Rede:
ID1306201400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Ich: 1
    2. erteile: 1
    3. dem: 1
    4. Abgeordneten: 1
    5. Franz: 1
    6. Thönnes: 1
    7. das: 1
    8. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/62 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. Oktober 1995 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 5263 A Zur Geschäftsordnung Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5263 B Joachim Hörster CDU/CSU 5264 A Fritz Rudolf Körper SPD 5264 C Jörg van Essen F.D.P. 5265 A Ulla Jelpke PDS 5265 B Dieter Wiefelspütz SPD 5265 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz) (Drucksache 13/1829) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (Drucksache 13/1829) Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 5266 C Franz Thönnes SPD 5268 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . 5269 B, 5280 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5271 B Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . 5273 C Maritta Böttcher PDS 5274 D Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 5276B Franz Thönnes SPD 5277 A, 5283 D Günter Rixe SPD 5278 A Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . 5278 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 5279 A Werner Lensing CDU/CSU 5281 A Dr. Peter Glotz SPD 5282 C Doris Odendahl SPD 5284 A Klaus von Trotha, Minister (Baden-Württemberg) 5284 D Doris Odendahl SPD 5285 D Ernst Hinsken CDU/CSU 5286 C Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (4. SGB V-Änderungsgesetz) (Drucksachen 13/1826, 13/2446, 13/2589, 13/2594) Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 5288B Dr. Martin Pfaff SPD 5290C, 5299 D Horst Seehofer CDU/CSU 5292 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5293 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 5295 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 5295 D Dr. Ruth Fuchs PDS 5296 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 5297 C Dr. Martin Pfaff SPD 5298 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD 5299 A Namentliche Abstimmung 5300 D Ergebnis 5305 A Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cern Özdemir, Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Drucksache 13/1426) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes (Drucksache 13/2577) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 38 zu Petitionen (Drucksache 13/1410) Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5301 A, 5311 C, 5313 D Erika Steinbach CDU/CSU . . . 5302 B, 5314 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . 5302 C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) 5304 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 5307 A Ulla Jelpke PDS 5308 A Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 5309 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . 5309 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5310 B Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . 5310 C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 5311 A Dieter Wiefelspütz SPD 5313 B Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5314 A Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) 5314 D Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Joachim Poß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern für ein Jahr (Drucksache 13/1856) Horst Schild SPD 5315 C Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . 5316 D Reiner Krziskewitz CDU/CSU . . . . . 5317 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5318C Jürgen Türk F.D.P 5319 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 5320 C Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksache 13/2576) Ronald Pofalla CDU/CSU 5321 C Alfred Hartenbach SPD 5322 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5324 C Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 5325 B Alfred Hartenbach SPD 5325 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 5326 C Nächste Sitzung 5327 C Berichtigung 5327 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5329 * A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (. . . Strafrechtsänderungsgesetz - §§ 177 bis 179 StGB) Bärbel Sothmann CDU/CSU 5329* D Erika Simm SPD 5330* B Heinz Lanfermann F.D.P 5332* A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5333* C Christina Schenk PDS 5334 * A Norbert Geis CDU/CSU 5334* C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 5335* B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Bundeskriminalamtgesetz) Dietmar Schlee CDU/CSU 5336* B Frank Hofmann (Volkach) SPD 5337 * A Dr. Burkhard Hirsch F D P. 5339* B Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5339* D Ulla Jelpke PDS 5340* B Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI . 5340* D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 18 (Zweites KronzeugenVerlängerungs-Gesetz) Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU 5341* D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 5342* C Heinz Lanfermann F.D.P 5343* A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 5343 * C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 5344* B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 5345* A Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Kersten Wetzel (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antrag der Bundesregierung (Drucksache 13/1828) in der 48. Sitzung am 30. Juni 1995 5345* D Anlage 6 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 5345* D 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. Oktober 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 61. Sitzung, Seite 5250 D, 8. Zeile von unten: Statt „demokratischen" ist „soldatischen" zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Altmann (Pommelsbrunn), BÜNDNIS 13. 10.95 Elisabeth 90/DIE GRÜNEN Augustin, Anneliese CDU/CSU 13. 10. 95 * * Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 13.10.95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 13. 10. 95 Fograscher, Gabriele SPD 13. 10. 95 * * Funke, Rainer F.D.P. 13. 10. 95 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 13. 10. 95 Graf (Friesoythe), SPD 13. 10. 95 * * Günter Grasedieck, Dieter SPD 13. 10. 95 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 13. 10. 95 Heym, Stefan PDS 13. 10. 95 Heyne, Kristin BÜNDNIS 13. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Höfken, Ulrike BÜNDNIS 13. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 13. 10. 95 Hustedt, Michaele BÜNDNIS 13. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Imhof, Barbara SPD 13. 10. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 13. 10. 95 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 13. 10. 95 Kemper, Hans-Peter SPD 13. 10. 95 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 13. 10. 95 Leidinger, Robert SPD 13. 10. 95 Lummer, Heinrich CDU/CSU 13. 10. 95 * Maaß (Herne), Dieter SPD 13. 10. 95 Dr. Maleuda, Günther PDS 13. 10. 95 Oesinghaus, Günther SPD 13. 10. 95 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 13. 10. 95 Pützhofen, Dieter CDU/CSU 13. 10. 95 Rehbock-Zureich, Karin SPD 13. 10. 95 Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 13. 10. 95 Rübenkönig, Gerhard SPD 13. 10. 95 Saibold, Halo BÜNDNIS 13. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Scheffler, Siegfried SPD 13. 10. 95 Schloten, Dieter SPD 13. 10. 95 * * Schmidt (Aachen), Ulla SPD 13. 10. 95 Schönberger, Ursula BÜNDNIS 13. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 13. 10.95 90/DIE GRÜNEN Dr. Schuberth, Mathias SPD 13. 10. 95 Schultz (Everswinkel), SPD 13. 10. 95 Reinhard Schumann, Ilse SPD 13. 10. 95 Seiters, Rudolf CDU/CSU 13. 10. 95 Dr. Stadtler, Max F.D.P. 13. 10. 95 * * Steen, Antje-Marie SPD 13. 10. 95 Terborg, Margitta SPD 13. 10. 95 * Teuchner, Jella SPD 13. 10. 95 Verheugen, Günter SPD 13. 10. 95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 13. 10. 95 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 13. 10. 95 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 13. 10. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union * * für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (... Strafrechtsänderungsgesetz - §§ 177 bis 179 StGB (... StrÄndG) Bärbel Sothmann (CSU/CSU): Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking wurde wieder einmal mehr als deutlich, daß sich die Probleme von Frauen weltweit nur in ihrem Ausmaß unterscheiden. Und eines der größten Frauenprobleme rund um den Globus ist die Gewalt gegen Frauen. Männliche Gewalt gegen Frauen - zum großen Teil handelt es sich hier um sexuelle Gewalt - ist auch in Deutschland viel weiter verbreitet, als die meisten von uns wahrhaben wollen. Frau Nolte hat kürzlich eine Studie vorgestellt, nach der jede siebte Frau bereits einmal in ihrem Leben Opfer sexueller Gewalt war. Die weitaus meisten Übergriffe, nämlich rund drei Viertel, finden im Familien- und Bekanntenkreis statt. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Wir müssen die Gewalt gegen Frauen mit allen Mitteln bekämpfen. Vor allem müssen wir durch diese geplante Strafrechtsänderung endlich klarstellen: Vergewaltigung in der Ehe ist kein Kavaliersdelikt, sondern gesellschaftlich zu ächten und strafrechtlich ebenso konsequent zu verfolgen wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe. Ich bin deshalb sehr froh, daß nach langem Tauziehen nun auch der Koalitionsentwurf zur Änderung der §§ 177 bis 179 StGB auf dem Tisch liegt. Leider gibt es nach wie vor erhebliche Differenzen, was das modifizierte Widerspruchsrecht betrifft. Ich muß Ihnen sagen, auch ich habe mit dieser Regelung meine großen Probleme. Denn die Gefahr, daß der gewalttätige Ehemann seine Frau unter Druck setzt, ihre Anzeige mit dem Hinweis auf eine stattgefundene Versöhnung zurückzuziehen, ist sicherlich groß. Aber diese Gefahr besteht leider auch unabhängig von einer Widerspruchsregelung, denn die Ehefrau hat durch ihr Zeugnisverweigerungsrecht immer die Möglichkeit, eine Anklage wegen Vergewaltigung scheitern zu lassen. Ich denke, wir sind uns alle einig, daß wir eine Lösung finden müssen, die eine Druckausübung auf die vergewaltigte Frau soweit wie möglich ausschließt; ganz wird dies sicherlich nicht gelingen. Ich halte deshalb eine Anhörung im Interesse der betroffenen Frauen für unabdingbar. So wichtig diese Strafrechtsänderung ist: Wir dürfen nicht dabei stehenbleiben. Die Beschlüsse der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking sind in diesem Zusammenhang zukunftsweisend. Erstmalig haben hier alle Teilnehmerstaaten Gewalt gegen Frauen in jeglicher Form als Menschenrechtsverletzung verurteilt und das Recht der Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung anerkannt. Gleichzeitig haben sie sich dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen, welcher Art auch immer, mit allen nur möglichen Mitteln zu bekämpfen. Wie dies bei uns konkret aussehen kann, zeigt z. B. ein neues Modellprojekt, das Ministerin Nolte jetzt in Berlin vorgestellt hat. Ziel des Projekts ist es vor allem, die staatlichen Institutionen, vor allem die Strafverfolgungsbehörden, stärker für Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren und deren Zusammenarbeit mit den vor Ort tätigen Frauen- und Männerprojekten intensiv zu fördern. Wichtig ist auch, daß die Gerichte von der Möglichkeit, den Vergewaltigungsopfern die eheliche Wohnung zuzuweisen, stärker Gebrauch machen, und daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen gefördert wird. Denn mehr als die Hälfte der vergewaltigten Frauen bleiben nur deshalb bei ihrem gewalttätigen Partner, weil sie nicht aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen können. Das A und O bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen sind und bleiben jedoch die Verschärfung des Sexualstrafrechts und die konsequente Strafverfolgung der Täter. Dies wird nicht nur die gewalttätigen Männer aus dem Verkehr ziehen, sondern auch das Unrechtsbewußtsein schärfen und damit zu einer Bewußtseinsänderung in der Gesellschaft beitragen. Im Interesse der betroffenen Frauen müssen wir deshalb die Gesetzentwürfe zügig beraten und die Strafrechtsänderung so schnell wie möglich verabschieden. Erika Simm (SPD): Wir debattieren heute - zu später Stunde - einen Gesetzentwurf der Regierungsparteien, der im Grundsatz begrüßt werden kann, bedeutet er doch, daß die Mehrheit der CDU/CSU-Kollegen ihre jahrelange Blockadehaltung endlich aufgegeben und die Notwendigkeit der Reform wichtiger Teile des Sexualstrafrechts akzeptiert hat. Es hat den Anschein, als könnten wir nun doch in dieser Legislaturperiode zu einer Regelung kommen, die die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt. Mittlerweile bilden wir ja - gemeinsam mit Griechenland - das absolute Schlußlicht der Reformbewegung in Europa. Wir befinden uns damit in der nicht sehr schmeichelhaften Gesellschaft der lateinamerikanischen Staaten des Machismo und jener Staaten, deren Frauenbild durch den fundamentalistischen Islam geprägt ist. Das Reformwerk, das die Rechtsexperten der Union und der F.D.P. uns da vorgelegt haben, gleicht allerdings der Echternacher Springprozession. Mit der grundsätzlichen Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, der geschlechtsneutralen Formulierung des Tatbestandes und der Einbeziehung weiterer gleich entwürdigender sexueller Handlungen in den Tatbstand geht man wichtige Schritte voran. Gleichzeitig wird das Mehr an strafrechtlichem Schutz für Opfer sexueller Gewalt aber wieder zurückgenommen durch eine sehr fragwürdige Neufassung des Tatbestandes und eine Widerspruchsregelung, die in ihrer Konsequenz die strafrechtliche Sanktionierung der Gewalt in der Ehe generell einschränkt, die mißhandelte Ehefrau zur Herrin über das Strafverfahren macht und sie damit der Gefahr der Erpressung durch den gewalttätigen Ehemann aussetzt. Die Widerspruchsregelung in diesem Gesetzentwurf ist ein ganz wichtiger Kritikpunkt, aber er ist - entgegen der Meinung von Herrn Kollegen Geis - keineswegs der einzige, den wir anzubringen haben. Beginnen wir mit der Änderung des Tatbestandes der sexuellen Nötigung. Daß man auf die enge Auslegung des Gewaltbegriffes durch die Rechtsprechung bei der sexuellen Nötigung und bei der Vergewaltigung reagiert und den Tatbestand erweitert, um Opfern gerecht zu werden, die in aussichtsloser Lage auf eine körperliche Gegenwehr verzichten, ist ja zu begrüßen und trägt einem der wichtigsten Reformanliegen Rechnung. Das bei dem Entwurf der Regierungsparteien allerdings festzustellende krampfhafte Bemühen, etwas völlig Neues zu erfinden, das dem Tatbestandsmerkmal des „Ausnutzens einer hilflosen Lage" - so der SPD-Entwurf - entsprechen soll, nämlich die Formulierung „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist" - so der Entwurf der CDU/CSU und der F.D.P. - erscheint mir höchst unglücklich. Es müßte doch klar sein, daß diese völlig neuen Begriffe der Rechtsprechung Anlaß geben zu neuen Auslegungen. Und was dabei herauskommt, weiß man nie! Ich sehe schon die Richter des BGH darüber grübeln, wann der Einfluß des Täters wirklich „ungehemmt" und das Opfer tatsächlich „preisgegeben" ist. Bleibt etwa, wer sich dem ungehemmten Einfluß des Täters noch entziehen könnte, ungeschützt? Welche Kraftanstrengung ist dem Opfer zuzumuten, um sich zu entziehen? Ich denke, daß die Anhörung, welche wir beantragen werden, sehr schnell zu dem Ergebnis führen wird, daß mit dieser Formulierung für die Opfer sexueller Gewalt nichts gewonnen ist. Nun aber zum Widerspruchsrecht der Ehefrau. Danach soll die vergewaltigte Ehefrau bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung der Durchführung des Strafverfahrens widersprechen können. Ein einmal erklärter Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden und erfaßt alle minder schweren Tatbestände, die der Täter neben der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung erfüllt hat. Eine Vergewaltigung in der Ehe ist also künftig nach erfolgtem Widerspruch auch nicht mehr als Körperverletzung oder einfache Nötigung verfolgbar. Diese Regelung muß jeden, der eine Verbesserung des Rechtsschutzes für vergewaltigte Ehefrauen wollte, eigentlich in tiefe Depression stürzen. Ich kann nur hoffen, daß die Kollegen und Kolleginnen aus den Regierungsparteien ihre Mehrheit nicht mißbrauchen, um das Gesetz werden zu lassen. Offenbar haben die sog. Rechtsexperten, die sich das ausgedacht haben, keine Notiz genommen von der im Auftrag des Familienministeriums durchgeführten Untersuchung zur sexuellen Gewalt gegen Frauen, die seit Juni dieses Jahres vorliegt. Sie sollte für jeden, der sich berufen fühlt, bei der Reform des Sexualstrafrechts mitzureden, zur Pflichtlektüre gemacht werden. Als eines der Ergebnisse folgt aus dieser Untersuchung nämlich, daß Opfer von sexueller Nötigung und Vergewaltigung durch die Tat in aller Regel schwer traumatisiert, verletzt und verängstigt sind. So gaben 93,1 % der Vergewaltigungsopfer an, als Folge der Tat längerfristig unter Ängsten gelitten zu haben. 92 % der Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung durch Angehörige geworden waren, gaben an, sich zu Hause nicht mehr sicher zu fühlen. Diese so zutiefst verletzten Frauen machen Sie zur Herrin des Strafverfahrens! Sie machen damit diese Frauen zu potentiellen Opfern erneuter Gewaltanwendung und Erpressung. Denn dem Ehemann eröffnet sich ja die Chance, straffrei davonzukommen, wenn er seine Frau veranlaßt, der Verfolgung der Tat zu widersprechen. Wie soll eine Frau, deren Lebensgefühl als Folge der Vergewaltigung bestimmt ist durch Ängste und Unsicherheit, dem ja bereits als gewalttätig erlebten Mann widerstehen, wenn dieser von ihr verlangt, sie solle zur Polizei gehen und Widerspruch einlegen gegen das ihn bedrohende Strafverfahren? Ich räume ein, daß man sich offenbar dieses Problems durchaus bewußt war, als man diese Regelung erfand. Nur, die Konsequenzen, die man daraus gezogen hat, sind völlig unbefriedigend. Das Strafverfahren soll nämlich bei Vorliegen eines Widerspruches doch durchgeführt werden können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Dazu kann man nur sagen: Wer das erfunden hat, hat wenig Ahnung von der alltäglichen Strafrechtspraxis. Tausende von Strafverfahren wegen Körperverletzung z. B. werden durch Stempel der Staatsanwaltschaft jedes Jahr eingestellt, weil der sachbearbeitende Staatsanwalt ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht zu erkennen vermag. Ich wage zu behaupten, daß bei der Feststellung oder Verneinung des öffentlichen Interesses nicht selten sachfremde Gesichtspunkte den Ausschlag geben, als da sind Arbeitsbelastung des Staatsanwalts oder Schwierigkeit des Ermittlungsverfahrens. Die Strafverfolgung eines Verbrechens von der Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses abhängig zu machen ist völlig unangemessen und stellt sexuelle Nötigung und Vergewaltigung auf eine Stufe mit minder schweren Straftaten wie Beleidigung und fahrlässige Körperverletzung. Diese Konsequenzen aus der vorgeschlagenen Widerspruchsregelung lassen ernsthaft daran zweifeln, ob es den Verfassern dieses Gesetzentwurfes wirklich darum geht, mehr strafrechtlichen Schutz für Frauen vor Gewalt in der Ehe zu schaffen. Die demgegenüber von der SPD in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagene Versöhnungsklausel, welche die Verfahrensherrschaft bei den Strafverfolgungsbehörden beläßt und lediglich die Möglichkeit des Absehens von Strafe bzw. der Strafmilderung eröffnet, erscheint mir als die wesentlich bessere Lösung, um einer Versöhnung zwischen Täter und Opfer Rechnung tragen zu können. Ein letzter Punkt, den ich zu dem Gesetzentwurf der Regierungsparteien anmerken möchte: Sie wollen die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung zu einem einheitlichen Tatbestand zusammenfassen dergestalt, daß künftig die sexuelle Nötigung der Grundtatbestand und die Vergewaltigung nur in der Regel ein besonders schwerer Fall ist. Ich gestehe zu, daß dies eine Konstruktion ist, die - anders als die „Neuerungen", von denen ich eben gesprochen habe - ernsthaft diskutiert werden kann. Ich verhehle aber nicht, daß ich - jedenfalls auf den ersten Blick - hinsichtlich der daraus folgenden Konsequenzen Bedenken habe. Die Abstufung der Vergewaltigung vom selbständigen Tatbestand zu einer bloßen Strafzumessungsregel der sexuellen Nötigung setzt m. E. ein falsches rechtspolitisches Signal. Schließlich war es ein Anliegen der Reformbestrebungen zum Sexualstrafrecht auch, die in der Strafbewehrung zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Ächtung sexueller Gewalt in jeglicher Form zu verstärken. Dem läuft der Verzicht auf einen eigenen Tatbestand der Vergewaltigung als Fall schwerster Gewaltanwendung zuwider. Auch sehe ich die Gefahr, daß die Gerichte, die jetzt schon bei der Vergewaltigung nur allzu bereit sind, einen minder schweren Fall anzunehmen, künftig, statt wegen Vergewaltigung zu verurteilen, auf den Grundtatbestand der sexuellen Nötigung ausweichen werden. Die von Ihnen gewählte Konstruktion des besonders schweren Falles als Regelbeispiel läßt dies zu, auch wenn alle Tatbestandsmerkmale einer Vergewaltigung erfüllt sind. Daß sich in der Praxis bei Teilnahme und Versuch rechtsdogmatische Probleme ergeben, will ich hier nicht weiter vertiefen. Wir werden jedenfalls im Rah- men der weiteren Beratungen die Konsequenzen, die sich aus dem einheitlichen Tatbestand ergeben, genau zu prüfen haben. Heinz Lanfermann (F.D.P.): Mit der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen wird eine Reform des Sexualstrafrechts eingeleitet, die den Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes entscheidend verbessert. