Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist mir an diesem Tag und bei diesem Anlaß nicht zum Streiten zumute.
Ich finde, die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit ist auch nach fünf Jahren Grund zur Freude und Dankbarkeit.
Deswegen, Herr Bundeskanzler, möchte ich Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion für Ihre Regierungserklärung danken und unsere Zustimmung ausdrücken. Sie haben vielen gedankt, die in den dramatischen Monaten 1989/90 Entscheidendes dazu beigetragen haben, daß die Einheit gelungen ist. Ich füge hinzu: In diesen Dank schließe ich ausdrücklich Bundeskanzler Helmut Kohl ein, ohne dessen mutiges Zupacken wir die Einheit auch nicht erreicht hätten.
Natürlich muß man immer zwischen Mut und Mißmut unterscheiden können. Für ein so großes Werk, wie nach 45 Jahren der Teilung und Sozialismus in einem Teil Deutschlands in kurzer Zeit die Einheit, Soziale Marktwirtschaft, wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit in ganz Deutschland herzustellen, braucht man mehr Mut als Mißmut. Deswegen sind wir mehr für die Regierungserklärung als für das, was Herr Scharping als Kontrastprogramm geboten hat.
Herr Kollege Scharping, ich will wirklich nicht noch einmal den Wahlkampf des Jahres 1990 führen. Sie haben mich in Ihrer Rede streckenweise an Ihren Vorgänger als gescheiterten Kanzlerkandidaten aus dem Jahre 1990 erinnert. Dieser hat damals in der Ratifizierungsdebatte zum Einigungsvertrag eine Dreiviertelstunde geredet. Aber er hat nicht einmal ja zur Einheit gesagt. Man mußte sich wirklich wundern, wozu er redet. So ähnlich war es auch bei Ihnen.
Wenn Sie aber am Anfang Ihrer Rede - das muß zurückgewiesen werden - von einer Politik der Täuschung und der Übervorteilung gesprochen haben,
dann muß ich Sie doch einmal fragen: Wie ist es denn 1989/90 gewesen? Kaum war die Mauer offen, haben die Sozialdemokraten von Wiedersehen statt von Wiedervereinigung gesprochen. Dann kam Herr Lafontaine und wollte das Aufnahmeverfahren für Übersiedler stoppen, damit der Prozeß möglichst wieder unterbrochen wird.
Dann ist man in der damaligen DDR herumgereist und hat gesagt: Es ist viel zuwenig, was der Westen zahlt. Gleichzeitig hat man im Westen gesagt: Es wird viel zu teuer.
Herr Romberg ist doch nicht auf Druck der Bundesregierung abgelöst worden, sondern auf Druck von Herrn Lafontaine.
- Herr Thierse, Sie wissen es ganz genau.
Deswegen will ich Sie daran erinnern. Auf Druck von Herrn Lafontaine ist Richard Schröder als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Volkskammer an die Seite geschoben worden, weil man aus der Großen Koalition und der gemeinsamen Verantwortung in der damaligen DDR herauswollte.
Ich nutze gerne die Gelegenheit, Lothar de Maizière und Günther Krause für ihren Beitrag zur deutschen Einheit zu danken.
Ich will es in aller Ruhe sagen. Zu einer ehrlichen Bilanz gehört auch, daß man über die Probleme, über das, was noch zu schaffen ist, redet. Aber man darf bei der ehrlichen Bilanz auch nicht vergessen, was erreicht worden ist und welches die ungeheuren Vorteile sind. Auch das muß gesagt werden, sonst ist es keine Bilanz, sonst ist es Miesmacherei. Mit Miesmacherei gewinnen wir die Zukunft nicht.
Zu der Bilanz gehört beispielsweise, daß sich die Menschen in Deutschland wieder frei bewegen können. Was das bedeutet, wissen die Menschen in Berlin noch sehr genau. Selbst ich kann mich noch erinnern, was es bedeutet hat, wie man aufgeatmet hat, wenn man aus dem Ostsektor wieder im Westen war oder wenn man auf der Interzonenbahn die Kontrolle hinter sich gebracht hatte.
