Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Mitberichterstatterinnen und -berichterstatter danke ich sehr herzlich für das so schnell gestiegene Interesse am Einzelplan 12. Wir haben das zu dieser Stunde gar nicht mehr erwartet. Ich hoffe, daß Sie bis zum Ende
der Beratungen durchhalten, damit die Mehrheitsverhältnisse dann noch stimmen. Vielen Dank.
- Das ist ja unbestritten.
Wenn ich die Zeit der Beratung des Haushaltsplans an mir vorüberziehen lasse oder wenn ich daran denke, wie der Bundesfinanzminister vor der Sommerpause, lachend wie immer,
den Haushalt vor den Fernsehkameras verkündet und erklärt hat, daß nun ein Entwurf der Bundesregierung vorgelegt sei und daß dies eine tolle Sache sowie eine großartige Leistung sei - -
- Ich spreche von seinem Kollegen. Zu ihm komme ich noch gesondert. Ich habe ihm heute schon einmal in einer Terminsache geholfen. Deswegen bin ich jetzt einverstanden, wenn er noch ein paar Minuten
Hans Georg Wagner
mit seinem Kollegen redet. Den sieht er wahrscheinlich nicht so oft.
Meine Damen und Herren, als Theo Waigel vor der Sommerpause, lachend wie immer, den Haushalt 1996 vorgelegt hat, da hieß es: Es ist alles in Ordnung, es ist solide finanziert, und es gibt keine Probleme. Wir legen einen Haushalt vor, den kein anderer fertigbringt als wir, diese Koalition.
Dann war die erste Lesung Anfang September. Minister Waigel hat hier gesagt: Es ist alles solide finanziert, es ist alles korrekt; aber ein paar Risiken stekken noch drin. Er hat nicht genau gesagt, was das wäre. Dann sind die tapferen Kolleginnen und Kollegen der Koalition zu uns in den Haushaltsausschuß gekommen und haben Position für Position durchberaten. Sie haben da 700 bis 800 Millionen DM Einsparungen zusammenbekommen.
Einen Tag vor der entscheidenden Sitzung, nämlich vor der Bereinigungssitzung, kommt er morgens und sagt seinen Koalitionskollegen: Hier ist ein Papier - wir haben es dann Waigel-Wisch genannt -, und mittags im Ausschuß war es zusammengefaßt eine Seite. Kein Mensch wußte, was dahintersteckt, am allerwenigsten seine Kolleginnen und Kollegen. Dann ging es los: Jetzt ist endlich der Durchbruch erzielt worden.
Wenn ich mir die F.D.P. ansehe, Herr Kollege Kop-
pelin, dann stelle ich fest: Sie sind ein dankbares Opfer. Von dem geschätzten Kollegen Weng nehme ich an, daß er von Ihnen am meisten vom Haushalt versteht. Kollege Weng hat einen Tag nach Ihrem „erfolgreichen" Abschluß der Berlin-Wahl, bei der Sie noch etwas erfolgreicher gewesen sind als wir, einen Brief ans Präsidium geschrieben. Ich habe jetzt ernsthafte Bedenken, schrieb er, daß dieser Haushaltsplan seriös finanziert werden kann. Ich bitte um Beratung im Präsidium.
Das hat er dann auch getan.
Tags zuvor hatten sich zwei wesentlich bedeutendere Persönlichkeiten der Zeitgeschichte schon öffentlich geäußert. Das war einmal Herr Graf Lambsdorff, der ja neulich bei der aktuellen Aussprache in der Toilette eingesperrt war. Er hat gesagt, was in dieser Überschrift steht: „Lambsdorff rechnet mit Waigel ab. "
Waigel zitterte in Bayern, seine Irene mußte ihn trösten.
Dann hat Frau Ina Albowitz gesagt: Wir brauchen endlich ein Haushaltssicherungsgesetz. Ohne das Gesetz geht es überhaupt nicht mehr. Der Haushalt ist nicht mehr zu finanzieren.
Die Präsidumssitzung war vorbei; Frau Albowitz konnte nicht dort sein, Herr Lambsdorff war nicht dort. Aber man hat gesagt: Wir wollen einmal sehen,
wahrscheinlich müssen wir ein Haushaltssicherungs- Besetz machen.
Dann kamen Herr Waigel mit seinem Wisch und Herr Gerhardt, der vom Haushalt nach meiner Einschätzung soviel versteht wie eine Kuh vom Klavierspielen.
