Rede von
Annette
Faße
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Ich habe mit Erstaunen festgestellt, daß es Ihre recht große Presseabteilung nicht geschafft hat mitzuteilen, daß Sie neue Nebenerwerbsquellen gefunden haben.
Ich habe ebenfalls festgestellt, daß Sie jetzt zu den Zauberern und Wahrsagern gehören. Ich denke, das
wäre bei Ihrer großen Presseabteilung eine Botschaft gewesen. Sie haben gezaubert: 400 Millionen DM für
den Straßenbau. Sie sind für mich ein Wahrsager angesichts der Einnahmen, die Sie für die nächsten Jahre angekündigt haben. Es ist schon erstaunlich, daß die jahrelange Forderung der SPD nach Geldern für Lärmschutz Ihre Fähigkeiten nicht zum Vorschein gebracht hat. Das wäre doch einmal etwas gewesen.
Meine Damen und Herren, die Verkehrswegepläne sind hoffnungslos unterfinanziert, und diese Koalition hat nicht den Mut, eine realistische Planung vorzulegen, und das nur, damit kein Abgeordneter ohne Verkehrsprojekt nach Hause fährt. Wahrheiten helfen uns weiter, Verschleierungen überhaupt nicht.
Wir haben im Verkehrsausschuß Vorschläge gemacht, wie der Verkehrsetat auf eine solide Grundlage zu stellen ist. Wir wollen, daß der Etat des Verkehrsministeriums von den Belastungen befreit wird, z. B. von der Refinanzierung privat finanzierter Verkehrsprojekte.
Wir wollen, daß ein Teil der Folgekosten der Bahnreform in den allgemeinen Verwaltungshaushalt des Bundes gebracht wird, wo er richtigerweise hingehört. Wir wollen die Aufstockung der Schienenbaumittel, um wirklich und ehrlich für die Bahn einzutreten, und wir wollen einen Teil davon endlich für die
Lärmsanierung an bestehenden Schienenstrecken haben.
Dazu wurden ausreichend Deckungsvorschläge von uns gemacht.
Das ist also nicht aus der hohlen Hand gegriffen: Sparsamkeit bei den sächlichen Verwaltungsaufgaben, Streichung der Propagandamittel für die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit", Streichung der Mittel für Transrapid und nicht zuletzt der Verzicht auf einen zweiten Parlamentarischen Staatssekretär.
Es ist nicht seriös, den Verkehrshaushalt auf dem Rücken künftiger Generationen zu finanzieren. Das sieht nach einem Minister auf Durchreise aus, der nach dem Motto verfährt: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern in meinem Job von morgen."
Die Privatfinanzierungen der Straßenprojekte sind verantwortungslos. Das hat Ihnen der Bundesrechnungshof hinter die Ohren geschrieben.
Annette Faße
Die Streckungen der Verkehrspläne auf den SanktNimmerleins-Tag erzeugen Erwartungen, die Sie überhaupt nicht erfüllen können. Legen Sie doch endlich einen realistischen Dreijahresplan zum Schienenwegeausbau vor!
Die Beamten Ihres Ministeriums sind sehr wohl in der Lage, für jedes einzelne Projekt eine Beurteilung abzugeben. Sie hätten Ihrem Staatssekretär einen mehr als peinlichen Auftritt in unserer Fragestunde ersparen können.
Das wäre wirklich sehr menschlich gewesen.
Aber es ist für uns unredlich, wenn auf diesem Plan beharrt und einfach argumentiert wird: Dann machen wir danach einen neuen Fünfjahresplan. - Wir wollen jetzt konkret wissen, was mit den einzelnen Maßnahmen geschieht, und wir werden Sie da auch nicht aus der Verantwortung lassen.
