Rede von
Dr.
Paul
Krüger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich aus Sicht der heutigen Debatte auf fünf Jahre Einheit zurückschaue und darüber nachdenke, ist für mich persönlich der 9. Oktober 1989 ganz wichtig. Das war der Tag der ersten Massendemonstration in Leipzig. Er war für mich persönlich - ich glaube auch für viele andere in Ostdeutschland - ein ganz entscheidender, vielleicht sogar der entscheidende Tag in unserem Leben.
Zum erstenmal erhob sich in der DDR der Widerstand von 70 000 Menschen, ohne daß das System gnadenlos zurückgeschlagen hätte. Viele von uns spürten an diesem Abend intuitiv, nichts würde mehr so sein wie vorher. Warum sage ich das? Wenn ich manches, was heute gesagt wurde, höre, dann nimmt es schon wunder, wie die Einschätzung der Situation dieser Zeit heute gelitten hat.
Dieser Durchbruch des 9. Oktobers ließ erstmals aus einer tiefen Hoffnungslosigkeit für die Menschen in Ostdeutschland Hoffnung entstehen und wachsen; Hoffnung zunächst nur auf ein Ende des alten Systems. Damals haben wir überhaupt nicht gewagt, über Neues nachzudenken. Wir haben nur einen Schimmer davon gehabt, daß sich etwas verändern könnte. Uns war Monate später keineswegs klar, wie diese Veränderungen aussehen könnten. Wir haben vielleicht in manchen Diskussionen zaghaft gewagt, darüber nachzudenken, ob es irgendwann einmal eine Wiedervereinigung geben könnte. Wir haben damals oft gesagt - ich kann mich genau an die Zeit erinnern -: Wir werden von den Veränderungen, die jetzt anstehen, überhaupt nichts mehr haben. Vielleicht werden irgendwann unsere Kinder spüren, was es hieß, in diesem alten System zu leben, und was es heißt, jetzt Veränderungen zu haben.
So war es damals, und so haben wir es empfunden. Auch in Westdeutschland, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, waren viele von klaren Zukunftsvisionen weit entfernt. Ich habe mir gestern im Vorfeld der Rede einige aus der damaligen Zeit aktuellen Zeitschriften besorgt. Egon Bahr sagte am 1. Oktober 1989:
Laßt uns um alles in der Welt aufhören, von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen.
Dr.-Ing. Paul Krüger
Unser Kollege Peter Glotz, der heute nicht an der Debatte teilnimmt, sagte noch am 23. Oktober 1989, also kurz bevor der Bundeskanzler in diesem Hause die zehn Punkte zur deutschen Einheit vorlegte, der Gebrauch des Wortes „Wiedervereinigung" sei opportunistisch und widerwärtig.
Vor diesem Hintergrund muten die Reden der heutigen Debatte sehr eigenartig an, um nicht zu sagen: kleinkrämerisch.
Sie sprechen Mißachtung des Erreichten aus und erinnern mich wirklich - wie unser Vorsitzender es sagt - an Miesmacherei.
Herr Scharping hat heute auch über Kosten der Einheit gesprochen. Wenn ich an den damaligen Kanzlerkandidaten und übrigens auch an die Grünen, die damals Interessantes von sich gegeben haben, denke, muß ich sagen, daß nur diejenigen eine Legitimation haben, über die Kosten der Einheit zu sprechen, die die Einheit wirklich wollten.
Da die Solidarität und die Wirtschaft heraufbeschworen wurden: Der damalige SPD-Kanzlerkandidat rief dazu auf, den Deutschen im Osten „nicht den Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik einzuräumen" , weil man Angst hatte, es könnte zu teuer werden. Ich habe aus der „Welt" vom 27. November 1989 zitiert.
Hier wurden immer wieder Methoden des „zweiten Arbeitsmarktes" heraufbeschworen. Dazu kann ich in freier Abwandlung eines Zitats von Ludwig Erhard nur sagen: Die beste Wirtschaftspolitik ist auch die beste Arbeitsmarktpolitik. Letztlich gibt es nur einen Arbeitsmarkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Vor dem Hintergrund des Jahres 1989 kann man bei aller gebotenen Zurückhaltung und auch bei aller Sorge nur sagen: Das, was seitdem erreicht wurde, verdient unser aller großen Respekt. Das sehen auch alle unsere internationalen Partner so. Was wir erreicht haben, ist ein großer Erfolg.
