Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Finanzminister ist nicht mehr da. Offenbar interessiert er sich für dieses Thema nicht so intensiv, wie das von uns erwartet wird.
- Gut, Sie sind wieder da.
Herr Finanzminister, Sie haben hier keinen Bericht über die Weltbanktagung und die IWF-Tagung gegeben, sondern Sie haben eine Jubelarie gesungen.
Ich erinnere Sie daran, daß das Hauptthema von IWF- und Weltbanktagung nicht ist, daß man sich wie bei einem Klassentreffen über den Primus unterhält, sondern daß das Hauptthema ist, daß man gemeinsam Probleme löst. Da haben Sie schwer versagt.
Sie treten hier als Primus unter den Nationen auf. Sie sagen, die Transformationsländer seien auf einem guten Weg, bei uns sei sowieso alles „roger". Die ärmsten Länder erwähnen Sie gar nicht in Ihrer Rede, nicht mit einem Wort. Das zeigt den Geist, in dem Sie internationale Finanzpolitik betreiben.
In Washington wurden keine wirklichen Fortschritte bei irgendeiner der drängendsten Fragen der internationalen Finanz- und Entwicklungspolitik gemacht. Die Spekulation wird neue Blüten treiben. Die Währungen bleiben höchst instabil. Gegen destabilisierende Finanzkrisen à la Mexiko ist keine wirkliche Vorsorge getroffen worden. Die ärmsten Länder bleiben auf unbezahlbaren Altschulden sitzen. Die Entwicklungsfinanzierung wird zurückgefahren, obwohl Armut, Migration, Umweltzerstörung und die Weltbevölkerung dramatisch wachsen. Die internationalen Finanzinstitutionen sind finanziell geschwächt. Die Struktur und Aufgaben von Währungsfonds und Weltbank werden nicht reformiert. Es gibt keinerlei Ansätze in dieser Richtung.
Da sagen Sie: alles „roger" , ziehen Jubelarien ab und beschäftigen sich im größten Teil Ihrer Rede damit, über Ihre internen Haushaltsprobleme und Ihre Defizite, die Sie in der Haushaltspolitik haben, zu schwadronieren und uns vorzumachen, auch auf diesem Gebiet sei alles in Ordnung.
Dr. Ingomar Hauchler
Sie mißbrauchen diese Sitzung des Parlamentes in übelster Weise, um nationale Propaganda zu machen.
Ich habe gesagt, die Grundprobleme sind ungelöst. Welche Grundprobleme sind das? Herr Finanzminister, nichts ist vorangebracht worden, um die Instabilität des internationalen Währungssystems wirklich einzudämmen. Es gibt keinerlei Ansätze, weder in letzter Zeit noch dieses Mal, um ein Minimum an Ordnung in den internationalen Finanzbeziehungen sicherzustellen.
Es gibt keine Vorsorge dafür, daß immer größere Spekulationswellen die Möglichkeit der Notenbanken aushebeln, zu intervenieren, um zu stabilisieren.
- Es gibt Vorschläge von Kommissionen, auch von der BIZ, es gibt zahlreiche Diskussionen in dieser Hinsicht. Ich hätte erwartet, daß der Finanzminister wenigstens ein Wort zu diesem Thema sagt; denn es ist ein Hauptproblem, vor dem wir stehen.
Vielleicht versteht er davon nichts; das weiß ich nicht.
Nichts ist vorangebracht, um spontane Finanzkrisen eindämmen zu können. Mexiko hat dem internationalen Finanzsystem 38 Milliarden Dollar gekostet, 18 Milliarden Dollar allein vom IWF. Das blutet natürlich die Fähigkeit des IWF aus, an anderer Stelle konstruktiv Finanzpolitik und Entwicklungsfinanzierung zu betreiben.
Man schiebt durch eine falsche Strukturanpassungspolitik in Mexiko Hauptfinanzmittel des IWF in ein Land hinein, auf Druck der Amerikaner, die noch 20 Milliarden Dollar draufgelegt haben. Das ist skandalöse internationale Finanzpolitik. Die Reserven des IWF reichen nicht aus, um ähnliche dramatische Verwerfungen überhaupt begrenzen zu können.
Der Finanzminister sagte dazu nichts und tat dazu nichts in Washington. Er spielt den Bremser, den deutschen Kassenwart, statt vorwärtsdrängend
konstruktive Lösungen von deutscher Seite vorzulegen.
Völlig ungelöst ist die Verschuldung der Entwicklungsländer. Die Weltbank hat einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht - das ist alles vertagt worden; es wird in Washington alles vertagt, wenn man zusammenkommt -, wie man vor allem die multilaterale Verschuldung zurückfahren könnte, und zwar in einer gemeinsamen Anstrengung und ohne allzuviel Geld. Aber darüber ist überhaupt nicht geredet worden. Das ist vertagt worden.
Herr Feilcke, Sie wissen, wenn Sie die Zeitung lesen,
daß gerade die ärmsten Länder, für die dieser Fonds der Weltbank gedacht war, heute zu 50 % multilaterale Schulden zahlen.
