Nein, danke schön. Ich möchte die Debatte nicht so führen, daß der Gedankengang dabei unterbrochen wird.
- Aber Entschuldigung, ich war doch den ganzen Morgen dabei! Sie werden doch nicht sagen wollen, daß die Debatte nicht lebendig gewesen wäre!
Für mich ist entscheidend, daß wir jetzt fähig sind, diesen Prozeß mit Blick auf das 21. Jahrhundert unumkehrbar zu machen. Das ist die Aufgabe der Regierungskonferenz, die in ein paar Monaten beginnt. Dabei gibt es vier Zentralbereiche, wobei das, was ich jetzt sage und was wünschenswert ist, bei Maastricht II mit Sicherheit nicht vollständig erreichbar sein wird. Aber wir müssen einen weiteren entscheidenden Schritt vorangehen.
Zwei dieser zentralen Bereiche sind eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und das Thema der inneren Sicherheit, insbesondere die stärkere Zusammenarbeit gegenüber der Mafia, gegenüber dem grenzüberschreitenden organisierten Verbrechen und dem Terrorismus sowie eine gemeinsame Asyl- und Immigrationspolitik.
Hinzu kommt drittens die Verbesserung der Handlungsfähigkeit und der Effizienz der europäischen Institutionen. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf die Rolle des Europäischen Parlaments. Dieses tut sich sehr schwer, seine Rolle zu finden, weil es dort keine Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition gibt.
Viertens muß ein klares Wort zur Erweiterung gesagt werden. Es gibt z. B. den Beschluß, meine Damen und Herren, daß binnen sechs Monaten nach dem Abschluß der Regierungskonferenz die Verhandlungen mit Zypern und Malta aufgenommen werden. Ohne Prophet zu sein: Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir diesen Prozeß einleiten und nicht gleichzeitig mit den wichtigsten Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Gespräche beginnen. Dabei lasse ich völlig offen, wie lange dies dauert und ob die einzelnen Länder in der konkreten Situation dies bereits wünschen. Die Länder selbst müssen dazu das Notwendige tun.
Diese Länder aber, sei es Polen, sei es Tschechien, die Slowakei oder Ungarn, müssen wissen: Die Bundesrepublik Deutschland - ich hoffe, daß ich das so sagen kann - wird Anwalt dieser Länder sein, damit sie in das Haus Europa kommen können.
In diesen Bereich gehören meines Erachtens als ein weiterer Punkt die Frage der Bürgernähe und die demokratische Verantwortung. Darunter fällt vor allem das Stichwort der Subsidiarität.
Ich bin mir darüber im klaren - das wird schon in wenigen Wochen auf dem EU-Gipfel in Spanien ein wichtiges Thema sein -, daß der Streit unter den jetzigen 16 Mitgliedstaaten, was wir unter Subsidiarität zu verstehen haben, noch lange nicht ausgetragen ist. Die nationalstaatliche Tradition der einzelnen Länder ist verschieden. Die einen, zum Beispiel Frankreich und Italien, kennen einen Zentralstaat. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind zu Recht stolz auf unsere Erfahrungen mit einer vernünftigen föderalen Struktur.
Wer sich jetzt hier hinstellt und sagt, wir müßten etwa das, was wir im Gemeindebereich seit dem Freiherr vom Stein hoch schätzen, anderen oktroyieren, der hat keine Ahnung von der Wirklichkeit in Europa. Wir müssen für diese Überzeugung rund um die Uhr werben.
Wir haben viel erreicht. Wenn man sich vor Augen führt, daß eine Konvergenz der Wirtschaftspolitiken vor zehn Jahren noch als völlig illusorisch betrachtet wurde, es heute aber in der EU ganz selbstverständlich ist, von einer solchen Konvergenz zu sprechen, wird deutlich, daß wir große Erfolge erzielt haben. Es waren Mitglieder der Bundesregierung, Finanz- und
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Wirtschaftsminister, auch all diejenigen Kollegen, die die Verhandlungen geführt haben, die hervorragende Arbeit geleistet haben und nun Anerkennung dafür verdienen.
Zu der Wirtschafts- und Währungsunion. Meine Damen und Herren, ich finde es erstaunlich, daß es noch immer Leute für denkbar halten, daß wir eine Politische Union ohne eine Wirtschafts- und Währungsunion realisieren könnten.
- Lesen Sie nicht die Zeitung?