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht natürlich, daß es nach langen Jahren der Diskussion endlich gelungen ist, Einigung auch innerhalb der Koalition und damit jetzt zwischen allen Fraktionen dieses Hohen Hauses zu erzielen, daß der eheliche Bereich in den Vergewaltigungstatbestand einbezogen wird. Es wird nunmehr endlich auch im Strafrecht deutlich, daß Vergewaltigung in der Ehe alles andere als ein Kavaliersdelikt ist. Bei Einzelheiten gerade dieses Punktes gibt es im Koalitionsentwurf und in den Entwürfen aus dem Bereich der Opposition unterschiedliche Vorstellungen; ich werde hierauf noch näher eingehen. Diese Meinungsverschiedenheiten sollten aber nicht den Blick darauf verstellen, daß es wichtig ist, das nunmehr gemeinsame Anliegen auch schnellstmöglich umzusetzen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nun rasches Handeln und nicht endlose weitere Erörterungen, die die Umsetzung der Reform verzögern. So bedeutsam die Einbeziehung des ehelichen Bereiches in den Vergewaltigungstatbestand auch ist, die Reform enthält einige weitere wichtige Punkte. Es wurden Strafbarkeitslücken geschlossen, die bei der Reform des Sexualstrafrechts in den 70er Jahren offengeblieben waren. Von besonderer Bedeutung sind die Fälle, in denen weder Gewaltausübung noch eine - zumindest konkludente - Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vorlag, sondern das Opfer die Tat gleichsam „starr vor Schreck" über sich ergehen ließ oder jedenfalls aus Furcht vor Verletzung oder Tötung keine körperliche Gegenwehr leistete. Gerade von Frauen ist diese Unklarheit immer wieder beklagt worden, zumal vielfach Vergewaltigungsopfern geraten wird, zur Vermeidung weiterer Schädigungen die Tat ohne körperliche Gegenwehr über sich ergehen zu lassen. Daß es Urteile gegeben hat, in denen der Vergewaltigungstatbestand mit Blick darauf verneint wurde, das Opfer habe sich, wie es hieß, „gar nicht richtig gewehrt", ist zu Recht als außerordentlich unbefriedigend empfunden worden. Unser Gesetzentwurf hat hieraus die Konsequenzen gezogen: Er stellt den Begehungsalternativen „Gewalt" und „Drohung" ausdrücklich das Ausnutzen einer hilflosen Lage, in der das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist, gleich. Durch die aus der Kommentierung entnommene konkrete Beschreibung der hilflosen Lage soll auch verdeutlicht werden, daß es nicht erforderlich ist, daß objektiv keinerlei Hilfe für das Opfer zu erwarten ist, sondern daß ein ungehemmter und übermächtiger Einfluß des Täters ausreicht. Nach dem gegenwärtigen Rechtszustand ist als Vergewaltigung nur der erzwungene Beischlaf anzusehen. Dies ist eine überholte Sichtweise. Sie läßt außer Betracht, daß andere Formen sexueller Gewalt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind wie z. B. die orale oder anale Penetration, von dem Opfer als ebenso demütigend und erniedrigend empfunden werden und auch wegen der Gefahr einer Aids-Infizierung eine Gleichstellung mit dem Beischlaf angezeigt ist. Diese Einbeziehung anderer Formen der sexuellen Gewalt neben dem erzwungenen Beischlaf ließ es auch ratsam erscheinen, aus den bisherigen §§ 177 StGB (Vergewaltigung) und 178 StGB (sexuelle Nötigung) einen einheitlichen neuen § 177 zu Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu formen. Wir haben deshalb den entsprechenden Vorschlag eines einheitlichen Tatbestandes aus dem Entwurf des Bundesjustizministeriums aufgegriffen, wie wir überhaupt in sehr vielen Punkten auf den Vorschlägen der Bundesjustizministerin aufbauen konnten. Hierfür sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gedankt. Ein umfassender Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts, wie wir ihn mit unserem Entwurf beabsichtigen, muß auch berücksichtigen, daß Opfer derartiger Straftaten nicht nur Frauen sein können. Deshalb sind alle Bestimmungen nunmehr geschlechtsneutral formuliert. Die F.D.P. ist ebenso wie die CDU/CSU - und auch die SPD - der Auffassung, daß aus dem Grundgedanken des Art. 6 Grundgesetz heraus Regelungen für den Fall getroffen werden sollen, daß die Ehefrau als Opfer eine Bestrafung des Mannes nicht mehr will, weil z. B. trotz der Tat eine Fortführung der Ehe möglich ist. Wir sehen in unserem Gesetzentwurf hierfür ein modifiziertes Widerspruchsrecht des Opfers vor. Ich betone dabei: Es geht um ein modifiziertes Widerspruchsrecht. Das heißt, das zwar der Grundsatz gilt, daß das Ermittlungsverfahren bei Einlegung eines Widerspruchs eingestellt wird, aber es gibt eben wichtige Ausnahmen. Das Verfahren gegen den Täter wird nicht eingestellt, sondern muß bei Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses von der Staatsanwaltschaft gleichwohl weiter betrieben werden. Und es liegt auf der Hand, daß ein solches Interesse zu bejahen ist, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Opfer genötigt worden ist, den Widerspruch einzulegen. Und der Staatsanwalt muß prüfen, ob solche Anhaltspunkte vorliegen, ob da Druck eine Rolle spielt. Es handelt sich hierbei übrigens um ein Konzept, das nicht nur in den Reihen der Union Befürworter hatte. Vielmehr wird ein solches modifiziertes Widerspruchsrecht schon lange bei den Freien Demokraten diskutiert und war von unserem Bundesfachausschuß für Innen- und Rechtspolitik bereits vor mehreren Jahren vorgeschlagen worden. Bei dem modifizierten Widerspruchsrecht entscheidet grundsätzlich das Opfer darüber, ob im Interesse der Fortführung der Ehe eine Bestrafung entfällt. Ein anderer Vorschlag ist der einer Versöhnungsklausel, bei der das Strafgericht, d. h. eine außerhalb der Ehepartner stehende Instanz, eine Prognose für die Zukunft erstellen soll, d. h. entscheiden soll, ob es noch Perspektiven für die Fortführung der Ehe gibt und davon die Entscheidung abhängig machen, ob von Strafe abgesehen oder diese gemildert werden kann. Diese Lösung ist sicherlich auch vertretbar, ich halte allerdings die modifizierte Widerspruchslösung für vorzugswürdig. Man muß dabei nicht allein einem Argument folgen, das ich auf dem Bundesparteitag der F.D.P. in Mainz gehört habe, nämlich daß Frauen sich bei einer Versöhnungsklausel bevormundet fühlen, wenn nicht sie, sondern Dritte darüber entscheiden, ob die Ehe trotz der Tat noch eine Chance hat oder nicht. Es ist mir auch durchaus bewußt, daß die Frau einem Druck des Ehemannes ausgesetzt sein kann. Aber der Täter muß immer damit rechnen, daß bei Anhaltspunkten für einen abgenötigten Widerspruch die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gleichwohl fortführt. Wie angesichts dessen von Angehörigen dieses Hohen Hauses ernsthaft behauptet werden kann, die modifizierte Widerspruchslösung „liefere vergewaltigte Ehefrauen dem Druck des gewalttätigen Ehemannes aus", ist nicht nachvollziehbar. Diese unberechtigte Kritik läßt auch völlig außer Acht, daß auch bei einer Versöhnungsklausel der gleiche Druck möglich ist. Darüber, ob noch Perspektiven für die Ehe bestehen, wird sich das Gericht nämlich erst ein Bild machen können, wenn es das Tatopfer vernommen hat. Dann kann die Frau vor dieser Vernehmung durch Mißhandlungen oder Vorhaltungen unter Druck gesetzt werden. Deshalb, sehr geehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ist es eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn Sie in Zeitungsartikeln fordern, die Widerspruchsregelung im Koalitionsentwurf müsse gestrichen werden, um diesen möglichen Druck zu verhindern, während zur gleichen Zeit im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages ein von Ihnen vorgelegter Gesetzentwurf der SPD-Fraktion liegt, der eine Versöhnungsklausel enthält, die genau denselben Druck ermöglicht. Im Interesse der betroffenen Frauen sollten wir deshalb besser keinen ideologischen Streit um modifizierte Widerspruchslösung oder Versöhnungsklausel dergestalt führen, daß die Vertreter der einen Meinung den Vertretern der anderen Meinung die Ernsthaftigkeit ihres Schutzanliegens absprechen. Wir sollten unsere Kräfte vielmehr darauf konzentrieren zu überlegen, wie durch eine geeignete Ausgestaltung des Verfahrens bestmöglich sichergestellt werden kann, daß die vergewaltigte Ehefrau sich frei von Druck äußern kann. Wir sind hier für jeden guten Vorschlag offen und wollen dies ernsthaft diskutieren. Zur modifizierten Widerspruchsklausel möchte ich aber auch noch eines anmerken: Die Kollegin von Renesse hat kürzlich in einer „Tagesthemen-Sendung" erklärt, die Modifizierung der Widerspruchsklausel sei untauglich, da der Staatsanwalt bei Eingang des Widerspruches die Akten schließen werde; denn dies sei die arbeitsparendste Vorgehensweise. Ich frage mich: Welche Vorstellung von dem Pflichtbewußtsein unserer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte liegt solchen Worten zugrunde? Selbstverständlich wird geprüft werden, ob ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt. Es muß geprüft werden! Im übrigen sind seit Jahren in vielen Bundesländern gesonderte Dezernate für die Verfolgung (sexueller) Gewalt gegen Frauen eingerichtet worden und die zuständigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Thematik besonders sensibilisiert. Hinzu kommt, daß es für die Leitungen der Staatsanwaltschaften und letztlich auch für das jeweilige Justizministerium möglich ist, über Berichtsanordnungen zu kontrollieren, ob und wie geprüft worden ist, ob Anhaltspunkte für einen abgenötigten Widerspruch vorliegen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition ist ein großer Schritt nach vorn. Ich wünsche uns gute Beratungen in den Ausschüssen mit einem baldigen Abschluß. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Darf deshalb auch der vergewaltigende Ehemann besonders geschützt werden? Darf der Trauschein weiterhin dazu führen, daß der Ehemann, der seine Frau vergewaltigt, völlig straffrei ausgehen kann? Ich sage nein. Nach 20 Jahren öffentlicher Diskussion über sexuelle Gewalt hat die Koalition endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sexuelle Gewalt in der Ehe soll danach genauso geahndet werden wie außerhalb der Ehe: als ein Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Das ist zunächst ein Erfolg, nicht zuletzt der Frauenbewegung. Doch Ihr Entwurf, der sehr deutlich eine Männerhandschrift trägt, täuscht diese Gleichbehandlung nur vor. Die Widerspruchsklausel ist die Hintertür, durch die wieder zwei Klassen von Vergewaltigung geschaffen werden. Nach Ihren Vorstellungen soll die Ehefrau der Strafverfolgung bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung widersprechen können. Wenn sie dies tut, kommt es nicht zu einer Verhandlung. Der eheliche Täter geht also trotz eines Gewaltverbrechens — denn nichts anderes ist eine Vergewaltigung — straffrei aus. Mit dieser in unserem Rechtssystem einmaligen Konstruktion, die es bei keinem anderen Straftatbestand gibt, stellen Sie das Strafrecht zur Disposition: die Bestrafung eines Gewaltdelikts wird nicht mehr von der Tat, sondern von der Beziehung zwischen Täter und Opfer abhängig gemacht. Gleichzeitig wird mit diesem Widerspruchsrecht dem Opfer die Verantwortung zugeschoben, ob die Ermittlung gestoppt oder der eigene Ehemann verurteilt wird. Es ist abzusehen, daß Frauen von ihren Ehemännern und dem familiären Umfeld unter Druck gesetzt werden, damit sie der Strafverfolgung widersprechen. Die Prüfung des Widerspruchs hilft da auch nicht weiter. Eheliche und nichteheliche sexuelle Gewalt müssen in gleicher Weise bestraft werden. Deshalb darf es kein Widerspruchsrecht und auch keine Versöhnungsklausel geben. Ich komme zu einem weiteren gravierenden Problem in Ihrem Entwurf. Der geltende Gewaltbegriff und seine Auslegung hatten bisher zur Folge, daß viele Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen rechtlich als solche gar nicht existierten. Die Erweiterung des Gewaltbegriffs, wonach Vergewaltigung und sexuelle Nötigung auch dann vorliegen, „wenn das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist", ist nur auf den ersten Blick ein Fortschritt. Wo, glauben Sie, werden die Richter die Schwelle ansetzen, einen sogenannten ungehemmten Einfluß des Täters festzustellen? Außerdem ist es wiederum das Opfer, das beweisen muß, daß es sich nicht wehren konnte. Hier steht die Täterperspektive im Vordergrund. Dagegen muß endlich die Sicht und der Wille des Opfers im Mittelpunkt stehen. Jede sexuelle Gewalt „gegen den Willen des Opfers" muß geahndet werden. In Peking wurde Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung angeklagt: Fangen Sie hier an, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller Frauen tatsächlich zu schützen. Christina Schenk (PDS): Nach vielen Ankündigungen hat es nun auch die Regierungskoalition geschafft, einen eigenen Gesetzentwurf zur Vergewaltigung und sexuellen Nötigung vorzulegen. Ich frage mich jedoch, ob es nicht besser gewesen wäre, sie hätte es gelassen: Dem Gesetzentwurf zufolge ist es nun zwar möglich, auch eine eheliche Vergewaltigung als solche zu bestrafen, aber dies wird sogleich über ein eigens erfundenes Novum im Strafgesetzbuch wieder ausgehebelt - durch das sogenannte Widerspruchsrecht. Die vergewaltigte Ehefrau kann - nach erfolgter Anzeige - Widerspruch einlegen und so das Strafverfahren stoppen. Und das selbst dann, wenn der Ehemann zusätzlich eine einfache oder gefährliche Körperverletzung begangen hat. Anders ausgedrückt: Ein Ehemann kann seine Frau vergewaltigen, sie mit einer Waffe, z. B. einem Messer, lebensgefährlich verletzen und zusammenschlagen, ohne dafür - sogar nach einer erfolgten Anzeige - verfolgt oder bestraft werden zu können. Er muß lediglich seine Frau entsprechend unter Druck setzen und sie zwingen, ihr Widerspruchsrecht zu nutzen. Das Signal, das hier von den Konservativen gesetzt wird, ist katastrophal für die betroffenen Frauen und ist eine erschrekkende Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen. Frau Nolte hat in der letzten Woche in einer Pressemitteilung gesagt: „Gewalt gegen Frauen ist in unserer Gesellschaft keine Randerscheinung und wird leider nur allzuoft bagatellisiert und damit scheinbar toleriert. Sie muß sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich geahndet werden wie andere Straftaten auch." Der hier vorgelegte Gesetzentwurf leistet genau das nicht! Auch der minder schwere Fall wurde beibehalten. Er ist das Einfallstor für eine Beschuldigung des Opfers, es hätte die Tat begünstigt oder mitverursacht. Wer meint, es gäbe bei Vergewaltigungen minder schwere Fälle, gibt der Täterperspektive noch immer einen höheren Stellenwert als der des Opfers. Wenn eine Frau „nein" sagt, wird das noch immer nicht ernstgenommen. Ich muß also hier feststellen, daß der Gesetzentwurf der Regierungskoalition völlig unzureichend ist und keine entscheidenden Verbesserungen für die Opfer von Vergewaltigungen mit sich bringt, ob innerhalb oder außerhalb der Ehe. Ich meine, es wäre das beste, der hier vorgelegte Entwurf verschwände im Papierkorb und die Koalition würde einen neuen Versuch unternehmen, sich der von Frau Nolte beschriebenen Aufgabe zu stellen. Wenn die Damen und Herren von der konservativen Seite des Hauses für einen neuen Anlauf Anregungen brauchen, können Sie gern den Gesetzentwurf der PDS zu Rate ziehen, der hier bereits im Februar in erster Lesung behandelt worden ist. Unser Entwurf setzt als bislang einziger das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen konsequent um. Norbert Geis (CDU/CSU): Zum Wesen der Ehe gehört die geschlechtliche Beziehung der Ehepartner. Die Frau verzichtet jedoch nicht auf ihre sexuelle Selbstbestimmung, wenn sie die Ehe eingeht. Denn die Bewahrung der eigenen Individualität gehört genauso zum Wesen der Ehe. Das entscheidende Merkmal einer jeden Gemeinschaft, vor allem auch der ehelichen Lebensgemeinschaft, ist die Freiwilligkeit der Beziehungen. Gewalt und Zwang verletzen die Würde der Eheleute und verletzen das Wesen der Ehe. Deshalb ist die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe nicht nur ein Schutz für die Frau, sondern auch ein Schutz für die Ehe. Dies sind Erwägungen, die schon in der Großen Strafrechtsreform 1973 eine Rolle gespielt haben. Damals hat der Gesetzgeber jedoch einen eigenen Straftatbestand für die Vergewaltigung in der Ehe aus mehr praktischen Überlegungen abgelehnt. Ohne auf die einzelnen Gesichtspunkte einzugehen scheint mir ein Gedanke auch heute noch von großer Wichtigkeit zu sein. Es geht darum, daß der Staat nicht den intimsten Bereich, die privateste Sphäre zweier Menschen, wie es die Ehe ist, stören darf. Der Staat ist dazu da, diesen privaten Bereich, die Ehe, zu schützen und sie nicht zu zerstören. Deshalb wollten wir der Ehefrau ein starkes Recht an die Hand geben, um die Staatsanwaltschaft, die sich bei der Strafverfolgung naturgemäß in diesen privatesten Bereich hineindrängen muß, zu stoppen. Die Versöhnungsklausel, welche von der SPD vorgeschlagen wird, stellt nicht ein so starkes Recht dar. Aus der Ermittlung wegen Vergewaltigung wird dann eine Ermittlung wegen Versöhnung. Auch hier also ist die Ehefrau gezwungen, ihren persönlichen Bereich vor der Staatsanwaltschaft oder gar dem Gericht auszubreiten, um darzutun, daß sie sich mit ihrem Ehemann versöhnt hat. Mit der Eherechtsreform aus dem Jahre 1976 haben wir diese Erörterung des intimsten Bereichs zweier Menschen vor dem Gericht abgeschafft. Wir sollten jetzt nicht gewissermaßen durch die Hintertür im Strafrecht diese Errungenschaft wieder beseitigen. Natürlich wissen wir, daß dieses Widerspruchsrecht den Strafanspruch des Staates gewissermaßen privatisiert. Man muß jedoch bedenken, daß hier zwei Rechtsverpflichtungen des Staates, die Ver- pflichtung nämlich, strafbare Handlungen zu verfolgen, und die Verpflichtung, den privaten Bereich zweier Menschen, die Ehe, zu schützen, miteinander in Konkurrenz treten. Wir haben uns für den Schutz des privaten Bereiches, für den Schutz der Ehe, entschieden. Art. 6 GG ist, wie alle Grundrechte, vor allem auch ein Abwehrrecht gegen den Staat. Ohne die Einwilligung des Opfers ist die Strafverfolgung nicht möglich, wenn nicht ein ganz besonderes öffentliches Interesse für die Strafverfolgung spricht. Dieses Widerspruchsrecht kommt in dreifacher Hinsicht dem Interesse der Frau entgegen: - Einmal wird dadurch die Ehe geschützt. Durch die Bestrafung des Mannes und schon durch das Ermittlungsverfahren gegen ihn werden im normalen Verlauf auch die letzten Bindungen der Eheleute zerschlagen. - Zum anderen kann es im Interesse der Kinder sein, daß die Strafverfolgung gegen den Vater eingestellt wird. Es ist schließlich nicht nur für den Vater belastend, sondern kann vor allem auch für die Kinder ein ganzes Leben lang belastend sein, daß ihr Vater wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist. Der Versuch der Mutter, im Interesse ihrer Kinder dies zu verhindern, ist zu respektieren, wenn nicht ganz besondere öffentliche Interessen dagegenstehen. - Außerdem liegt es vor allem im Interesse der Frau selbst, daß ihr intimster Bereich nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet und gewissermaßen aktenkundig wird. Wir wollen mit dem Widerspruchsrecht dem wohlverstandenen Interesse der Frau Rechnung tragen. Selbstverständlich übersehen wir nicht, daß eine solche Erklärung unter Druck abgegeben werden kann. Diese Möglichkeit der Erpressung durch den Ehemann besteht aber auch bei der Versöhnungsklausel und schließlich beim Zeugnisverweigerungsrecht des Opfers. Eine unter Druck abgegebene Erklärung ist nichtig. Die Staatsanwaltschaft hat in einem solchen Fall die Verpflichtung, weiter zu ermitteln. Sie hat aber nach unserem Vorschlag auch dann die Verpflichtung, die Strafverfolgung fortzusetzen, wenn von der Frau zwar in aller Freiheit Widerspruch eingelegt wurde, jedoch ein gravierendes öffentliches Interesse die Fortsetzung der Strafverfolgung gebietet. Mit dem Widerspruchsrecht nehmen wir die Frau ernst und respektieren ihre Entscheidung. Alle die, welche allzu schnell der Auffassung zuneigen, die Frau handle in der Regel unter Druck, wenn sie widerspreche, gehen im Grund von der Unmündigkeit der Frau aus und damit von einem falschen, längst überwundenen Bild von der Frau und ihrer Stellung in unserer Gesellschaft. Dies will nicht heißen, daß es diese Erpressungsversuche nicht gibt. Hier eine gute Lösung dieses Problems zu finden ist auch Aufgabe der Beratungen im Ausschuß. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Bundesministerin der Justiz): Der heute vorgelegte Koalitionsentwurf ist das Ergebnis einer Diskussion, die die Bundesregierung Anfang dieses Jahres in Gang Besetz hat. In ihrer Stellungnahme zu einem im November 1994 beschlossenen Bundesratsentwurf hat sie ausdrücklich betont, daß der strafrechtliche Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt in der Ehe verbesserungsbedürftig ist, die vom Bundesrat vorgeschlagenen Maßnahmen aber einen umfassenden Schutz noch nicht gewährleisten und deshalb weiter ergänzt werden müssen. Heute besteht weitgehend Einigkeit, daß der Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes umfassend ausgebaut, in seinen Kernbereichen in einem einheitlichen Tatbestand geregelt und geschlechtsneutral formuliert werden muß. Dabei wird sicher über Einzelheiten in den Ausschüssen, gegebenenfalls auch nach Anhörung von Sachverständigen, noch zu reden sein. Dazu wird auch gehören, wie das Ausnutzen einer hilflosen Lage am besten im Tatbestand zum Ausdruck gebracht werden kann. Nach wie vor im Streit ist die Frage, ob dem besonderen Verhältnis von Täter und Opfer bei Vergewaltigungen in der Ehe durch eine Regelung zur Beendigung, ohne daß es eine Hauptverhandlung gibt, Rechnung getragen werden soll. Sie stimmen mit mir sicherlich darin überein, daß kein Weg gegangen werden darf, bei dem der angestrebte Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt in der Ehe zur Symbolik verkümmert. Würde die Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zur Regel und die Strafverfolgung zur vielleicht kaum noch vorkommenden Ausnahme, bliebe der Schutz der Opfer von Vergewaltigung auf der Strecke. Diese Gefahr ist bei der jetzt vorgeschlagenen Wiederspruchslösung nicht von der Hand zu weisen. Der vom vergewaltigten Opfer - in den allermeisten Fällen die Frau - erhobene Widerspruch wird im Grundsatz dazu führen, daß ein Strafverfahren nicht gegen den Willen des Opfers durchgeführt wird. So sieht es auch die Begründung vor. Denn wann liegt ein besonderes öffentliches Interesse vor, wenn noch nicht einmal die Anhörung des Opfers durch den Staatsanwalt oder den Richter gesetzlich vorgeschrieben ist, so daß im Zweifel keine Anhaltspunkte für eine weitere strafrechtliche Ermittlung gegeben sind? Sicher muß sich der Staat in Anbetracht des grundrechtlichen Schutzes der Ehe Zurückhaltung auf erlegen und darf nicht ohne vernünftigen Grund - schon gar nicht über das Strafrecht - auf den Bestand und die Ausgestaltung der Ehe Einfluß nehmen. Dort aber, wo Gewalt angewendet und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Menschen gröblichst mißachtet wird, also ein Verbrechen begangen wird, geht es nicht um simple eheliche Streitigkeiten, aus denen sich der Staatsanwalt generell herauszuhalten hat. Gewalt in schlimmster Form und übelste Mißachtung des Partners dürfen nicht grundsätzlich hinter den Schutz der Ehe zurücktreten. Noch ein zusätzlicher Gesichtspunkt wirft Probleme auf. Vergewaltigung in der Ehe kann nach geltendem Recht wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung oder Nötigung bestraft werden, ohne daß es - abgesehen von der einfachen Körperverletzung - eine Möglichkeit des Opfers gibt, durch eine Erklärung das Verfahren zu beendigen. Unzuträglichkeiten dieses geltenden Verfolgungszwanges für bestehende Ehen sind mir nicht bekanntgeworden. Die Widerspruchsregelung führte in letzter Konsequenz dazu, daß entgegen dem geltenden Recht beim Widerspruch des Opfers es in der Regel zu überhaupt keiner Bestrafung käme. Zur materiellen Gleichbehandlung von Fällen ehelicher und nichtehelicher Gewalt und zur effektiven Durchsetzung eines bestehenden Strafanspruches zugunsten der Opfer ist deshalb auch für die eheliche Gewalt grundsätzlich ein Verfolgungszwang notwendig. Über Ausnahmen sollten die Gerichte entscheiden, die bei einem Widerspruch des Opfers unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls die Strafe mildern oder von ihr absehen sollten. Ein solcher Vorschlag beläßt die Verfahrensmacht bei den Gerichten. Er beugt außerdem besser der Gefahr vor, daß eine vergewaltigte Ehefrau dem Druck gewalttätiger Männer ausgesetzt wird. Im Interesse eines umfänglichen und effektiven Schutzes vor sexueller Gewalt appelliere ich an Sie alle, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Gesichtspunkte bei den weiteren parlamentarischen Beratungen noch einmal intensiv zu diskutieren. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Bundeskriminalamtgesetz) Dietmar Schlee (CDU/CSU): Die Bundesregierung hat uns - angesichts der Konfliktfelder, vor denen sie hier stand - einen höchst respektablen Entwurf für ein neues Bundeskriminalamtsgesetz zugeleitet. Damit liegt dem Bundestag ein weiterer wichtiger Baustein für mehr innere Sicherheit vor. Der Entwurf enthält differenzierte Regelungen, was die Aufgaben des Bundeskriminalamtes als Zentralstelle und als Strafverfolgungsbehörde angeht. Vor allem: Für die polizeiliche Datenverarbeitung und den Datenschutz schafft der Entwurf die überfällige gesetzliche Grundlage. Nach den bisherigen Diskussionen - auch im Bundesrat - zeichnen sich für die parlamentarische Beratung, wenn ich das richtig sehe, drei Schwerpunkte ab: Wir werden uns erstens mit der Frage zu befassen haben, ob dieser Gesetzentwurf nun tatsächlich eine rechtstaatlich einwandfreie, für die Polizei aber auch lesbare und verständliche Basis für polizeiliche Datenverarbeitung schafft - ein rechtliches Fundament, das auch den unabweisbaren fachlichen Bedürfnissen der Polizei für eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung gerecht wird. Sie alle kennen die Diskussionen, natürlich auch die Emotionen, die das Stichwort Datenschutz im Polizei- und Sicherheitsbereich ausgelöst hat. Mehr Täter - als Opferschutz! So gipfelte die Kritik. Wenn wir hier „eine harmonische Grundlinie", einen sachlichen Konsens zwischen den Bedürfnissen von Polizei einerseits und von Datenschutz andererseits fänden, wäre dies sicherheitspolitisch ein großer Gewinn. Der Entwurf leistet dazu den entscheidenden Beitrag. Es wird zweitens um polizeifachlich vernünftige Regelungen für ein konstruktives Miteinander von Bund und Ländern in polizeilichen bzw. kriminalpolizeilichen Angelegenheiten gehen. So ganz einfach wird das nicht zu erreichen sein, wie einzelne Positionen des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf und die Vielzahl seiner Änderungsvorschläge zeigen. Wer, wie ich, über viele Jahre in einem Land Verantwortung getragen hat, weiß sehr wohl, daß es Länder gibt, die, was Kompetenzregelungen angeht, dem Bund einfach mißtrauen und mit Argusaugen jedwede Bewegung in dem Bereich beobachten. So etwas gibt es, und der Bund ist daran auch nicht gänzlich schuldlos. Wir müssen dieses Mißtrauen der Länder abbauen. Wir müssen auf der anderen Seite den Ländern aber auch deutlich machen, daß sich die Situation bei der Verbrechensbekämpfung verändert hat, z. B. durch neue Deliktformen in der international vernetzten Welt: Illegaler Waffenhandel, Nuklearkriminalität, Schlepperkriminalität, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, und durch einen größeren kriminalgeographischen Schutzraum, der heute vom Nordkap bis Gibraltar und Kreta reicht. Darauf muß man sich einstellen. Darauf muß sich gerade der Bund einstellen können, nicht mehr und nicht weniger. Das tut er mit diesem Gesetz. Wir werden also bei der Beratung des BKA-Gesetzes Empfindlichkeiten berücksichtigen müssen und abbauen müssen. Nicht Konkurrenz und Pochen auf Zuständigkeiten ist nämlich jetzt gefragt, sondern kooperativer Föderalismus. Die Bevölkerung erwartet zu Recht ein optimales Zusammenwirken von Bundeskriminalamt und Länderpolizeien im Interesse einer bestmöglichen und erfolgreichen Verbrechensbekämpfung. Nur das kann und muß Maßstab sein. Schließlich stellt auch Europa neue Anforderungen an die deutsche Polizei. Das EUROPOL-Übereinkommen ist unterzeichnet und steht vor der Umsetzung in innerstaatliches deutsches Recht. Und EUROPOL muß weiterentwickelt werden. Diesen Zusammenhang und die künftigen vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen EUROPOL, Bundeskriminalamt und Länderpolizeien müssen wir bei der Beratung eines neuen BKA-Gesetzes also ebenfalls beachten. Notwendig ist jetzt aber vor allem eines: eine zügige parlamentarische Behandlung des Entwurfs, damit auch dieser wichtige Pfeiler in der Gesamtstrategie des Staates für eine bessere Verbrechensbekämpfung alsbald wirksam werden kann. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 war der Innenminister gezwungen, das BKA-Gesetz anzupassen. Dazu hat er zwölf Jahre gebraucht. Wer hier noch Lob verteilt, kann nicht ernst genommen werden, ja er nimmt sich wahrscheinlich selbst auch nicht ernst. In Wirklichkeit wird die Datenverarbeitung im BKA erstmals gesetzlich geregelt - aber wie - dazu später! Dies ist kein Meilenstein, der dem Bürger ein mehr an Sicherheit bietet, es ist ein Felsbrocken, den diese Regierung über Jahre hinweg mitschleppte und den aus dem Weg zu räumen sie nicht in der Lage war. Deutlicher kann die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung im Bereich der Inneren Sicherheit nicht aufgezeigt werden als durch die zwölfjährige Untätigkeit. Auch dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof wurde es zu bunt. Er entschied kurzerhand im Juni dieses Jahres, daß die Übergangsfrist des Gesetzgebers nach zwölf Jahren nunmehr abgelaufen sei und ein jeder, der unschuldig in ein Ermittlungsverfahren gerät und deshalb im BKA-Computer gespeichert wird, die Löschung verlangen kann. Mehr als 20 Gesetzentwürfe wurden gefertigt, ohne daß die Abstimmungsprozesse mit dem BMJ und den Ländern abgeschlossen werden konnten. Hochdotierte Beamte durften über Jahre hinweg für den Papierkorb arbeiten, weil eine Einigung zwischen BMI und BMJ bis zuletzt nicht zustande kam. Zwölf Jahre hat diese Regierung gebraucht, bis sie die durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts notwendige Anpassung des Gesetzes nun als Entwurf vorlegt. Inzwischen ließ man das BKA in halbseidenem Zustand weiterwursteln, weil diese Regierung im Bereich der Inneren Sicherheit sich ständig selbst blockiert. Was hat das für Folgen für eine Polizei, die nach Recht und Gesetz handeln soll, wenn man ihr dieses Gesetz über ein Dutzend Jahre hinweg beständig verweigert! Herr Minister, wer so handelt bzw. nicht handelt, geht den Polizeibeamten nicht gerade mit gutem Beispiel voran. Wer eine rechtsstaatliche Polizei will, muß selbst rechtsstaatlich handeln. Das aber, Herr Kanther, haben Sie und Ihre Vorgänger gerade nicht getan. Diese Bundesregierung läßt das ehemalige Flaggschiff der deutschen Polizei, wie es gerade im Ausland gesehen wurde, einfach treiben. Erstens. Sie haben bis heute nicht die Vorfälle um Bad Kleinen aufgearbeitet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich von Ihnen im Stich gelassen und ungerecht behandelt. Die Folge heute: gerichtliche Nachspiele, Herr Minister, ich erinnere hier an ganz aktuelle Anlässe, die nun im Bereich der hessischen Justiz aufgearbeitet werden, für die aber Sie letztendlich die Verantwortung tragen. Zweitens. Wo, sehr geehrter Herr Innenminister, ist Ihr Beitrag zur Aufklärung des Plutoniumskandals geblieben? Wo sind Ihre Beiträge zur Klärung von Zuständigkeiten und Kompetenzen? Wo ist Ihre politische Linie gewesen? Auch nach dem vorliegenden Entwurf können derartige Skandale und andere Pannen im Zuständigkeitswirrwarr bundesdeutscher Polizeistrukturen weiterhin so richtig gedeihen. Drittens. Sie nutzen das BKA für ihre politischen Machtinteressen. Mit Ihrem in sich geschlossenen Weltbild, dem Weltbild des „Hardliners", haben Sie bereits strafprozessuale Lösungen im Kopf, für die Sie dann die passenden Fälle im BKA suchen lassen. Dadurch erhält ihr politischer Wille, Ihre Ideologie ein vermeintliches sach- und fachkundiges Fundament. Sie mißbrauchen hier eine Behörde für Ihre ideologischen Zwecke. Sehr geehrter Herr Innenminister, so entsteht doch keine Kriminalpolitik aus einem Guß, sondern lediglich ein Sammelsurium von Instrumenten, die lediglich auf Einzelfälle zugeschnitten sind. Und während man innerhalb der Polizei auf der Suche nach einer Polizeikultur ist, zerstören Sie auf dem Erlaßwege jedes Aufkommen eines „Neuen Selbstverständnisses". Viertens. Sie mißbrauchen diese Behörde für Wahlkampfzwecke. Die Art und Weise, wie Sie den Kabinettsbeschluß zum Entwurf des BKA-Gesetzes in den hessischen Wahlkampf eingebracht haben, zeigt deutlich, welch gestörtes Verhältnis Sie zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben. Diese fühlten sich als Instrument Ihres hessischen Wahlkampfes mißbraucht. Fünftens. Sie halten das BKA nicht auf dem technisch neuesten Stand. Die EDV im BKA ist hilflos überaltert, ein Datenaustausch bzw. Abgleich mit den Datenbeständen aus anderen Ländern ist nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Sie gaukeln vor, hinter dem internationalen Verbrecher herzujagen, doch die Instrumente im BKA sind aus der EDV-Steinzeit. Nicht nur in Bayern und Baden-Württemberg, auch in den neuen Bundesländern könnten die EDV-Spezialisten des BKA Nachhilfestunden nehmen. Es ist kein Wunder, daß unter Ihrer Führung das „Jobdenken" im BKA auf dem Vormarsch ist. Dies ist nur ein natürlicher Schutz gegen die alltägliche Frustration, die das BMI verursacht. Die Polizei lebt jedoch von Selbstbewußtsein und Eigeninitiative, die Sie nahezu täglich unterdrücken. Ein Wort noch zur Umorganisation des BKA. Die Angehörigen des höheren Dienstes haben festgestellt, daß die Zusammenlegung von Ermittlung und Auswertung in der neugegründeten Abt. OA falsch war. Keiner will Ihnen diese Botschaft überbringen. Es wird Zeit, daß Sie einmal überlegen, weshalb das so ist. Das neue BKA-Gesetz besitzt keine neuen Konturen. Sie lassen doch sonst keine Chance aus, von den neuen bedrohlichen Dimensionen der internationalen Kriminalität zu warnen. Was aber setzen Sie dagegen? Es ist kein politischer Wille, keine Weichenstellung erkennbar, statt dessen wird das Bermuda-Dreieck der Zuständigkeiten ausgeweitet (siehe Art. 3 - Internationale Zusammenarbeit). Kooperativer Föderalismus, das müßte das Bestreben des Innenministers sein, nicht eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dieses Ziel hat er nicht erreicht, dieses Ziel hat er deutlich verfehlt. Zentralstellen sind abhängig von ihren Informationsquellen, von der Güte der Information und von der Schnelligkeit, in der die Informationen mitgeteilt werden. Dies ist im Gesetzentwurf nur unzureichend geregelt. Es wird nicht erkennbar, ob das BKA die Zentralstelle für die deutsche Polizei sein soll oder eine Zentralstelle neben den 16 Zentralstellen bei den Landeskriminalämtern. Herr Minister, was wollen Sie eigentlich, eine starke Zentrale der deutschen Polizei oder eine abgespeckte? Offene Grenzen rund um Deutschland, zunehmende internationale und organisierte Kriminilität erfordern eine Stärkung bundespolizeilicher Kompetenzen. Diese haben Sie nicht erreicht. Sie werden nun sagen, mehr war mit den Ländern nicht zu erreichen. Ich frage, was haben Sie getan, um die Länder für sich und die Sache zu gewinnen? Sie stoßen die Länder vor den Kopf, wenn ihre Behörde die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung dem BKA zuweisen kann, wie dies in § 4 Abs. 2 Nr. 3 vorgeschlagen ist. Es gab bisher sechs Fälle dieser Art. Weshalb Sie gerade an dieser Regelung unbedingt festhalten wollen, ist mir angesichts des großen Dissenses mit den Ländern unverständlich. Offensichtlich fehlt es an Gespür für die Situation in den Bundesländern. Weiterhin ist es ein Affront gegen die Interessen und das Selbstbewußtsein der Länder, wenn der Entwurf vorsieht, daß das BKA einem Bundesland Weisungen für die Zusammenarbeit geben kann. Für mich zeigt die Diskussion mit den Ländern deutlich, daß das Verhältnis BKA/Länder grundsätzlich überdacht werden müßte, ganz im Sinne eines arbeitsteiligen aufeinander abgestimmten Sicherheitskonzeptes. Auch Europol ist eine von den Mitgliedstaaten eingerichtete, finanzierte und getragene Gemeinschaftseinrichtung und damit keine Überbehörde. Ich könnte mir vorstellen, das BKA als eine von den Ländern mitgetragene Zentralstelle zu installieren, mit einem regen Personalaustausch zwischen Bund und Ländern auf der Führungsebene. Eine derartige Zusammenarbeit hat sich bereits bei der Ausbildung des höheren Dienstes der Polizeien des Bundes und der Länder als tragfähig erwiesen. Damit würde sich sowohl die Sichtweise des Bundes als auch die der Länder verändern und erweitern. Nur um einige Beispiele aus dem übrigen Gesetzentwurf herauszugreifen: Der § 4 regelt die polizeilichen Aufgaben des BKA auf dem Gebiet der Strafverfolgung. Abs. 1 Ziff. 4 ist hier zu eng gefaßt. Die Zuständigkeit wird nicht auf die typischen Phänomene des internationalen Terrorismus zugeschnitten. So sehen Sie keine Zuständigkeiten für das BKA vor, wenn die Straftaten zwar im Inland begangen, aber erkennbar aus dem Ausland gesteuert werden. Weiterhin bleiben Brand- und Sprengstoffdelikte außer acht, typische Delikte im Bereich des international organisierten Terrorismus. Es entspricht seit einigen Jahren der ständigen Praxis des GBA, das BKA in Staatsschutzangelegenheiten bereits unterhalb der Schwelle konkreter Ermittlungsverfahren mit der Durchführung sogenannter ARP-Verfahren zu betrauen. Hierbei geht es um die Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen auch über Personen mit dem Ziel der Prüfung, ob sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten ergeben. Herr Minister, für diese ARP-Verfahren gab es in der Vergangenheit keine gesetzliche Grundlage. Die Länder können entsprechende Informationserhebung „im Vorfeld" auf ihre Polizeigesetze stützen. Da Sie die notwendige gesetzliche Grundlage für diese ARP-Verfahren nicht vorgesehen haben, muß man davon ausgehen, daß diese in Zukunft nicht mehr vom BKA durchgeführt werden sollen. Wollen Sie das tatsächlich? Endlich wird dem BKA die gesetzliche Befugnis eingeräumt, seine Zeugen selbst zu schützen. Damit wird ein Zustand beendet, der immer wieder zu Problemen führte, da der Schutz von Zeugen in BKA-Verfahren von den Ländern übernommen wurde. Gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität ist der Zeugenschutz eine wichtige Maßnahme, um eine Aussagebereitschaft zu erreichen. Noch immer erhält man jedoch aus dem Justizministerium Hinweise, daß dort noch Widerstände vorhanden sind. Nunmehr besteht die Möglichkeit, in eigenen Ermittlungsverfahren eingesetzte VE/VP bzw. sonstige Personen durch den Einsatz technischer Mittel zu schützen. Damit entspricht dies dem Vorgehen in den Ländern, die diese Möglichkeiten in ihren Polizeigesetzen haben. In den Presseveröffentlichungen erwecken der BMI und die Bundesregierung den Eindruck, als ob es lediglich um die Eigensicherung der VE/VP ginge. Dann hätte man aber ein Beweisverwertungsverbot in den BKA-Entwurf eingebaut. Das aber gerade wird durchbrochen, die Weitergabe zu Beweiszwekken im Rahmen des Strafverfahrens wird eröffnet. Damit wird der große Lauschangriff für das BKA quasi durch die Hintertüre eingeführt. Weder in Presseerklärungen noch im Gesetzentwurf selbst haben Sie diese Information offensiv vertreten. Zu Recht ist Ihnen dabei nicht ganz wohl. Herr Minister, so geht es nicht! Ich bin hier sehr gespannt, wie sich die F.D.P. vor der Mitgliederbefragung verhält. Immer noch gibt es gewichtige Bedenken bei den Datenschutzbeauftragten, über die wir ebenfalls im weiteren Gesetzgebungsverfahren intensiv beraten müssen. Insbesondere muß für den Bürger die Auskunftserteilung eindeutig klar sein. Im vorliegenden Entwurf wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu wenig beachtet. Dieses Bür- gerrecht muß deutlich herausgestellt werden. Wer den Gedanken der informationellen Selbstbestimmung, wie er im Volkszählungsurteil herausgearbeitet wurde, ernst nimmt, muß dem Bürger ein Mindestmaß an Rechten zugestehen. Weshalb wird das BKA z. B. nicht gesetzlich verpflichtet, dem Bürger auf Anfrage mitzuteilen, welche Behörden Daten über ihn gespeichert haben? Ein vereinfachtes Auskunftsverfahren - gerade bei einer Zentralstelle - halte ich für dringend geboten. Weshalb, Herr Minister, sind die Zuständigkeiten der Verbindungsbeamten RG/OK des BKA im Ausland nicht gesetzlich normiert? Will man diese Verbindungsbeamten vielleicht herausziehen, um diese Aufgaben künftig dem BND zu überlassen? Will man das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten weiter durchlöchern? Ich persönlich würde es auch begrüßen, wenn wir ohne Vorbehalte darüber diskutieren würden, ob die Sicherungsgruppe des BKA nicht besser dem BGS zugeordnet werden sollte. Meines Erachtens gibt es gute Gründe für eine derartige Umorganisation. Sehr geehrter Herr Innenminister, mit Ihrem Gesetzentwurf werden Sie eine glatte Bruchlandung hinlegen. Wer ein derartiges BKA-Gesetz vorlegt, abgestimmt auf juristische Feinheiten, trotzdem nicht juristenfest, und die praktische Seite für die Polizeibeamten vernachlässigt, darf sich nicht über die nächsten Pannen wundern. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Man kann in fünf Minuten die Bedeutung dieses Gesetzes auch nicht annähernd beschreiben. Es war nicht nur wegen gerichtlicher Entscheidungen zu den Datensammlungen des BKA überfällig. Das Gesetz soll nicht nur den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung gerecht werden, sondern auch die polizeilichen Beziehungen zwischen Bund und Ländern neu regeln, Entwicklungen der Strafprozeßordnung und der Polizeirechte einzelner Länder folgen und die Tür zur europäischen Zusammenarbeit offenhalten. Diese Zielsetzung ist richtig. Das Gesetz selbst ist aber so kompliziert geraten in seinem Aufbau und in seiner Sprache, daß man den Polizeibeamten Glück wünschen muß, die mit ihm arbeiten sollen. Es gibt einige wichtige Punkte, zu denen wir Vorbehalte haben. Wir wollen, daß es bei der föderalen Struktur der deutschen Polizei bleibt. Das ist nicht nur ein politisches demokratisches Anliegen. Eine föderale Polizei ist, wenn sie richtig organisiert ist, einfach besser als zentralistische Organisationen. Das hat Folgen für die Zuständigkeiten. Das BKA sollte nicht in Sachen ermitteln, für die es nicht zuständig ist. Und natürlich hat das Folgen auch für die Möglichkeiten der Länderpolizeien, in unmittelbaren Kontakt zu anderen europäischen Polizeien treten zu können. Diese Möglichkeit ist nicht nur im unmittelbaren Grenzbereich wichtig. Sie muß erhalten bleiben und sollte nicht durch Bürokratie erschwert werden. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Frage, in welchem Umfang die Polizei Personen gegen deren Willen oder ohne deren Zustimmung speichern soll, die nicht Beschuldigte sind. Das können Zeugen, Hinweisgeber, Auskunftspersonen sein oder Personen, die sich vollkommen rechtmäßig verhalten, von denen die Polizei aber glaubt, daß sie in Zukunft Straftaten begehen wollen. Wer kann das alles sein? Dabei geht es ja beim BKA nicht um konkrete Gefahrenabwehr, sondern das BKA bleibt eine zentrale Informationssammelstelle. So wichtig es ist, daß die Polizei sich mit Leuten befaßt, die Straftaten begangen haben oder jedenfalls in den Verdacht geraten sind, Täter zu sein, so zurückhaltend muß die Polizei dann sein, wenn sie sich mit Personen befassen will, die sich rechtmäßig verhalten oder gar der Polizei helfen wollen. Wir stoßen bei diesem Gesetz unter der Überschrift „Eigensicherung" auch auf das Problem des Einsatzes elektronischer heimlicher Abhörgeräte. Das will ich jetzt und hier nicht weiter ausführen. Und schließlich müssen wir uns mit den Vorstellungen der Länder eingehend befassen. Sie haben überraschend viele Änderungswünsche vorgetragen. Da es sich um ein Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im polizeilichen Bereich handelt, werden wir uns das sehr sorgsam ansehen müssen. Wir wollen das Gesetz nicht hektisch, aber intensiv und sorgfältig beraten. Es ist dringend, aber auch kompliziert. Die angedeuteten Probleme sind für uns keine Kleinigkeiten, und ich hoffe, daß wir zu vernünftigen Beratungen kommen, die den Interessen aller Seiten an der Verabschiedung des Gesetzes gerecht werden. Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Novellierung des BKA-Gesetzes ist überfällig, da fast acht Jahre nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts immer noch keine bereichsspezifischen Regelungen für die Informationsverarbeitung des Amtes bestehen. Insofern dürfte auch der sogenannte Übergangsbonus inzwischen abgelaufen sein - mit der Folge, daß die Verwendung von Personendaten auf rechtliches Glatteis gerät. Leider ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung trotz dieser langen Vorlaufzeit nicht ausgereift und nicht zustimmungsfähig, vor allem, weil die Bundesregierung offenbar der Versuchung erlegen ist, anläßlich der Novellierung die verfassungskräftige föderative Polizeistruktur aushöhlen und die Bundeszuständigkeit zu Lasten der Länder erheblich erweitern zu wollen. Meine Fraktion ist hingegen der Auffassung, daß Polizeithemen nicht mit der Brechstange und in Konfrontation mit den Ländern geregelt werden können, sondern nur im Einvernehmen mit diesen! Insbesondere das BKA benötigt - zusätzlich zu seinen bedauerlichen internen Verwerfungen - keine weitere externe Auseinandersetzung mit den Landeskriminalämtern. Daher sollte ein Gesetzentwurf auch mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden; die Bundesregierung sollte von ihrer entgegengesetzten zweifelhaften Rechtsauslegung rasch Abstand nehmen. Auch inhaltlich ist der Regierungsentwurf u. a. in folgenden Punkten, die in den Ausschußberatungen zu vertiefen wären, bedenklich: Erstens. Das BKA als Zentralstelle soll ohne Rücksicht auf die Länderzuständigkeiten Befugnisse zur selbständigen Datenerhebung und -übermittlung bis zum Online-Verbund mit ausländischen und zwischenstaatlichen Stellen erhalten. Zweitens. Die Verwendung des Begriffs „Straftaten von erheblicher Bedeutung", für deren Verfolgung das BKA zuständig werden soll, ist jedenfalls ohne katalogartige Präzisierung nicht hinnehmbar. Drittens. Gleiches gilt für die Vermischung von Befugnissen zur Strafverfolgung, Gefahrenabwehr, Verhütung von Straftaten und Vorsorge für künftige Strafverfolgung, wobei die vorgesehene Zweckbindung der gewonnenen Daten durchweg mangelhaft ist. Viertens. Zu kritisieren sind ferner die nachteiligen Sonderregelungen für das INPOL-System zur datenschutzrechtlichen Kontrolle und zur Auskunftserteilung an Betroffene. Fünftens. Besonders dreist ist der im Entwurf versteckte Versuch, den Lauschangriff in Wohnungen in Gestalt der „bemannten Wanze" legalisieren und die dabei gewonnenen Informationen vielfältig nutzen zu wollen. Leider hat der Bundesrat an diesem Punkt noch draufgesattelt statt gebremst. Ulla Jelpke (PDS): Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute erneut mit der Demontage von demokratischen Prinzipien, die der alten Bundesrepublik nach der Niederschlagung des deutschen Faschismus auferlegt worden sind: Mit dem vorliegenden Entwurf des BKA-Gesetzes soll der Weg freigemacht werden für eine weitere Zentralisierung und Politisierung einer deutschen Bundespolizei. Und - die Spatzen pfeifen es von den Dächern - langfristig soll auch das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten aufgehoben werden. Fragen Sie in dieser Sache doch einmal den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder den bayerischen Innenminister Beckstein. Dort ist der Verfassungsschutz bereits für die Beobachtung der sogenannten Organisierten Kriminalität zuständig. Die bundespolizeilichen Kompetenzen des BKA sollen unzulässigerweise ausgebaut werden - zu Lasten der Länderpolizeien. Hinsichtlich des Schutzes von demokratischen Rechten der Bürgerinnen und Bürger ist von seiten der SPD bzw. der sozialdemokratischen Bundesratsmehrheit aber nicht allzuviel zu hören - im Gegenteil. Auch sie hobeln eifrig mit beim Abbau von Grundrechten. Der BKA-Gesetzentwurf vermag zum einen schon sprachlich nicht zu überzeugen: Entscheidende Rechtsbegriffe sind nicht normenklar: Was unter „Straftaten von erheblicher Bedeutung" zu verstehen ist, darüber gibt es immer noch keine gültige Definition. Auch was die Begriffe „mittlere Kriminalität" oder „personengebundene Hinweise" bedeuten mögen, bleibt das Geheimnis der Bundesregierung. Die im BKA-Gesetzentwurf vorgesehene Befugnis zum polizeilichen „Lauschangriff" ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Der Lauschangriff soll an die Gefährdung eines - ansonsten im BKA-Gesetz nicht geregelten - „verdeckten Ermittlers" gebunden werden. Unklar bleibt, zu welchem Zweck dieses Geschehen aufgezeichnet werden muß bzw. unter welchen Voraussetzungen diese Aufzeichnungen gelöscht werden sollen. Auch ist vollkommen unklar, was unter der Voraussetzung „im Beisein" der oder des BKA-Beamten zu verstehen ist. Schließlich ist es vollkommen unverhältnismäßig, einen derartig tiefgreifenden Eingriff von Bürgerinnen-Rechten an den Schutz von Sach- und Vermögenswerten zu koppeln. Ein anderer Punkt: Im BKA-Gesetz ist eine umfassende Regelung zu dem Schutz von Zeugen vorgesehen. Zeugenschutz hängt mit der - von uns rundweg abgelehnten - Rechtsfigur des Kronzeugen unmittelbar zusammen. Die zu schützende Person gerät hierbei in ein vollkommenes Abhängigkeitsverhältnis zur Polizei. Sich aus dieser staatlichen Umklammerung zu lösen ist fast unmöglich. Unklar bleibt, wer Zeugenschutzmaßnahmen anordnet und deren Art und Umfang sachlich kontrolliert. Hier bleibt ein gefährlicher Spielraum, um nicht nur die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft, sondern auch die zuständigen Gerichte an der Nase herumzuführen. Die Gefahr, die hier droht, wird deutlich am Beispiel des „geschützten" kurdischen Kronzeugen Ali Cetiner. Dieser saß 1989 zehn Monate lang in einem Berliner Gefängnis, ohne daß die Berliner Justizverwaltung hiervon Kenntnis hatte! Der Tatendrang des BKA läßt sich offenkundig nicht mehr auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränken. Nun wird für den Bereich der Bekämpfung dessen, was Sie als „Terrorismus" bezeichnen, eine deutliche Ausweitung der „Originären Strafverfolgungskompetenzen" des BKA beabsichtigt: Wenn „deutsche Interessen im Ausland" berührt sind - was immer das auch sein mag -, dann soll das BKA im Ausland tätig werden dürfen. Dabei soll es unerheblich sein, ob sich „überhaupt ein Bezug zu einem anderen Land herstellen läßt" oder ob die „terroristischen Aktionen regional zu benennen sind". Wir halten nichts davon, das Ausland - nach deutschen Soldaten - nunmehr auch noch mit deutschen „Weltpolizisten" zu beglücken. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mit dem BKA-Gesetzentwurf kommt für den Bereich des Bundesministeriums des Innern eine Reihe von Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluß, die alle ein Ziel gemeinsam hatten: die Umsetzung des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 und den übrigen Ergänzungs- und Änderungsbedarf - soweit möglich - abzuarbeiten. Ich erinnere insoweit nur an das Ausländerzentralregistergesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz, die beide noch im letzten Jahr in Kraft treten konn- ten. Auch die Polizeigesetze der Länder sind zum größten Teil grundlegend überarbeitet worden, um den Anforderungen des Volkszählungsurteils gerecht zu werden. Der den Gesetzgebern vom Bundesverfassungsgericht eingeräumte Übergangsbonus für die Schaffung der erforderlichen, bereichsspezifischen gesetzlichen Grundlagen nähert sich seinem Ende. Obergerichtliche Entscheidungen zur Datenverarbeitung beim Bundeskriminalamt, die bisher weitgehend auf der Grundlage von Richtlinien stattfindet, haben dies in letzter Zeit deutlich gemacht. Damit in Zukunft die Verarbeitung und Nutzung von Daten beim BKA als Zentralstelle der Deutschen Kriminalpolizei nicht am Fehlen einer ausreichenden Rechtsgrundlage scheitert, ist der BKA-Gesetzentwurf besonders dringlich. Es geht darum, den Standard bei der Datenverarbeitung im BKA aufrechtzuerhalten und das BKA in die Lage zu versetzen, seine wichtigen Aufgaben als Zentralstelle und Strafverfolgungsbehörde auch in Zukunft zu erfüllen. Hierin liegt der wesentliche Beitrag des Gesetzentwurfs zur Verbrechensbekämpfung. Entgegen verschiedentlich zu vernehmenden Äußerungen sind mit dem Gesetzentwurf keine ausufernden Kompetenz- und Zuständigkeitserweiterungen für das BKA verbunden. Neue Aufgaben soll das BKA im Bereich der Strafverfolgung nur dort bekommen, wo sich in der polizeilichen Praxis bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Defizite gezeigt haben, weil z. B. zunächst eine zuständige Landesbehörde nicht festgestellt werden kann. Keine neue Aufgabe ist die vorgesehene Regelung zur Durchführung von Zeugenschutzmaßnahmen in BKA-eigenen Ermittlungsverfahren. Das BKA schützt seine Zeugen schon bisher auf der Grundlage von gemeinsamen Richtlinien des Bundes und der Länder. Schließlich sieht der Entwurf für das BKA noch die Befugnis vor, zur Eigensicherung seiner ermittelnden Beamten bei risikoreichen Einsätzen technische Mittel einzusetzen, also z. B. eine Wohnung abzuhören oder mit Video zu überwachen, in der ein Gespräch unter Mafiosi stattfindet, an dem ein Verdeckter Ermittler des BKA teilnimmt. Fast alle Polizeigesetze der Länder sehen entsprechende Regelungen vor, die sich allerdings hinsichtlich der Art und Weise des Einsatzes dieser technischen Mittel teilweise unterscheiden. Die Erforderlichkeit einer Eigensicherungsregelung auch für das BKA wird nicht in Zweifel gezogen. Es macht aber keinen Sinn, das BKA beim Schutz seiner Beamten weitergehenden Einschränkungen zu unterwerfen, als dies für die Polizeien der meisten Länder der Fall ist. Damit sind die vorgesehenen neuen gesetzlichen Kompetenzen des BKA auch schon abschließend aufgezählt. Diese Kompetenzen wurden vom Bundesrat nicht in Frage gestellt. Entgegen anders lautenden Pressemeldungen und der insoweit zumindest mißverständlichen allgemeinen Vorbemerkung zur Stellungnahme des Bunderates ist zur Kritik des Bundesrates an dem Gesetzentwurf folgendes festzustellen: Die Länder sind mit der Grundkonzeption des Entwurfs, namentlich der Verteilung der datenschutzrechtlichen Verantwortung im polizeilichen Informationssystem einverstanden. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates einer Reihe von Vorschlägen der Länder zugestimmt. Zu den Regelungen des Gesetzentwurfs, die zwischen Bundesrat und Bundesregierung streitig geblieben sind, gehört die Bestimmung über den internationalen Dienstverkehr. Hierbei geht es um einen zentralen und wichtigen Punkt des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Verbrechensbekämpfung. Bisher ist im geltenden Gesetz vorgesehen, daß der Auslandsdienstverkehr mit der Möglichkeit zu Ausnahmen für die Grenzgebiete ausschließlich über das BKA läuft. Diese Zuständigkeitsverteilung ist nicht mehr zeitgemäß. Daher sieht § 3 eine nicht unerhebliche Erweiterung der Länderkompetenzen vor. Außerdem ist in einer Fußnote zu § 3 vorgesehen, daß die parlamentarischen Beratungen im Lichte einer noch durchzuführenden Abstimmung zwischen Bund und Ländern erfolgen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird in die nun anstehenden Ausschußberatungen einfließen. Die Gespräche haben gezeigt, daß es auch in dieser Frage, in der die Standpunkte zunächst sehr weit voneinander entfernt waren, möglich ist, zu einer für alle akzeptablen Lösung zu kommen. Ich hoffe, daß dies auch bei allen anderen noch offenen Punkten möglichst rasch der Fall sein wird und daß die Ausschußberatungen zu einem zügigen Abschluß gebracht werden können. Das BKA braucht dieses neue Gesetz, um auch in Zukunft seinen Aufgaben gerecht werden und seinen wichtigen Beitrag zur Verbrechensbekämpfung leisten zu können. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 18 (Zweites Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Wir debattieren heute über die Verlängerung der Kronzeugenregelung für den Bereich der terroristischen Straftaten sowie der organisierten Kriminalität um vier Jahre. Das Thema ist wahrlich nicht neu: Seit der Einführung der Kronzeugenregelung im Sommer 1989 hat es den Deutschen Bundestag wiederholt beschäftigt. Ich denke, es ist deshalb nicht erforderlich, heute erneut in eine ausführliche Grundsatzdebatte über das Für und Wider einer Kronzeugenregelung einzutreten. Uns allen ist klar, daß eine Kronzeugenregelung eine einschneidende Durchbrechung des Legalitätsprinzips bedeutet und das Rechtsstaatsprinzip sowie insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz be- rührt. Vor allem die Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann meines Erachtens nur dann erwogen werden, wenn und soweit sachliche Gründe diese Durchbrechung zwingend gebieten. Dies ist grundsätzlich im Blick auf die Gefahren des Terrorismus sowie der organisierten Kriminalität zu bejahen. Gerade wegen der besonderen Problematik der Kronzeugenregelung haben wir diese zeitlich befristet. Da die Kronzeugenregelung bei organisiert begangenen Straftaten im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes an die Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten gekoppelt worden ist, ist sie gegenwärtig bis Ende 1995 befristet. Ich denke, es liegt auf der Hand, daß mit einem Gesetz, das erst zum 1. Dezember 1994 in Kraft getreten ist, nach noch nicht einmal einem Jahr keine ausreichenden Erfahrungen gesammelt werden können. Es widerspräche aber der Vernunft, dieses Instrument vor der Beurteilung seiner Wirksamkeit schon wieder außer Kraft zu setzen. Die vom Deutschen Bundestag 1992 durchgeführte Anhörung hat im übrigen bestätigt, daß die Kronzeugenregelung den befürchteten Schaden nicht angerichtet hat. Insbesondere ist das die Strafrechtspflege beinhaltende Ziel, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu erweisen, nicht beeinträchtigt worden. Im Bereich des Terrorismus hat die Kronzeugenregelung einige Erfolge bei der Bekämpfung der RAF sowie der PKK gebracht. Das ist zugegebenermaßen sicherlich schon einige Zeit her. Wir sollten aber deswegen nicht grundsätzlich an der Wirksamkeit der Kronzeugenregelung zweifeln. Möglicherweise wird dieses Instrument bei der Verhinderung oder Aufklärung von rechtsextremistischen Straftaten künftig von Bedeutung sein. Wir sind uns aber - so glaube ich - einig darin, daß wir mit der Kronzeugenregelung vor allem bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität Hoffnung auf Erfolge haben können. Die Erfahrungen in den USA und vor allem in Italien geben uns dazu Grund. Sicherlich ist es kaum konkret feststellbar, wie viele und welche Straftaten durch eine Kronzeugenregelung verhindert werden konnten bzw. können. Aber immerhin konnten zahlreiche terroristische Straftaten aufgeklärt werden, und fest steht auch, daß die Kronzeugenregelung Erkenntnisse gebracht hat, die die Strafverfolgungsbehörden ohne sie nicht erhalten hätten. Diese Regelung vermag gerade dort Wirkung zu entfalten, wo die Strafverfolgungsbehörden die größten Schwierigkeiten mit der Beweisermittlung haben. Wir wissen doch alle: Organisierte Kriminalität kann immer nur von innen aufgebrochen werden. Wir sollten den Praktikern jedes rechtsstaatliche Instrument gerade bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens zur Verfügung stellen. Diese vielleicht schon heute größte Bedrohung unserer inneren Sicherheit erfordert neue Wege, mehr Möglichkeiten für Polizei und Justiz. Dazu gehört im übrigen nicht nur die Kronzeugenregelung, sondern z. B. endlich auch die Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln im Rahmen der Strafverfolgung. Die Sicherheitsbehörden sind einhellig für eine Verlängerung der Kronzeugenregelung. Ihre Einführung für den Bereich der organisierten Kriminalität war übrigens eine zentrale bayerische Forderung. Bei allen Zweifeln und Bedenken, die man sicherlich mit teilweise guten Gründen gegen die Kronzeugenregelung vorbringen kann, sollte man deshalb gerade im Hinblick auf die enormen Gefahren, die inzwischen weltweit von der organisierten Kriminalität ausgehen, auf die Chance, die sich durch die Kronzeugenregelung eröffnet, nicht verzichten. Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Es wird niemanden wundern, daß der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur erneuten Verlängerung der Kronzeugenregelung bei der SPD auf äußerste Skepsis trifft. Die für terroristische Taten seit 1989, also seit über sechs Jahren, geltende Möglichkeit soll noch einmal um vier Jahre verlängert werden. Die Koalition ist also selbst höchst unsicher. Sonst könnte sie den Kronzeugen jedenfalls zur Aufklärung terroristischer Straftaten endgültig einführen oder ihn, wofür viel spricht, abschaffen. Statt dessen schlägt sie ein Experiment von insgesamt zehnjähriger Dauer vor. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des deutschen Strafprozeßrechts. Die Argumente gegen das Rechtsinstitut des Kronzeugen sind bekannt: Der Rechtsstaat sollte keinen Handel um Gerechtigkeit mit Schwerkriminellen eingehen. Die Glaubwürdigkeit eines Straftäters, der zur Erlangung von Strafmilderung oder Straffreiheit seine ehemaligen Komplizen belastet, ist gering. Das Aushandeln von Strafe verträgt sich nicht mit dem Legalitätsprinzip, ganz im Unterschied etwa zum angloamerikanischen Rechtskreis mit dem dort geltenden Opportunitätsprinzip. Die bereits 1982 eingeführte Regelung in § 31 BtMG hat sich nicht bewährt, wie u. a. Michael Jaeger in seiner rechtsvergleichenden und empirischen Untersuchung nachgewiesen hat. Die Verschachtelung und Abschottung sowie das Schreckensregime verbrecherischer Organisationen verhindern ein Eindringen in den Kernbereich der Organisation, weshalb es selten gelingt, die Hintermänner zu überführen. Ferner: Kronzeugen lassen sich nicht wirkungsvoll und dauerhaft schützen, so daß sie häufig als sogenannte „Verräter" den Racheakten ihrer früheren Komplizen zum Opfer fallen. Schließlich hat sich herumgesprochen, daß sich die Kronzeugenaussage wegen des Erfordernisses, die Tat über den eigenen Beitrag hinaus aufzudecken, kaum je lohnt. Bei BtM-Delikten wird die Strafe für die bislang nicht aufgedeckten und erst durch den Zeugen „gestandenen" Taten nicht selten lediglich auf die ohnehin verwirkte Strafe ermäßigt. Ein Nullsummenspiel. Nun soll also das unserem Rechtssystem fremde Experiment verlängert werden, weil es - so die Entwurfsbegründung - bei terroristischen Straftaten die Aufklärung in bestimmten Bereichen „erleichtert" habe. Nimmt man die Begründung ernst, ist die Aufklärung also noch nicht einmal ermöglicht, sondern nur erleichtert worden. Wir werden im Rahmen der bevorstehenden Ausschußberatung einen detaillier- ten Erfolgsbericht verlangen, der auch auf § 31 BtMG zu erstrecken sein wird. Es ist nämlich unrichtig, daß das erst seit dem 1. Dezember 1994 auf organisiert begangene Straftaten erstreckte Instrument noch keine ausreichenden Erfahrungen gebracht haben könnte, wie es in der Entwurfsbegründung heißt. Denn bekanntlich ist der Drogenhandel ein klassisches Instrument der organisierten Kriminalität, und für dieses Delikt gibt es bereits seit 1982, also seit über 13 Jahren, den Kronzeugen. Die Regierungskoalition wird ihre Argumente also erheblich nachbessern müssen. Am Ende wird das Parlament die Frage zu beantworten haben, ob der Preis für ein höchst zweifelhaftes Instrument der Verbrechensaufklärung für unseren Rechtsstaat nicht eindeutig zu hoch ist. Heinz Lanfermann (F.D.P.): Zum wiederholten Male debattiert das Hohe Haus die Verlängerung der Kronzeugenregelung. Die Rechtsstaatspartei F.D.P. hat sich damit immer schwergetan, und es ist auch heute keine einfache Entscheidung, zumal es hier um eine Rechtsfigur geht, die aus dem angloamerikanischen Recht stammt und nach dem ersten Anschein nicht in unser Rechtssystem zu passen scheint. Zum einen handelt es sich um eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips zugunsten anderer Rechtsgüter, was aber unserem Rechtssystem keineswegs fremd ist. So ist durch die in der Praxis häufige Anwendung der §§ 153 ff. StPO das Opportunitätsprinzip eine durchaus eingeführte Rechtsfigur im Rahmen der Strafverfolgung. Auch die anderen Gegenargumente wie Förderung des Denunziantentums durch die Kronzeugenregelung oder gekaufte Zeugen greifen im Ergebnis nicht. Die bisher gemachten Erfahrungen im Bereich der Terrorismusbekämpfung haben dies nicht bestätigt. Auch das gern bemühte Szenario, durch die Kronzeugenregelung kämen Mörder und Totschläger unverzüglich in Freiheit, entbehrt jeder Grundlage. Die Bewährung der Kronzeugenregelung in der Praxis bedarf einer differenzierten Bewertung. So hat es im Bereich der Terrorismusbekämpfung zwar wenige, aber nicht unbeachtliche Aufklärungserfolge bei Anschlägen der RAF gegeben. Man kann auch nicht einwenden, dies alles sei Vergangenheit und inzwischen abgeschlossen, weil die RAF keine Anschläge mehr verübt. Gerade die jüngsten Anschläge der sog. antiimperialistischen Zellen (AIZ) haben gezeigt, daß die Gefahr terroristischer Anschläge keineswegs gebannt ist. Wir müssen nach wie vor sehr wachsam sein. Die Kronzeugenregelung im Bereich der organisierten Kriminalität ist erst seit gut einem Jahr in Kraft. Nennenswerte und nachhaltige Erkenntnisse der Praxis, die einer vernünftigen Bewertung zugänglich wären, können noch nicht vorliegen. Gleichwohl ist einleuchtend, daß es gerade im Bereich der Bandenkriminalität und hier insbesondere bei der Bekämpfung der Rauschgiftringe unser Ziel sein muß, kriminelle Vereinigungen aufzulösen und die Täter der Bestrafung zuzuführen. Dies gelingt, wie ein Blick über die Grenzen nach Italien oder auch die USA zeigt, insbesondere durch Aussagen von Beteiligten, die wertvolle Hinweise zum inneren Aufbau und der Logistik einer solchen kriminellen Vereinigung und damit auf die Täter geben können. Der Staat muß bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität entschlossen handeln. Unser gemeinsames Ziel muß sein, zu verhindern, daß sich die Strukturen krimineller Vereinigungen verfestigen. Hier müssen wir ansetzen und versuchen, einzelne Pfeiler des Systems aus der Gesamtstruktur herauszulösen. Dazu brauchen die Verfolgungsbehörden auch ein Instrument, das hierzu geeignet ist. Wägt man alle Argumente sorgfältig ab, erscheint es verantwortbar, auf beiden Gebieten - Terrorismus und organisierte Kriminalität - einheitlich die Kronzeugenregelung zu verlängern. Dabei erscheint eine Frist bis Ende 1999 sinnvoll, um ausreichend Zeit für weitere Erfahrungen zu haben und anschließend in aller Ruhe die Bilanz zu ziehen und die rechtspolitische Debatte um das Für und Wider der Kronzeugenregelung im deutschen Recht zu führen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Jahr hat 12 Monate. Diese Weisheit hat sich scheinbar noch nicht bis in Kreise der Regierungskoalition herumgesprochen. Mit dem im Dezember 1994 in Kraft getretenen Verbrechensbekämpfungsgesetz haben Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, uns die Ausweitung der Kronzeugenregelung auf Bereiche der „organisierten Kriminalität" beschert, wohlwissend, daß diese Regelung Ende diesen Jahres auslaufen wird. Und nun, im Oktober 1995, versuchen Sie, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Verlängerung um weitere vier Jahre durchzupeitschen, weil - man höre und staune - in dem einen Jahr noch keine ausreichenden Erfahrungen mit der Kronzeugenregelung für organisiert begangene Straftaten hätten gesammelt werden können. Erstaunlich ist überhaupt, mit welcher Geduld die Bundesregierung darauf wartet, daß sich die Kronzeugenregelung endlich einmal bewährt. Im Juni 1989 wurde diese für terroristische Straftaten als befristetes Gesetz eingeführt. Nun soll sie bereits zum zweiten Male verlängert werden. Eine im Bereich der terroristischen Straftaten mittlerweile sechsjährige „Erprobungszeit" genügt der Bundesregierung nicht, um „ausreichende Erfahrungen" sammeln zu können. Die Kronzeugenregelung wird im straf- und strafverfahrensrechtlichen Schrifttum mit Recht überwiegend abgelehnt. Auch die Praxis tut sich schwer mit ihrer Anwendung. Offenbar benötigt die Regierungskoalition in dieser Frage jedoch Nachhilfe. Jede Vergünstigung für einen Kronzeugen bedeutet eine einschneidende Durchbrechung des Legalitätsprinzips. Sie verletzt den Gleichheitsgrundsatz und damit das Rechtsstaatsprinzip, indem sie Verdächtige von der Strafverfolgung und überführte Tä- ter ganz oder teilweise von der Bestrafung ausnimmt. Die mit Strafnachlaß erkaufte Denunziation paßt nicht in unsere Rechtskultur und erzielt offenkundig auch keine Wirksamkeit. Kommt sie tatsächlich nachhaltig zur Anwendung, muß geradezu zwangsläufig der Rechtsstaat Schaden nehmen, weil er vom Prinzip der gleichen Strafe für gleiche Delikte abweicht. Bereits mit der Ausdehnung der Kronzeugenregelung auf den Bereich der organisierten Kriminalität hat sich ihr Ausnahmecharakter immer mehr zur angestrebten Normalität in der Strafrechtspflege entwickelt. Würden Sie sich einmal die Mühe machen, sich anzuschauen, wie solche Aussagen zustande kommen, würden Sie vielleicht verstehen, wie fragwürdig diese sind. Dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages liegt zur Zeit ein Dokument vor, welches das Dilemma verdeutlicht. Es handelt sich um den Fall Monika Haas, die der Beteiligung an der Landshut-Entführung von 1977 beschuldigt wird. Die Suche des Bundeskriminalamtes nach Beweisen war indes bislang erfolglos geblieben. In dieser Woche wurde bekannt, daß die Palästinenserin Soraya Andrawas aus Norwegen nach Deutschland ausgeliefert werden soll. Frau Andrawas ist einzige Überlebende des an der Landshut-Entführung beteiligten PalästinenserKommandos. In der Bundesrepublik droht ihr eine lebenslange Haftstrafe. Ein Ausweg, der ihr von den Beamten des Bundeskriminalamtes freundlicherweise aufgezeigt wurde: die Anwendung der Kronzeugenregelung. Und siehe da: Es fällt Frau Andrawas nach und nach das eine oder andere Detail ein, das auf eine Beteiligung von Monika Haas schließen läßt und diese letztlich beschuldigt; ausreichend, Frau Haas seit November letzten Jahres in Untersuchungshaft festzuhalten. Ich weiß nicht, welche Aussage der Wahrheit entspricht. Ich möchte aber auch nicht in der Situation der Richter sein, die solcherart zustande gekommene Zeugenaussagen mit der Konsequenz Schuld oder Nichtschuld zu bewerten haben. Aber eines wird deutlich, wenn man die Dokumente studiert: das Dilemma, in das ein Kronzeuge gedrängt werden kann, wenn er die Versprechungen der Kronzeugenregelung für sich in Anspruch nehmen will, wenn er aber das Gewünschte nicht guten Gewissens bezeugen kann. Die Kronzeugenregelung kann als Nötigung zu benötigten Aussagen benutzt werden. Ein derartiges Instrument ist unserer Rechtsordnung nicht würdig. Bereits die generell geltenden Strafmilderungsmöglichkeiten reichen aus, um eine Kronzeugenregelung zu erübrigen. Ich fordere Sie daher auf: Lassen Sie die Finger von der Verlängerung der Kronzeugenregelung! Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Wir wohnen heute der Wiederholung der Wiederholung einer Debatte aus dem Jahre 1986 zu einem Thema bei, zu dem eigentlich alle Argumente längst ausgetauscht sind. Die Anhörung bei der ersten Verlängerung im Jahre 1992 hat ergeben, daß die Mehrheit der Sachverständigen gegen die Kronzeugenregelung war. Auch die Befürworter konnten damals keine wirklich nachvollziehbaren und einigermaßen überzeugenden Erfolge der Regelung nachweisen. Dennoch wurde verlängert, weil sich in der F.D.P. damals leider nur drei Aufrechte - die Kollegen Hirsch, Koppelin und Lüder - fanden, die dem Druck der größeren Regierungspartei widerstanden. Das Votum der Sicherheitsdienste gab den Ausschlag. Die Erfahrungen, die seit 1992 mit der Kronzeugenregelung gemacht wurden, haben das Bild nicht verändert. Es kann in keiner Weise dargetan werden, daß durch die Regelung schwere Straftaten verhindert oder ihre Aufklärung nennenswert erleichtert wurden. Es hat keinerlei spektakuläre Ermittlungserfolge innerhalb der Terroristenszene im Ergebnis der Angaben von Kronzeugen gegeben. Die Morde an Alfred Herrhausen, Detlef-Karsten Rohwedder und Gerold von Braunmühl sind nach wie vor unaufgeklärt. Die Drucksache 13/2575 behauptet nicht einmal - was uns ja sonst immer als eine Art Totschlagargument angeboten wird -, die Regelung habe sich bewährt. Daß die Regelung wiederum nur befristet verlängert wird, läßt ja eine gewisse Hoffnung für ihre Abschaffung in der Zukunft. Sie zeigt aber auch das schlechte Gewissen der Initiatoren dieser Verlängerung. Ich bin gegen die Verlängerung dieser Kronzeugenregelung, nicht nur weil sie uneffektiv ist, nicht nur weil sie gegen die Gleichheit vor dem Gesetz verstößt, nicht nur weil sie die Wahrheitsfindung erschwert, nicht nur weil die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Eingriff in das Legalitätsprinzip und den Ergebnissen bei der Bekämpfung schwerer Straftaten nicht gewahrt ist. Ich bin auch dagegen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß es einem Rechtssystem und auch einem Staat nicht bekommt, wenn die Politiker meinen, der Zweck könne mehr oder weniger die Mittel heiligen. Wie Sie wissen, hat die politische Führung der DDR nach dem Prinzip gehandelt, daß der Zweck viele Mittel heilige, nicht alle Mittel, aber doch manche. Ich habe damals gegen diese Tendenz gekämpft, weil ich der Meinung war, daß sie letztlich diesen Staat untergraben würde. Heute wird dem Staat DDR dieses opportunistische Verhalten, dieser Versuch, sich durch die Preisgabe auch von Rechtsprinzipien vor dem Untergang zu retten, von vielen auch in diesem Hause vorgeworfen. Inzwischen neige ich zu der Ansicht, daß alle Staaten und ihre regierenden Politiker von derartigen Versuchungen angekränkelt sind. Ich meine jedoch, daß die Bundesrepublik Deutschland noch so stark ist, daß sie solchen Anwandlungen nicht erliegen sollte. Ich wünsche der Bundesjustizministerin Kraft, weiteren Versuchungen zu widerstehen. Wir sollten diese Regelung mit dem Jahresende 1995 auslaufen lassen, das Legalitätsprinzip stärken und nicht schwächen und damit dem Rechtsstaat einen Dienst erweisen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Bundesministerin der Justiz): Trotz schwerwiegender und berechtigter rechtsstaatlicher Bedenken und gegen eindringliche und öffentliche Warnung fast der gesamten Fachwelt wurde die Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten im Jahre 1989 eingeführt. Es sollte kein Versuch ungenutzt bleiben, die Handlungsfähigkeit der Terroristen einzuengen. Dieses Ziel sollte in erster Linie erreicht werden durch Gegenleistungen für Angaben, die zur Verhinderung künftiger terroristisicher Straftaten beitragen. Es ging um die Abwendung schwerer Gefahren für höchste Rechtsgüter. In Anbetracht der von Angehörigen terroristischer Vereinigungen begangenen Verbrechen und der sich daraus ergebenden besonderen Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und vor dem aktuellen Hintergrund eines Anschlages auf den damaligen Finanz-Staatssekretär Tietmeyer wog der gesetzgeberische Handlungsbedarf schwerer als die gegen die Kronzeugenregelung vorgebrachten Vorbehalte. Der damalige Bundesminister des Innern Dr. Zimmermann hat das hier im Bundestag am 23. September 1988 für sich so zusammengefaßt: Ich war von Anfang an durchaus kein überzeugter Anhänger der Kronzeugenregelung. Ich habe mich an dieses internationale Instrument ... heranarbeiten müssen, aber ich bin heute davon überzeugt, daß die Motive, die die Bundesregierung leiten . . ., eine Chance geben, auch in der zeitlichen Befristung, nicht mehr und nicht weniger. Die gegen die Kronzeugenregelung damals geltend gemachten rechtsstaatlichen Bedenken bestehen unverändert fort. Wer heute die Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten wieder um vier Jahre auf insgesamt zehn Jahre verlängern will, muß sich erst recht mit diesen rechtsstaatlichen Bedenken auseinandersetzen: Die Kronzeugenregelung stellt die massivste Durchbrechung des Legalitätsprinzips dar; sie berührt das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz, indem sie schwerste Straftatenverdächtige und überführte Täter von der Bestrafung ausnimmt; die Kronzeugenregelung führt zu einem Zusammenwirken des Staates mit Schwerstkriminelllen und kann durch die unterschiedliche Behandlung von Tätern das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung gefährden. Diesen Bedenken stehen nunmehr sechs Jahre Erfahrung gegenüber. Verfahren gegen zwei ehemalige PKK-Funktionäre im Bereich des Ausländerterrorismus sowie einige Anwendungsfälle in Strafverfahren gegen RAF-Aussteiger, die zuletzt in der ehemaligen DDR gelebt hatten und sich bereits seit Jahren von der RAF gelöst hatten, bilden keine überzeugende Bilanz. Die damals in erster Linie verfolgten Ziele haben sich nicht erreichen lassen. Durch die Aussagen eines Kronzeugen sind keine terroristischen Gewalttaten verhindert und RAF-Straftäter weder festgenommen noch zum Ausstieg aus dem Terrorismus veranlaßt worden. Wenn ich diese Erfahrungen mit der Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten mit den erheblichen Bedenken abwäge, dann halte ich eine Verlängerung der Kronzeugenregelung bei terroristischen Taten, die jetzt vorgeschlagen wird, für äußerst problematisch. Um es in den Worten des damaligen Bundesinnenministers zu sagen: Die Chance - zwischenzeitlich sogar verlängert - hat sich nicht realisiert. Im Interesse der Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers, vor allem aber um rechtsstaatliche Grundsätze wiederherzustellen, wäre es konsequenter, diese Regelung nach einer ausreichend langen - über sechsjährigen - Anwendungszeit auslaufen zu lassen und keine erneute Verlängerung mehr vorzunehmen. Für die Kronzeugenregelung bei organisiert begangenen Straftaten, die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 erst eingeführt worden ist, stellt sich die Sachlage anders dar. Im Hinblick auf die kurze Zeit, die seit dem Inkrafttreten dieser Regelung am 1. Dezember 1994 verstrichen ist, kann eine Aussage über ihre Wirksamkeit noch nicht gemacht werden. Dafür ist eine längere Erprobungszeit notwendig. Denn im Bereich der organisiert begangenen Delikte, die entscheidend auf Gewinnstreben ausgerichtet sind und nicht auf politischen Überzeugungen beruhen, könnte eine restriktiv angewandte Kronzeugenregelung vielleicht andere Erfolge bringen als im Terrorismus. Deshalb ist hier aus meiner Sicht eine einmalige Verlängerung um vier Jahre gerechtfertigt. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Kersten Wetzel (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antrag der Bundesregierung (Drucksache 13/1828) in der 48. Sitzung am 30. Juni 1995 Ich erkläre, daß ich an der namentlichen Abstimmung teilgenommen und mit Nein gestimmt habe. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 688. Sitzung am 22. September 1995 der vom Deutschen Bundestag am 5. September 1995 beschlossenen unveränderten Weitergeltung der 1. Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1102), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 20. Juli 1993 (BGBl. I S. 1500), gemäß Artikel 53a Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes, 2. Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1100), gemäß Artikel 115d Abs. 2 Satz 4 des Grundgesetzes zugestimmt. Der Wahlausschuß des Deutschen Bundestages hat in seiner 1. Sitzung am 27. September 1995 Prof. Dr. Udo Steiner, Universität Regensburg, als Nachfolger für Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Alfred Söllner in den Ersten Senat gewählt. Ferner wurde als Nachfolger für den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Johann Friedrich Henschel (Erster Senat), Bundesverfassungsrichter Dr. Otto Seidl (Erster Senat) gewählt. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksachen 13/327, 13/774 Nr. 1 Drucksachen 13/335, 13/1438 Nr. 1 Drucksachen 13/815, 13/1438 Nr. 2 Ausschuß für Wirtschaft Drucksachen 12/8323, 12/8324, 13/725 Nr. 91, 13/1594, 13/1899 Nr. 1 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zu Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Finanzausschuß Drucksache 13/1096 Nr. 2.9 Drucksache 13/1098 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/725 Nr. 97 Drucksache 13/1338 Nr. 2.4 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2306 Nr. 2.34 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/1338 Nr. 2.20 Drucksache 13/1614 Nr. 2.6
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Rüttgers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man muß Verständnis für die Kollegen haben, die jetzt den Saal verlassen. Sie wollen sicherlich alle bei ihrer Kreishandwerkerschaft anrufen und mitteilen, daß wir jetzt über das Meister-BAföG beraten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn wir über zukünftige Entwicklungen reden, wenn wir über das 21. Jahrhundert reden, dann weisen wir mit Recht darauf hin, daß unser Land vor großen Herausforderungen steht. Es ist wahr, daß man solche Herausforderungen nur bewältigen kann, wenn man darauf gut vorbereitet ist. Deshalb hat die Bildungspolitik auf diesem Weg in das 21. Jahrhundert einen so hohen Stellenwert.
    Fit werden für das 21. Jahrhundert, das heißt für mich in der Bildungspolitik: mehr Qualität, mehr Leistung, mehr Wettbewerb, mehr Differenzierung, aber auch mehr Chancengerechtigkeit, mehr Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Gleichwertigkeit ist eben nicht Gleichartigkeit, sondern heißt: gleiche Behandlung. Deshalb geht die Bundesregierung mit diesem hier vorgelegten Gesetzentwurf entschlossen den Weg, die berufliche Bildung der akademischen Bildung gleichzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Berufliche Bildung darf von den Betroffenen nicht als Sackgasse empfunden werden. Ich finde, wir können die Leistung beruflich Qualifizierter gar nicht hoch genug einschätzen. Wenn wir in diesen Tagen stolz darauf sind, daß eine deutsche Professorin und ein Direktor am Max-Planck-Institut je einen Nobelpreis bekommen haben, dann zeigt das, daß wir in Deutschland eine exzellente Landschaft für Forschung, Technologie und Entwicklung haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber genauso stolz - ich sage dies bewußt und überlegt - können wir in Deutschland auf unsere Facharbeiter sein, auf unsere Handwerksmeister, die die Basis für solche Spitzenleistungen, die dann weltweit anerkannt werden, bilden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Deshalb bin ich den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Bundesgesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung unterstützen und als Fraktionsinitiative vorgelegt haben, weil wir damit den besonders leistungsbereiten und den besonders zielstrebigen Fachkräften in unserem Land einen Dienst erweisen. Für das weitere Verfahren sage ich hier: Wir erweisen ihnen einen besonders großen Dienst, wenn wir durch ein zügiges Gesetzgebungsverfah-

