Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten zu den Einzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht stehen immer im Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Geld.
Dabei sind wir sicher alle der Überzeugung, daß Gerechtigkeit nicht in Mark und Pfennig aufzuwiegen ist. Der Rechtsstaat darf uns nicht zu teuer sein. Dieser Rechtsstaat ist für die Bundesrepublik Deutschland konstitutiv. Er ist die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens, unseres wirtschaftlichen Wohlstandes und hat uns - nach der schrecklichsten Katastrophe der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 - wieder zu Ansehen in der Welt verholfen.
Dennoch müssen wir in einer Haushaltsdebatte dem steuerzahlenden Bürger natürlich auch Rechenschaft über die Kosten dieses Rechtsstaates und der Justiz geben. Meine Damen und Herren, es ist ähnlich wie bei der Gesundheit. Die Gesundheit ist unbezahlbar; trotzdem muß der Kollege Seehofer gelegentlich darauf achten, daß sie nicht tatsächlich unbezahlbar wird.
Das gilt ganz besonders vor dem Hintergrund des Konzepts vom „schlanken Staat", das in meiner Fraktion zu Recht vertreten wird. Wir müssen die Verschlankung des Staates betreiben, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen, der ohne einen entsprechend effektiv organisierten staatlichen Bereich Gefahr läuft, weiter an Attraktivität zu verlieren.
Man muß mit einem gewissen Erstaunen registrieren, Frau Bundesjustizministerin - ich habe mich diesem Thema „Kosten der Justiz" in den letzten Wochen etwas gewidmet -, daß es überaus schwierig ist, einen Überblick über die Kosten der Justiz in Deutschland zu bekommen. Wir haben hier den Bundeseinzelplan mit 700 Millionen DM Ausgaben. In ihm sind aber auch eine Reihe justizfremder Ausgaben enthalten, etwa die des Patentamtes. Umgekehrt sind eine Reihe von Justizausgaben, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht in ihm nicht enthalten. Ähnlich ist die Lage in den Ländern. Die Justizhaushalte der Länder haben ein Volumen von 16 Milliarden DM, enthalten aber viele Kosten auch nicht, etwa die ganzen Gebäudekosten oder die Pensionslasten und in einigen Ländern die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit.
Wir wissen also nicht - um es einmal betriebswirtschaftlich zu formulieren, auch wenn das natürlich nicht alles betriebswirtschaftlich gesehen werden darf -: Was kostet beispielsweise ein erstinstanzliches Zivilverfahren in Deutschland? Ich meine, da müssen wir einmal Tatsachenmaterial bekommen. Wir brauchen eine Aufstellung der Kosten der Justiz, die man vielleicht in Ihrem Haus erarbeiten kann, um Transparenz zu gewinnen und der Öffentlichkeit einen Überblick zu geben; denn eine einerseits unbedingt rechtsstaatliche - das betone ich noch einmal -, andererseits aber auch effiziente Justiz ist ein wichtiger Standortfaktor. In Deutschland häufen sich leider die Klagen über zu lang andauernde Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und zu hohe Personalkosten.
Wir müssen bei dieser Bestandsaufnahme auch einmal einen Blick über unsere Grenzen werfen. Ziehen wir einmal einen Vergleich mit Japan! Es ist ein ähnlich attraktiver Wirtschaftsstandort wie die Bundesrepublik Deutschland.
Wir haben in Deutschland heute rund 75 000 zugelassene Rechtsanwälte, beschäftigen 20 600 Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfleger. Ein vergleichbarer Industriestaat wie Japan kommt bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen mit 14 000 zugelassenen Rechtsanwälten, 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten aus.
Ich sage jetzt nicht, daß wir überall Japan als Modell nachempfinden müssen, aber wir müssen einmal untersuchen, warum das dort anders geht. Japan ist unbestrittenermaßen kein Hort des Verbrechens, und die Wirtschaft hat dort in den vergangenen Jahrzehnten auch floriert.
Mit dieser kurzen Einleitung möchte ich keinesfalls, Frau Ministerin, einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht der Justiz das Wort reden, aber die Ökonomie darf auch nicht völlig außen vor bleiben, denn wie die gesamte andere öffentliche Verwaltung hat sich auch die Justiz der Standortdebatte zu stellen.
Dabei braucht die deutsche Rechtsordnung keinesfalls Untersuchungen oder Vergleiche zu scheuen; denn gerade in den letzten fünf Jahren hat sie eine große Bewährungsprobe bestanden, und zwar sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung, auf dem Gebiet des Gerichts- und Behördenaufbaus als auch auf dem Gebiet der Rechtsprechung.
Der Deutsche Bundestag hat - beginnend mit dem Mammutwerk des Einigungsvertrages - die Rechtsangleichung zwischen Ost und West bewältigt. Während der Ausgangsgrundsatz des Vermögensgesetzes im Osten Deutschlands nach wie vor umstritten bleibt, werden die nachfolgenden Gesetze, zum Beispiel das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das Schuldrechtsbereinigungsgesetz und das Entschädigungsgesetz, überwiegend als sachgerechter Interessenausgleich empfunden und jetzt auch vollzogen, ohne daß größere Probleme auftreten.