Aber nicht nur die Ausgangsbedingungen waren schwierig, sondern auch die Zeit für das Erarbeiten und die Realisierung von Lösungen. Die Zeit war äußerst knapp. Das habe ich in der Volkskammer selbst miterleben dürfen. Freiheit wurde im Herbst 1989 zunächst nur durch Freizügigkeit erlangt. Bezüglich notwendiger Veränderungen setzte das damals alle Beteiligten unter einen enormen Zeitdruck. Unter diesen Bedingungen war eine ganz schnelle Wiedervereinigung der einzige gangbare Weg. Die erste Partei, die sich in Ost und West zu diesem Weg bekannte, war die CDU/CSU - in Ost und West. Das war für mich der Grund, damals in die CDU einzutreten.
Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die diesen Weg, auch aus diesem Hause heraus, unbeirrt beschritten haben: Ich denke an Helmut Kohl, ich denke an Theo Waigel, und ich denke auch an Lothar de Maizière. Ich glaube, ihnen allen gebührt unser ganz besonderer Dank, auch an einem solchen Tage.
- Natürlich auch der F.D.P., entschuldigen Sie.
Ich habe das vor dem Hintergrund meines Parteibeitritts gesagt. Ich wäre damals nicht auf die Idee gekommen, in die SPD einzutreten.
Als besonders enttäuschend habe ich es empfunden, daß die Berliner SPD-Regierung gerade an dem Tag, als Helmut Kohl in diesem Hause sein ZehnPunkte-Programm vorstellte, die Aufnahme von Übersiedlern aus der DDR einzuschränken beschloß. Die damalige SPD-Sozialsenatorin, Ingrid Stahmer, sagte am 28. November gegenüber dpa: „Wir können nicht mehr. " Hätte Frau Stahmer das zur gegenwärtigen Situation der SPD gesagt, wäre es wahrscheinlich zutreffender gewesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU, die CSU und auch die F.D.P.,
also die Koalition, waren die Parteien der Wiedervereinigung. Dies wird vom weitaus größten Teil der Bevölkerung in Ostdeutschland so gesehen. Wer dies versucht zu leugnen, hat ein unrealistisches Bild von den Empfindungen und Erwartungen der Menschen in Ostdeutschland.
- Ich habe dort gelebt, lieber Kollege.
Zu den Ergebnissen des Wiederaufbaus in den neuen Ländern ist heute viel gesagt worden - viel Richtiges, aber auch viel Falsches. Ich möchte mich deshalb an dieser Aufrechnung - wie ich es nennen möchte - der Geschichte nicht beteiligen.
Ich möchte feststellen, welch große Solidarleistung in den letzten fünf Jahren von der westdeutschen Bevölkerung für uns in den neuen Bundesländern trotz aller Unkenrufe aufgebracht wurde. Ich möchte unseren Landsleuten namens vieler Menschen aus dem Osten unseren großen Dank und unsere Anerkennung für die gelebte Solidarität in dieser Zeit aussprechen.
Ohne diese Solidarität wären wir wirtschaftlich wahrscheinlich auf einem ähnlichen Niveau wie Tschechien oder Polen heute. Wir sind aber - das
Dr.-Ing. Paul Krüger
muß ich in aller Deutlichkeit sagen - von einem selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung weit entfernt. Inzwischen sind zwar die Verhältnisse im Konsumbereich zwischen Ost und West fast ausgeglichen, aber die Schaffung von Arbeitsplätzen und der wirtschaftliche Aufschwung in Ostdeutschland bleiben nach wie vor ein zentraler Punkt unserer Politik.
Die Hauptaufgaben sind die weitere Sanierung und der Ausbau der Infrastruktur, die Sanierung und der Neubau von Wohnungen, die Ansiedlung und Entwicklung von verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen, die Stärkung von Forschung und Entwicklung zur Erreichung von Innovation, über die heute bereits gesprochen wurde, und die Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen.
