Rede von
Andrea
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem IG-Metall-Vorsitzenden müssen in den letzten Tagen wirklich die Ohren geklungen haben. Ich weiß nicht, ob in der Geschichte der Bundesrepublik jemals ein Gewerkschaftsvorsitzender soviel Lob bekommen hat wie Klaus Zwickel in den letzten Tagen. Dabei war ganz erstaunlich, von welchen Seiten das Lob kam.
- Nein, ich stelle das nur fest.
Ich will mich jetzt auch nicht mit der Kakophonie des Lobs bei den Arbeitgebern, die inzwischen nur noch wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen durch die Gegend laufen, beschäftigen; das ist hier nicht unser Thema. Aber alle Politiker in diesem Hause - heute haben wir das wieder gehört - haben sich lobend zu der Initiative von Herrn Zwickel geäußert: der Kanzler gestern, Herr Seehofer vorgestern und Herr Blüm hat schon am Sonntag einen Kommentar dazu geschrieben.
Ich bin noch relativ neu in der Politik, Minister Blüm. Ich staune einfach, wie man so gute Nerven haben kann, mit der Arbeitslosenhilfereform auf den IG-Metall-Gewerkschaftstag zu gehen, sich dort hinzustellen und zu sagen: Liebe Leute, das habt ihr gut gemacht; ihr macht Zugeständnisse. Aber dann wird so getan, als hätte man selber damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Dieses Bündnis der IG Metall ist ein Bündnis auf Gegenseitigkeit. Das hat sich auch an die Politik gerichtet.
Sie legen uns hier aber einen Haushalt vor, mit dem Sie sagen: Gut, ihr von der IG Metall könnt hier Zugeständnisse machen, noch und nöcher, aber wir lassen uns davon überhaupt nicht beeindrucken. Im Gegenteil, Sie haben in diesen Haushalt bereits die Ergebnisse, die Sparergebnisse eines Gesetzes hineingeschrieben, das wir erst morgen in erster Lesung hier behandeln. Da fühle ich mich als Parlamentarierin doch ziemlich merkwürdig behandelt.
Noch einmal: Die IG Metall ist mit ihrem Angebot befristeter Einstiegstarife und tarifpolitischer Zurückhaltung wirklich über ihren eigenen Schatten gesprungen. Ob das ökonomisch wirklich dazu führt, daß mehr Leute eingestellt werden, ist unsicher. Die IG Chemie verfügt noch nicht über eine systematische Auswertung der Ergebnisse ihrer Tarifverträge, aber es zeichnet sich ab, daß die Ergebnisse nicht so beachtlich sind, wie sie das gerne hätte und wie auch wir das selbstverständlich gerne hätten.
Daß die Gewerkschaft so weit geht und über ihren eigenen Schatten springt, zeigt doch, welche Bedeutung sie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beimißt. Aber Sie lassen die ausgestreckte Hand der IG Metall in der Luft hängen. Sie ignorieren, wie großmütig dieser Schritt ist. Statt dessen planen Sie die Mittel, die mit der Arbeitslosenhilfereform und der Kürzung der aktiven Arbeitsförderung freigesetzt werden, zum Stopfen von Haushaltslöchern fest ein.
Bei dieser 3,4-Milliarden-DM-Arbeitslosenhilfereform streichen Sie die originäre Arbeitslosenhilfe. Das lassen Sie finanzieren von Asylbewerbern, die jetzt insgesamt drei Jahre von den berüchtigten sogenannten Freßpaketen leben müssen. Sie senken die Leistungen ab, d. h. Sie lassen die Erwerbslosen selber zahlen. Kollegin Wegner hat schon darauf hingewiesen, daß das Argument, mit dem Herr Blüm das immer vorträgt, offensichtlich nicht sehr stichhaltig ist. Und selbstverständlich - darauf hat die Kollegin Wegner ebenfalls hingewiesen - sanieren Sie den Bundeshaushalt auf Kosten der Kommunen.
Dann kommt noch eins drauf: Sie verschärfen die Zugangsbedingungen zur aktiven Arbeitsförderung, und das heißt am Ende nichts anderes, als daß die jetzigen Arbeitslosengeldbezieher von jetzigen Arbeitslosenhilfebeziehern verdrängt werden. Darf ich Sie daran erinnern, daß aktive Arbeitsförderung -
Andrea Fischer
Umschulung und Qualifizierung - einen guten ökonomischen Grund hat, nämlich den „Marktwert" von Arbeitslosen, an dem Ihnen sonst immer so viel liegt, zu erhalten?
