweite ist: Daß das bei dem Vorsitzenden Scharping so passiert ist, ist auch klar. Das haben wir gerade gelesen: Nur noch 3 Prozent der Parteitagsdelegierten glauben, daß er 1998 noch Kanzlerkandidat ist.

    (Dr. Peter Glotz [SPD]: Sie sind schon wieder dabei, Parteipolemik zu betreiben!)

    So ein Mann ist natürlich ein virtueller Kanzlerkandidat. Das ist völlig klar.
    Jetzt wollen wir uns einmal über die Programmatik unterhalten. Hier steht etwas Schönes drin - ich habe das einmal ausdrucken lassen -: Internet, das Angebot: SPD, virtueller Ortsverein. Sie wissen, das kommt so nacheinander heraus. Da steht erstens drin: Wer sind wir? Zweitens: Was wollen wir?

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Haushaltsdebatte verstehe ich, warum die SPD solche Fragen im Internet stellt: Wer sind wir, was wollen wir?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir waren bei dem Zukunftsthema: Deutschland für das 21. Jahrhundert fit machen. In Zeiten von Computernetzen und von offenen Grenzen ist es so, daß Arbeitsplätze zu einem hochmobilen Gut werden. Jetzt entscheiden die weichen Standortfaktoren, wo Arbeitsplätze hingehen: Ausbildung, Wissen, Innovationsfähigkeit und natürlich die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko. Deshalb interessiert mich die Frage sehr - nicht nur heute, aber ich will das in dieser Haushaltsdebatte einmal besonders in den Mittelpunkt stellen -: Wie schaffen wir durch Innovation neue Arbeitsplätze? Das ist das erste.

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    Jeder von uns weiß, daß die meisten neuen Arbeitsplätze im Mittelstand entstehen und die wertvollsten natürlich im Bereich der technologieorientierten Unternehmen. Deshalb haben unsere eben angesprochenen Programme für Beteiligungskapital bei technologieorientierten Unternehmen mindestens 10 000 neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
    Durch das Meister-BAföG kommen insgesamt bis zu 60 000 weitere Arbeitsplätze hinzu. Die Informationstechnologie eröffnet die Chance auf rund 800 000 Telearbeitsplätze im Jahr 2000 in Deutschland. Allein im Mobilfunksektor stieg die Anzahl der Beschäftigten in Deutschland nach der Liberalisierung von 1 600 im Jahre 1990 auf 22 000 im Jahre 1994. Die internationale Konferenz zu diesen Telearbeitsplätzen in den USA hat gezeigt, daß wir jetzt auch noch die Arbeitsorganisation ändern müssen,

    (Jörg Tauss [SPD]: Abgelehnt habt ihr das!)

    damit dieser positive Trend weiter gestärkt werden kann.
    Im Bereich der Biotechnologie gibt es in Deutschland 40 000 Arbeitsplätze. Es könnten heute schon 150 000 Arbeitsplätze, das heißt 110 000 mehr sein, wenn nicht professionelle und politisch motivierte Bedenkenträger Verunsicherungen verbreitet und ein innovationsfeindliches Klima geschaffen hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Eben ist behauptet worden, eigentlich seien alle der Auffassung, daß das mit der Biotechnologie weitergehen müsse. In einem will ich übrigens dem Kollegen Kiper - ein aufrechter Kämpfer gegen die Biotechnologie - recht geben: Seine Ablehnung ist nicht mehr technologisch begründet, sondern jetzt hat er wirtschaftspolitische Bedenken, wie man seinen Anfragen entnehmen kann.
    Aber damit wir uns einmal darüber im klaren sind, worüber wir reden: Im Zusammenhang mit der hessischen Landesregierung muß man nicht nur auf den von Steffen Kampeter angesprochenen Kongreß hinweisen. Auch in der Debatte im hessischen Landtag hat die zuständige Ministerin gesagt: Mit uns findet das alles nicht statt. Wir diskutieren weiter über die Risiken, nicht über die Chancen. - Wenn das so bleibt, dann aber nicht mit öffentlichem Geld des Bundes zur Forschungsförderung in Hessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Damit wir weiter klar sehen: Ein Artikel von heute über die Grünen in Rheinland-Pfalz: „Nein zur Gentechnologie ". Das werden wir bis zum März diskutieren. Denn diejenigen, die in Rheinland-Pfalz Arbeitsplätze verhindern wollen, dürfen dort nicht in die Regierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Schließlich ein Informationsbrief der Sozialdemokraten aus Schleswig-Holstein von Frauke Wallhorn: „CDU ignoriert Risiken bei der Gentechnologie". Horribile dictu, da könnte irgend jemand Gentechnologie in Schleswig-Holstein anwenden. Die Leute,
    die so mit den Arbeitsplätzen umgehen, müssen weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im Bereich des Umweltschutzes waren 1990 in Deutschland 680 000 Menschen beschäftigt. Nach unseren aktuellsten Prognosen können es im Jahr 2000 mehr als 1,1 Millionen sein.

    (Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Illusion!)