Vielleicht ist ja Ihre große Pressestelle eifrigst damit beschäftigt, Ihnen vorzugaukeln, daß nun alles mit Erfolg gesegnet ist, und vielleicht wäre es ganz sinnvoll, so eine Art Minister-Controlling einzuführen. Ich dachte, der Kanzler wäre heute schon das Minister-Controlling, weil er anwesend war und genau aufpassen mußte, was Sie tun oder was Sie
nicht tun. Ich meine, das war ein Zeichen, daß Sie dieser Richtung vielleicht gar nicht so abgeneigt sind. Es wäre schon mal wichtig zu überprüfen, wann welche Aussagen eintreffen.
Jetzt bin ich natürlich bei der Seeschiffahrt. Sie - der Minister - haben sich ins Zeug gelegt und sogar eine Aufstockung der Mittel auf 120 Millionen DM gefordert. Und dann stehen im Haushaltsentwurf nur noch 40 Millionen DM, die schließlich nach gemeinsamen Bemühungen aller Fraktionen wieder auf 100 Millionen DM hochgesetzt werden.
Es kann doch nicht notwendig und sinnvoll sein, daß wir hier jedes Jahr wieder um die Höhe der Finanzhilfen kämpfen müssen. Die deutsche Seeschiffahrt braucht einen festen Rahmen. Sie muß wissen, woran sie sich binden und wonach sie sich richten kann.
Dieses Spiel ist im nächsten Jahr nicht zu wiederholen. Hier gilt es frühzeitig Signal zu geben. Die deutsche Seeschiffahrt darf nicht zur Disposition stehen. Das kann nicht wahr sein. Die maritime Wirtschaft hat eine Schlüsselposition in Deutschland, und es gilt, sie zu unterstützen.
Und schließlich, Herr Minister, Sie kennen ja auch die Entschließung des Bundesrates und des Verkehrsausschusses des Bundestages und den Expertenbericht zur Sicherung der Standortbedingungen der maritimen Wirtschaft in Deutschland. Sie kennen auch den einstimmigen Beschluß des Verkehrsausschusses. Ich erwarte, daß wir nun alle gemeinsam diesen Entschließungsantrag auch einbringen werden. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die steuerlichen Wettbewerbsnachteile gegenüber konkurrierenden Handelsflotten nachhaltig abzubauen, die Finanzbeiträge im Jahre 1996 mit 120 Millionen DM weiter zu gewähren, Lohnsteuerermäßigungen für Seeleute zu überprüfen, die Förderung der deutschen Handelsflotte vom Führen der deutschen Flagge abhängig zu machen und mehr für die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses zu tun.
Die Menschen an der Küste, Herr Minister, verstehen dieses Hin und Her nicht. Sie brauchen Zuverlässigkeit in der Schiffahrtspolitik. Sonst können wir die deutsche Handelsflotte vergessen.
Ich glaube, es wäre zu einfach - wir machen es Ihnen auch nicht so einfach - zu sagen: Das ist eine unternehmerische Entscheidung von Hapag Lloyd. Hier geht es um die deutsche Handelsflotte. Wenn wir im Lohnsteuerbereich nicht umgehend handeln, dann hat diese Handelsflotte in unserem Land keine Chance mehr.
Auch das Zweitregister wird sie nicht retten.
Ich fordere Sie auf zu handeln, ganz besonders bei den Lohnsteuersenkungen für die Schiffahrt.
Herr Wissmann hat am 5. September, also vor der ersten Lesung des Haushalts, angekündigt, er bereite eine Steuersenkung vor. Am 4. November war das alles natürlich nichts mehr. Kaum Hoffnung für Reeder. Dieses Thema werde die Bundesregierung erst dann aufgreifen, wenn Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Seeschiffahrt auslaufen oder wegfallen. Herr Friedrich, ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Sie haben uns an Ihrer Seite beim Einsatz für einen Montageerlaß.
