Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorhin das war Kurt, ohne Lenkrad, ohne Gurt. Herr Kollege Rossmanith, haben Sie nicht genug Phantasie, um sich vorzustellen, daß wir, vielleicht gerade weil wir zwei Monate lang sehr intensiv gearbeitet hatten, keine Lust mehr hatten, uns am letzten Tag vergackeiern zu lassen? Es bestand kein Zwang zur Eile. Wir hätten also in aller Ruhe über eine Nachtragsvorlage reden können. Sie hätte noch nachgereicht werden können, und wir hätten das vor Abschluß des Jahres geschafft. Aber Sie meinten, Sie müßten das am nächsten Tag durchziehen.
Sie bewegen sich im Prinzip in Gemeinplätzen über den Wirtschaftsstandort Deutschland ungefähr auf demselben Niveau wie der Wirtschaftsminister, dessen größter Wurf im Anpacken des „Jahrhundertproblems" Ladenschluß die ganze deutsche Wirtschaft von seiner Kompetenz überzeugt hat.
Wollen wir doch mal über den real existierenden Branchensozialismus in den alten Bundesländern sprechen und darüber, daß der deutsche Steuerzahler immerhin pro Jahr jeden Arbeitsplatz in der Steinkohle mit 106 000 DM subventioniert, in der Landwirtschaft mit 57 000 DM und im Schiffsbau mit 17 000 DM.
Es dominieren dadurch also Erhaltungssubventionen, die sich seit 1988 praktisch nicht mehr verändert haben. Daß kleine Unternehmen ziemlich gnadenlos dem Konkurs preisgegeben werden, während bestimmte Großbetriebe in veralteten Branchen an Tröpfen öffentlicher Subventionen hängen, gehört meiner Meinung nach zu den größten Fehlern nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, die diesen Namen nicht mehr verdient. Das ist keine Wettbewerbspolitik mehr.
Die Deutschen betreiben das sogar noch umfänglicher als die Franzosen und die von Herrn Waigel so schmählich behandelten Italiener, aber vielleicht deswegen, weil Subventionstatbestände kein. Konvergenzkriterium sind.
Die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen hat in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Subventionskontrolle eingebracht, der hier aber keinen Anklang gefunden hat.
Es geht nicht darum, die Großbetriebe so zu unterstützen, wie wir es gerade in den letzten Wochen erlebt haben, als die DASA die ganze Republik vor sich hertrieb. Es geht vor allen Dingen darum, den Mittelstand zu fördern, weil dort nämlich, wie wir denken, das Innovationspotential und die hohe Flexibilität liegen, die wir jetzt eigentlich brauchen.
Antje Hermenau
Wenn die Großindustrie zum Beispiel eine bemannte Raumfahrt haben will, dann soll sie auch eigenes Kapital investieren. Die Studien haben gezeigt, daß der Technologietransfer aus der Raumfahrtforschung in die Industrie ausgesprochen mager ist und überhaupt nicht rechtfertigt, daß der Staat mit soviel Geld dabei ist.
Auch Herr Henkel vom BDI sieht ein Problem in der Tatsache, daß die Deutschen größtenteils mit Auslauf- oder ausgereiften Produkten handeln und daß es eigentlich viel wichtiger wäre, mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen.
Dabei ist natürlich die Markteinführungsphase entscheidend. Wir im Osten merken das alles viel schärfer als Sie, weil wir die Konkurrenz viel härter erleben als Sie im Moment, da Sie im Prinzip schon sichere Märkte haben. Wir müssen unsere erobern. Herr Henkel verweist darauf, daß zum Beispiel die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bruttoinlandsprodukt in Japan, in der Schweiz, in Schweden, in den USA viel höher liegen als in Deutschland. Ich denke, zu diesem Problem sollten wir uns eine Frage stellen, wenn sogar schon die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft überlegen, wie sie die Industrieforschung in den fünf neuen Ländern verstärken können. Sie wollen nachfrageorientierte Datenbanken einrichten oder Hospitantenstellen anbieten.
Kurze Entwicklungszeiten neuer Produkte und schnelle Markteinführung bringen wahrscheinlich sogar mehr als 10 bis 15 Prozent der Versuche von Lohnnebenkostensenkungen. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein.