Eine Konzentration auf diese Hauptaufgaben ist deshalb auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Haushaltssituation notwendig. Ich muß aber all diejenigen warnen, die, obwohl sie die Situation der ostdeutschen Wirtschaft vor Augen haben, jetzt über Sparen in Ostdeutschland nachdenken.
Die derzeitige Differenz zwischen Inlandsnachfrage in Ostdeutschland und Bruttoinlandsprodukt beträgt nach wie vor weit über 200 Milliarden DM. Der Aufbau Ost wird deshalb noch über Jahre hinaus unsere Aufgabe bleiben. Die Forderung nach weiterer Reduzierung der Ostförderung, die seit Jahresbeginn immer wieder insbesondere aus vielen westdeutschen Ländern kommt, kann ich deshalb nur, wenn ich es freundlich ausdrücke, als kurzsichtig bezeichnen.
Ich sage daher deutlicher: Wir brauchen zwar nicht mehr die Gießkanne, aber wir ertragen auch noch keinen Rasenmäher, geschweige denn - ich sage das mit allem Nachdruck - den Preßlufthammer; denn die Förderung Ostdeutschlands darf nicht zum Steinbruch der Finanzpolitik in Bund und insbesondere den westdeutschen Ländern werden. Wir brauchen weiterhin die Solidarität des gesamten deutschen Volkes, wie sie im Solidarpakt ihren Niederschlag findet.
Ein Bremsen hätte für die gegenwärtige gute konjunkturelle Entwicklung in Ostdeutschland fatale Folgen nicht nur in Form erheblicher finanzieller Zusatzlasten, sondern auch für die Psyche der Menschen, denen wir in den letzten Jahren sehr viel zugemutet haben, die aber auch Gott sei Dank sehr viel Neues erfahren durften. Leider klang vieles in der heutigen Debatte sehr belehrend. Ich möchte niemanden belehren, aber ich wünschte mir manchmal, daß wir mehr aufeinander hören, daß wir mehr zuhören.
Trotz aller Probleme und aller Schwierigkeiten der Menschen in den neuen Ländern haben diese Menschen mit viel Geduld und Risikobereitschaft, Konsequenz und Leidenschaft die Aufgaben dort in Angriff genommen. Denjenigen, die in Westdeutschland sagen, die Menschen seien unzufrieden, sage ich deutlich: Sie sind es nicht, sie sind manchmal verunsichert, verunsichert durch vieles, was sie neu lernen mußten. Dabei haben sie vor allem ein großes Problem, das ist die schwierige Eigentumssituation, die wir im Osten haben, das ist ein Bereich, in dem die Schere sich immer weiter öffnet. Das wurde heute bereits angesprochen.
Insofern glaube ich, haben wir weniger eine Mauer in den Köpfen als vielmehr eine Mauer zwischen den Brieftaschen. Wir sollten großes Augenmerk darauf legen, dieser Entwicklung staatlich - der Staat kann hier nicht allzuviel machen, das weiß ich, aber wir müssen der Situation klar ins Auge sehen - entgegenzuwirken.
Ich sehe die Probleme in Ostdeutschland, die uns der Sozialismus eingebrockt hat, ein Sozialismus, der immer die Gleichheit will, aber letztlich die Armut der Menschen erzeugt hat. Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Die sozialistischen Rezepte, die immer wieder hier in diesem Hause aus den Reihen der Opposition angeboten werden, werden die Probleme Ostdeutschlands nicht lösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sitzen alle in einem Boot. Für die Bewältigung der zweiten Etappe auf dem Weg zur Wiedervereinigung ist besonders wichtig, daß nicht nur erkannt wird, daß wir ein Volk sind, sondern daß auch erkannt wird, daß wir auf Gedeih und Verderb in diesem einen Boot sitzen, daß nicht nur erkannt wird, daß wir solidarisch miteinander umgehen sollten, sondern daß auch erkannt wird, daß wir gemeinsam die Verantwortung für die Lösung der anstehenden Probleme tragen und daß die erfolgreiche Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft nur in gemeinsamer Verantwortung geschehen kann.
So hoffe ich, daß auch die heutige Debatte zu mehr Verständnis und vor allen Dingen zu mehr Gemeinsamkeit trotz aller Kontroversen beitragen wird.
Danke.