- Dann wissen Sie es ja. Es gibt viele dieser Leute.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Satz aber richtig ist, heißt das doch im Klartext, daß wir auch bei der Frage, wer an der Währungsunion zu welchen Zeitpunkten und bei Erfüllung der Kriterien teilnehmen kann, immer bedenken müssen, welche Auswirkungen das auf die Politische Union haben wird. In Wahrheit geht es nämlich um die Aufgabe von nationalen Souveränitätsrechten.
Ob wir es gern hören oder nicht: Wir haben es in den letzten 40 Jahren leichter gehabt, nationale Souveränitätsrechte abzugeben, weil wir erst mit dem Petersberger Abkommen nationale Souveränitätsrechte erhalten haben. Andere Länder waren Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und haben aus dieser Situation heraus völlig anders gedacht; zum Teil denken sie noch heute so.
Deswegen kann ich nur immer wieder sagen: Wir müssen hier Schritt für Schritt vorgehen. Ich bin zu jedem Gespräch bereit; das habe ich gerade im Auswärtigen Ausschuß vorgetragen. Es hat aber doch wenig Sinn - das wurde heute wieder verlangt -, als Bundesregierung öffentliche Postulate abzugeben, wenn wir unsere Partner erst dafür gewinnen müssen, sich in diese Richtung zu bewegen. Das ist doch eine absurde Vorstellung von internationalen Beziehungen.
In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich machen - auch das gehört in diese Debatte -, daß seitens vieler unserer Nachbarn kaum Verständnis für die Diskussion um die D-Mark in Deutschland vorhanden ist. Dies ist unseren Partnern und Freunden außerhalb unserer Grenzen sehr schwer zu vermitteln. Für andere gibt es eine andere Geschichtserfahrung.
Ich weise in meinen Gesprächen immer wieder darauf hin, wie die Situation im Jahre 1948 war; ich habe das als 18jähriger erlebt. Plötzlich war eine Währung da, der niemand eine Zukunft vorhersagte und die unter den Gurus der damaligen Zeit als eine Art Mißgeburt galt. Diese Währung aber hat sich Jahr für Jahr durchgesetzt. Man kann das so deutlich sagen: Die D-Mark hat uns Deutschen mehr Identifikation gebracht als die neugegründete Bundesrepublik, die mit ihrer Fahne und ihrer Hymne Probleme hatte. Vor diesem Hintergrund muß man doch bedenken, daß die Frage der D-Mark in diesem Land einen völlig anderen Stellenwert hat. Dies ist schon deswegen der Fall, weil die Generation der Älteren, die noch aus dem Ersten Weltkrieg die Erfahrungen von Inflation und Zusammenbruch hatte, und die Generation, die den Zusammenbruch von 1945 und danach den Zusammenbruch der Währung bis zur Einführung der D-Mark 1948 erlebt hat, ein völlig anderes Verhältnis zu dem Thema „Inflation und Verlust der Werte" haben als die Menschen in einem Land, das solches nicht erlebt hat. Wir müssen bei unseren Freunden darum werben, daß sie uns verstehen. Aber klar sein muß auch: Wenn die D-Mark, die Währung Nummer eins in Europa, nicht der Kern der Währungsunion ist, kann die Währungsunion nichts werden. Beides gehört zusammen.
Herr Fischer, Sie haben mich richtig zitiert. Wenn wir über diese Fragen reden, geht es nicht um eine Frage der Ökonomie - so wichtig sie ist -, nicht um eine Frage der sozialen Dimension - so wichtig auch diese ist -, sondern vor allem um die Frage, ob wir im 21. Jahrhundert in unserem Land und in Europa frei sind von Krieg, ob der Frieden bewahrt bleibt. Die eigentliche, für jeden Deutschen überzeugende Argumentation muß sein: So wichtig all diese ökonomischen Faktoren sind - ich schätze sie aus den eben genannten historischen Erfahrungen unseres Volkes ganz hoch ein -, bleibt es das wichtigste, den Frieden im nächsten Jahrhundert zu erhalten. Frieden und Freiheit in Deutschland und in Europa werden wir nur erhalten, wenn wir das Haus Europa bauen.
Meine Damen und Herren, es soll niemand glauben, daß wir in Deutschland oder anderswo in Europa von der Gefahr frei sind, daß wieder Chauvinismus aufkommt, wenn in ihrer großen Mehrheit eine Generation die Verantwortung hat, die keine persönlichen Erfahrungen mit dem Krieg und mit der damaligen Zeit hat. Deswegen kann ich nur leidenschaftlich dafür plädieren und dafür eintreten, daß wir wissen: Der Bau des Hauses Europa ist die Frage von Krieg und Frieden für die Deutschen im 21. Jahrhundert. Dies ist im übrigen auch die Frage nach der Wohlfahrt unserer Völker. Das Exportland Deutschland braucht Europa mehr als jedes andere Land in Europa. Sie werden auch keine wirklich bedeutsame ökologische Frage national lösen können. Wir müssen zu europäischen Dimensionen kommen.