Besonders begrüße ich es auch, daß wir mit dem jüngsten Regierungsentwurf vom 2. November die
Manfred Kolbe
Änderung des Rehabilitierungsgesetzes herbeiführen und die Antragsfrist um zwei Jahre verlängern, damit die Opfer der SED-Diktatur ausreichend Gelegenheit haben, die nicht ganz einfachen Antragsformulare zu lesen und noch rechtzeitig die Anträge zu stellen.
Es ist ja allgemein in diesem Hause anerkannt, daß die Haushaltspolitiker am meisten arbeiten.
Aber die Rechtspolitiker haben in den letzten fünf Jahren einen guten zweiten Platz belegt.
Zum Aufbau der Justiz in den östlichen Ländern: Auch dort wurde in den vergangenen Jahren Großes geleistet. Ich darf einige Zahlen aus Sachsen nennen.
Seit Beginn der Personalhilfe im Jahre 1990 bis jetzt, zum Sommer 1995, waren im Wege der Abordnung insgesamt 1 007 Richter und Beamte aus den westlichen Bundesländern beim Aufbau der Justiz in Sachsen tätig. Den Entsendeländern, in Sachsen überwiegend Bayern und Baden-Württemberg, sei hiermit ganz herzlich für diese Aufbauhilfe gedankt, und auch der Bund hat sich mit 300 Millionen DM daran beteiligt.
Mittlerweile haben wir in Sachsen sogar in einigen Bereichen die Vorreiterfunktion, die wir bis zum Kriege einmal hatten, wiedergewonnen. Die meisten wissen vielleicht nicht, daß der Herr Schönfelder ein sächsischer Amtsgerichtsrat war, der 1938 die Loseblattsammlung erfunden hat, mit der heute alle Juristen arbeiten.
- Ja, das Nachsortieren ist eine Last, das stimmt, da gebe ich Ihnen recht.
Heute haben wir auf einem Gebiet diese Vorreiterfunktion wiedergewonnen, das ist das elektronische Grundbuch. Dessen Echtbetrieb wurde zum 1. August 1995 beim Grundbuchamt Dresden aufgenommen.
Als erstes deutsches Land speichert Sachsen die Grundbuchdaten in einer entsprechend gesicherten Datenzentrale mit elektronischer Direktverbindung zu allen sächsischen Grundbuchämtern, was große Vorteile für Notare, Kreditinstitute und Behörden bringt.
- So ist es, Herr Geis.
Herr Kollege Weißgerber hat dann die Verlagerung der Bundesgerichte angesprochen. Endlich sind die Gesetzentwürfe dazu von der Bundesregierung eingebracht worden. Das Bundesarbeitsgericht wird nach Erfurt umziehen, das Bundesverwaltungsgericht und BGH-Senate nach Leipzig.
In bezug auf die Bibliothek des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig kann ich mich den Ausführungen des Kollegen Weißgerber nur ausdrücklich anschließen: Die Bücher sind Kunstgegenstände. Die Bibliothek enthält - wir haben uns das angeschaut - bibliophile Handschriften, die für die tägliche Arbeit des Bundesgerichtshofs keine notwendige Voraussetzung sind. Diese Kunstgegenstände wurden in Leipzig zusammengetragen und gehören auch wieder nach Leipzig. Frau Ministerin, wir werden die Verlagerung mit aller Entschiedenheit betreiben. Ich hoffe sehr auf Ihre Unterstützung, damit die Bibliothek wieder am historischen Sitz in Leipzig ihren Platz bekommt. Denn sie hat nichts mit der täglichen Arbeit des Bundesgerichtshofes zu tun. - Wenn Sie, Herr Bohl, dem auch noch zustimmen, ist es noch besser.
Die deutsche Rechtsordnung hat ihre Bewährungsprobe nicht nur im Inland bestanden; sie genießt auch über die deutschen Grenzen hinaus Anerkennung. Insbesondere in den neuen Staaten Mittel- und Osteuropas ist sie heute vielerorts Vorbild. Um die Zusammenarbeit zu befördern, wurde 1992 vom damaligen Bundesjustizminister Kinkel die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e. V. gegründet, die seitdem insgesamt 359 Projekte im Bereich der Gesetzgebungsberatung und der Aus- und Fortbildung von Juristen durchgeführt hat.
Besonders erfolgreiche Projekte waren das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, das zum 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist und sich am kontinentaleuropäischen, insbesondere am deutschen Recht orientiert, und das estnische Handelsgesetzbuch. In bezug auf Letzteres werden die beiden anderen baltischen Staaten wohl folgen.
Bisher wurden für diese Stiftung Projektkosten in Höhe von 7,13 Millionen DM verausgabt, von denen ein knappes Viertel von der Wirtschaft aufgebracht wurde.
Die Arbeit dieser Stiftung erachten alle Berichterstatter - ich glaube, ich kann da auch für den Kollegen Weißgerber und die beiden anderen sprechen - als äußerst bedeutsam, weil in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion der demokratische Rechtsstaat leider keinerlei Tradition besitzt und deshalb ein großes Interesse an der Vermittlung europäischer Rechtstraditionen besteht. Wir müssen die Demokraten in diesen Ländern unterstützen, damit es keinen Rückfall
Manfred Kolbe
in faschistoide oder kommunistoide Herrschaftssysteme gibt.