Vor einigen Jahren haben sie nur 20 % ihrer Schuldenzahlungen an die multilateralen Institutionen geleistet. Heute müssen sie 50 % zahlen, weil die Schuldenerlasse, die Schuldenstundungen, in der Regel nur noch bilateral und auf dem Gebiet der privaten Geschäftsbanken erfolgten, die Multis aber voll und ganz auf jährlicher Zahlung bestehen und die ärmsten Länder, für die sie sich eigentlich einsetzen sollten, in die Krise hineintreiben, und zwar durch Rückzahlungen für Projekte, für die es längst keine entsprechende produktive Basis mehr gibt. Das ist doch Katastrophenpolitik. Das kommt doch alles einmal auf uns zurück - mit krasser Armut, mit Umweltzerstörung, mit armutsbedingter Umweltzerstörung. So kann man das Ganze auf die Dauer nicht angehen.
In Gefahr ist die Entwicklungsfinanzierung. Der IWF müßte sich - Sie haben darauf hingewiesen, Graf Lambsdorff - auf die eigentlichen Aufgaben besinnen. Das sind der Ausgleich von Zahlungsbilanzen, der Ausgleich von Wechselkursschwankungen, die Stabilisierung der Finanzströme und ein Minimum an internationaler Kreditaufsicht.
Was macht der IWF? Er kann das gar nicht, weil ihn die Großen gar nicht lassen. Was macht er statt dessen? Er nimmt der Weltbank die Aufgaben weg. Er geht in die Entwicklungsfinanzierung. Chaos, organisatorisches Chaos in Washington, und Sie, Herr Finanzminister, sind mit verantwortlich! Sie sind der drittgrößte Aktionär in diesem Bereich.
Die Entwicklungsfinanzierung blutet aus. International ist natürlich genügend Liquidität vorhanden, Graf Lambsdorff, aber doch nicht für viele Transformationsländer und ärmste Länder. Das ist doch das Problem. Das hängt mit der Entwicklungsfinanzie-
Dr. Ingomar Hauchler
rung zusammen. Da muß man etwas tun. Wir unterstützen den Weltbankplan, daß man sich zusammensetzt und versucht, auch bei der Bedienung der multilateralen Schulden einen Weg zu finden.
Der IWF und seine Großaktionäre tun auch nicht wirklich etwas gegen die Verschuldung der Industrieländer. Wer ist denn verantwortlich für die Situation, daß wir seit vielen Jahren tendenziell hohe Zinsen haben? Die Ursachen liegen doch in den Haushaltsdefiziten der großen Industrieländer. Wie wirken sie sich aus? Zinstreibend, beschäftigungshemmend und investitionshemmend. Damit hängen wieder ein niedriges Wachstum und eine Haushaltsmisere zusammen, wie wir sie in vielen Industrieländern kennen.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Folgen Sie nicht den USA! Ziehen Sie sich nicht auch noch aus der Finanzquelle für die ärmsten Länder der Welt, aus der Internationalen Entwicklungsagentur, zurück. Tun Sie es nicht! Schaffen Sie eine Lösung, damit keine negative Kettenreaktion in der Entwicklungsfinanzierung mit darauf folgenden Riesenproblemen zustande kommt!
Natürlich wissen wir, daß die Weltbank und die IDA Probleme hinsichtlich ihrer Programme haben. Da muß reformiert werden, entbürokratisiert werden. Die Programme müssen mehr auf das innere Potential der Länder gerichtet werden und nicht nur auf verinselte Großprojekte. Da muß einiges geschehen, und ich hoffe, daß auch der Entwicklungsminister dazu Vorschläge machen wird.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Wer ist denn verantwortlich dafür, daß die Grundprobleme, die wir seit Jahren hier diskutieren, die ständig in der internationalen Presse diskutiert werden, nicht gelöst werden? Ich habe sie vorher ja kurz aufgelistet. Wer hat die Macht, die Dinge zu ändern? - Die Macht, es zu ändern, hätten letzten Endes nur Europa, USA und Japan. Und in Europa haben die Deutschen die größte Verantwortung; sie könnten hier etwas bewegen.
Was ist mit den USA los, mit dem Hauptaktionär der internationalen Finanzinstitutionen? Riesendefizit mit Verschuldung und zinstreibenden Wirkungen. Der Dollar wird benutzt zur Manipulation der Wechselkurse, um den Kampf um die Märkte zu führen. Und Rückzug aus der internationalen Finanzierung. - Das sind die USA.
Japan: Riesenbankenkrise, eine riesige Überbewertung von Grundstücken, von Sicherheiten. Darauf wird eine riesige Finanzblase mit den Risiken und Milliardenverlusten, die wir ja kennen, aufgebaut.
Und die Bundesrepublik legt sich zurück, beschränkt sich auf die Rolle des Kassenwarts, des Bremsers und übernimmt nicht die ihr mögliche Rolle, in dieses Vakuum von Führungslosigkeit auf diesem Gebiet hineinzugehen und konstruktive Ideen vorzutragen.
Wenn es anders ist, belehren Sie mich bitte in der nächsten Zeit.
Ich denke, wir Deutsche verspielen eine Chance im internationalen Rahmen, uns als konstruktive Motoren der Stabilisierung des Finanzsystems darzustellen, als konstruktives Land, um die Probleme der Dritten Welt zu lösen. Lassen Sie uns nicht nur defensiv agieren, Jubelarien abfahren, sondern auch selbst betrachten, was wir auf diesem Gebiet besser, konstruktiver machen können.