Er hat nach Durchsicht des Papiers - wobei er nicht wußte, was eigentlich in den einzelnen Positionen steht - erklärt: Jetzt ist aber wirklich alles in Ordnung. Originalton Gerhardt. - Da war es klar, daß der Haushalt wiederum eine Mehrheit finden wird wie immer, weil die F.D.P. wie immer das macht, was sie am besten kann, nämlich umfallen.
Ich frage in diesem Zusammenhang: Warum sind denn der Bundesregierung die Einnahmeverbesserungsmöglichkeiten durch Privatisierung nicht etwas früher eingefallen? Man hätte doch viele Probleme der Koalitionäre lösen und ihnen das Magendrücken nehmen können, wenn man im Juni gesagt hätte: Hier gibt es noch Privatisierungsmöglichkeiten von 9 Milliarden DM.
Aber da gibt es ja noch immer diesen gewissen Grafen Lambsdorff, der heute morgen - heute morgen! -, 8.14 Uhr, verbreiten ließ:
... zudem seien die Deckungsvorschläge von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) diskussionswürdig.
Eine großzügige Geste, diskussionswürdig sind sie zumindest.
Es sei nicht sicher, daß die Erlöse aus den geplanten Privatisierungen von
- jetzt nur zum Verkehrshaushalt -
Lufthansa ... und Bahn auch tatsächlich in den Etat 1996 einfließen könnten. Lambsdorff schloß aber eine höhere Netto-Kreditaufnahme zur Dekkung des Haushalts aus.
Stichwort Lufthansa. Da wollte man privatisieren und stellte einen Betrag von 1,7 Milliarden DM in den Haushalt ein, nicht bei Herrn Wissmann, was dem gut täte, denn er soll damit etwas machen dürfen, nein, in den Einzelplan 60, den der Finanzminister verwaltet. Das heißt, das Geld ist weg, wenn es kommt.
Aber, Herr Kollege Rossmanith, Sie wissen doch auch, wie das mit der Lufthansa zusammenhängt. Wenn es außereuropäischen Anlegern gelänge, an die Aktien der Lufthansa heranzukommen, dann wäre die Lufthansa erledigt. Wenn keiner ausschließen kann, daß irgendwelche Geldwäscher in der Weltgeschichte herumfahren und ihre Vasallen zum Ankauf der Aktien veranlassen, dann endet die Luft-
Hans Georg Wagner
hansa nämlich als eine Luftblase, und wir haben keine nationale Fluggesellschaft mehr.
Das steckt hinter dieser Sache.
Wir haben damals gesagt, es sei doch undenkbar, daß man einfach von heute auf morgen etwa die Wohnungen aus dem Eisenbahnvermögen verkaufen kann, weil dort viele Menschen wohnen, Menschen aus kleinen Verhältnissen - wir wissen ja, daß ein Eisenbahner nicht gerade zu den höheren Gehaltsgruppen gehört -, daß man ihnen jetzt, zwei Monate vor Weihnachten, sagt: Eure Häuschen werden an irgend jemanden verhökert, der Luxussanierungen macht, und ihr müßt dann irgendwann ausziehen.
- Damit Sie, Herr Koppelin, wegen der Aufregung der F.D.P. etwas Ruhe bekommen, wende ich mich jetzt nur an die Kollegen der CDU, nicht der CSU: Ich entsinne mich noch ganz genau des Wahlkampfes 1983. Da hat Herr Geißler, damals Generalsekretär, bundesweit ein Plakat kleben lassen: Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit - nie mehr SPD.
Jetzt will ich einmal die Zahlen nennen. Angesichts der Zahlen heute können wir bei Ihnen in
Anleihe gehen: „Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit - nie wieder CDU", das wird unser nächstes Plakat sein.
Damals, am 31. Dezember 1982, betrugen die Schulden der öffentlichen Hand 588,9 Milliarden DM. Jetzt sind es 2 000 Milliarden DM Schulden. Das ist fast eine Vervierfachung der Schulden. Sie haben damals davon geredet, wegen der Schulden, Pleiten und Arbeitslosigkeit uns nie wieder zu wählen!
- Beruhigen Sie sich. Ich rede zunächst einmal zum Haushalt. Aber ich erfülle Ihnen den Wunsch; ich komme später dazu. Lassen Sie mich jedoch erst einmal noch das eine oder andere zum Verkehrshaushalt sagen.
Damals gab es 15 876 Pleiten; jetzt nähern sie sich der 25 000-Grenze. Das heißt, es gibt auch fast eine Verdoppelung der Anzahl der Pleiten.