    Auch in diesem Bereich wollen wir unsere Position ausbauen, müssen wir stark bleiben.
    Nur, mit Vollkaskomentalität und garantierter Gewinnausschüttung sind solche Zukunftschancen nicht zu halten. Deshalb ist es wichtig, daß sich auch die alten Denkschemata auflösen. Ich freue mich daher über das, was Herr Zwickel angekündigt hat. Übrigens steht ja in der Bibel: Im Himmel ist mehr Freude über einen bekehrten Sünder als über 99 Gerechte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Diese Arroganz ist unangebracht!)

    - Das hat mit Arroganz überhaupt nichts zu tun. Frau Matthäus-Maier, wenn ich mich über das Angebot von Herrn Zwickel freue, vergesse ich nicht, welche Rolle Herr Zwickel bei den Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr gespielt hat. Wir könnten nämlich insgesamt schon erheblich weiter sein.

    (Zustimmung bei der F.D.P.)

    Wenn Sie das interessiert, will ich noch etwas konkret zu dem Angebot von Herrn Zwickel sagen, auch im Hinblick auf die Debatte, die gestern hier stattgefunden hat und in der über ein Treffen von Ministern berichtet worden ist - Stichwort Wirtschaftskabinett -, bei dem Planungen für ein neues Wachstumsprogramm erörtert wurden. Ich nehme das, was Herr Zwickel gesagt hat, sehr ernst, und finde, daß wir dies nicht nur positiv kommentieren, sondern auch aufnehmen sollten. Ich finde es gut, daß er bereit ist, die Einkommenssteigerungen 1997 am Ausgleich der Preissteigerungen zu orientieren. Ich finde es gut, daß Einstiegstarife möglich sein werden.
    Die Frage, wie geregelt wird, daß die Metallunternehmen auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten, stellt sich nicht an die Regierung, sondern an die Tarifparteien und die Unternehmen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ob es möglich ist, nach dem Modell der Ausbildungszusagen in den Kanzlerrunden verbindlich zuzusagen, für 300 000 Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine Frage, die es meiner Ansicht nach wert ist, in diesen Runden besprochen zu werden. Das gilt genauso für das Bestreben, in den nächsten Jahren 5 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dazu hat es bereits Verabredungen für 1995 und 1996 gegeben.
    Allerdings werden wir kritisch miteinander diskutieren müssen, was Herr Zwickel zum Umbau unse-

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    res Sozialsystems gesagt hat. Es kann natürlich auch nicht im Interesse der Gewerkschaften sein, daß das, was man an einer anderen Stelle im „Bündnis für Arbeit" macht, durch zu hohe Arbeitskosten und Lohnzusatzkosten wieder konterkariert wird.
    Das ist ein konkretes Angebot zu Gesprächen.

    (Peter Dreßen [SPD]: Was sollen sie denn verdienen? Hans Georg Wagner [SPD]: Nichts!)

    Deshalb sage ich im Hinblick auf das, was heute in den Zeitungen steht: Zumindest mit mir hat es keine Vereinbarung gegeben, in den nächsten Wochen bis zum Januar etwa darüber zu sprechen, daß die Hürden im Hinblick auf das Gespräch mit den Gewerkschaften höher gelegt werden und Themen, von denen wir bereits wissen, daß das Gespräch nicht möglich ist, in den Vordergrund gestellt werden. Ich zumindest halte eine solche Strategie für falsch und werde mich an ihr auch nicht beteiligen.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch etwas zu der Frage der Weichenstellungen in der Bildungspolitik sagen. Wir wissen, daß wir in den nächsten Jahren das Tor zur Informationsgesellschaft durchschreiten werden. Wir wissen, daß das Wissen das Kapital der Informationsgesellschaft ist und daß wir dafür ein leistungsfähiges und ausgewogenes Bildungssystem brauchen.
    Was mich wirklich erschreckt hat, war die Debatte im Bundesrat und die Haltung der SPD zum MeisterBAföG in der vergangenen Woche. Ich finde, daß ein solches Verhalten im Bundesrat Bände spricht. Da gibt es junge Menschen, die auf Meister-BAföG hoffen und wollen, daß es zum 1. Januar 1996 in Kraft tritt. Und dann kommen plötzlich die SPD-Bundesländer und sagen, es habe mit Bildungspolitik überhaupt nichts zu tun, es gehe um Arbeitsmarktpolitik, sie könnten sich finanziell nicht beteiligen. Was waren das denn alles für Reden zur Gleichrangigkeit von beruflicher und akademischer Bildung? Sprüche waren das, ausschließlich Sprüche, wenn man nicht bereit ist, sich daran zu beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil die Gleichrangigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung so wichtig ist, sage ich noch eins: Wer als Arbeiterkind auf die SPD setzt, ist in seinen Ausbildungschancen verlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD: Oh! Peter Dreßen [SPD]: Klassenkampf!)

    Die Bundesregierung bleibt bei ihrem Konzept. Wir werden es auch durchsetzen, wenn es sein muß, im Vermittlungsausschuß.
    Genauso ist das auch mit den Hochschulen. Wir haben es mit dem Vorschlag zur Reform der Ausbildungsförderung geschafft, die Hochschuldebatte wieder in Bewegung zu setzen. Die Opposition hat versucht, ein paar Modelle vorzulegen. Das Problem all dieser Modelle ist: Milliardendefizite. Man kann halt nicht rechnen.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht aber nicht nur um die Neuordnung der Ausbildungsförderung. Es geht in dem Zusammenhang auch um die Modernisierung des Hochschulwesens.