Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Bevor ich mich mit einem Aspekt des Einzelplanes 06 befasse, möchte ich hier - zumindest für mich ganz persönlich - meine Betroffenheit über die heutigen Haushaltsplanberatungen zum Ausdruck bringen. Ich habe heute morgen den Eindruck gehabt, daß hier mit einem Maß an Arroganz, mit einem Maß an Selbstherrlichkeit und Überheblichkeit, wie auf einer Wolke schwebend, eine Problembeschreibung in diesem Land vorgenommen wurde; aber Lösungsansätze konkreter Art habe ich sehr vermißt.
Günter Graf
Insbesondere hat dies, so glaube ich, der Bundeskanzler in der Art, wie er sich heute morgen hier dargestellt hat, sehr deutlich bewiesen. Ich habe den Eindruck, er sieht die Probleme nicht, oder will sie einfach nicht mehr sehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist unübersehbar: Der Sozialabbau in unserem Staat ist unverkennbar und trägt in gravierender Weise dazu bei, unser Land in Arm und Reich zu spalten.
Dies nur als kurze Vorbemerkung zur heutigen Debatte, die ich von heute morgen an hier verfolgt habe.
Ich möchte die Redezeit benutzen, um mich dem Einzelplan 06 zuzuwenden. Ganz kurz noch eine Anmerkung dazu. Mir ist heute einmal mehr sehr deutlich geworden, daß diese Bundesregierung handlungsunfähig ist, wenn es darum geht, eine notwendige Strategie zur Bekämpfung des internationalen Verbrechens, der internationalen Kriminalität zu entwickeln. Offenbar lähmt sie der Koalitionspartner in dieser Frage.
Es hilft auch nichts, wenn der Bundesinnenminister immer sagt, was er denn gerne tun möchte, um mit diesem Problem in diesem Lande fertig zu werden, wenn er handlungsunfähig ist, weil ihm in dieser Frage die Unterstützung verwehrt wird.
Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Damit schadet die Bundesregierung diesem Land, weil sich in ihm die organisierte Kriminalität mehr und mehr festsetzt und damit die illegalen Geldströme in dieses Land zu einer massiven Gefährdung unserer Demokratie führen.
Ich fordere Sie daher auf, gemeinsam mit uns - wir haben dazu Vorschläge unterbreitet; ich nenne Stichworte wie Vermögenseinziehung, Beweislastumkehr und Einsatz technischer Mittel zum Abhören - endlich gesetzliche Regelungen zu schaffen, damit diejenigen, die in unserem Staat für die Sicherheit zu sorgen haben, einen Teil des notwendigen Rüstzeugs bekommen, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden. Das hierzu.
Nun möchte ich aber, liebe Kolleginnen und Kollegen - wie meine Kollegin Uta Titze-Stecher schon angekündigt hat - einen besonderen Aspekt des Einzelplanes 06 herausnehmen, und das ist die Aussiedlerproblematik. Ich habe das im Innenausschuß schon einmal getan, und ich möchte es hier wiederholen.
Ich komme aus einem Wahlkreis - Cloppenburg/ Vechta -, der durch den unkontrollierten Zuzug von Aussiedlern in einem starken Maße betroffen ist.
Frau Kollegin, Sie müssen sich das vor Ort einmal ansehen.
- Frau Kollegin, ich werde gleich noch einige Zitate Ihrer Kollegen aus der Fraktion und von der CDU/ CSU bringen. Dann, glaube ich, reden Sie anders, oder wir sprechen hinterher einmal darüber.
Ich will hier nur sagen: Wir haben - das ist nachvollziehbar -, in den 50er und 60er Jahren, als Spätaussiedler zu uns gekommen sind, in bestimmten Regionen mit Hilfe der Kirche dafür gesorgt, daß sie hier bei uns verdientermaßen eine Heimat finden. Das war gut und richtig. Es hat allerdings über Jahre und Jahrzehnte ständig Verbindungen zu den Menschen, die drüben bleiben mußten, gegeben. Diese Situation führt heute dazu - wo jährlich zirka 225 000 Menschen herüberkommen -, daß sie sich verständlicherweise - ich würde es genauso tun - dahin orientieren, wo bereits andere Menschen wohnen. Die gesetzliche Regelung betreffend vorläufige Festlegung eines Wohnortes ist nach meinem Dafürhalten absolut unzureichend. Es muß etwas anderes hinzukommen, ein anderes Steuerungsinstrument.