Wenn dies alles richtig ist, dann kann man ruhig herumkritisieren, aber dann muß man doch zusehen, daß wir jetzt mit Klugheit ans Werk gehen. Heute morgen stand plötzlich eine Abgeordnete aus Ihren Reihen auf und hat eine Serie von Fragen vorgelesen und gesagt, die Bundesregierung sei nicht in der Lage, darauf Antworten zu geben. Damit es ganz klar ist: Ich will jetzt einen Teil der Antworten gar nicht geben, weil das Gegenstand von Verhandlungen ist und weil es eine abwegige Vorstellung von internationaler Politik ist, daß ich mich im Deutschen
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Bundestag in 40 Fragen festlegen lasse, und anschließend rede ich mit den Schweden, rede ich mit den Iren, rede ich mit den Spaniern, und ich habe gar keinen Verhandlungsspielraum mehr. Das müssen Sie doch begreifen.
Sie müssen doch nach 13 Jahren Opposition, wenn Sie wieder an die Regierung wollen, endlich ein Stück Denken in sich aufnehmen, wie Sie Regierungsfähigkeit erwerben.
Meine Damen und Herren, es ist zu dem Thema Konjunktur und Arbeitsmarkt einiges gesagt worden. Auch ich will dazu einige kurze Bemerkungen machen. Zunächst möchte ich aber angesichts Ihrer Katastrophenmeldungen - das machen Sie ja nun auch schon über ein Jahrzehnt - feststellen - -
- Wissen Sie, das können Sie nach Art einer Gebetsmühle betreiben, aber immerhin ist es so, daß die Wähler das anders sehen. Sie haben doch gerade in Berlin, einer Stadt voller Schwierigkeiten, erlebt, daß die Wähler in Berlin mich als Kanzler und Vorsitzenden der CDU nicht als Kanzler der Arbeitslosigkeit sehen. Sie haben doch die Wahl verloren, und Sie haben doch Angst vor Ihrem Parteitag. Reagieren Sie sich doch endlich einmal auf Ihrem Parteitag ab!
Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten ist die deutsche Wirtschaft weiterhin auf Wachstumskurs. In diesem Jahr sind es 2 1/4 oder 2 1/2 Prozent. Es ist unübersehbar,
daß das eine Entwicklung ist, die teils befriedigend und teils unbefriedigend ist. Es ist ebenfalls wahr, daß wir die Hoffnung haben, daß wir mehr schaffen können, weil wir auch mehr brauchen. Ich schiebe die Verantwortung nicht auf andere ab, aber wenn ich mir vorstelle, wie die Tariflohnabschlüsse gewirkt haben, dann hätte ich mir gewünscht, daß man bestimmte Erkenntnisse von heute schon vor einem Jahr gehabt hätte. Wir wären dann ein gutes Stück weitergekommen.
Es gibt nicht den geringsten Grund, die Konjunktur schlechtzureden.
- Ich weiß gar nicht: Sind Sie inzwischen unfähig geworden, einmal eine halbe Stunde ruhig zu sitzen?
Ich sitze hier, angeblich buddhaähnlich, und höre mir Ihr Geschrei schon seit Stunden an. Es ist ein tiefenpsychologischer Vorgang, den Sie endlich einmal beseitigen müssen, daß Sie nicht mehr zuhören können.
Die wichtigsten Stützen des Wachstums - -
- Ich will nur noch einmal etwas sagen: Ich weiß doch - das sage ich jetzt wegen der Fernsehzuschauer -, was Ihre Absicht ist. Aber jetzt bitte ich Sie wirklich: Sie haben mich in 13 Jahren nicht ausgehebelt; Sie schaffen das auch heute früh nicht.
Sie haben auch gar keine Chance, das zu machen,
weil Sie ja außer diesen billigen Störungen keinen Beitrag zur Diskussion geleistet haben.