- Man fragt sich in der Tat, wozu Herr Schirinowski gehört.
Die Kosten einer Lage erneuter militärischer Spannung wären um das Hundert- bis Tausendfache höher als die relativ geringen Kosten dieser Stiftung.
Selbst wenn diese Stiftung noch einige Jahre arbeitet, kostet sie weniger Geld als ein einziger Flügel des Eurofighters.
Deshalb sollten wir an dieser Stiftung festhalten und sie - das ist meine persönliche Meinung - auch durchaus als eine längerfristige Einrichtung in Betracht ziehen.
Die Berichterstatter haben den kw-Vermerk jedenfalls zunächst einmal von 1998 auf 1999 verschoben, wobei wir nicht verhehlen, daß wir uns eine noch stärkere Beteiligung der Wirtschaft wünschen, bis zu der ursprünglich angedachten hälftigen Kostenbeteiligung.
Damit sind wir beim Einzelplan 07 des Bundeshaushalts angelangt. Sein Ausgabevolumen beträgt 698 Millionen DM. Davon sind 379 Millionen DM durch eigene Einnahmen gedeckt. Der Einzelplan entspricht 0,14 Prozent des Gesamthaushalts. Damit läßt sich der Bundeshaushalt natürlich nicht strukturell verändern - der Kollege Weißgerber hat das schon gesagt -; wir haben aber einen Beitrag erbracht: Wir haben die Einnahmen um 4,5 Prozent erhöht und bei den Ausgaben 1,9 Prozent eingespart. Trotzdem verliefen die Verhandlungen in freundschaftlicher Atmosphäre. Ich darf mich bei allen Beteiligten bedanken. Es hat keine größeren Meinungsverschiedenheiten gegeben.
Aber die großen Streitfragen der bundesdeutschen Finanzpolitik haben natürlich auch in diesem kleinen Haushalt ihren Niederschlag gefunden, etwa das Bund-Länder-Verhältnis. Als Bundesfinanzpolitiker müssen wir feststellen, daß der Bund im Laufe der letzten Jahrzehnte gegenüber den Ländern Terrain verloren hat. 1960 standen dem Bund 53 Prozent der Steuereinnahmen zu, den Ländern 29 Prozent. 1996 stehen dem Bund noch 43 Prozent zu, den Ländern 39 Prozent. Aus einem Abstand von über 20 Prozent zugunsten des Bundes ist also in über 30 Jahren nahezu ein Gleichstand geworden. Die Länder haben folglich dem Bund Terrain abgenommen, zuletzt in den Solidarpaktverhandlungen 1993.
Als Berichterstatter müssen wir deshalb alle darauf achten, daß der Bund nicht Länderaufgaben finanziert. An dieser Stelle spreche ich das Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich der Deutschen Bewährungshilfe e. V. in Bonn an, das Sie, Herr Kollege Weißgerber, erwähnt haben. Die Arbeitsaufnahme fand 1992 statt. Der Bund hat drei Jahre lang die Anfangsfinanzierung in Höhe von 300 000 DM übernommen. Jetzt meinen wir, eine hälftige Finanzierung sei angebracht.
Der Bund hat seine Hälfte eingestellt, aber - man höre und staune - einige Länder machen nicht mit. Das Saarland verweigert eine Beteiligung in Höhe von 1935 DM. Vielleicht rufen Sie einmal Herrn Lafontaine an, Herr Weißgerber. Die Hansestadt Hamburg verweigert eine Beteiligung von 3 700 DM; und auch Hessen verweigert seine Beteiligung. Herr Beck, auch Sie werden diesen Zustand nachher sicherlich beklagen. Ich frage Sie: Wer ist Justizminister in Hessen? Vielleicht rufen Sie nach Ihrer Rede dort einmal an.
Wir vom Bund sind gerne bereit, dieses Büro weiter zu unterstützen, aber auf der Grundlage hälftiger Beteiligung. Sie können hier nicht einerseits die Nichtfinanzierung beklagen, wenn sich dann andererseits Ihr Kollege, der Justizminister in Hessen, weigert.
Das gleiche gilt hinsichtlich des Bund-Länder-Verhältnisses beim Institut für Ostrecht München. Auch dort haben wir eine Finanzierungsbeteiligung des Sitzlandes, die im Augenblick noch nicht ausreichend ist. Wir müssen auch da zu einer prozentualen Beteiligung Bayerns kommen. Die Berichterstatter stellen sich 25 Prozent vor; deshalb haben wir einen entsprechenden Ansatz gesperrt.
Damit möchte ich schließen. Ich bitte Sie, diesem Einzelplan 07 zuzustimmen. Mit ihm leisten wir einen Beitrag zur finanziellen Konsolidierung und zur Stärkung des Bundes. Ebenfalls bitte ich, dem Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - zuzustimmen, wozu meine beiden Nachfolgeredner aus der Union sicherlich noch einige Worte sagen werden.
Vielen Dank.