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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/68 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 68. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. November 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/ 2593) 5863 A Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft (Drucksachen 13/2609, 13/2626) . . 5863 B Manfred Hampel SPD 5863 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 5866 C, 5867 A, 5869 A Siegmar Mosdorf SPD 5867 B, 5883 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . 5867 D, 5881 D Manfred Hampel SPD 5868 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 5871 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5872 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . 5874 D, 5879 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 5876 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5877 A Ernst Schwanhold SPD 5877 B Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 5878 A Dr. Christa Luft PDS 5878 C Peter Dreßen SPD 5879A Rolf Kutzmutz PDS 5880 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 5882 A Peter Dreßen SPD 5883 B Ernst Schwanhold SPD 5884 C Friedhelm Ost CDU/CSU 5886 B Anke Fuchs (Köln) SPD 5888 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . 5888 D Ilse Janz SPD 5888 D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . 5889 C Ernst Hinsken CDU/CSU 5890 A Manfred Hampel SPD (Erklärung nach § 31 GO) 5891 A Manfred Kolbe CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 5891 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) 5892 B Namentliche Abstimmung 5892 D Ergebnis 5918 B Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 13/2611, 13/2626) 5893 A Dr. Konstanze Wegner SPD 5893 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 5896 A Uta Titze-Stecher SPD 5896 D, 5897 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5899 B Ina Albowitz F.D.P. . . . . 5901 D, 5905 C, 5906 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 5904 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5904 D Peter Dreßen SPD 5905 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5906 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 5906 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 5908 B Ottmar Schreiner SPD 5910 B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 5911 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 5913 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 5914 B Ottmar Schreiner SPD . . . . . . . 5915 C Dr. Barbara Höll PDS 5916 B Gerd Andres SPD 5917 C Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 13/2616, 13/2626) 5920 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . 5921 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 5923 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5924 D, 5931 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5927 C Birgit Homburger F D P. 5929 C Marion Caspers-Merk SPD . . . 5930 D, 5933 B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5932 A Eva Bulling-Schröter PDS 5933 D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 5935 A Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . 5936 A Eckart Kuhlwein SPD 5936 C Wolfgang Behrendt SPD 5937 A Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . 5939 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 5939 D Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . . 5941 D Otto Schily SPD 5942 D Wolfgang Behrendt SPD 5943 D, 5946 A Arnulf Kriedner CDU/CSU . . . . . 5944 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 5945 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 5946C Marion Caspers-Merk SPD 5946 D Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/2607, 13/2626) 5947 C in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 13/2618 [neu], 13/2626) 5947 C Gunter Weißgerber SPD 5947 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . 5949 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5951 D Manfred Kolbe CDU/CSU 5953 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 5953 D Horst Eylmann CDU/CSU 5954 B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 5955 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 5957 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 5958 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5960 A, 5974 A, C Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 5960 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS . . . 5961 A, 5970 D Otto Schily SPD . . . . 5961 C, 5973 A, B Hermann Bachmaier SPD 5962 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . 5962 D, 5969 B Frederick Schulze CDU/CSU 5965 A, D Heinz Lanfermann F.D.P. . . . 5966 D, 5967 A Horst Eylmann CDU/CSU 5968 D Norbert Geis CDU/CSU 5969D Dr. Gregor Gysi PDS 5971 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 5972 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . 5972 D Jürgen Koppelin F.D.P. 5973 D Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 13/2621, 13/2626) 5975 C Dr. Rolf Niese SPD 5975 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 5976D, 5991 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU .. . 5977 A Volkmar Schultz (Köln) SPD 5977 B Dieter Pützhofen CDU/CSU 5980 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5983 C, 5985 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . 5985 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . 5986 A Klaus-Jürgen Warnick PDS 5987 C Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 5988 D, 5993 A Hans Georg Wagner SPD 5989 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5990 B Otto Reschke SPD 5992 B Einzelplan 13 Bundesministerium für Post und Telekommunikation (Drucksachen 13/2613, 13/2626) 5993 D Gerhard Rübenkönig SPD 5994 A Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 5995 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5996 B Dr. Max Stadler F D P. 5997 C Gerhard Jüttemann PDS 5998 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . 5999 D Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6000 C, 6002 C Hans Martin Bury SPD 6002 A Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 6004 C Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr (Drucksachen 13/2612, 13/2626) 6006 C Hans Georg Wagner SPD 6006 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 6010 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6013 D Horst Friedrich F.D.P. 6016 A Dr. Winfried Wolf PDS 6018 B Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 6020 A Annette Faße SPD 6022 B Dr. Hermann Kues CDU/CSU 6024 C Nächste Sitzung 6027 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6029 *A 68. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. November 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    (D) (A) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 09. 11.95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dr. Dobberthien, SPD 09. 11.95 Marliese Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 11.95 * Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 09. 11.95 Marten, Günter CDU/CSU 09. 11.95 * Meißner, Herbert SPD 09. 11.95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 09. 11.95 Nickels, Christa BÜNDNIS 09. 11.95 90/DIE GRÜNEN (B) Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Odendahl, Doris SPD 09. 11.95 Poß, Joachim SPD 09. 11.95 Dr. Scheer, Hermann SPD 09. 11. 95 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 09. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Schwanitz, Rolf SPD 09. 11.95 Steindor, Marina BÜNDNIS 09. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 09. 11.95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 09. 11.95 Vosen, Josef SPD 09. 11. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (D)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Uwe-Jens Heuer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit der Richter, ist für mich ein wesentlicher Vorzug des Staates Bundesrepublik gegenüber dem Staat DDR.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist blanker Revisionismus, das ist blanker „Sozialdemokratismus"!)