Herr Haussmann hat hier gestern eine große Rede geschwungen, daß die Globalisierung, die Mammutunternehmen und die Medialisierung kämen, die ganze Welt ein Dorf werde und wir Deutschen hinterherhetzen müßten, weil Homo oeconomicus wieder einmal nicht auf dem Berg sei.
Bestimmte Betriebsgrößen werden sich den politischen Vorgaben der Bundesrepublik Deutschland aber entziehen. Das kann man unmoralisch finden, das kann auch volkswirtschaftlich fatal sein; aber betriebswirtschaftlich ist es für diese Dimensionen, für diese Betriebsgrößen logisch. Sie werden sich trotz exorbitanter Branchensubventionen, vielleicht mit zeitlicher Verzögerung, aus Deutschland absetzen, wenn sie das wollen. Dann ist das Geld weg, das wir eigentlich Jahr für Jahr kontinuierlich für kleinere Strukturen, für grenzüberschreitendes Wirtschaften in einem angestrebten Europa der Regionen hätten nutzen können.
Gerade weil wir eine Globalisierung der Wirtschaft erleben, gewinnt die Förderung kleinerer Strukturen in gewerblicher Wertschöpfung und unternehmensbezogenen Dienstleistungen an Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund steht auch der Antrag, den wir gestellt haben, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zugunsten von Infrastrukturmaßnahmen in den fünf neuen Ländern aufzustocken. Alle Abgeordneten aus den fünf neuen Ländern können über deren Notwendigkeit nach ihrer Einschätzung entscheiden.
Man wirft dem Osten Subventionsmentalität vor. Bevor ich mit diesem Märchen aufräume, möchte ich einen kurzen Exkurs zum Thema „politische Zementierung der Subventionsmentalität" machen. Mehr Industrie im Osten würde den Nährboden für eine solche Mentalität brechen. Zur Zeit ist das ohne Subventionen noch - das möchte ich betonen - nicht zu leisten. Streichen Sie die Subventionen unkontrolliert, dann verhelfen Sie der PDS, einer Partei, die für ein subventioniertes, bewegungsarmes und unemanzipiertes Leben an sich steht, zu Wahlergebnissen, die es Ihnen unmöglich machen werden, an ihr vorbeizuregieren.
Damit wiederum zementieren Sie auf Grund der Vorstellung der PDS zur subventionierten Wirtschaftspolitik genau diese Subventionsmentalität im Osten auf lange Zeit.
Die kleinen und mittleren Unternehmen in den fünf neuen Ländern brauchen sehr gezielte Subventionen für den Wandel; denn sie schaffen die Arbeitsplätze, indem sie Monostrukturen überwinden. Diese Subventionsziele sind zum Beispiel die Förderung der regionalen Strukturentwicklung, der Aufbau eines breiten Mittelstandes oder auch die Förderung von Exportunternehmen. Die Bundesregierung gibt in ihrem Bericht zum Aufbau Ost selber zu, daß dieses Ziel „bei weitem noch nicht erreicht" ist.
Nun kommen wir zu dem Märchen vom Faß ohne Boden, das „fünf neue Länder" heißt. Von den rund 89 Milliarden DM Bruttotransferausgaben des Bundes - West nach Ost - decken die fünf neuen Länder 1996 selbst schon zirka 52 Milliarden DM aus eigenen Kräften. Das heißt, die Nettotransferleistung West/Ost beläuft sich auf zirka 37 Milliarden DM. Wenn man den gesamten Bruttotransfer von 89 Milliarden DM mit dem Gesamthaushalt vergleicht, stellt man fest, daß dieser Transfer ungefähr 20 Prozent des Bundeshaushaltes und damit dem Bevölkerungsanteil der fünf neuen Länder entspricht. Wer kann da noch von einer Bevorteilung und überproportionalen Bedienung der fünf neuen Länder sprechen? Ich finde das unverantwortlich.
Antje Hermenau
Die fünf neuen Länder werden für den Haushalt 1996 einen Konsolidierungsbeitrag leisten. Ich finde, er ist sogar zu weit gegangen: Man hat bestimmte Investitionsausgaben zu stark gekürzt, zum Beispiel in der Gemeinschaftsaufgabe, zum Beispiel in der Fernwärmesanierung - eine völlig widersinnige Streichung - oder zum Beispiel auch in der Industrieforschung.