Zum letzten Punkt, der Arbeitslosigkeit: Seinerzeit gab es 1,8 Millionen Arbeitslose, für Ende 1996 sind
fast 4 Millionen prognostiziert.
Da lachen Sie noch, wenn ich sage: Ihr Plakat damals war eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler?
Nun zum Haushalt selber.
- Wieso wollen Sie etwas zum Saarland hören? Das hat doch nichts mit dem Einzelplan 12 zu tun.
- Sie drängen mich doch zu anderen Themen. Sie wollen doch unbedingt etwas zum Saarland hören. Aber ich garantiere Ihnen: Sie hören noch etwas zum Saarland.
Die Investitionen im Einzelplan 12 befinden sich im Sturzflug.
Eine Verringerung um 2,5 bis 3 Milliarden DM bedeutet, daß die Bauinvestitionen entfallen und die Arbeitslosigkeit steigt. Das ist das Ergebnis dieses Haushalts.
Die Mittel für die Bundesstraßen haben Sie etwas aufgestockt, um wenigstens halbwegs Ihre Versprechen zu erfüllen.
Sie als Koalition erzählen ständig in der Gegend herum, daß Ortsdurchfahrten, daß dies und jenes gebaut werden würde. Das wäre mit der Kürzung der Mittel, die die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf vorgesehen hat, nicht zu realisieren gewesen.
Hinsichtlich der Schieneninvestitionen sind Sie ja wirklich auf einer großartigen Spur. Zunächst einmal haben Sie eine Senkung vorgenommen mit der Begründung: Sie geben das Geld nicht aus. Dann versuchen Sie etwas anderes, sagen aber: Der Transrapid muß kommen. Das ist die höchste technologische Leistung, die in Deutschland je erbracht worden ist.
Minister Wissmann hat sich neulich richtig zu den transeuropäischen Netzen im Schienenverkehr geäußert. Er weiß natürlich, daß die Schienen des
Hans Georg Wagner
TGV in Frankreich nicht auf die des ICE bei uns passen. Das sind alles Probleme, die noch zu lösen sind.
Wenn das alles fertig ist, wenn das transeuropäische Netz von Stockholm bis nach Neapel, von Madrid bis Warschau steht, fahren die Züge aneinander vorbei.
- Ich will noch zum Saarland kommen; dafür brauche ich ein paar Minuten.
Wenn man auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin aus dem ICE aussteigt, sieht man parallel den Transrapid vorbeirauschen. Das ist dann eine touristische Attraktion. Denn es ist doch wohl gesichert, daß dieser Parallelverkehr zustande kommt und Wettbewerbsverzerrungen entstehen.
Ich gehe davon aus, daß Sie neben den Ihnen bekannten Druckerzeugnissen noch andere lesen, etwa die Zeitschrift „Geo" vom Oktober 1995. Dort steht unter der Überschrift „Geschoß auf Schienen": Die Amerikaner haben ein Zugsystem entwickelt, das die gleiche Geschwindigkeit hat wie der Transrapid und mit dem bestehenden Schienennetz auskommt.
Das ist die modernste Technologie der Welt. Trotzdem sagen Sie: Im Jahre 1996 fangen wir aber end-
lich an, den Transrapid auf die Strecke Hamburg - Berlin zu setzen, wohl wissend - das ist festgeschrieben -, daß genau 56,8 Prozent der Investitionen aus dem Haushalt des Verkehrsministers kommen.
Alle anderen innerdeutschen Investitionen - bei der Umwelt, im Sozialbereich - werden gerupft, zugunsten des Transrapids, der überhaupt nicht kompatibel ist mit dem europäischen Schienennetz, der als Exot in der Landschaft herumfährt.
Aber, Herr Koppelin, ich habe nichts dagegen, wenn Sie zu Ihrer Freude jeden Tag von Hamburg nach Berlin und wieder zurück fahren.
Letzter Punkt in diesem Bereich, Herr Minister. Gestern las ich in der „Süddeutschen Zeitung" einen hochinteressanten Bericht, der nicht Ihren unmittelbaren Zuständigkeitsbereich, sondern den der Bahn betraf und der den Lehrter Bahnhof in Berlin anging. Wenn die Planungen so kommen, wie sie dort beschrieben werden, dann sind sie ein Schuß in den Ofen.
Ich möchte Sie dringend bitten, der Bahn zu sagen,
daß das so nicht geht. Es wird viele interessieren, daß
alle Züge an diesem Punkt zusammenkommen, daß es aber nur ein einziger Aufzug ermöglicht, von einem Geschoß zum anderen zu kommen. Da kann man sich vorstellen, was passiert, wenn drei ICEs gleichzeitig einlaufen. Wie wollen dann all die Leute über einen Aufzug zum nächsten Zug kommen?