    Die Instrumentalisierung des Rechts und der Justiz für politische Zwecke war zweifellos der Hauptmangel der Rechtsordnung der DDR. Ich muß aber mit Sorge feststellen, daß in den fünf Jahren, die ich im Bundestag verbracht habe, zunehmend Versuche gemacht worden sind, auch hier die Justiz zu instrumentalisieren und die erreichten rechtsstaatlichen Standards auf manchen Feldern der Rechtspflege abzubauen.
    Ich trete gegen die in den letzten Monaten von konservativer Seite geübte und jetzt wieder anschwellende heftige Schelte des Bundesverfassungsgerichts nicht in erster Linie deshalb ein, weil mir die gescholtenen Urteile gefallen, sondern weil ich um die Gewaltenteilung fürchte, deren Einebnung immer vorrangig der Exekutive nutzt.
    Ich stimme dem, was Herr Weißgerber und vor allem Herr Beck gesagt haben, zu. Ich möchte auch Herrn Kleinert darauf hinweisen, daß allein die These, daß man lange Traditionen auf diesem Gebiet hat, jemanden nicht berechtigt, heute von diesen Traditionen abzuweichen.

    (Beifall bei der PDS)

    Tucholskys Formulierung „Soldaten sind Mörder" war nicht grob oder rüpelhaft. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Vielmehr entstammte sie einer tiefen Besorgnis vor dem deutschen Militarismus.
    Ich will die Problematik des schwierigen Wechselverhältnisses von Politik und Justiz im bürgerlichen Rechtsstaat an einem aktuellen politisch-juristischen Problem erläutern. Zu den Versuchen, die Gerichte zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren, gehört auch die politische Strafverfolgung von Ostdeutschen.
    Die heutige Haushaltsdebatte findet nur wenige Tage vor dem ersten Verhandlungstag der 27. Strafkammer des Landgerichts Berlin gegen Egon Krenz und andere Mitglieder des Politbüros der SED „wegen Totschlags und anderem" statt. Diese Verhandlung wird wohl zum Höhepunkt der juristischen Abrechnung der Bundesrepublik mit der untergegangenen DDR und zugleich zum Höhepunkt bei der Verletzung zwingenden Völker- und Verfassungsrechts sowie der rückwirkenden Umdeutung, Verbiegung und Verletzung des DDR-Strafrechts führen.
    Ich nutze den Anlaß der heutigen Debatte, weil über den Einzelfall dieser Hauptverhandlung hinaus diese Verfahren gegen ehemalige Hoheitsträger der DDR bedeutsam sind, weil ihre Fortführung nach meiner Ansicht die Rechtskultur in diesem Lande dauerhaft zu beschädigen droht.
    Es fing alles ganz harmlos an: Der Einigungsvertrag regelte — rechtsstaatlich korrekt —, daß nur die nach dem Recht der DDR am 2. Oktober 1990 bestehenden Strafansprüche mit dem Beitritt der DDR auf die Bundesrepublik übergehen. Das entsprach dem Völkerrecht, den rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 des Grundgesetzes. Wäre es dabei geblieben, wäre eine Verfolgung von DDR-Hoheitsträgern nur in wenigen Ausnahmefällen möglich gewesen.
    Das war aber der politischen Führung der Bundesrepublik offenbar nicht genug. Jedenfalls formulierte der damalige Justizminister Klaus Kinkel am 23. September 1991 auf dem 15. Deutschen Richtertag die Forderung, es müsse der Justiz gelingen, die DDR zu delegitimieren. Kinkel hat dort übrigens auch an die politische Treuepflicht der Richter erinnert. Damit war der Justiz eine Aufgabe gestellt, die sie nur unter Verletzung oder Umgehung geltenden Rechts bzw. von Eingriffen in rechtsstaatliche Errungenschaften in Angriff nehmen konnte. Ich erinnere an die Ruhensregelung zur Verjährung, die wir hier