Wir hatten erst vor wenigen Wochen in diesem Haus eine Sozialhilfedebatte. Die Sozialhilfereform geht von der Prämisse aus - die Bundesregierung hat sie an den Anfang ihres Gesetzentwurfs geschrieben -, Sozialhilfebedürftigkeit sei nicht vermeidbar. Das bestreite ich ohnehin schon entschieden. Das hatten wir hier vor ein paar Wochen. Aber was Sie jetzt tun, ist, systematisch den Sozialhilfebezug herzustellen. Also sagen Sie den Arbeitslosen: Wir haben euch aufgegeben, wir schreiben euch ab, wir schieben euch ab in das Sozialhilfesystem. Ihr interessiert uns nicht mehr, ihr sollt möglichst billig sein und euch mit dem Mindesten zufriedengeben, was unsere Gesellschaft euch zur Verfügung stellt.
Jahrelang sind die Gewerkschaften denunziert worden. Sie haben immer von Arbeitsplatzbesitzern geredet, die sich gegen die Ansprüche derjenigen abschotten würden, die keinen Arbeitsplatz haben. Das großmütige Angebot der IG Metall widerlegt diese Denunziation. Es zeigt, daß die Gewerkschaften hier durchaus offen sind. Deswegen sind Sie, Herr Blüm, jetzt am Zug. Sie können nicht mit der Haushaltskeule kommen und damit Ihr Nichtstun rechtfertigen wollen.
Der Kollege Fuchtel hat gerade ausführlich begründet, wie konzeptionslos die Opposition sei.
Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Anträge der Bündnisgrünen-Fraktion lenken. Wir fordern erstens die Erhöhung der Arbeitslosenhilfegelder, wir fordern zweitens eine weitere Erhöhung der aktiven Arbeitsförderungsmittel. Das sind muntere 7 Milliarden DM.
- Wir haben eine lange Liste mit Streichvorschlägen vorgelegt.
- Nein, das ist nicht wahr. Wir haben Anträge vorgelegt - -
- Frau Kollegin, Sie sind doch viel länger in der Haushaltspolitik als ich. Sie wissen doch, daß das in verschiedenen Anträgen läuft und nicht in einem.
- Frau Kollegin Albowitz, das ist doch falsch und demagogisch, was Sie hier sagen. Es gibt auch andere Anträge, in denen Sie finden können, wo wir streichen. Jetzt erzählen Sie hier keine Lügen! Im übrigen will ich darauf hinweisen, daß wir alle unsere Anträge mit Deckungsvorschlägen versehen haben. Ich will Sie exemplarisch darauf hinweisen, daß unter anderem eine Subvention gekürzt wird, die Entfernungspauschale, moderat, damit es sozial verträglich ist. Das macht über 1 Milliarde DM aus und greift die wegweisende Idee der IG Metall auf, daß nämlich die Beschäftigten Solidarität mit den Beschäftigungslosen zu üben haben. Deshalb finde ich, daß Sie sich dies durchaus als Beispiel dafür nehmen müssen, daß auch in Zeiten knapper Kassen Solidarität möglich und notwendig ist.
Ich möchte noch zu einem weiteren Beispiel für die konzeptionslose Politik der Bundesregierung kommen. Arbeitsminister Blüm ist seit vielen Jahren als die „Glucke der Sozialversicherung" bekannt. Sein Lieblingskind hätschelt und pflegt er.
Ich habe noch einmal genauer hingeschaut, was der Hüter der Beitragszahlergelder in den Jahren seit der deutschen Einheit mit ihnen gemacht hat. Seit 1991 sind die Rentenversicherungsbeiträge dreimal gesenkt worden, wenn auch nicht deshalb, weil die Rentenversicherungskassen übergequollen wären.
- Entschuldigung, Kollege Louven, wir sind hier jetzt nicht im Dialog. Entweder stellen Sie mir eine Zwischenfrage, oder Sie lassen mich reden.
Sie haben 1991 den Beitragssatz um einen Prozentpunkt gesenkt. Damit wurden aus der Rentenkasse muntere 14 Milliarden DM genommen. Das ist aber nicht deshalb gemacht worden, weil es da so gut aussah, sondern damit die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nicht merken, daß gleichzeitig der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöht wurde. Diese Operation machte man insgesamt dreimal; jetzt sind die Rücklagen aufgezehrt. Deswegen steigen Anfang nächsten Jahres die Rentenversicherungsbeiträge.
Das Altersübergangsgeld haben Sie in den letzten drei Jahren von 13,5 Milliarden DM auf 2,5 Milliarden DM gekürzt. Diese Lasten entfallen jetzt auf die Rentenversicherung. Ferner haben Sie vorgesehen - um bei der Arbeitslosenhilfe zu entlasten -, daß ältere Arbeitslose vorzeitig in Rente gehen sollen. Diese Lasten gehen gleichfalls in die Rentenversicherung.
Andrea Fischer
Schließlich haben wir letzte Woche einen Gesetzentwurf verhandelt mit der Folge, daß der Zugang zu Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten erschwert wird. Diese Lasten werden dann bei der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe anfallen, weil, so das Argument, die Rentenversicherung für das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht zuständig sei.
