Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich dafür, daß niemand mehr antworten wollte. Ich habe jetzt die Chance zu reden, nachdem zwei Kollegen, die bereits gesprochen hatten, ihre Redezeit mit Kurzinterventionen ausgedehnt haben. Soviel zum Thema Parlamentsreform.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den vergangenen Jahren ist der Einzelplan 23, bedingt durch die Kosten zur Überwindung der kommunistischen Hinterlassenschaft in Deutschland und Eu-
Roland Kohn
ropa, zurückgefahren worden. Im Haushalt 1996 haben wir erstmals wieder ein Wachstum von einem halben Prozent zu verzeichnen. Der Anteil des Einzelplans am Gesamthaushalt liegt unverändert bei 1,8 Prozent.
Die auf Grund der Beratungen im Haushaltsausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf vorgesehene Kürzung der Barmittel im Einzelplan um 93 Millionen DM auf rund 8,2 Milliarden DM ist zum allergrößten Teil durch Wechselkursgewinne bedingt: schwacher Dollar - starke D-Mark. Insoweit sind mit diesen Kürzungen keinerlei Einschränkungen unseres entwicklungspolitischen Programms oder des entwicklungspolitischen Spielraums dieser Regierung verbunden. Insofern möchte ich das, was hier von seiten der Opposition kritisch bemerkt wurde, als weit über das Ziel hinausschießend zurückweisen.
Wichtiger für unsere Arbeit ist jedoch die vorgesehene Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen - allein im bilateralen Bereich um 4,3 Prozent -; das entspricht der Intention und dem Wunsch des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Insbesondere im Hinblick auf die künftigen Entwicklungsnotwendigkeiten brauchen wir mehr Flexibilität bei den Instrumenten und mehr Nachhaltigkeit der Entwicklung bei unseren Partnerstaaten. Deswegen ist auch ein weiterer Aufwuchs gerade bei den Verpflichtungsermächtigungen unabdingbar.
Natürlich ist eine Steigerung des entwicklungspolitischen Etats um ein halbes Prozent nicht das, was sich manche erträumt haben: angesichts großer Probleme, angesichts der gewachsenen internationalen Verantwortung und des Gewichts unseres Landes. Das Wachstum des Einzelplans stellt aus meiner Sicht ein um so bemerkenswerteres Ergebnis dar, als der Bundeshaushalt 1996 insgesamt erstmals seit Jahrzehnten nicht wächst, sondern zurückgefahren wird. Hiermit wird in der Tat, wie es Herr Kollege Laschet formuliert hat, ein vernünftiges Signal für den Stellenwert gegeben, den wir dieser Politik im Rahmen unserer Gesamtverantwortung einräumen.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Wir müssen der Wahrheit einfach ins Auge blicken.
- Herr Kollege Wieczorek, es muß sein, so schwer es gerade der SPD und den anderen Oppositionsparteien fällt.
Auch in den nächsten Jahren werden wir mit knappen Kassen leben müssen. Deshalb sollten wir uns nicht jammernd und zagend an die Klagemauer des Haushaltsausschusses stellen und unseren Frustrationen darüber freien Lauf lassen, wie schlecht doch die Welt als solche sei.
Statt sich darüber zu beklagen, daß die Mittel für die Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren nicht nennenswert gesteigert werden können, sollten wir der Lage nüchtern Rechnung tragen. Wir Liberale jedenfalls begreifen diese Situation als eine Erneuerungschance für die Entwicklungspolitik und als eine Herausforderung an Kreativität und Innovationskraft.
Es muß mit der rein quantitativen Betrachtungsweise der Entwicklungspolitik, wie sie in allen Redebeiträgen der Oppositionspolitiker vorgetragen wurde, Schluß sein.
Wir müssen gemeinsam überlegen, wie die vorhandenen knappen Ressourcen in Zukunft noch besser, noch effizienter im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden können. Wir müssen auch unkonventionelle und zukunftsträchtige Alternativen zu den ausgetretenen Pfaden der Vergangenheit prüfen.
