Rede von
Angelika
Mertens
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema kosten- und flächensparendes Bauen hat mittlerweile vier Bauminister und -ministerinnen überlebt. Es wird wahrscheinlich auch Herrn Hollerith überleben. Der erste Bauminister war übrigens ein Sozialdemokrat, der das Thema in das Programm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" aufgenommen hat. Die nächsten drei Wohnungsbauminister haben irgendwie den Paternoster erwischt.
Hoffentlich hat der fünfte Minister einen besseren Orientierungssinn. Sollte sich abzeichnen, daß wir ihn zum Jagen tragen müssen, dann werden wir das auch tun, und zwar aus folgenden Gründen: Wohnen muß wieder bezahlbar werden; regionales Handwerk und Bauindustrie müssen eine Zukunft haben; wir müssen die Umwelt schonen; wir wollen öffentliche
und private Kassen entlasten; und schließlich - das ist mir besonders wichtig - wollen wir eine neue Wohnkultur unterstützen und fördern, die mit Geld und Raum bewußt umgeht.
Wie ernst wir das Thema nehmen, können Sie daran erkennen, daß wir am 30. Oktober eine Fachtagung dazu veranstalten.
Wir sind also mit großem Engagement dabei. Wir sind aber nicht kritiklos dabei. Es gibt in Ihrem Papier nämlich Formulierungen, die jedenfalls mich aufhorchen lassen. Es wäre jetzt, am Anfang einer Umsetzungsphase, gut zu wissen, wohin der Weg auf Ihrer Seite führen soll.
Wenn Sie vorhaben, mit dem Thema kosten- und flächensparendes Bauen endlich den Beweis zu erbringen, daß der soziale Wohnungsbau im ersten Förderwege zu teuer ist, um noch gefördert zu werden, dann wird Ihnen das nicht gelingen. Es gibt massenhaft Beispiele für preiswertes Bauen in diesem Bereich. Wenn Sie das nicht wollen, dann sollten Sie das hier deutlich machen.
- Herr Braun, Sie brauchen sich nicht zu bemühen. Sie wollen nur immer zusätzliche Redezeit. Ich habe keine Lust, Ihnen dabei zu helfen, wirklich nicht.
Ich möchte meine Befürchtungen an zwei Beispielen deutlich machen.
Erstens. Sie heben die vereinbarte Förderung in besonderem Maße hervor; gleichzeitig diskreditieren Sie das Kostenmieteprinzip, als glaubten Sie gar nicht an Kosteneinsparungen, die sich in der Miete widerspiegeln.
Was passiert denn mit den Wohnungen, die nach relativ kurzer Zeit nicht nur völlig frei zu Marktpreisen vermietbar sind, sondern darüber hinaus auch noch in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können? So viel, wie Sie dann alle zehn Jahre an Eigentumsförderung bezahlen müssen, können Sie durch preiswertes Bauen gar nicht einsparen.
Zweitens. Sie reden von Obergrenzen für Kosten, schweigen gleichzeitig aber über regionale Unterschiede. Ich meine, hierzu müssen Sie sich noch einmal erklären.
Preis- und Mengeneffekte zu erzielen, ohne dabei den Aspekt der sozialen Versorgungswirkung aus den Augen zu verlieren, ist die Kunst. Alles andere ist Kosmetik, verlagert Kosten in andere Bereiche und andere Haushalte. Das ist in der volkswirtschaftlichen Bilanz eigentlich für die Katz.
Angelika Mertens
Sie beklagen in Ihrer Initiative zu Recht den Zustand, daß die Preise in den letzten zehn Jahren um 40 % zugenommen haben. Aber diese Erhöhung ist schließlich nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis der Wohnungsbaupolitik dieser Bundesregierung in den letzten zehn Jahren.
Das Angebot an Wohnungen wurde bewußt reduziert. Man hat ein wichtiges Instrument des Wohnungsbaus, nämlich das Baugebot, durch die Wegnahme der Gemeinnützigkeit zerschlagen und wundert sich jetzt, warum die Preise so hoch sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist Marktwirtschaft.
Wenn man glaubt, ein Grundrecht, nämlich das auf Wohnen, frei-marktwirtschaftlich einlösen zu können, braucht man entweder viel Ideologie oder viel Geld. Man kann dem natürlich auch entgehen, indem man sagt, es gibt gar kein Grundrecht auf Wohnen.
