Rede von
Manfred
Hampel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Besetzung auf der Regierungsbank ist ein Beleg dafür, welche
Bedeutung die Bundesregierung der Wirtschaftspolitik beimißt.
- Ich sprach von der Besetzung der Regierungsbank. Es braucht nicht immer nur einer anwesend zu sein.
Die Beratungen zum 96er Haushalt sind im Berichterstattergespräch und bei der Beratung des Einzelplanes - -
- Kollege Rossmanith, ich wollte gerade sagen, daß die Beratungen in einer sachlichen und guten Atmosphäre verlaufen sind. Nun konterkarieren Sie das bitte nicht. Ich meinte das Berichterstattergespräch und auch die Beratungen des Einzelplanes.
Am Ende haben sie jedoch eine Wende genommen, die es schwermacht, zur Tagesordnung überzugehen und eine „ganz normale" Haushaltsrede zu halten. Was uns für die Bereinigungssitzung vorgelegt wurde, war eine Desavouierung des Parlaments und ein Setzen auf die Zeitschiene nach dem Prinzip Hoffnung. Die Zukunft wird diese Bundesregierung einholen. Um dies zu sagen, muß man kein Prophet sein.
Die Prognosen des Bundeswirtschaftsministers mußten für 1995 und auch für 1996 deutlich nach unten korrigiert werden. Trotz einer optimistischen Grundannahme im Sommer dieses Jahres hat der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums bluten müssen. Rechnet man den Ersatz des Kohlepfennigs in Höhe von 8 Milliarden DM aus dem Haushalt heraus - das muß man, wenn der Vergleich mit früheren Jahren realistisch ausfallen soll -, sinkt der Haushalt im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent. Dies geschieht zu einer Zeit, in der gestaltende Wirtschaftspolitik dringend nötig wäre.
Der Haushalt 1996 bietet keine ausreichenden Lösungsansätze für die wirtschaftlichen Zukunftsauf-
Manfred Hampel
gaben, insbesondere für die Aufgabe des Aufbaus der Entwicklung der Wirtschaft in den neuen Ländern. In einem Bericht verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute an das Bundeswirtschaftsministerium werden gravierende Strukturdefizite der ostdeutschen Wirtschaft aufgezeigt. Nach wie vor nimmt die Zahl der Insolvenzen zu, und die Existenz vieler mittelständischer Unternehmen ist auf Grund von nicht ausreichendem Eigenkapital gefährdet.
Mit ein paar Beispielen will ich aufzeigen, wie weit wirtschaftliche Notwendigkeiten und wirtschaftspolitisches Handeln dieser Bundesregierung auseinanderfallen.
Erstes Beispiel: Im Jahre 1994 wurden nur knapp 70 Milliarden DM an Waren und Dienstleistungen außerhalb der neuen Bundesländer abgesetzt, davon 30 Milliarden DM in die alten Bundesländer. Dem standen Bezüge von 290 Milliarden DM gegenüber. Mit 220 Milliarden DM ist die Differenz erschreckend groß, bringt die Bundesregierung aber nicht zu der Schlußfolgerung, Absatzförderung in gleicher oder gar erweiterter Höhe zu betreiben. Die Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte wird statt dessen von 60 Millionen DM auf 40 Millionen DM gesenkt. Wie paßt dies zusammen?
Zweites Beispiel: Eine Schwachstelle des Wachstumsprozesses ist die Situation von Forschung und Entwicklung. Sie ist für den Aufbau der Wirtschaft von großer Bedeutung. Ausgerechnet in diesem Bereich ist der Arbeitsplatzabbau in den neuen Ländern dramatisch gewesen. Von den Anfang 1990 rund 86 000 Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung waren Ende 1994 nur noch knapp 16 000 tätig. Das ist ein Rückgang um 80 Prozent, dem wir nicht tatenlos zusehen sollten.
