Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der langjährige Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Erhard Eppler hat vor wenigen Wochen Johannes Gross einen der Gescheitesten unter den demokratischen Rechten genannt. Gross schreibt in seinem neuesten Buch:
Noch mag keine Regierung, keine Partei sich zu der Einsicht verstehen, daß es in den entwickelten Industriegesellschaften künftig keine Vollbeschäftigung mehr geben wird und daß Vollbeschäftigung als Ziel staatlicher Politik nicht mehr ernst genommen werden kann.
Aus ganz anderer Richtung äußert sich Henning Voscherau, Hamburger Bürgermeister:
Wir müssen den Sozialstaat, die Demokratie retten vor diesem neuen globalen Kannibalismus ohne Regeln, ohne Kontrolle, ohne Verantwortung.
Dieser Kannibalismus frißt Einzelschicksale,
Lebensordnungen und Demokratien. Das ist erst
Dr. Otto Graf Lambsdorff
der Anfang, was wir sehen. Es tut sich ein Abgrund auf.
Es ist schade, daß man solche Debatten nicht hier im Hause führen kann. An Herrn Voscherau gerichtet möchte ich nur soviel sagen: Auf die Globalisierung der Märkte, die keiner von uns verhindern kann, müssen wir mit der Globalisierung des Handels- und Wettbewerbsrechts antworten.
Die Europäische Union ist eine richtige Teilantwort, ebenso die Europäische Währungsunion, meine Damen und Herren von der SPD.
Aber immer wichtiger wird die WTO, die Welthandelsorganisation, werden multilaterale Ordnungen. Die Bundesregierung muß ihnen mehr Kraft widmen als bilateralen Abkommen.
Die Attacke auf „vaterlandslose Spekulanten" - so nennt Bürgermeister Voscherau zum Beispiel Margarete Schreinemakers und Franz Beckenbauer -
mag publikumswirksam sein.
- Ich zitiere doch Ihren Bürgermeister, Ihren Parteigenossen, liebe Frau Matthäus-Maier. Keine Aufregung!
Mir liegt die Umfrage einer Beratungsfirma bei 250 Automobilzulieferern vor. Jedes zweite Unternehmen beabsichtigt, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre eine Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Sind das auch vaterlandslose Spekulanten? Der BMW-Konzern - wahrlich eine deutsche Firma - beschäftigt heute mehr Arbeitnehmer im Ausland als in Deutschland. Wollen wir das nicht endlich zur Kenntnis und ernst nehmen?
Daß Steuerbelastung zur Abwanderung von Kapital führt, begreifen Sozialdemokraten immer noch nicht. Ihr Altvater August Bebel, verehrte Kollegen von der SPD, hatte das begriffen.
Er riet in seinem Testament seiner Tochter zum Wohnsitzwechsel aus Zürich, und zwar wegen der hohen Steuerbelastung dort. Seine sozialdemokratischen Nachfahren haben dafür gesorgt, daß sich dieser Zustand zugunsten Zürichs und zuungunsten Deutschlands geändert hat.
Zu Johannes Gross, meine Damen und Herren. Gehen wir vielleicht durch das Tal der zweiten industriellen Revolution, durch das Tal zur Informationsgesellschaft? Dann werden Erinnerungen an die erste industrielle Revolution wach. Deren menschliches Elend darf sich nicht wiederholen. Andererseits scheint es mehr und mehr klarzuwerden: Wir, jedenfalls die Westdeutschen - das will ich Frau Hermenau ausdrücklich sagen: die Westdeutschen -, haben die goldenen 40 Jahre dieses Jahrhunderts wohl hinter uns. Sie sind vorbei, und sie werden so schnell auch nicht wiederkommen.
Trotz alledem sage ich: Verzagtheit ist nicht angebracht, trotziges Festhalten an sogenannten Errungenschaften auch nicht. Besitzstandswahrung, Marktabschottung, Entsendegesetz - ich fand es gespenstisch, wie diese Debatte gestern ablief, daß Sie wirklich glauben, es könnte etwas helfen
- dann müssen Sie auch gleich die ausländischen Arbeitnehmer von deutschen Schiffen vertreiben -,
Sozial- und Umweltklauseln im Handelsrecht, das alles hilft nicht, das schadet nur und führt am Ende zu Brüchen mit der Gefahr politischer und ökonomischer Destabilisierung.
Mit Defensivhaltung ist für unser Land nichts gewonnen. Wir müssen in die Offensive. Wir müssen uns ändern. Das - das will ich ausdrücklich bestätigen - hat der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel offensichtlich begriffen. Das hat er verstanden, die SPD allerdings immer noch nicht.
Oder doch? Die Vorschläge zum SPD-Parteitag zeigen neue Denkansätze. Allerdings hat sich das noch nicht bis in die Fraktion herumgesprochen. Den gestrigen Bemerkungen Herrn Scharpings zur Wirtschaftspolitik war das keineswegs zu entnehmen. Ein Satz, der ihn übrigens in die Nähe von Joschka Fischer rückt: „Was ist das für eine Politik, bei der der Staat neugegründete Unternehmen nicht mit ausreichendem Eigenkapital ausstattet?" In dem Staat, den Herr Scharping da aufzeigt, möchte ich Unternehmer sein!