Wenn man das alles zusammennimmt, muß ich feststellen: Uns ist nicht ganz klar, was Sie denn nun wollen. Es wirkt, als würde permanent nur verschoben.
Ich komme noch einmal auf den längst beklagten Skandal der Finanzierung der Einheitskosten in der Sozialversicherung zu sprechen. Ich will in diesem Zusammenhang zwei kritische Anmerkungen zu den versicherungsfremden Leistungen, die wir alle ständig kürzen wollen, machen. Wir alle sind uns einig, daß da etwas geschehen muß.
Erstens gibt es, wie ich finde, einen sehr besorgniserregenden Zungenschlag in dieser Debatte. Ich weise darauf hin, daß die Sozialversicherung bewußt einen Unterschied zur Privatversicherung aufweist. Die Beitrag-Leistung-Äquivalenz ist hier nicht komplett möglich und auch nicht gewollt; denn der Sinn der Sozialversicherung liegt unter anderem eben auch in der Gewährung sozialen Ausgleichs. Diesen möchte ich auch in der Debatte über versicherungsfremde Leistungen nicht denunziert wissen.
Zweitens finde ich das Wehklagen darüber, daß wir versicherungsfremde Leistungen abbauen müssen, inzwischen auch deswegen ein bißchen ermüdend, weil von seiten der Bundesregierung meines Erachtens überhaupt keine vernünftigen Vorschläge kommen. Man müßte dafür ja Gelder in unglaublicher Höhe aufwenden. Im bündnisgrünen Ökosteuerkonzept ist vorgesehen, aus dem Aufkommen der Ökosteuer im Laufe von zehn Jahren 80 Milliarden DM für die Senkung der Beitragssätze zu verwenden. 80 Milliarden DM sind - das wissen wir alle - sechs Beitragssatzpunkte. Vom heutigen Standpunkt aus ist das irre viel. Es zeigt aber auch, wieviel Mut und wieviel Gestaltungswillen man aufbringen muß, damit so etwas überhaupt gelingen kann.
Jetzt komme ich noch zu einer letzten Sünde - der Kollege Fuchtel hat davon schon gesprochen -, der Frühverrentungsdebatte. Der frühere Zugang zur Rente ist ja erst vor wenigen Jahren von dieser Bundesregierung eingeführt worden. Begründung: hohe Arbeitslosigkeit; die Jungen sollen eine Chance haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen; dann können doch die Älteren ein bißchen früher gehen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bekanntlich unverändert. Also, was passiert jetzt, wenn wir hinten wieder dichtmachen? Dann sind entweder die Jungen die Blöden, weil sie nicht in den Arbeitsmarkt hereinkommen, oder die Betriebe denken sich andere Gründe aus, um die Alten zu entlassen.
Herr Minister Blüm, natürlich ist es in hohem Maße ärgerlich, daß die Arbeitgeber erst ihre Betriebe mit Hilfe der Möglichkeit der Frühverrentung verschlanken und sich am nächsten Tag darüber beklagen, daß der Sozialstaat zu teuer sei. Aber darüber muß man doch eine politische Auseinandersetzung führen, anstatt mit diesem Nullsummenspiel die Arbeitslosigkeit zwischen den Generationen zu verschieben.
Wenn man sich die Politik insbesondere im Bereich der Sozialversicherung in den letzten Jahren anschaut, dann stellt man fest, daß man so tut, als sei die Massenarbeitslosigkeit ein neues, überraschendes Phänomen, das uns gerade überkommen hat, so daß man deshalb hektisch immer neue Verschiebungen vornehmen müsse. Dieses Phänomen ist alt; wir beklagen es auch schon sehr lange. Aber das rechtfertigt um so weniger, in diesem Bereich mit hektischen Operationen Haushaltsmittel hin- und herzuschieben. Ich glaube, ich konnte eben deutlich machen, daß in den vergangenen vier, fünf Jahren einiges hin- und hergeschoben wurde, ohne daß man ein Konzept für die Sozialversicherung gestaltet hat, mit dem sie mit dieser Situation fertig wird.
Natürlich müssen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber gleichzeitig müssen wir die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß die Sozialversicherung auch darauf ausgerichtet werden muß, daß Menschen über längere Zeiträume erwerbslos sind. Sie dürfen nicht damit bestraft werden, daß wir sie aus diesem System hinausdrängen. Das kann nicht der Sinn der Sozialversicherung sein. Deswegen rufe ich Sie zu einer seriösen Reformdebatte auf, die diese Probleme einbezieht und die mit den jungen Menschen redet - mit ihren permanenten Manövern verunsichern Sie diese nämlich nur -, damit die vielen Fragen an die Zukunft der Sozialversicherung beantwortet werden.
Der Haushaltsplan 11 geht garantiert den falschen Weg. Wir lehnen ihn ab und empfehlen die bündnisgrünen Anträge der Regierung zum Nachsitzen.