Die Schaffung der Konkurrenzfähigkeit und die erfolgreiche Behauptung auf den Absatzmärkten verlangt von den Unternehmen, neue bzw. verbesserte Produkte und Verfahren einzuführen. Die Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung erschwert dies erheblich.
Die Förderprogramme der vergangenen Jahre vermochten diesen Problemen trotz vielfältiger positiver Wirkungen nicht ausreichend zu begegnen. Das heißt aber, daß eine Reduzierung oder gar Beendigung der Innovationsförderung jetzt nicht zur Diskussion stehen dürfte. Das Gegenteil muß der Fall sein.
Wie verhält sich nun die Bundesregierung vor diesem Hintergrund? Die im Etat eingeplanten Mittel für das Sonderprogramm FuE neue Länder werden kurzerhand um 72 Millionen DM gekürzt.
Zwar hat sich die Koalition letztlich doch noch aufgerafft, den Baransatz um 60 Millionen DM aufzustokken. Trotzdem bleibt eine Absenkung um 12 Millionen DM in einem Bereich, der zu einem Wachstumsmotor entwickelt werden müßte. Meine Damen und Herren, lassen Sie sich sagen: Das ist nun wirklich am falschen Ende gespart.
Drittes Beispiel: Nach mehr als fünf Jahren deutscher Einheit besteht nach wie vor ein grundlegender struktureller Unterschied zwischen Ost und West. Nach allen vorliegenden Erkenntnissen ist der Aufbau einer neuen Wirtschaftsbasis nur in solchen Branchen und Unternehmen gelungen, die für regional begrenzte Märkte produzieren. Im industriellen Sektor ist es bisher nicht gelungen, ausreichend international wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Eine gesunde industrielle Basis ist aber unbedingt notwendig, um auf Dauer die neu entstandenen Dienstleistungsarbeitsplätze zu sichern und letztlich die Transferleistungen aus dem Westen abzubauen.
Der Weg zu einer stabilen industriellen Beschäftigungsbasis erweist sich trotz gewachsener Investitionen im verarbeitenden Gewerbe als außerordentlich schwierig.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute warnen in ihrem Herbstgutachten ausdrücklich vor dem Trugschluß, erstens sei den wirtschaftlichen Aspekten der deutschen Einigung weitgehend Rechnung getragen, zweitens sei der Aufholprozeß in Ostdeutschland damit auf die Schiene gesetzt und demzufolge stünde drittens einem Abbau der öffentlichen Transfers von West nach Ost nichts mehr im Wege.
Allzuleicht, so heißt es im Gutachten weiter, entstehe der Eindruck, Ostdeutschland sei eine besonders dynamische Region, weil sie die höchsten Wachstumsraten in Europa aufweise. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, da man allein aus hohen Wachstumsraten noch nicht zwangsläufig auf eine eigenständige Dynamik schließen kann.
Im Gegenteil, so die Institute: Sollten die Transferleistungen abgebaut werden, werde sich die ostdeutsche Wirtschaft als zu schwach für einen selbsttragenden Aufschwung erweisen.
Wie reagieren nun die Bundesregierung und die Regierungskoalition auf diese Warnungen? Die Mittel für die Zuweisungen an die neuen Länder im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" wurden im Entwurf von 3,75 Milliarden DM auf 3,25 Milliarden DM zusammengestrichen. Die Koalition legte noch eines drauf, indem in der Bereinigungssitzung die Mittel um weitere 50 Millionen DM gekürzt wurden.
Manfred Hampel
Noch schlimmer sieht es in der mittelfristigen Finanzplanung aus. Bis zum Jahr 1999 sollen diese Mittel um rund 2,9 Milliarden DM auf 855 Millionen DM zurückfallen.
Dies ist für uns Sozialdemokraten nicht hinnehmbar. Vielmehr ist eine Verstetigung in einer Höhe erforderlich, die den wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Ostdeutschland ausreichend Rechnung trägt.