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    ren sicherstellen, daß dieses Gesetz zum 1. Januar 1996 im Gesetzblatt steht.
    Ich sage dies mit einer Bitte an alle Fraktionen dieses Hauses. Wenn etwa die SPD eine Anhörung durchführen will, was ihr gutes Recht ist, sollten wir dies so terminieren, daß wir den November-Termin des Bundesrates noch erreichen können. Ich sage dies auch in Richtung Bundesrat, weil sichergestellt werden muß, daß sich nicht am 1. Januar 1996 junge Leute, die einen Meisterkursus besuchen wollen, dazu vielleicht nicht entscheiden, bloß weil wir irgendwo im Vermittlungsverfahren noch nicht mit den Beratungen fertig sind. Deshalb die herzliche Bitte, daß wir zu einem zügigen Verfahren kommen.
    Bei der Regierungsbefragung am 21. September 1995 hat ein Abgeordneter gesagt, er würde seinem Sohn raten, die gesetzlichen Leistungen nicht in Anspruch zu nehmen, sondern sich das Geld bei seiner Bank oder Sparkasse zu besorgen.

    (Günter Rixe [SPD]: Er hat recht gehabt!)

    Jeder Abgeordnete kann jede Meinung in diesem Haus frei äußern. Er übernimmt allerdings die Verantwortung für die Richtigkeit und Plausibilität seiner Äußerungen. Ich möchte hier feststellen, daß die Meinung dieses Abgeordneten weder von den Verbänden noch vor allen Dingen von den angehenden Meistern geteilt wird, wie wir aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen und von Briefen, die in diesen Tagen hier eingegangen sind, wissen, die gesagt haben: Wir wollen dieses Gesetz, und wir sind für die Verbesserung dankbar, die hier erzielt wird, weil wir damit erstmals einen eigenständigen Rechtsanspruch auf Förderung im Bereich der beruflichen Bildung bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist der Entwurf eines eigenen Bundesgesetzes, der hier beraten wird. Die Kosten des Förderungsgesetzes werden aus Steuermitteln aufgebracht. Auf die Leistungen besteht ein umfassender Rechtsanspruch — statt einer Kann-Leistung wie bei früheren Förderungsmöglichkeiten, wo es zu den Maßnahmekosten auch nur einen Zuschuß gab. Künftig erhält der Geförderte die Mittel, die er für die Aufstiegsfortbildung tatsächlich braucht. Ich finde, das ist ein entscheidender Fortschritt. Deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ist es mir völlig unerfindlich, daß Sie in den vergangenen Tagen die Rückkehr zu einer Förderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz vorgeschlagen haben. So etwas wäre kein Fortschritt. So etwas wäre Rückschritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wie auch beim BAföG geplant, wird die Förderung teilweise in Form von verzinslichen Bankdarlehen geleistet. Die Leistungen zum Lebensunterhalt werden zum Teil als Zuschuß geleistet und je nach Familienstand und Familiengröße aufgestockt. Auch dies ist wichtig, weil wir damit berücksichtigt haben, daß es sich in der Regel um Menschen handelt, die bereits Familie haben, die zum Teil Kinder haben. Auch das ist eine wichtige Komponente in diesem Gesetzentwurf.
    Im übrigen können die Maßnahmekosten auch im Wege des Vor- und Rücktrags in andere Jahre bei der Einkommen- und Lohnsteuer in voller Höhe als Werbungskosten berücksichtigt werden, und zwar unabhängig von der gewährten Darlehensförderung. Das ist ein wichtiger Punkt, der bisher in der Diskussion noch nicht so wahrgenommen worden ist. Allein dieser Steuervorteil kommt einem Zuschuß von 25 bis 30 % gleich. Das heißt, wenn ich jetzt einmal über die Beträge, die wir im Gesetzentwurf als Steuermittel ausgewiesen haben, rede, muß man diese Beträge, die sich aus der steuerlichen Absetzbarkeit ergeben, noch hinzurechnen. Allein die 1 Milliarde DM, die die Bundesregierung jetzt bis Ende des Jahrzehnts zur Verfügung stellt, zeigt auch, daß wir hiermit ein ganz ernsthaftes Vorhaben betreiben.
    Es ist auch gut, daß es einen Darlehenserlaß für Existenzgründer und Betriebsübernehmer gibt, weil dadurch ein zusätzlicher Anreiz geschaffen wird, den Weg in die Selbständigkeit zu beschreiten. Das stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das schafft zusätzliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Wer weiß, daß wir gerade im Bereich des Handwerks bis zum Ende des Jahrhunderts rund 200 000 Betriebsnachfolger brauchen, wer weiß, daß wir im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen weitere 500 000 Betriebsnachfolger brauchen, der weiß auch, daß dieser Gesetzentwurf eine echte Hilfestellung ist. Denn nur diejenigen, die sich jetzt auf den Weg machen, werden bis zum Jahr 2000 auch die Betriebe übernehmen können und damit den stabilen Mittelstand in unserem Land weiter sichern und erhalten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dieses Gesetz ist voraussichtlich das einzige neue Leistungsgesetz dieser Legislaturperiode. Es ist gut, daß damit deutlich gemacht wird, welchen Stellenwert die berufliche Bildung für die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hat.
    Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zum Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes sagen, weil auch dies einer der Punkte ist, mit denen die Koalitionsfraktionen sehr, sehr deutlich machen, wie ernst es ihnen mit der Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung ist. Nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen sollen mit diesem Gesetz die hochschulrechtlichen Voraussetzungen für die bundesweite Gleichstellung der Abschlüsse von Berufsakademien nach dem Modell Baden-Württembergs mit Fachhochschulabschlüssen geschaffen werden.
    Das muß man sich eigentlich einmal auf der Zunge zergehen lassen: In Baden-Württemberg bestehen die Berufsakademien seit fast 20 Jahren. Wir wissen aus der praktischen Erfahrung in Baden-Württemberg seit fast 20 Jahren, daß hiermit jungen Menschen eine tolle Chance eröffnet wird, gleichzeitig im Betrieb und durch ein Studium ihre Ausbildung zu vervollständigen, um damit eine gute Perspektive für ihre anschließende berufliche Tätigkeit zu bekommen.

