Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutlicher als in den Reden zum Haushalt kann der Unterschied in der Betrachtung zur gegenwärtigen und künftigen Situation in Deutschland kaum gemacht werden. Herr Schäuble sagte gestern: Wir sind mit dem Haushalt 1996 in einer guten Lage. Herr Struck begründete die Enthaltung der Fraktion der SPD zu Änderungsanträgen damit, daß dieser Haushalt mit Änderungen nicht zu retten sei. In der Tat, der Etat, den die Koalition in dieser Woche durchdrücken will, wird nicht nur ein Monument unsolider, abenteuerlicher Haushaltspolitik, Stoff für akademische Dispute unter Staatsrechtlern und Volkswirten sein. Nein, er wird vor allem auch verheerende Folgen im Alltag vieler Menschen haben. Mit den Folgen Ihrer Beschlüsse, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und F.D.P., werden Sie das Vertrauen in die von Ihnen gepriesene Soziale Marktwirtschaft, die sich dabei immer mehr unsozial zeigt, nachhaltig erschüttern. Sicher wird auch heute wieder davon geredet, wie viele neue Gewerbe insbesondere im Osten Deutschlands entstanden sind, und keiner will diese Zahl kleinreden.
Wer es nicht schafft - so neulich ein Kollege der Koalition - ist halt kein Unternehmertyp. Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Sie können doch niemandem erklären, warum der Bäcker oder der kleine Händler, der irgendwo in einer Stadt in Ostdeutschland sein Gewerbe selbst bei all den restriktiven Maßnahmen der DDR hat erhalten können, jetzt, wo er die große Freiheit hat, plötzlich pleite geht. Das können Sie keinem erklären. Genau-
sowenig können Sie dies jemandem erklären, der sich jetzt ein Gewerbe schafft, dann ständig vor neuen Hindernissen steht, sie überwinden will und es nicht kann.
Ich will Ihnen ein Beispiel eines 28jährigen Geigenbaumeisters aus Markneukirchen nennen. Er hat sich mit seinen Ersparnissen und Hilfe der Eltern selbständig gemacht und eine kleine Werkstatt übernommen. Er produziert Geigen für den Weltmarkt, insbesondere für Japan. Seine Instrumente sind begehrt, der Absatz solcher Luxusgüter ist jedoch höchst konjunkturanfällig. Dennoch will er jetzt ein seit Jahren verfallendes Hinterhaus mieten, selbst herrichten und einen Lehrling, später vielleicht noch einen Gesellen einstellen.
Alle Förderkriterien treffen zu. Mit 50 000 DM Zuschuß aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" würde sein Vorhaben Wirklichkeit werden - ein Vorhaben, das eigentlich die halbe Regierungsbank glücklich machen müßte. Aber ich fürchte, der junge Geigenbauer könnte bei der zuständigen Sächsischen Aufbaubank weniger Glück haben, weil die Regierungskoalition einen unverantwortlichen Fördermittelabbau betreibt.
Schon im ersten Etatentwurf haben Sie - das muß hier immer wiederholt werden - die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in Ostdeutschland um 500 Millionen DM zurückgefahren, um dann klammheimlich nach der Abschlußberatung im Wirtschaftsausschuß noch weitere 50 Millionen DM wegzukürzen. Dies geschieht zu einer Zeit, wo niemand außer vielleicht Herr Krüger von der CDU, der eine sich ständig bessernde Wirtschaftssituation in Ostdeutschland ausgemacht hat, ernsthaft behaupten wird, in den neuen Ländern trage sich die wirtschaftliche Entwicklung bereits selbst.
Der gleiche Herr Krüger hat noch am 29. Oktober in der „Freien Presse" erklärt, „daß es in den ostdeutschen Landesgruppen Unmut über das Vorgehen von Fraktionskollegen aus den alten Ländern gebe und der Fraktionsfrieden damit gefährdet werde". Gestern war in seiner Rede davon nichts zu hören.
Meine Damen und Herren vom Kabinett und von der Koalition, Sie beschneiden eines der wenigen Förderinstrumente, das nicht auf abstrakte Investitionssummen, sondern auf konkrete Arbeitsplatzzahlen abstellt. Herr Bregger von der CDU-Mittelstandsvereinigung - er wurde hier schon zitiert - hat vor drei Wochen eine Bindung der Fördermittelvergabe an die Schaffung von Arbeitsplätzen gefordert. Das verlangen wir demokratischen Sozialisten bekanntlich schon seit drei Jahren. Aber warum schreibt Herr Bregger nur offene Briefe an den Haushaltsausschuß? Wie reagieren seine Vereinsmitglieder im Bundestag? Da war für mich die Antwort von Herrn Lambsdorff interessant. Offensichtlich - das war meine Überzeugung schon vorher - reicht das CDU- Mitgliedsbuch nicht aus, um sich wirtschaftspolitisch durchsetzen zu können. Aber bei dem Vorsitzenden einer Mittelstandsvereinigung hätte ich schon mehr erwartet als das, was als Reaktion von seinen eigenen Kollegen kommt.