Angesichts der dramatischen Haushaltslage auch der Länder darf das Bund-Länder-Verhältnis bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" kein Tabu sein. Durch die hohen Steuerausfälle auf Länderebene werden die Länder künftig ihren Anteil nicht in vollem Umfang kofinanzieren können. Die Folge: Ein Teil der Mittel fließt nicht ab, und dringend notwendige Investitionen unterbleiben. Die Kofinanzierungsquote sollte deshalb alsbald zugunsten der Länder verändert werden.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung, die nichts direkt mit dem Haushalt zu tun hat; ich habe auch lange überlegt, ob ich sie hier bringen soll. Aber ich denke, sie paßt in das allgemeine Bild und muß gesagt werden. In einem Artikel im „Münchner Merkur" vom 3. November 1995 unter der Überschrift „Keine DM für PDS-Wähler" wird der Landesvorsitzende der Jungen Union in Bayern, Markus Söder, mit den Worten zitiert:
Wer die PDS wählt, braucht keine D-Mark. Es geht nicht an, ständig über den Westen zu schimpfen und die PDS-Fuzzis zu wählen, aber gleichzeitig den Aufbau vor Ort allein aus dem Westen mit dem Solidaritätszuschlag zu finanzieren.
Herr Söder fügte dann noch hinzu, nun sei die Schmerzgrenze erreicht.
Meine Damen und Herren, solche Äußerungen sind ein Skandal.
Ich hätte auf dieses Zitat gern verzichtet, wenn irgendein kleines Licht in der CDU/CSU dies gesagt hätte. Aber es handelt sich immerhin um den Landesvorsitzenden der Jungen Union in Bayern.
Mit ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik und den daraus resultierenden sozialen Unsicherheiten hat diese Bundesregierung der PDS schon viel zuviel Wähler in die Arme getrieben.
Wenn Sie wollen, daß noch mehr Menschen PDS wählen, dann müssen sich nur solche Stimmen mehren.
Aber zurück zum Haushalt und zu meinem vierten Beispiel. Auch am Beispiel der Förderung von Fernwärmeanlagen läßt sich die Dissonanz zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und dem wirtschaftspolitischen Handeln dieser Koalition demonstrieren. Gerade unter den Aspekten der Modernisierung der Energieversorgung und des notwendigen ökologischen Umbaus der Industrie sind die Sanierung und der Ausbau der Fernwärme ein wesentlicher Beitrag.
Wir haben mit einem Erhöhungsantrag von 100 Millionen DM die notwendige Fortführung des Fernwärmesanierungsprogramms über 1995 hinaus wenigstens teilweise sichern wollen. Dies wurde von der Regierungskoalition natürlich prompt abgelehnt. Meine Damen und Herren von der Koalition, etwas mehr Sensibilität in der Energie- und Umweltpolitik würde auch Ihnen gut anstehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch ein paar positive Beispiele nennen, die in den Berichterstattergesprächen und den Haushaltsberatungen erzielt werden konnten. Das ist die Erhöhung erstens der Kosten der Beteiligung des Bundes an ausländischen Messen und Ausstellungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft von 60 auf 65 Millionen DM, zweitens der Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland von 55 auf 57 Millionen DM, drittens der Förderung von Lehrgängen der überbetrieblichen und beruflichen Bildung im Handwerk von 67,5 auf 69,5 Millionen DM.
Letztlich will ich auch die Erhöhung des Sonderprogramms FuE neue Länder um 60 Millionen DM erwähnen, wobei der Wermutstropfen allerdings ist, daß 50 Millionen DM dieser Erhöhung aus der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" geschnitten wurden.
Positiv will ich auch anmerken, daß die Einrichtung von Umwelt-Area-Managern bei den Außenhandelskammern durch die Bereitstellung von Mitteln ermöglicht wird.
Ausdrücklich begrüße ich, daß sich die Bundesregierung bei der Durchführung der Weltausstellung Expo 2000 durch Beteiligung an der Betreibergesellschaft und an der Schaffung eines Generalkommissariats finanziell engagiert.