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    Ich frage mich, welches Schlaglicht das auf die Bildungspolitik in Deutschland im Hinblick auf die Koordinierung der Länder wirft, wenn man für ein erfolgreiches Modell in Deutschland 20 Jahre um seine Anerkennung kämpfen muß.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dieses Schlaglicht zeigt, meine Damen und Herren, was Sie in der Bildungspolitik ändern müssen. Es geht um junge Menschen. Da hat man nicht 20 Jahre Zeit,

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dann sind die nämlich schon in der Rente!)

    um sich darüber zu verständigen, ob man ideologische Vorbehalte endlich abbaut oder nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Gott sei Dank hat die Kultusministerkonferenz Ende September die Gleichstellung von Berufsakademieabschlüssen mit Fachhochschulabschlüssen mit Blick auf den Berufszugang zu reglementierten Berufen im europäischen Ausland geregelt. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch die Frage der hochschulrechtlichen Gleichstellung im Inland bleibt ausgeklammert. Das heißt, in den Ausschußberatungen wird zu prüfen sein, wie wir in dieser Frage weiterkommen.
    Für mich steht eines fest: Wenn wir nicht endlich den Mut zu einem differenzierten, zu einem begabungsgerechten, zu einem offenen Bildungssystem haben, dann werden wir den jungen Menschen und ihren Zukunftschancen nicht gerecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich erteile dem Abgeordneten Franz Thönnes das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Thönnes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Friedrich Schiller lehrt uns in „Wilhelm Tell" : „Früh übt sich, was ein Meister werden will."