In diesem Zusammenhang drängen sich geradezu eine Reihe von Fragen auf, von deren Beantwortung die Qualität unserer Entwicklungspolitik in Zukunft entscheidend abhängen wird: Wie kommen wir beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit weg von dem reinen Subventionsprinzip hin zu einem verstärkten Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, um so die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern? Wie können wir unsere entwicklungspolitischen Instrumentarien im Sinne einer effektiven Ressourcennutzung optimieren? Was müssen wir tun, um die Selbsthilfekräfte und die Eigenverantwortung in den Entwicklungsländern selbst zu fördern? Wie können wir die Eliten in unseren Partnerländern stärker in die Pflicht nehmen?
Ich sehe zum Beispiel überhaupt nicht ein, daß manche Führungskräfte in der Dritten Welt Milliardenbeträge in die Schweiz verschieben, statt dieses Geld zur Förderung der Lebensbedingungen der Menschen in ihrem eigenen Land einzusetzen.
Wie kommen wir weg von der bürokratiegeschwängerten und personalkostenintensiven Einzelprojektitis, die auch bei uns im Ausschuß um sich greift? Welche Alternativen gibt es? Könnte es zum Beispiel ein Wettbewerb in Gestalt kommunaler und regionaler, also dezentraler Budgethilfe sein?
Wie schaffen wir es, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen, die auf diesem Felde international tätig sind, zu verbessern und zu einer echten Koordination ihrer Bemühungen zu kommen? Brauchen wir wirklich die nahezu unüberschaubare Vielzahl von Institutionen und Organisationen, die sich auf dem Felde der Entwicklungspolitik tummeln, erheblichen Koordinierungsaufwand verursachen und wahrlich - man kann es sich vor Ort anschauen - nicht immer Synergieeffekte in diesen
Roland Kohn
Ländern erzielen? Wann endlich gibt es eine sachlich plausible Aufgaben- und Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union einerseits und den einzelnen Mitgliedstaaten andererseits?
Diese Liste ließe sich verlängern. Darüber möchte ich gern mit Ihnen in diesem Parlament streiten und nicht über formale Zielsetzungen quantitativer Art. Wir müssen vor allem diese Fragen beantworten,
wenn wir die Zustimmung der Bürger für unsere Politik erhalten wollen.
Ich habe mich bereits in der Debatte zur ersten Lesung zur Gesamtverantwortung für die Haushaltspolitik bekannt. Ich wiederhole deshalb: Der Weg in noch höhere Verschuldung darf im Interesse der jungen Generation nicht weitergegangen werden. Die Steuer- und Abgabenlast der Bürger ist zu hoch und muß abgebaut werden.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir in allen Politikfeldern, auch in der Entwicklungspolitik, diese Situation als Erneuerungschance begreifen und nutzen. Nur so werden wir die Zustimmung der Bürger für diese Politik erhalten.
Der Beginn der deutschen Entwicklungspolitik ist mit den Namen von zwei Liberalen verbunden: Walter Scheel war der erste Entwicklungsminister der Bundesrepublik Deutschland, und der Mannheimer Abgeordnete Robert Margulies war der erste Vorsitzende des entwicklungspolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
Seither haben sich viele Mitglieder meiner Partei für dieses immer wichtiger werdende Politikfeld engagiert, wie zuletzt unsere frühere Kollegin Ingrid Walz. Dies, Herr Minister Spranger, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß es nicht richtig sein kann, Wahlrechtssysteme zu propagieren, die den Wählerwillen jedenfalls nicht fair widerspiegeln, um es sehr zurückhaltend auszudrücken.
Wir Liberalen bekennen uns ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit den armen Ländern auf dieser Erde. Demokratie und Partizipation, Achtung der Menschenrechte, Minderheitenschutz, Rechtsstaatlichkeit und Soziale Marktwirtschaft bleiben für uns Richtschnur der Entwicklungspolitik.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei stimmt deshalb dem Einzelplan 23 zu.
Vielen Dank.