Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schlauch, wenn Sie mit „Blutrecht" auf Bodenrecht anspielen, dann ist zu sagen: Das ist auch nicht schöner. Früher hieß es immer Blut und Boden. Ob das eine vornehmer ist als das andere, will ich dahingestellt sein lassen. Es ist ja Kennzeichen einer jeden freien Gesellschaft, daß es in ihr Gegensätze gibt. Die Liberalität einer Gesellschaft macht aus, wie ein Staat mit diesen Gegensätzen umgeht, ob er auf Konfrontation oder auf Integration setzt, ob er Gemeinsamkeiten und Toleranzen mobilisiert
oder ob er auf die Ausübung staatlicher Macht setzt. Kein Staat kann darauf verzichten, Recht und Gesetz durchzusetzen. Aber er muß sorgfältig darauf achten, daß die Mittel, die er dazu einsetzt, mit den Grundwerten übereinstimmen, die er verteidigen will. Man
kann die Werte einer Verfassung nicht verteidigen, wenn man sie immer weiter einschränkt.
Die dringendste Aufgabe, der wir uns in der Innenpolitik gegenübersehen, ist es, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates neu zu bestimmen. Dazu gehört sowohl die Modernisierung des öffentlichen Dienstes - immerhin machen die Personalkosten 40 Prozent des Innenetats aus - als auch die Frage, ob der Staat wirklich alles tun muß, was er tut und wie er es tut. Die Koalition hat Vorschläge zur Mobilisierung der personellen Ressourcen vorgelegt, die nach meinem Urteil weitergehen als alle bisherigen Vorschläge.
Ich habe die Kritik, die hier geäußert worden ist, überhaupt nicht verstanden. Dazu gehören die größere Durchlässigkeit der Laufbahnen, der unbedingte Vorrang der anderweitigen zumutbaren Verwendung eines Beamten an Stelle seiner Frühpensionierung, also auch die Versetzungsmöglichkeit in andere Laufbahnen und zu anderen Dienstherren, und zwar auch ohne die Zustimmung des Beamten, wohl aber unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Personalrates, Leistungsanreize auch bei den Besoldungsregelungen ähnlich denen bei der gewerblichen Wirtschaft und vieles andere.
Die ständig wiederholte Vorstellung, die Reform des öffentlichen Dienstes bestehe darin, möglichst viele Beamte durch Angestellte zu ersetzen, ist finanziell falsch, wie die Untersuchungen auch sozialdemokratischer Finanzminister zeigen.
Es ist altes Denken. Wir wollen und wir werden das Berufsbeamtentum wegen seiner inneren Unabhängigkeit, und weil es sich bewährt hat, erhalten. Es ist nun einmal ein unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaates.
Ebenso wichtig sind die Modernisierung des Dienstrechts und die Aufgabenkritik, also das, was wir als „schlanken Staat" bezeichnen. Städte und Gemeinden sind mit der Privatisierung vorangegangen. Der Bund ist in außerordentlichem Umfang gefolgt; Beispiele sind Flugsicherung, Bahn und Post. Die Länder bleiben aufgefordert, ihren Bereich entschlossen zu überprüfen.
Ein Detail möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Wir müssen den öffentlichen Dienst von der Kameralistik befreien und weitestgehend zu einer modernen Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung kommen, ohne die ein wirklicher Leistungsvergleich und die Delegierung von Verantwortung nicht möglich sein wird.
Die Experimentierklausel, die es in diesem Bereich gibt, reicht nicht aus.
Dr. Burkhard Hirsch
Im übrigen muß dem Bürger gesagt werden, daß die Deregulierung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Es ist leichter, staatliche Regelungen zu treffen, als sie aufzuheben. Das bedeutet gleichzeitig, bisher gesetzlich geregelte Entscheidungen dem Selbstlauf der Gesellschaft zu überlassen. Also: weniger Gleichheit und mehr eigenes Risiko, weniger Staat und mehr Selbstverantwortung.
Die zweite elementare Aufgabe der Innenpolitik ist es, die Rechte der Bürger vor Kriminalität und Gewalt zu schützen. Das ist eine elementare liberale Aufgabe; denn auf den schwachen Staat folgt immer der starke Mann, und die starken Männer stehen meistens schon bereit, ehe sie gerufen werden.
Die Koalition hat im Laufe des letzten Jahres mit den Gesetzen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eine geradezu verschwenderische Fülle neuer strafrechtlicher Regelungen verwirklicht, die ich hier nur dann aufzählen könnte, wenn es mir nicht auf meine Redezeit angerechnet werden würde. Wir fordern den Innenminister - und natürlich auch die Justizministerin - dringend auf, im kommenden Jahr eine wirklich aussagekräftige Bilanz über die Wirksamkeit der getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen vorzulegen. Es ist nicht damit getan und furchtbar leicht, immer neue Gesetze zu produzieren, immer neue Strafvorschriften zu schaffen und sich damit insbesondere in Wahlkampfzeiten als strahlender Held herauszustellen.
Es ist sehr viel wichtiger, dafür zu sorgen, daß die schon beschlossenen Gesetze wirksam angewendet werden.