    Dr. Uwe-Jens Heuer
    beschlossen haben, und an die Verjährungsverlängerung, die in einem unbeschreiblichen Tempo durch den Bundestag gepeitscht wurde.
    Der Einigungsvertrag durfte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht ändern, und er hat dies auch nicht getan. Daher ist auch nach dem Völkerrecht strikt zu beachten, daß die DDR mit der vertraglichen Einführung des § 315a in das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch nur die Befugnis auf die Bundesrepublik übertragen wurde, diejenigen Handlungen zu bestrafen, die in der DDR tatsächlich verfolgt worden sind oder verfolgt worden wären.
    Obwohl die Volkskammer der DDR am 1. Juli 1990 das Strafrecht umfassend änderte, hat sie natürlich nicht das pflichtgemäße Handeln ihrer Hoheitsträger unter Strafe gestellt. Der Bundesgerichtshof hat unter Bezugnahme auf die Radbruchsche Formel erklärt, die Schußwaffengebrauchsbestimmung des § 27 des Grenzgesetzes der DDR sei kein geltendes Recht gewesen. Uwe Wesel hat dies am 13. Oktober 1995 in der „Zeit" zutreffend als eine „heikle Geschichte" bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die überwiegende Meinung der deutschen Staatsrechtler die ist, daß diese Urteile verfassungswidrig sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

    Ich komme nun zum Prozeß gegen Egon Krenz und andere. Die Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin hat 1 550 Seiten für eine Anklage gebraucht. Sie hat dabei beispielsweise den Art. 7 der DDR-Verfassung übersehen: „Die Staatsorgane gewährleisten die territoriale Integrität der Deutschen Demokratischen Republik und die Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenze."
    Allerdings ist die Anklageschrift in einem Punkt bemerkenswert. Meines Wissens werden in ihr zum erstenmal die ökonomischen und politischen Umstände behandelt, die zur Absperrung der Grenze 1961 und zur Aufrechterhaltung dieser Absperrung geführt haben. Die Anklageschrift räumt ein, daß die Grenzschließung angesichts des existenzbedrohenden Auswanderungsstroms Ausdruck eines „Staatsnotstandes" gewesen sei. Sie behauptet dann allerdings, daß bei Abwägung der betroffenen Rechtsgüter „Leben der fluchtwilligen DDR-Bürger" einerseits und „Selbsterhaltungsrecht" der DDR andererseits der Schutz des Lebens eindeutig Vorrang vor dem Selbsterhaltungsinteresse des Staates genossen habe.
    Wenn sich diese Ansicht der Staatsanwaltschaft in der Rechtsprechung durchsetzen sollte und wenn dies als allgemeiner Rechtssatz und nicht nur wieder rückwirkend für die DDR gelten sollte, dann stellen sich interessante Fragen. Beispielsweise käme auch die Bundesregierung in Schwierigkeiten. Schließlich nimmt sie, wenn sie Bundeswehrsoldaten zu „out of area" -Einsätzen entsendet, deren Tod oder Verwundung und den Tod anderer billigend in Kauf. Wenn nicht einmal das Selbsterhaltungsinteresse eines Staates dies rechtfertigen würde, welches höherrangige Rechtsgut erlaubt dann diese billigende Inkaufnahme des Todes von Bundeswehrsoldaten?
    Ich sage mit allem Nachdruck, daß die politische Führung der DDR nicht genügend für die Beseitigung dieses „Staatsnotstandes" und seiner für viele Menschen schlimmen Konsequenzen getan hat. Einmal entstanden, stand die Mauer nicht mehr zur Disposition, weil die notwendige Reform, die sie hätte überflüssig machen können, ausblieb.
    Diese historisch-politische Delegitimierung der Mauer berührt aber nicht die zweifelhaften Rechtsgrundlagen der heutigen Strafverfolgung. Es handelt sich in diesen Fällen in meinen Augen um politische Justiz. Ihr Dilemma besteht darin, daß politische Ziele mit juristischen Mitteln so durchgesetzt werden sollen, daß diese Ziele verborgen bleiben. Das Verfahren soll als juristisches Verfahren die politische Intention unkenntlich machen und zugleich legitimieren. Das ist im Rechtsstaat ihr Problem.
    Otto Kirchheimer hat in seinem Buch „Politische Justiz" 1965 geschrieben:
    Daran, daß jemand zwischen politischen und anderen Delikten keinen Unterschied sieht, kann man mit Sicherheit erkennen, daß er ein Hitzkopf oder ein Dummkopf ist.
    Die Politik der Bundesregierung hat die Justiz in diese Sackgasse hineingeführt. Sie muß sie auch wieder herausführen, indem sie durch ein Schlußgesetz, durch ein Strafverfolgungsbeendigungsgesetz, wie es die PDS hier vor kurzem eingebracht hat, die politische Strafverfolgung in Ostdeutschland beendet.
    Noch ein allgemeines Wort zur Haltung der Exekutive zur Justiz dieses Landes. Der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kinkel, hat sich gestern in die von der CSU angeführte Reihe der Kritiker der Justiz mit den Worten „Unsere Soldaten sind kein Freiwild für Verhöhnung" eingereiht. Ich weiß nicht, was ihn dazu treibt, sich auch noch zum Verteidigungsminister, besser: zum Weltpolizeiminister machen zu wollen. Ich denke aber, daß es heute eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Bundesjustizministerin wäre, hier etwas aus liberal-rechtsstaatlicher Sicht geradezurücken.