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    In einem anderen wichtigen Werk führt der große deutsche Dichter aus:
    Von der Stirne heiß
    rinnen muß der Schweiß,
    soll das Werk den Meister loben doch der Segen kommt von oben.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Segen kommt jetzt! Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zum Lob, geschweige denn zum Segen, gibt der vorliegende Gesetzentwurf keinen Anlaß, Herr Hinsken, wahrhaftig nicht.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Widerspruch des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

    Er ist auch alles andere als ein revolutionärer Schritt, wie es der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion in der Mittelstandsdebatte letzten Monat meinte,

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er hatte recht!)

    es sei denn, die Regierung und die Koalition legen sich durch die Abschaffung bewährter Förderinstrumente - wie der Aufstiegsfortbildung im AFG - jetzt selbst die Grundlage für Revolutionen. Das wäre ganz etwas Neues in diesem Hause.
    Nein, der vorliegende Gesetzentwurf zur Aufstiegsfortbildungsförderung ist kein revolutionärer Schritt; er ist ein unbefriedigendes Reparaturgesetz.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Repariert werden soll der Schaden, der durch die Streichung im AFG angerichtet worden ist. Gab es zunächst Zuschüsse auf Darlehen, was umgestellt wurde, eine Maßnahmenbeteiligung, so wurde im Bereich der bewährten Regelungen des Jahres 1963 nach und nach ein Fördervolumen von 800 Millionen DM zurückgefahren. Der angerichtete Schaden ist verheerend. 30 % der möglichen Prüfkandidaten haben ihre Qualifikation zurückgestellt, so Hanns Peter Kuhfuhs, Berufsbildungsexperte des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks Mitte 1995.
    Die Handwerkskammer Dortmund konstatiert, daß die Anmeldezahlen bei Meisterkursen um 30 % unter denen des Vorjahres liegen. Die Handwerkskammer Köln spricht gar von einer Gründerlücke und belegt, daß die Zahl der abgelegten Meisterprüfungen um 10 % zurückgegangen ist.
    Die Wirtschaftsakademie in Schleswig-Holstein, getragen von den drei Industrie- und Handelskammern in Schleswig-Holstein, beschreibt einen 50%igen Rückgang der Teilnehmerzahlen für staatlich geprüfte Betriebswirte.
    Bei den Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsrecht im Bereich der Betriebswirtschaft ist man von einer durchschnittlichen Zahl von 90 Teilnehmern auf vier Anmeldungen zurückgefallen. Die Deutsche Angestelltenakademie in Kiel mußte sogar ihren Fachschulbetrieb einstellen.
    Daher muß mehr als deutlich gesagt werden, wie es auch die Handwerkskammer Dortmund zurückhaltend formuliert, die zur Einstellung der Förderung der zehnten AFG-Novelle schreibt: „Leider wurde diese unglückliche Maßnahme bisher nicht ausreichend korrigiert" , daß für diesen unmöglichen Zustand einzig und allein diese Koalition verantwortlich ist, die entgegen allen Warnungen der Verbände und der SPD unnötig großen Schaden angerichtet hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Einen richtigen Flurschaden!)

    Nun teilen auch die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien die Kritik der Verbände, der Betroffenen und der SPD. Diese Einsicht kommt spät, aber immerhin: Sie kommt.

    Franz Thönnes
    So heißt es in der Zielsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs treffend:
    Derzeit fehlt ein geeignetes Förderinstrument, durch das die Heranbildung künftiger Meister und Techniker und mittlerer Führungskräfte stärker unterstützt werden kann.
    Ich füge hinzu: Wenn der Gesetzentwurf so bleibt, wie er jetzt ist, dann fehlt auch zukünftig ein geeignetes Förderinstrument.
    Der von uns geteilte Anspruch, die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung herzustellen, bleibt ein Lippenbekenntnis. Den Anforderungen des Handwerks und des Mittelstands vor dem Hintergrund gerade der zu erwartenden ca. 700 000 Betriebsübergänge in den nächsten fünf Jahren wird der vorliegende Entwurf nicht gerecht.
    Der Entwurf würdigt überhaupt nicht die Weiterbildungsbereitschaft der vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Vollzeit- oder Teilzeitmaßnahmen Weiterbildung absolvieren wollen. Er würdigt auch nicht die hervorragenden Leistungen des Handwerks und des Mittelstands für Arbeitsplatz und Ausbildung.
    Der Entwurf ist mit heißer Nadel genäht, lückenhaft und ähnelt eher einer Flickschusterleistung als der eines Meisterwerks.

    (Beifall bei der SPD)

    Er ist das Resultat - um einmal im Handwerksjargon zu bleiben - der Bäckergesellen Rüttgers und Rexrodt, die große Taten ankündigen und nun kleine Brötchen backen.

    (Beifall bei der SPD Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    - Da ein Vertreter des Handwerks eine Frage hat, Herr Hinsken, lasse ich diese Frage gern zu.