- Frau Kollegin, nun reden Sie nicht. Sie müssen sich schon vorher schlau machen, bevor Sie solche Zwischenbemerkungen machen.
Wenn Sie also einen Ort haben, in dem es einen Anteil von 25 Prozent an Aussiedlern gibt, dann können Sie sich vorstellen, was das bedeutet. Ich rede hier nicht gegen diese Menschen. Diese Menschen sind bei uns willkommen, wir nehmen sie auf. Wir haben aber auch dafür zu sorgen, daß es in diesem Land in bestimmten Regionen nicht zu Spannungen kommt. Diese gibt es aber im Lande Niedersachsen, diese gibt es im Lande Baden-Württemberg
- und zum Teil in Nordrhein-Westfalen, aber bei weitem nicht so gravierend, wie Sie vielleicht vermuten, Frau Kollegin.
Dieses hat Folgen. Dieses Problem betrifft nicht nur Cloppenburg, es betrifft das Emsland, den Landkreis Osnabrück, die Gemeinden Gifhorn oder Lahr. Ich will Ihnen nun einmal einige Zitate bringen, die ich gestern zusammengeschrieben habe. Herr Eppelmann sagte am 15. Juni 1995: „Davon habe ich heute zum erstenmal gehört. Ich werde diese Problematik sowohl in der CDA wie auch im CDU-Bundesvorstand erörtern." Ob etwas geschehen ist, weiß ich nicht.
Herr Eveslage, Präsident des Niedersächsischen Städte- und G emeindebundes, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Hannover und stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Hannover, sagt, beispielsweise müsse der Sprachunterricht wieder verlängert werden, den Bonn auf
Günter Graf
sechs Monate verkürzt hatte. Er kritisiert dabei auch die eigenen Reihen. Ich könnte Ihnen dazu noch eine ganze Menge mehr vorlegen.
Der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens, mein Kollege aus dem Wahlkreis, sagt, so könne es nicht weitergehen, man müsse etwas tun. Er fordert sogar die Bürgermeister auf, sich bei der Baulandausweisung in dieser Frage zurückzuhalten, was ich für diskriminierend halte. Das will ich Ihnen ganz offen sagen. In Gemeinderäten in der Weise zu argumentieren, daß man sagt: „Wir können diese Leute hier nicht bauen lassen. Ihr kriegt keinen Bauplatz, sondern nur die Einheimischen", kann nicht die Politik in einem demokratischen Staat sein. Wenn das ein Parlamentarischer Staatssekretär vor Ort kritisiert, gehe ich davon aus, daß das auch in das Kabinett getragen wird und daß sich das Kabinett mit diesen Fragen beschäftigt. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein.
Der Staatssekretär Dr. Walter Priesnitz war auch dort und schreibt in einem Brief an Ihren Kollegen, Herrn Paul Friedhoff, daß die Kosten, die dort entstehen, nicht mehr allein von den Leuten dort getragen werden können, daß einiges mehr notwendig ist, daß den betroffenen Kommunen Hilfe zukommen muß. Was ist die Folge? Was ist geschehen? Nichts! Wir kürzen im Einzelplan 06 - gucken Sie hinein -, gerade was die Eingliederungshilfen insgesamt angeht.
- Zur Sozialhilfe will ich Ihnen gleich noch einige Zahlen nennen.
Der Kollege Hans Eveslage, den ich eben schon zitiert habe, will über alle Parteiräson hinaus im Konflikt mit der CDU/F.D.P.-Bundesregierung eine finanzielle Besserstellung der Kommunen erreichen. Damit ist der Gang zum Bundesverfassungsgericht eine kalkulierbare Größe für ihn geworden. Herr Eveslage sagt, er erwäge eine Verfassungsklage gegen den Bund wegen dieser Situation. Ich weiß nicht, ob Ihnen das schon bekannt ist.
Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Ausländerbeauftragte. Früher war es Kollegin Dempwolf, heute ist es die Kollegin Kors. Was sagen die eigentlich zu dieser Problematik? Das kann ich einmal zitieren. Am 20. Februar 1995 heißt es für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag im DUD-Sonderdienst:
Die neu eintreffenden Mitbürger brauchen - gerade in Zeiten von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot - verstärkte Hilfe von politischer Seite. Finanzielle Mittel, wie z. B. die Sprachschulungen und der Garantiefonds,
der speziell für jugendliche Aussiedler da ist, dürfen nicht weiter gekürzt werden.
