Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin sicher mit Ihnen dafür, daß wir in diesem Hause gesittet und höflich miteinander umgehen und somit vorbildhaft für die gesamte Gesellschaft wirken. Das ist leider nicht immer der Fall. Ich weiß aber nicht, ob ein Pflichtfach Höflichkeit bei Jugendlichen Entsprechendes bewirken wird.
Ich bin dafür, daß wir in dieser Gesellschaft lernen, uns gegenseitig mit unseren unterschiedlichen Ansichten, sofern es sich um demokratische Ansichten handelt, zu respektieren. Ich bin dafür, daß wir lernen, auszuhalten, daß wir nicht immer einer Meinung sind und manchmal ganz andere Weltsichten haben. Ich bin dafür, daß wir nicht anfangen, in bestimmten Bereichen mit dem Strafrecht die Meinung der Mehrheit zu einem geschützten Rechtsgut zu erklären und damit die Meinung der Minderheiten in die Strafbarkeit zu drängen.
Das sehe ich so bei dem Soldatenurteil. Das sehe ich genauso bei der Frage des Gotteslästerungsparagraphen, bei dem wir sicher auch ganz unterschiedliche rechtspolitische Anschauungen haben, über die wir demnächst hier noch diskutieren werden. Solche Sachen haben im Strafrecht nichts zu suchen. Ich denke, die Gesellschaft muß darauf reagieren. Darüber, ob das Vorhaben in Norwegen das geeignete Mittel ist, müssen wir im Fachausschuß noch einmal reden. Dazu habe ich noch keine abschließende Meinung, dahinter setze ich aber ein großes Fragezeichen.
Ich möchte jetzt etwas zur Hauptverhandlungshaft sagen. - Zu den Instrumenten Hauptverhandlungshaft und Kronzeugenregelung bekennt sich die F.D.P. in der Zwischenzeit offensichtlich mit Verve. - Herr Hirsch hat in der letzten Woche zu meiner großen Verblüffung die Hauptverhandlungshaft zu einem „Kernstück liberaler Rechtspolitik" erklärt, obwohl ich sie als rechtsstaatswidrig erachte.
Da hat Ihr Kollege Hirsch einen kapitalen Bock geschossen.
Von liberaler Rechtspolitik keine Spur mehr. So schnell kann man gar nicht wegschauen, wie Sie überall umfallen.
Das gleiche Spiel scheint sich leider auch beim großen Lauschangriff anzubahnen.
- Ich kann Ihnen das nicht ersparen, Frau Albowitz.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., was Sie betreiben ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Pech nur, daß Ihnen niemand nachtrauern wird.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, was machen Sie denn, wenn sich Herr Gerhardt nach der Mitgliederbefragung an die Spitze der Lauscherbewegung stellt? Dann müssen Sie doch eigentlich Ihre Koffer packen!
Volker Beck
Noch ein Wort an Herrn Gerhardt: Geben Sie sich keine Mühe! An Ihren Vorgänger mit den großen Ohren reichen Sie einfach nicht heran. Da können Sie noch so eifrig lauschen, lauschen und lauschen.
Nicht nur zwischen F.D.P. und Union verwischen sich die Grenzen, auch die SPD fällt zunehmend als Rechtsstaatspartei aus. Die Sozialdemokratie sucht inzwischen lieber krampfhaft nach „nationalen Themen", die SPD stimmt ein in den Law-and-orderChor. Da kämpft zum Beispiel die Große Koalition in Baden-Württemberg an vorderster Front für den großen Lauschangriff. Da schlägt die SPD ein dubioses Vermögenseinziehungsgesetz vor, das die Polizei ohne gerichtliche Verurteilung zur Beschlagnahme ermächtigt.
Ein weiterer Sündenfall der SPD: In seiner letzten Sitzungswoche hat der Bundesrat mit vielen Stimmen aus SPD-Ländern einen Gesetzentwurf zur Korruptionsbekämpfung beschlossen. Er enthält erweiterte Telefonüberwachung, Strafbarkeitsausweitungen, und auch die Kronzeugenregelung ist vorgesehen. Das hat mich sehr verblüfft.
Ich finde es pikant, daß die SPD-Bundestagsfraktion mit uns so heftig gegen die Kronzeugenregelung kämpft, in den Ländern aber ganz anderes geschieht. Der Kollege Professor Meyer hat vor wenigen Wochen im Bundestag völlig zutreffend ausgeführt, daß es des Rechtsstaates unwürdig ist, einen Handel mit Kriminellen einzugehen, deren Glaubwürdigkeit zudem gering ist, weil sie zur Erlangung der Straffreiheit ihre ehemaligen Komplizen belasten müßten. Lieber Kollege Meyer, können Sie dieses Argument nicht auch Ihren SPD-Freunden in den Ländern nahebringen? Die brauchen da, glaube ich, dringend Nachhilfe.
Außer der Tatsache, daß man bei der SPD selten weiß, woran man ist, offenbart dieser Bundesratsentwurf hauptsächlich eines: Das Strafrecht soll weiterhin als Hauptsteuerungselement gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen mißbraucht werden. Sie können doch nicht ernsthaft so tun, als sei Korruption im wesentlichen auf unzureichende Strafbestimmungen zurückzuführen. Ansatzpunkt muß doch die Vorbeugung sein! Hierzu bedarf es zunächst einmal organisatorischer Veränderungen. Da gibt es noch jede Menge Reformpotential.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Wir lehnen den Justizhaushalt ab. Wir sind gegen eine Politik, die den Ausverkauf des Rechtsstaates betreibt. Auch wenn die F.D.P. in Torschlußpanik einen rechtspolitischen Winterschlußverkauf veranstaltet: Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung dürfen nicht auf dem Wühltisch landen.