- Ich spreche die ganze Zeit zum Haushalt.
- Die Präsidentin hat vorgestern aufgerufen: Beratung des Bundeshaushalts 1996.
- Wieso denn? Das ist der Bundeshaushalt.
Wie kann man denn erklären, daß die Bundesregierung in ihrem Entwurf für die Seeschiffahrt nur 40 Millionen DM einstellt? Wir stellen einen Antrag, Bündnis 90/Die Grünen stellt einen Antrag. Erst dann, nach langer Verunsicherungsphase, stellt auch die Koalition einen Antrag, auf 100 Millionen DM aufzustocken, mit dem Ergebnis, daß eine erhebliche Verunsicherung der Reeder eingetreten ist, wie man bei Hapag-Lloyd sieht, wo schon Ausflaggungen aller 16 Schiffe nach Singapur geplant sind. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, Ihrer Wackelpolitik.
Der Bundesverkehrswegeplan ist meiner Ansicht nach Makulatur. Es wäre ehrlich und offen, wenn Sie den Bundesverkehrswegeplan öffentlich den Realitäten des Haushaltes anpassen würden. Es geht nicht an, daß Sie den Leuten nur vorgaukeln, irgendeine Maßnahme zu realisieren. Die Wahrheit ist doch, daß in 1996 in den westlichen Ländern überhaupt nichts begonnen werden kann. Das ist doch die Realität. Sagen Sie doch auch in Ihren Wahlkreisen einmal, wie sich das verhält.
- Gut, wenn Sie das so gerne wollen und sich praktisch selbst bestrafen wollen, will ich zum Saarland kommen. Das mache ich sehr gerne.
Der Schuldenstand des Saarlandes betrug am 10. April 1985 - an diesem Tag wurde Oskar Lafontaine nach Erreichen der absoluten Mehrheit zum erstenmal zum Ministerpräsidenten vereidigt -7,8 Milliarden DM. Das war der Schuldenhaushalt der CDU und der F.D.P. im Saarland. Durch Zins und Zinseszinsen ist dieser Haushalt zu einer Verschuldung von fast 14 Milliarden DM aufgelaufen.
Die SPD-geführte Landesregierung, die noch heute mit absoluter Mehrheit regiert - was auch gut ist; zumindest dem Saarland tut das einmal gut -, hat beschlossen: Wir müssen eine Teilentschuldung unseres Landes erreichen. Sie mußte beim Bundes-
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verfassungsgericht klagen. Dies hat am 27. Mai 1992 dem Saarland und Bremen recht gegeben.
Dann wurde eine Teilentschuldung gemacht, für die wir auch all jenen sehr dankbar sind, die an dieser Teilentschuldung mitgewirkt haben. Das heißt, daß wir noch dabei sind, die Altlasten der CDU und der F.D.P. im Saarland abzutragen. Das ist nämlich die Wahrheit.
Fragen Sie den Kollegen Schäuble auch, er hat damals mit der Landesregierung verhandelt, und fragen Sie andere, die das bestätigen können, weil es eben so ist.
Wenn Sie nicht eine ganze Bevölkerung durch Unwahrheit bestrafen wollen, dann bitte ich Sie wirklich, zu unterlassen, die Unwahrheit zu verbreiten. Denn Kollege Waigel als Bundesfinanzminister war in seiner Erwiderungsschrift auf die Anklageschrift des Bundesverfassungsgerichts wesentlich ehrlicher. Herr Waigel hat damals - er wollte ja Kosten vom Bund abwehren, was seine Pflicht ist - geschrieben:
Es ist nicht bestreitbar, daß seit 1985 große
Erfolge in der Umstrukturierung der saarländi-
schen Wirtschaft eingetreten sind
und daß eine Teilentschuldung gar nicht notwendig ist, weil das Saarland auf dem richtigen Weg in die richtige Entwicklung ist.
So Herr Waigel im Originalton im Oktober 1992. Ich kann dem nichts hinzufügen. Ich bin froh, daß man im bürokratischen Bereich ehrlich miteinander umgeht.
- Ich habe damit nie Probleme gehabt; das wird jeder bestätigen können.
Sie haben den zweitgrößten Investitionshaushalt im Bundeshaushalt heruntergefahren. Sie haben die dadurch ausgelöste Arbeitslosigkeit zu verantworten. Sie sind dafür verantwortlich.
Schönen Dank.