    (Beifall bei der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Susanne Tiemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Susanne Tiemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daß der Justizhaushalt klein ist, wurde von meinen Vorrednern schon verschiedentlich betont. Ich möchte daran anschließen: Er steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Bedeutung der Rechtspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Rechtspolitik hat keine ganz leichte Aufgabe zu erfüllen. Es gibt kaum etwas Sensibleres als das Recht. Der Rechtspolitiker muß sein Ohr ständig an der gesellschaftlichen Wirklichkeit haben, und das Recht muß die Realität widerspiegeln. Anderenfalls

    Dr. Susanne Tiemann
    wird es zum Fossil und zur inhaltsleeren Hülse. Wenn sich gesellschaftliche Gegebenheiten grundlegend wandeln, dann muß die Rechtspolitik dem Rechnung tragen, darf sich gleichzeitig aber nicht als Spielball beliebiger gesellschaftlicher Strömungen mißbrauchen lassen.
    Wir tun deshalb gut daran, wenn wir hierauf reagieren, wenn wir in einer Welt größerer Mobilität zum Beispiel das Staatsangehörigkeitsrecht den veränderten Integrationsbedürfnissen von Ausländern und ihren Familien anzupassen suchen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Otto Schily [SPD]: Wann machen Sie das denn, Frau Kollegin?)