Nun zu einem Punkt, der mich seit gestern abend langsam vom Hocker geholt hat. Die SPD begrüßt das Zeichen, für die Charterung eines leistungsfähigen Hochseeschleppers 3 Millionen DM einzustellen. Das war sehr mühevoll. Die Politiker von der Küste mußten ganz schön ackern, um überhaupt dieses Zeichen zu bekommen. Jetzt kann man sich ja einmal überlegen, ob das reicht. Ich sage: Es reicht nicht für die ganzjährige Versorgung mit einem Hochseeschlepper. Dafür brauchen wir mindestens 6 bis 7 Millionen DM.
Annette Faße
Vielleicht zaubern Sie diesen Betrag ja noch hervor. Bei 400 Millionen DM in einem anderen Bereich hat es geklappt; vielleicht geht es auch bei dieser Summe. Mit den 3 Millionen, die im Haushalt eingestellt sind, könnte man ein Schiff chartern, das nur im Frühjahr und im Herbst zum Einsatz kommt; es handelt sich nämlich genau um die Hälfte der Summe, die nötig wäre.
Oder könnte es vielleicht sein - dies ist bei einem gecharterten Schiff schon jetzt der Fall -, daß diese Regierung auf die Idee kommt, Schiffe aus dem internationalen Zweitregister national einzusetzen? Die Idee ist ja nicht so weit hergeholt. Das Schiff „Manta" ist im internationalen Zweitregister eingetragen und für die Bundesrepublik im Einsatz.
Ich habe angesichts dieser Praxis große Sorgen, aus rechtlichen Gründen. Es fährt unter internationalem Register. Das heißt, daß das Schiff die überwiegende Zeit im internationalen Verkehr fahren muß. Das geht nicht, wenn der Schlepper ganzjährig vor unserer Küste eingesetzt ist. Das aber erwarte ich.
Bei der „Manta" mag das dieses Jahr noch aufgehen; ich weiß nicht, wer den Zuschlag bekommen wird. Aber wir von der Küste legen Wert darauf, daß ein Schiff gechartert wird, das im Erstregister eingetragen ist und die Sicherheit an der Küste ganzjährig
garantiert. Ich hoffe, daß das Ministerium in diesem Sinne entscheiden wird.
Es ist klar, daß die Binnenschiffahrt bei meinem Thema nicht zu kurz kommen darf. Das 100-Millionen-Programm des Verkehrsministers ist längst eine Sterbehilfe für die Binnenschiffahrt geworden - ein peinlicher Mißerfolg.
Die Ausbildungskomponente wurde auf EU-Ebene sehr schnell geopfert. Die Partikuliere haben keine Chance, überhaupt mit Anträgen aufzuwarten. Ein Antrag - mit einem Volumen von 4,7 Millionen DM - ist bisher behandelt worden. Die Banken machen für die Partikuliere zu. Herr Waigel wird sich freuen, wenn er das Geld zurückbekommt. Unseren Partiku-lieren ist damit aber nicht geholfen.
Ich stelle an dieser Stelle noch einmal die Frage nach der Abwrackaktion auf EU-Ebene. Es ist völlig unverständlich, warum dieses Land gegen EU-Mittel für die Binnenschiffahrt zum Abwracken gestimmt hat. Die Antwort würde mich schon sehr interessieren.
Herr Minister, das war alles nicht viel. Die Binnenschiffer sind tief enttäuscht. Die 100 Millionen DM an Soforthilfe, womit Sie durchs Land gezogen sind, können Sie dann dem Waigelschen Haushalt zuführen. Von Innovation für die Binnenschiffahrt ist nichts zu merken. Vielleicht denken Sie auch darüber einmal nach.
Wir alle vermissen schmerzlich, daß auch dieser Haushalt wieder keine Trendwende ist und daß er auf Kosten der zukünftigen Generationen aufgestellt worden ist. Wir sehen nichts von einem Gesamtverkehrskonzept mit ökologischen Kriterien. Wenn die Vernunft nicht Ihr Ratgeber ist, dann sollte es wenigstens die Haushaltsknappheit sein, die Sie zum Nachdenken und Umdenken zwingt. Ein „Weiter so" ist mit uns nicht machbar.