Rede von
Dr.
Freiherr
Wolfgang
von
Stetten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich allen Bundesregierungen dafür danken, daß sie mit jeweiliger Zustimmung der Deutschen Bundestage in 40 Jahren eine in der Weltgeschichte einmalige Wiedergutmachungsaktion für Hunderttausende von Opfern des Nationalsozialismus durchgeführt haben. Ich glaube, über die Dimension der Wiedergutmachung sind wir uns im Deutschen Bundestag einig. Dies wird in aller Welt anerkannt.
Weil das so ist, sollte die Bundesregierung im Fall der drei baltischen Staaten den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 29. Juni 1994 entsprechend den Wünschen der Mitglieder des Deutschen Bundestages umsetzen und damit die Not der 300 bis 400 überlebenden KZ- und Gettohäftlinge - es sind wirklich nur noch so viele - der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland lindern.
Es geht in der Relation nicht um Summen, sondern nur darum, daß die humanitäre Geste die Menschen, die noch leben, persönlich erreicht und ihnen das schwere Leben erträglicher werden läßt, ihnen aber auch das Gefühl gibt, nachdem sie in der Hektik der Verhandlungen mit der Sowjetunion übersehen wurden, daß sie zumindest nicht vergessen sind.
Der Deutsche Bundestag hat seinerzeit im Juni 1994 besonderen Wert darauf gelegt, daß die Verhandlungen über die Hilfe den „individuellen Bedürfnissen der Opfer nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen nahekommt".
Das kann aber nicht heißen, daß man nur Krankenhauszuschüsse gewährt, Altersheime ausbaut oder allgemeine Sozialeinrichtungen bezuschußt, die, wenn überhaupt, nur durch Zufall auch von jüdischen Betroffenen benutzt werden. Dies kommt den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen nicht im entferntesten nahe.
Es wurde im übrigen mit ziemlicher Verbitterung bei den Betroffenen aufgenommen, als von der deutschen Seite davon gesprochen wurde, daß es sich nicht lohne, für die wenigen Leute eine Fondslösung vorzusehen oder eine Stiftung einzurichten, da die Verwaltungskosten dafür zu hoch seien.
Wem mit 50 DM monatlich geholfen ist, kann so etwas nicht verstehen. Der Deutsch-Baltische Parlamentarische Freundeskreis, ein gemeinnützig eingetragener Verein, dem u. a. über 100 Abgeordnete dieses Deutschen Bundestages angehören, hat sich bereit erklärt, die Verteilung kostenlos vorzunehmen, und sich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß nicht eine einzige Mark verlorengeht.
Unsere Parlamentariergruppe, die auch im neuen Deutschen Bundestag 76 Mitglieder hat, macht sich stark dafür, daß die Regierungen in Litauen und Lettland ein solches Verfahren anerkennen und ihm zustimmen.
Der Verein hat im übrigen einschlägige Erfahrungen. In den letzten drei Jahren wurden aus Spendengeldern über 350 000 DM an Hilfsbedürftige in Tranchen von 30 bis 50 DM verteilt, darunter 190 000 DM an die uns bekannten 338 jüdischen KZ- und Gettoüberlebenden, jeweils in Kuverts mit persönlicher Anschrift. Dadurch haben sie die Empfänger erreicht.
Die Sorge der Bundesregierung, Herr Staatssekretär, Prinzipien aufzugeben oder zur Nachahmung aufzufordern, kann nicht geteilt werden. Bei der Verhandlung mit der Sowjetunion über die Stiftung „Verständigung und Aussöhnung " hat man im Frühjahr 1993 - aus welchen Gründen auch immer - schlichtweg übersehen, daß in der Zwischenzeit die drei Republiken Litauen, Lettland und Estland frei waren und daß man nicht über sie hinweg Verträge schließen konnte.
Daran ändert auch die Bereitschaft der Regierung der Russischen Föderation, Anträge aus Litauen und Lettland, bzw. von Belarus, Anträge aus Estland anzunehmen, nichts, weil dies erstens für die souveränen Staaten einen Affront darstellt und zweitens die Betroffenen es zum Teil als Hohn empfanden. Denn für sie ist es eine Zumutung, für durch Deutsche erlittenes Unrecht bei einer anderen Besatzungsmacht, durch die sie zum Teil 45 Jahre Unrecht erlitten hatten, eine Entschädigung einzufordern und - das ist besonders wichtig - dazu noch ein Loyalitätsbekenntnis zur ehemaligen Sowjetunion abzugeben. Das kann ja wohl nicht richtig sein.
Die Bundesregierung sollte daher zügig die Verhandlungen mit Litauen und Lettland fortsetzen, um zu erreichen, daß neben den geplanten Hilfen für stationäre Einrichtungen auch individuelle ambulante Hilfen gegeben werden können. Eine leichte Aufstockung der geplanten Hilfen von 2 auf 2,5 Millionen DM rechtfertigt sich auch gegenüber Estland, das bereits abgeschlossen hat und allein aus der Bevölkerungszahl, aber auch der Zahl der betroffenen Opfer weit weniger belastet ist.
Wir halten das Angebot aufrecht, die Verteilung für die ambulante Hilfe vorzunehmen, damit keine neuen Rechtsansprüche entstehen, aber unbürokratische Hilfe geleistet werden kann.
Wenn wir diesen wenigen Menschen gegenüber keine persönliche humanitäre Geste zeigen, bleibt einem Teil von ihnen zum Überleben nur die Chance der Auswanderung, weil sie im Westen oder in Israel
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Ansprüche haben, die ein Vielfaches von dem ausmachen, was sie zum Leben in Litauen oder Lettland benötigen. Nachdem diese Menschen in jungen Jahren den sowjetischen Einmarsch 1940, dann die grauenvolle Vernichtungsaktion des Nationalsozialismus ebenso wie die Rückkehr der Sowjets 1945 überlebt haben und danach weitere 40 Jahre unterdrückt waren, wäre es traurig, wenn sie nun, nachdem das Land frei geworden ist, unter Umständen auswandern müßten, um zu überleben. Das sollten wir verhindern.
Deswegen möchte ich zum Schluß meine Bitte an die Bundesregierung wiederholen.
Der Bundestag will keine neuen Rechtsansprüche, sondern will nur erreichen, daß sein Wille im Beschluß vom 29. Juni 1994 umgesetzt wird. Es geht nicht um Geld, sondern um Menschen, und wir müssen schnell handeln, damit diejenigen, die gelitten haben, die Hilfen auch noch erleben.
Danke schön.