    Freilich darf das nicht zu einer Doppelstaatsangehörigkeit führen, denn wir wollen keine Wahrnehmung von Bürgerrechten à la carte, sondern wir wollen die Entscheidung für die Verwurzelung in einer Staatsangehörigkeit.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es ist auch richtig, daß wir die Novellierung des Ausländerrechts in Angriff nehmen. Wir tun gut daran, das Kindschaftsrecht auf die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse zu überprüfen. Es ist nur folgerichtig, so meine ich, heute, wo wir die Ehe eindeutig als Verbindung selbstbestimmter Partner definieren, Gewalt in der Ehe so zu bestrafen wie außerhalb der Ehe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Wir müssen auch in der Rechtspolitik sehr viel mehr über die Grenzen blicken. Wir müssen der Entwicklung einer europäischen Rechtsordnung noch sehr viel mehr Rechnung tragen, dürfen ihr nicht passiv gegenüberstehen, sondern müssen aktiv an ihr mitwirken. Durch den Freizügigkeitsgrundsatz, durch andere europäische Grundsätze wird auf unsere Rechtsordnung Einfluß genommen, und es entstehen ganz neue Rechtsgrundsätze, ein neues europäisches Gesellschaftsrecht, ein konvergentes europäisches Sozialrecht. Das muß die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mit prägen. Hier muß sie auf dem Plan sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei aller Anpassungsfähigkeit, meine Damen und Herren, muß das Recht aber verläßlich sein, Ordnung schaffen und Halt geben. Es muß die richtige Balance finden, auf die Aktualität zu reagieren und trotzdem Ankerfunktion zu erfüllen. Das heißt, es muß wertbezogen sein, und es muß auch tradierte Werte bewahren. Wir sollten ruhig einmal ganz offen aussprechen, daß dies die Funktion einer vernünftigen Rechtspolitik ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Werteordnung unseres Grundgesetzes gibt uns doch eigentlich ganz fest umrissene Aufträge. Ich nenne nur ein Beispiel: Unsere Rechtspolitik wird bei aller Anpassungsnotwendigkeit nicht davon abgehen können, daß unser Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt.
    Wie viele andere Ausformungen des menschlichen Zusammenlebens es auch geben mag - jeder kann sich zum Beispiel für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft entscheiden; die Freiheit hat er -, aber den besonderen Schutz des Rechts können diese nicht ebenso wie Ehe und Familie genießen.
    Auch die Minderheiten, meine Damen und Herren, müssen wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat schützen. Es darf aber in unserer Rechtsordnung nicht so weit kommen, daß letztlich die Mehrheit vor den verschiedensten dominierenden Minderheiten geschützt werden muß.
    Diesen Eindruck vermitteln aber manche Entwicklungen unseres Rechts. Individuelle Freiheitsrechte werden zunehmend in einer Weise interpretiert, die mit der Rücksichtnahme auf die Belange der Allgemeinheit bzw. der gesellschaftlichen Umwelt, in die sie eingebettet sind, nicht mehr viel zu tun haben.
    Jetzt komme ich zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, meine Damen und Herren. Ich meine hier zum Beispiel die Interpretation individueller Entfaltungsrechte, wenn das Bundesverfassungsgericht Sitzblockaden nicht als Gewalt bezeichnet, obwohl jeder Unbefangene in der Verhinderung des Zugangs zu Gebäuden durch sitzende Menschen Gewalt sehen wird,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    oder wenn das Bundesverfassungsgericht das Kruzifix, das Signum nicht allein des christlichen Glaubens ist, sondern darüber hinaus unserer gesamten christlich geprägten Kultur und Gesellschaftsordnung, zum Störfaktor für Anders- bzw. Nichtgläubige deklariert.
    In diesen Zusammenhang sind die Urteile zu stellen, die die Bezeichnung von Soldaten als Mörder als freie Meinungsäußerung höherstellen als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Ich meine, daß die Betroffenen auch in der großen Gruppe aller Soldaten schutzwürdig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Immerhin verlangen wir von ihnen Dienstpflicht und Wehrpflicht. Kann die Rechtsordnung, so frage ich Sie ernsthaft, tolerieren, daß gerade solche Staatsbürger mit besonderer Pflichtigkeit ungestraft als Mörder beschimpft und beleidigt werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe kein Verständnis dafür, wenn man diese Problematik auf die leichte Schulter nimmt, Herr Beck. Das möchte ich Ihnen persönlich sagen. Das Strafrecht ist nun einmal da, um die Werte in unserer Gesellschaft wirksam zu schützen und sie überhaupt wirksam werden zu lassen. Der Wert, der hier zu schützen ist, ist das menschliche Persönlichkeitsrecht.
    Hier geht es überhaupt nicht um die Frage der Mehrheits- oder Minderheitsmeinung. Hier geht es darum, wie die Freiheit der Meinungsäußerung ein-

    Dr. Susanne Tiemann
    gebettet ist in die Rechte anderer und wie sie auf die Rechte anderer Rücksicht nehmen muß.
    Meine Damen und Herren, wenn wir in unserer Rechtsordnung Lücken entdecken müssen, dann - das sage ich ganz offen als meine Meinung - ist der Gesetzgeber aufgerufen, aktiv zu werden und für unsere Soldaten einen besonderen Ehrenschutz zu schaffen. Wenn die geltende Rechtsordnung diese Lücken aufweist, müssen wir derartige Verunglimpfungen unserer Soldaten, wie sie jeder für sich selbst ganz klar empfinden würde, verbieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Außerdem, meine Damen und Herren, halte ich es immer mit dem großen Rechtspolitiker Gustav Radbruch, demzufolge beim deutschen Richter auf ein Lot Jurisprudenz auch ein Zentner soziales und psychologisches Verständnis kommen sollte. Ich denke, das sollten wir wieder betonen.