Dieses Generalkommissariat ist jedoch trotz der privatrechtlichen Konstruktion Zuwendungsempfänger.
Nach der Vorlage von sehr globalen Wirtschaftsplänen im Anfangsstadium erwarte ich für 1996 und die nachfolgenden Jahre detaillierte Wirtschaftspläne und Abrechnungen.
Manfred Hampel
Meine Damen und Herren, ein Dorn im Auge ist mir auch der Sitz des Büros in Berlin. Das Gegenargument lautet, man könne die organisatorischen Leistungen für die Expo 2000 ebensogut von Berlin aus erbringen. Ich denke aber: Der Sitz des Generalkommissariats hat für die Expo eine gewisse symbolische Bedeutung. Sie findet nun einmal nicht in Berlin, sondern in Hannover statt. Deshalb gehört das Büro dorthin.
Außerdem könnte ich mir vorstellen, daß die Organisation der Veranstaltung von Hannover aus wesentlich kostengünstiger zu bewältigen ist. Dabei denke ich nur an die Posten „Mieten" und „Reisekosten".
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr sind die Zinszuschüsse für die Schiffswerften als Verpflichtungsermächtigung in die Haushalte 1997 und 1998 eingestellt worden. Die Bundesregierung ist dabei von einer hälftigen Finanzierung durch Bund und Länder ausgegangen. Der Sache nach handelt es sich um eine Reederhilfe, die seit jeher zu 100 Prozent Aufgabe des Bundes war. Unseren diesbezüglichen Antrag hat die Koalition abgelehnt.
In den letzten Tagen hat es eine Entwicklung gegeben, die es notwendig macht, über das Thema Werftenhilfe erneut zu reden.
Das OECD-Abkommen wird wahrscheinlich nicht, wie ursprünglich geplant, Ende dieses Jahres in Kraft treten. Die USA und Japan haben dieses Abkommen nämlich noch nicht ratifiziert. Weiterhin läuft die 7. EU-Schiffsbau-Beihilfe-Richtlinie nicht Ende des Jahres aus, sondern ist um neun Monate verlängert worden.
Die Bundesregierung muß schnellstens handeln, damit die deutsche Werftindustrie nicht weitere Wettbewerbsnachteile hinnehmen muß.
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr werden in den Bundeshaushalt erstmals Mittel für den Ersatz des Kohlepfennigs eingestellt. Eine steuerliche Gegenfinanzierung ist am Widerstand der F.D.P. gescheitert. Dies hat zur Folge, daß die Strompreise für die Verbraucher in Westdeutschland niedriger geworden sind. In Ostdeutschland waren die Strompreise durch den riesigen investiven Nachholbedarf der Energieversorgungsunternehmen ohnehin schon höher. Durch den Wegfall des Kohlepfennigs ist die Differenz und damit auch der Wettbewerbsnachteil der ostdeutschen Industrie größer geworden.
Eine schnelle Lösung ist dringend erforderlich. Da stehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, in der Verantwortung.
Meine Damen und Herren, ich bin mir durchaus bewußt, daß alle meine Beispiele auf Erhöhungsanträge hinauslaufen, die in der derzeitigen Haushaltssituation und ohne grundlegende strukturelle Änderungen im Bundeshaushalt nicht realisierbar sind.
Deshalb haben wir auf konkrete Anträge in der zweiten Lesung verzichtet.
Nur: Wenn es diese kritische Situation nun einmal erfordert, hätte die Bundesregierung, insbesondere aber der Bundesfinanzminister, den Mut zu einer Ergänzungsvorlage haben müssen,
bei der es von A wie Absatzförderung ostdeutscher Produkte bis Z wie Zuschüsse für die Steinkohleindustrie keine Tabus geben darf.
Leider hat Sie der Mut offenkundig verlassen, oder besser: Sie hatten ihn eigentlich noch nie.