- Sie nicht! Ich habe mich nur auf Ihre Einschätzung von Herrn Bregger bezogen, Herr Lambsdorff.
Als wir eine Aufstockung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe für Westdeutschland um 50 Millionen DM und die faktische Rücknahme der Kürzungen
Rolf Kutzmutz
bei den neuen Ländern beantragten, stimmte uns die christdemokratische Fraktion im Wirtschaftsausschuß nieder. An dieser Stelle möchte ich mich im übrigen bei den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür bedanken, daß sie in dieser für die wirtschaftliche Entwicklung großer Regionen in Ost und West lebenswichtigen Frage über ihren parteipolitischen Schatten sprangen und einem Antrag, der „nur" von der PDS kam, ihre Stimme gaben. Liebe Frau Kollegin Hermenau, trotz Ihrer offensichtlichen PDS-Allergie, wir werden diesem Antrag, den Sie heute zur namentlichen Abstimmung stellen, selbstverständlich zustimmen, da es ja unser Antrag ist.
: Ich beobachte Sie! Das ist alles!)
Gespannt bin ich im übrigen auf die Kollegen Schulz und Türk; leider habe ich sie heute hier im Hause noch nicht gesehen. Sie haben vor zwei Wochen auf den Titelseiten ostdeutscher Tageszeitungen einen Entrüstungssturm entfacht, als die nachträgliche weitere Kürzung der GA-Mittel ruchbar wurde. Ich will hier deutlich sagen: Es reicht nicht aus, in den Heimatzeitungen großen Lärm zu schlagen; da ist man relativ sicher. Man muß sich auch in seiner eigenen Fraktion durchsetzen und das hier öffentlich wiederholen.
Sollten Sie sich in dieser Debatte noch zu einem entsprechenden Entschließungsantrag aufraffen oder jenen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mittragen, unsere Zustimmung hätten Sie gewiß! 50 Millionen DM mehr bleiben bei Waigels Dampfwalze zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sie wären aber ein kleiner Schritt auf dem richtigen Weg, einem Weg, der konsequent beschritten werden muß, um die Zahl der Opfer der Privatisierungs- und Subventionspolitik dieser Regierung zu begrenzen und Perspektiven für die demnächst Arbeitslosen von Vulkan Wismar bis DASA Speyer zu entwickeln, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen.
Ich will hier auch gleich sagen: Wir sollten endlich aufhören, immer nur zu sagen, es sei kein Geld da. Dieser Weg scheitert nicht am Geld. Man braucht nur in den Etat des Wirtschaftsministers zu schauen: Da leistet sich diese Republik eine sogenannte Bundesrohölreserve, die seit mindestens fünf Jahren wegen der radikal veränderten weltpolitischen Lage nicht mehr vonnöten ist. Mindestens 1 Milliarde DM Nettoerlös ruht in den Kavernen bei Wilhelmshaven. Der Unterhalt der mittlerweile offensichtlich altersschwachen Anlagen soll nächstes Jahr 18 Millionen DM betragen, 2,5 Millionen DM mehr als noch 1994.
Aber das Wirtschaftsministerium stellt sich stur. Seine sogenannte Aufzeichnung vom 13. September 1995 atmet den Zeitgeist von 1961 oder 1971. Von „unveränderten Versorgungsrisiken durch abrupte Lieferunterbrechungen", „Notstandsreserven" und „Flexibilität im Krisenmanagement" wird da geschwafelt. Glaubt in Bonn wirklich jemand, in einem globalen Konflikt - nur dann käme hierzulande kein Tropfen Öl mehr an - sei es noch wichtig, ob hier 120 oder nur 100 Tage lang alle Räder weiterrollen können wie bisher? Wann wird das flüssige Gold bei Wilhelmshaven endlich schrittweise in Friedensdividende umgemünzt? Oder hat man im Auge, wenn man wieder einmal landwirtschaftliches Gerät irgendwohin exportieren will, gleich den Sprit dazu zu liefern?
Meine Damen und Herren, der Fragwürdigkeiten in diesem Haushalt gibt es noch viele weitere, von der Art der Steinkohlesubvention über die Subventionierung künftiger Auslandsfertigung der DASA, der Förderung erneuerbarer Energien im Feigenblattformat bis zu den Millionen für die Selbstbeweihräucherung des Wirtschaftsministeriums in den Medien, um nur Stichworte zu nennen.
BDI-Präsident Henkel sagte am Wochenende einen Nachkriegsrekord der Firmenpleiten voraus. Im Bundeswirtschaftsministerium müßten die Alarmglocken klingeln. Statt dessen hält man unverdrossen an einem Haushalt fest, mit dem man einer Pleite besonderer Dimension einen großen Schritt näherkommt: dem Staatsbankrott.
Diesem Abenteuer 1996 des Bundeswirtschaftsministers werden die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ihre Stimme verweigern.