Es heißt, die Fördermittel seien nicht abgeflossen. Ich sage Ihnen, was mir die Bürgermeister erzählen, wenn ich durch Sachsen reise: Wir würden es ja gerne tun; wir haben viele Probleme. Aber wir wissen nicht, wie wir bei so vielen Maßnahmen - über 700 auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene - durchblikken sollen. - Wir hätten die Maßnahmen viel besser bündeln müssen, statt sie zu streichen.
Hätten wir uns erlaubt, für die nächsten zwei Jahre 200 Millionen DM für die Fernwärme einzusetzen, hätten wir eine Verminderung des CO2-Ausstoßes von jährlich zirka 200 000 Tonnen erreichen können - allein durch das Abdichten des undichten Netzes in Ostdeutschland. Aber Ihre Vorgaben zur CO2- Reduktion sind Ihnen selber auch nicht so wichtig. Sie haben sich viel Zeit gegeben: bis 2005. Man wird sehen, was daraus noch erwächst.
Wie richtungsweisend Ihre Entscheidungen im Energiebereich sind, wissen wir sowieso schon. Sie schippern im Fahrwasser der ökonomischen und energiepolitischen Kurzsichtigkeit, wie auf dem Energiegipfel in Tokio schon deutlich geworden ist, wo man meinte, sämtliche Energieträger - fossile Energie genauso wie Kernenergie und erneuerbare Energie - seien einzusetzen, keine dürfe aus ideologischen Gründen ausgeschlossen werden. Mein Gott, das sind doch keine ideologischen Gründe; das sind Gründe im Umweltbereich, das sind volkswirtschaftliche Gründe, das sind energiepolitische Gründe.
Auf diesem Energiegipfel wurde tatsächlich gefordert, daß die Industrieländer mehr Kernenergie und andere technisch anspruchsvolle Energien nutzen und die Entwicklungsländer im wesentlichen mit dem 01 zurechtkommen sollten. Ich mache Ihnen dazu eine volkswirtschaftlich interessante Gegenrechnung auf, die Sie indirekt in der Haushaltsberatung bereits bestätigt haben.
Wir hätten uns viel stärker auf das Problem der Photovoltaik, auf die Entwicklung von billigen und gut nutzbaren Solarzellen verlegen müssen. Heute leben 50 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, die von Energieimporten abhängen, und in vier Jahren werden bereits 80 Prozent der Bevölkerung in energieimportierenden Ländern leben. Es stellt sich daher die Frage: Wer wird die Energie exportieren, und wer wird die Technik für Energieerzeugung exportieren? Da könnten wir mit erneuerbaren Energien, mit Solarzellen einen wirklichen Beitrag in diesem „globalen Dorf" leisten. Aber die Koalitionsfraktionen haben den Titel für die Photovoltaik nur von 5 Millionen auf 18 Millionen DM erhöht, um somit ihr Programm der 1 000 Dächer abzusichern.
- Immerhin. Es wäre wirklich mehr möglich gewesen.
Ich komme zum Schluß. Diese Gesellschaft kann sich die Animositäten beim Anerkennen der Veränderungen in der Welt nicht mehr leisten. Vielleicht können wir Ostdeutsche einen gesamtdeutschen Beitrag leisten, indem wir eine Erfahrung zur Verfügung stellen: Es war in den letzten sechs Jahren nicht immer einfach - auf den Tag genau vor sechs Jahren ist die Mauer gefallen -, und wir sind zum Teil über das zweierlei Maß zornig, das in Deutschland existiert. Aber wir wissen, daß man nicht stirbt, wenn um einen herum die alten Dinge zusammenbrechen und vage neue Zeiten beginnen.
Wir haben uns gefürchtet, aber wir sind nicht zugrunde gegangen. Wir wissen, wie schmerzhaft es wird, wenn man bis zum bitteren Ende in der Hoffnung immer weiterwurschtelt, irgendwann wird ein Deus ex machina die Sache in letzter Sekunde retten. Diese irrige Hoffnung muß ich Ihnen leider nehmen: Man muß handeln.
Danke schön.