Das Geldwäschegesetz ist bei weitem nicht so schlecht, wie es dargestellt wird, weil es nämlich viele Fahndungsansätze geliefert hat. Aber es muß nach den bisherigen Erfahrungen weiterentwickelt werden.
- Ein Gesetz kann nur Ansätze liefern, verehrter Herr Kollege. Die Polizei muß sich darum bemühen, aus diesen Ansätzen Erfolge zu machen. So ist es nun einmal. Ich glaube, daß man die Wirksamkeit des Geldwäschegesetzes nicht, wie das häufig geschieht, an der Frage messen kann, wieviel Geld beschlagnahmt worden ist, sondern wir müssen es auch an der Frage messen, wieviel Kriminalitätsbekämpfung oder wieviel Fahndungsansätze gefunden worden sind, um weiter aufzuklären. Das sieht nicht so schlecht aus, wenn Sie sich das Vergnügen machen würden, sich das einmal im Detail anzusehen.
Ebenso kann und muß die Korruptionsbekämpfung nach den bisherigen Erfahrungen verbessert werden.
Wir wundern uns aber schon, mit welcher Leichtigkeit die schwarz-rote Koalition in Baden-Württemberg, natürlich rechtzeitig vor der Landtagswahl, den großen Lauschangriff mit einer elementaren Verletzung der Unschuldsvermutung bei der Einziehung von Vermögen durch Verwaltungsentscheidungen kombiniert - dies sogar ohne Anhörung des Betroffenen und mit der treuherzigen Versicherung, er könne ja dagegen klagen. Wir nehmen an, meine verehrten Kollegen, daß das zu den Willenserklärungen gehört, die in der Erwartung abgegeben werden, daß ihr Mangel an Ernsthaftigkeit nicht verkannt wird.
Uns interessiert die praktische Polizeiarbeit. Die Kriminalitätsstatistik zeigt, daß die Zusammenarbeit der Polizeien der Bundesländer untereinander und über die europäischen Grenzen hinweg nicht in Ordnung ist. Die gravierenden Unterschiede zwischen der Kriminalität in den neuen Bundesländern und in Westdeutschland bleiben von den Verwaltungen weitgehend unbeantwortet. Wir sehen nichts von dem notwendigen Ausbau der Polizeiführungsakademie in Hiltrup. Wir sehen nichts von der gegenseitigen Hilfe bei der Bekämpfung der Alltagskriminalität. Wir vermissen in den Länderhaushalten die Verstärkung der Polizei. Wir erwarten dringend den Ausbau von Europol und die drastische Verbesserung der bilateralen polizeilichen Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg nach West und Ost.
Wir leisten unseren Beitrag dazu durch die zügige Beratung des neuen Bundeskriminalamtgesetzes und ebenso durch die drastische Verbesserung der finanziellen Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. Dafür möchte ich meiner Kollegin Albowitz als unserer Berichterstatterin in diesem Bereich wirklich herzlich danken.
Für die Bekämpfung der den Bürger belastenden Alltagskriminalität bringt die Bundesgesetzgebung allerdings nicht allzuviel.
Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen, nämlich die Integration der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Es ist unbestreitbar, daß wir der Zuwanderung Grenzen setzen müssen, urn die Integration der hier lebenden Ausländer nicht zu erschweren. Deswegen brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen, politischen Flüchtlingen und Einwanderern differenziert.
Wir sind übrigens, um das hier nur mit einem Satz anzusprechen, nicht bereit, den absoluten Stillstand zwischen Bund und Ländern in bezug auf die Bürgerkriegsflüchtlinge auf Dauer hinzunehmen. Wir werden uns des Problems der Abschiebehaftanstalten annehmen. Sie gefährden unser internationales Ansehen und den inneren Frieden h unserer Gesellschaft.
Zum Asylrecht mache ich heute lieber keine Bemerkung. Wir erwarten mit größtem Interesse die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Der Kernpunkt der Integrationspolitik ist es, zu begreifen, daß die Integration der in der Bundesrepu-
Dr. Burkhard Hirsch
blik lebenden Ausländer nicht ausschließlich in deren Interesse liegt. Es ist vielmehr unser eigenes Interesse,
dafür zu sorgen, daß sich in unserem Land nicht eine Diaspora von über 7 Millionen Menschen bildet, die mindere Rechte haben und hier auf Dauer leben, aber doch nicht richtig zu uns gehören.
Wir müssen den jungen Menschen unter ihnen eine gesicherte Perspektive geben. Deswegen brauchen wir ein massives Integrationsangebot auch im Staatsangehörigkeitsrecht.
Die Doppelstaatsangehörigkeit entspricht bereits in Hunderttausenden von Fällen der Lebenswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir wollen die Doppelstaatsangehörigkeit nicht flächendeckend, aber doch als ein Mittel, um der zweiten und dritten Generation verläßlich zu sagen, daß sie zu uns gehören und daß wir bereit sind, das Problem der Integration mit ihnen zu teilen und nicht ihnen allein aufzubürden.
Unser Dank gilt in diesem Zusammenhang insbesondere der Ausländerbeauftragten, der Kollegin Schmalz-Jacobsen, und ihren Mitarbeitern, die für den inneren Frieden in unserer Gesellschaft einen ganz unverzichtbaren Beitrag leisten.