Eine der wichtigsten Stützen unserer Konjunktur - ich bin froh, daß man das sagen kann - ist auch weiterhin die lebhafte Weltkonjunktur. Es ist unübersehbar - das ist positiv -, daß die Zinsen in Deutschland mittlerweile niedriger sind als in fast allen anderen Industrienationen. Ich bin auch ganz sicher, daß Steuerentlastungen in absehbarer Zeit dem privaten Konsum eine entsprechende Unterstützung geben werden. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß wir - das ist nicht die Welt und nicht in allen Punkten optimal, aber immerhin - im nächsten Jahr eine Zuwachsrate von 21/2 Prozent haben werden. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite, die nicht befriedigend ist, ist die Situation am Arbeitsmarkt; denn zum ersten Mal in 40 Jahren zeigt sich, daß Stabilität und auch ein leichter, sich fortsetzender Aufschwung im konjunkturellen Bereich sich nicht automatisch im Bereich des Arbeitsmarktes niederschlagen.
Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie unschwer erkennen, wie die Tatsachen sind. In dieser Woche veröffentlichen die drei großen Chemiekonzerne ihre Zahlen für die Dreivierteljahresbilanz. Es handelt sich um Rekordzahlen positiver Art. Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie sozusagen das Kleingedruckte betrachten, dann werden Sie feststellen, daß die guten Zuwachsraten insgesamt auch mit dem Abbau von Personal erkauft wurden. Das ist eine Entwicklung, die wir überall haben.
Deswegen muß man sich darüber im klaren sein - das gilt natürlich in hohem Maße auch für die Ent-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wicklung in den neuen Ländern -, daß wir jetzt nicht nur auf die althergebrachten Formen der Konjunkturentwicklung setzen können, sondern daß wir in der Tat ein großes Gemeinschaftswerk - ich werde gleich mehr dazu sagen - auf den Weg bringen müssen. Denn die Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland kann nicht akzeptiert werden,
und das Schicksal der Arbeitslosen kann nicht einfach hingenommen werden.
- Alles, was Sie jetzt leisten, ist immer nur dazwischenschreien.
- Ich bin ja doch noch bei meiner Rede. Was soll es denn? Es hat doch wirklich gar keinen Sinn, daß wir so miteinander umgehen.
Die Arbeitslosenunterstützung hilft, die Zeit der Arbeitslosigkeit finanziell zu überbrücken. Aber sie gibt den Menschen, die arbeitslos sind und diese Unterstützung erhalten, nicht das Gefühl, daß sie gebraucht werden; sie haben oft das Gefühl, die Anerkennung in ihrem ganz privaten Bereich wird ihnen vorenthalten.
Deswegen werden wir im Blick auf die konjunkturelle Entwicklung eben nicht einfach warten können; vielmehr müssen wir in allen Bereichen, in denen wir das können, wirtschaftliches Wachstum voranbringen, die Attraktivität unseres Standortes für Arbeitsplätze weiter erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und vor allem das Klima für Leistungswillen wieder verbessern.
Meine Damen und Herren, genau darin sehe ich die Aufgaben für die nächsten Jahre. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze verbessern. Dabei ist jeder gefordert. Deswegen begrüße ich das, was Herr Zwickel von der IG Metall jetzt gesagt hat. Wir werden das Angebot, miteinander zu sprechen, aufnehmen.
Übrigens, wenn Sie ihn zitieren, dann sollten Sie auch hinzufügen, daß derselbe Vorsitzende der IG Metall auf seinem Kongreß gesagt hat, der einzige Ort, an dem gegenwärtig in Deutschland vernünftige Diskussionen dieser Art möglich seien, sei die Runde beim Bundeskanzler.
Ich bin sofort bereit, seine These, daß wir den Aufbau und Ausbau von Arbeitsplätzen mit Vorrang sehen müssen, daß sich dem anderes unterordnen muß, entsprechend zu unterstützen. Wir müssen darüber ohne Tabus reden.
Dazu gehört beispielsweise eine Antwort auf die Frage, die uns viele Bürger stellen: Wie ist es möglich, daß der Arbeitsminister jährlich fast eine Million kurzfristige Arbeitserlaubnisse außerhalb der EU erteilt und wir beispielsweise im gleichen Sektor, der Bauwirtschaft, Arbeitslosigkeit haben?
Wir haben die Zahlen im Laufe des Wahlkampfs in Berlin diskutiert. Es ist doch absurd, daß wir in Berlin Zehntausende von arbeitslosen Baufacharbeitern haben und gleichzeitig in erheblichem Maße Arbeitskräfte von draußen hereinholen.
- Das ist eine Tatsache, die Sie auch mit Geschrei nicht widerlegen.
Deswegen gilt der Satz - ich hoffe, daß dieser Satz bei unseren Gesprächen durchdringt -, ohne daß wir jetzt in die Tarifautonomie eingreifen: Interessen der Arbeitslosen dürfen in tarifpolitischen Auseinandersetzungen nicht hinter den Einkommensinteressen der Beschäftigten zurückstehen.