Ich könnte diese Reihe von Aussagen von Mitgliedern dieser Koalition unbegrenzt fortsetzen, aber meine Redezeit ist relativ kurz.
- Ja, es ist immer unbequem, wenn man sich bittere Wahrheiten anhören muß. Das weiß ich, das geht mir manchmal auch so; man macht ja auch nicht alles richtig. Aber das muß einmal gesagt werden.
Jetzt will ich Ihnen noch einmal einige Zahlen nennen, die belegen, wie sich die Situation darstellt. Zum Beispiel betrugen im Landkreis Osnabrück die Sozialhilfeausgaben 1993 3,1 Millionen DM, im Jahre 1994 25,1 Millionen DM, und 1995 ist eine Steigerung auf über 25 Millionen DM zu erwarten.
Im Landkreis Gifhorn waren es vor diesem Hintergrund - ich habe den Schwerpunkt angesprochen -1993 20 Millionen DM, 1994 34 Millionen DM; 1995 werden es voraussichtlich 45 Millionen DM sein.
Im Ortenaukreis - ich habe auf Lahr hingewiesen - betrugen die Sozialhilfeausgaben 1993 2 Millionen DM und 1994 12 Millionen DM. 1995 werden es 18 Millionen DM sein.
Wie sieht es bei mir im Landkreis Cloppenburg aus? Auch das will ich nicht verschweigen: 1993 23 Millionen DM, 1994 34 Millionen DM und 1995 voraussichtlich mehr als 45 Millionen DM Sozialhilfeausgaben. Dies hat zur Folge gehabt, daß wir zweimal die Kreisumlage erhöht haben; wir befinden uns jetzt bei 46, 47 Prozent. Die Gemeinden sind finanziell am Ende.
Ich frage mich, was das noch mit der Garantie kommunaler Selbstverwaltung zu tun hat. Ich erinnere an den Art. 28 des Grundgesetzes, der diese Garantie enthält. Die Kommunen sind finanziell am Ende. Die Haushalte können nicht mehr ausgeglichen werden, ganz zu schweigen von den Personalausgaben, die notwendig sind, um mit dieser Problematik, die sie zusätzlich belastet, fertig zu werden.
Wir haben im Innenausschuß des Deutschen Bundestages drei Anträge vorgelegt.
Wir haben ein Sofortprogramm für die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland gefordert, die in besonderer Weise betroffen sind. Es wurde ohne große Diskussion mit der Koalitionsmehrheit abgelehnt.
Wir haben einen Antrag zur Erhöhung der Mittel für den Garantiefonds eingebracht. Die Mittel für die Sprachförderung im schulischen und außerschulischen Bereich sind seit 1992 kontinuierlich von 450 Millionen DM auf 240 Millionen DM im Jahre 1995 zurückgegangen, und das in einer Zeit, wo ein Mehr erforderlich ist und nicht ein Weniger.
Wir haben einen dritten Antrag gestellt, der sich auf die Eingliederungshilfen bezieht, auf die die be-
Günter Graf
treffenden Personen Ansprüche haben und bei denen alleine der Bund der Zahlungspflichtige ist. Allein bei uns im Landkreis konnten 15 Millionen DM - obwohl geprüfte, berechtigte, genehmigte Anträge auf Eingliederungshilfen vorlagen - nicht ausgezahlt werden, weil der Bund die Finanzmittel erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren zur Verfügung stellt, was wiederum dazu führt, daß die betreffenden Personen natürlich den Weg zum Sozialamt antreten müssen, um Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, und daß sich die Kommunen nachher auf dem Verwaltungswege die Mittel zurückholen müssen, wenn die Antragsteller das Geld haben. Das nenne ich unter dem Stichwort Erhöhung der Effizienz der Verwaltung, Verschlankung des Staates.
Dies alles ist widersinnig. Ich kann Sie alle, insbesondere die Bundesregierung, nur auffordern, sich ganz konkret mit diesen Fragen zu befassen, sich die von mir angesprochenen Anträge noch einmal zu vergegenwärtigen und vielleicht im nachhinein doch noch eine Regelung zu finden, um diesen Kommunen zu helfen.
Herzlichen Dank.