Nun wollen wir das real existierende Problem, daß nämlich Wohnraummangel besteht und der Wohnraum gleichzeitig unnötig teuer ist, alle im Hause gemeinsam angehen. Das haben wir uns versprochen. Das ist eine gute Ausgangsbasis für eine Lösung.
Ich möchte dabei auf zwei Aspekte eingehen. Im vorliegenden Papier ist ganz viel von Eigentum die Rede, aber ganz wenig von Mietwohnungen. Als Abgeordnete eines Ballungsgebietes möchte ich verständlicherweise erstens eine Aussage, welchen Stellenwert der Mietwohnungsbau bei Ihnen erhalten soll, und zweitens wissen, wie sich die - ich formuliere das sehr vorsichtig - „Eigentumseuphorie" mit der Umwelt verträgt.
Innerstädtische Bebauungen, Verdichtungen und Ergänzungen werden einen wesentlichen Beitrag bei der Versorgung mit preiswertem Wohnraum leisten müssen. Flächen sparen zu wollen und gleichzeitig in die Fläche zu gehen ist ein Widerspruch, der meiner Meinung nach auch mit den intelligentesten Lösungen nur zum Teil aufgelöst werden kann.
Bauen ist immer ein Kompromiß zwischen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten. Unsere finanziellen Möglichkeiten kennen wir; wir können darüber streiten, wie die Verteilung erfolgt. Unser Defizit liegt woanders. Die uns von interessierter Seite definierten Wohnwünsche bewegen sich fast ausschließlich in den Kategorien von Keller und zusätzlichem WC und natürlich Eigentum um jeden Preis.
Die Kategorien „bewußter Umgang mit Geld und Raum" , „sparsamer Verbrauch von Umwelt" , „soziale Netze und Kommunikation" spielen in der Regel nur unter Fachleuten eine Rolle. Hier haben wir einen Nachholbedarf, und hier müssen wir Konzepte für die Regel und nicht für die Ausnahme entwickeln und umsetzen. Diese werden vor allem in einer verdichteten Bauweise umgesetzt. Dies zu vernachlässigen ist fahrlässig, und ich glaube, Sie befinden sich genau auf diesem Weg.
Wir sollten uns auf eine verstärkte Mobilität der Menschen einstellen. In den verschiedenen Lebensphasen gibt es auch verschiedene Bedürfnisse im Hinblick auf das Wohnen. Aufwachsen in einer überschaubaren, gesunden, Freiräume bietenden Umgebung ist etwas sehr Schönes. Ständige soziale Kontrolle durch wohlbekannte und gut informierte Nachbarn ist für junge Menschen so ungefähr das Nervtötendste, was es gibt.
Wenn Arbeitsplatz und Wohnort weit auseinanderliegen, wenn Kinder keine Ausbildung am Ort erhalten können, mag der Wohnwert noch so hoch sein, die Lebensqualität sinkt.
Wenn der längere Urlaub im Rentenalter größere Freundlichkeiten gegenüber den Nachbarn voraussetzt, weil einer den Schnee schippen oder den Rasen mähen muß, dann wird sich bei manchem auch der Wunsch nach einer Zweizimmermietwohnung verstärken.
Weil die meisten Menschen aber fast ihr Leben lang ein Haus abbezahlen müssen, sind sie zwangsweise auch immobil. Man trennt sich nicht gern von Dingen, die teuer waren. Es macht aber keinen Sinn, allein und einsam in einem 140-Quadratmeter-Haus zu hocken oder die Hälfte des Gehaltes für die Miete ausgeben zu müssen.
Wir werden uns also auf neue und sehr unterschiedliche Wohnwünsche einstellen müssen. Wir werden uns nicht auf die Quantität der Einsparung zurückziehen können; wir werden auch die soziale Brauchbarkeit einer Wohnung definieren müssen.
Das, was wir jetzt bauen, wird wohl auch in den nächsten 100 Jahren noch stehen. Wir sollten also alle zusammen nicht den Fehler machen, zu kurz zu springen, indem wir glauben, alle Probleme könnten durch junge Häuser gelöst werden. Preiswerte Lösungen j a, billige nein.