Wir beklagen manchmal zu Recht ein Übermaß an Perfektionismus unseres Rechtsstaates. Aber den Druck, den man empfunden hat, wenn man in einem System war, wo kein Rechtsstaat herrschte, wo man
Dr. Wolfgang Schäuble
Willkür ohnmächtig ausgeliefert war, sollte man nicht vergessen. Deswegen sollte man unser System freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit bewahren und für die Zukunft vital erhalten.
Die Menschen können sich wieder frei von Bespitzelung, Angst und Unterdrückung in den neuen Bundesländern fühlen. Sie brauchen nicht mehr Angst zu haben, daß bis in den privaten Bereich Arbeitskollegen, Nachbarn, Freunde, selbst Ehepartner Spitzel sind. Das alles sind ungeheure Vorteile. Wir sollten sie bei der Bilanz an diesem Tag nicht vergessen.
Wahr ist auch, daß die wirtschaftlichen Probleme, die sich mit der Aufgabe stellten, quasi von einem Tag auf den anderen aus einem gescheiterten, maroden, bankrotten System des real existierenden Sozialismus eine Soziale Marktwirtschaft zu schaffen und die Menschen in kurzer Zeit an das Niveau von Wohlstand und sozialer Sicherheit, das sie aus dem Westen kannten und für sich mit der Wiedervereinigung erwarteten, heranzuführen, die grundstürzenden Veränderungen bedingten, die die Menschen im Osten mehr als wir im Westen aushalten müssen.
Deswegen ist das alles schwieriger geworden, als wir uns das 1990 vorgestellt haben und als wir 1990 geglaubt und gesagt haben. Ich habe es mir so schwer und so kostenintensiv 1990 auch nicht vorgestellt. Das kann man doch heute, fünf Jahre danach, bekennen. Aber es gehört auch dazu, daß es vor drei Jahren niemand für möglich gehalten hätte, daß wir im Jahre 1995 mit dem Aufbau im Osten und in ganz Deutschland wirtschaftlich so gut vorangekommen sind, daß die D-Mark stabil geblieben ist, die öffentlichen Haushalte nicht überlastet sind, wir dauerhaftes Wachstum haben und die Kriterien des Vertrags von Maastricht erfüllen. Dies alles hat vor drei Jahren kaum jemand für möglich gehalten.
Weil Sie, Herr Scharping, den früheren Kollegen von Dohnanyi erwähnt haben: Er hat einen Beitrag zur deutschen Einheit mit „Kein Grund für schlechte Laune" überschrieben. Ich hätte ihm gewünscht, daß Sie wenigstens die Überschrift zur Kenntnis nehmen.
Wahr ist auch, daß wir die Anstrengungen fortsetzen müssen. Deswegen behält der Aufbau Ost Vorrang in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der CDU/ CSU-Fraktion und, ich meine, der ganzen Koalition. Deswegen werden wir auch die Förderung von Investitionen, insbesondere im industriellen Bereich, in den neuen Bundesländern fortsetzen. Wir müssen uns stärker auf den industriellen Bereich konzentrieren; denn im Einzelhandel brauchen wir die Investitionsförderung nicht mehr so sehr, im industriellen Bereich haben wir aber nach wie vor einen starken Rückstand.
Herr Kollege Scharping, wenn Sie von „hohen Zuwachsraten auf niedrigem Niveau" sprechen, dann gehört zur Wahrheit doch auch das niedrige Niveau,
auf dem sich die hohen Zuwachsraten erfüllen. Dafür war das gescheiterte System des Sozialismus in der früheren DDR verantwortlich. Für die hohen Zuwachsraten, die wir jetzt haben, ist die Soziale Marktwirtschaft verantwortlich. So einfach ist das. Deswegen müssen wir den Weg der hohen Zuwachsraten fortsetzen.
Deswegen brauchen wir übrigens auch in der Zukunft die solidarische Hilfe aller Bundesländer.
Zu der Wahrheit des Jahres 1990 und auch der fünf Jahre seit der Vereinigung gehört, daß die Solidarität unter den Bundesländern auf dem Weg zur Vollendung der deutschen Einheit insgesamt noch ein Stück weit besser hätte sein können. Was die westdeutschen Länder beim Solidarpakt zum Teil gemacht haben, ist kein Ruhmesblatt. Damals sind Sie noch auf der Seite der Länder gesessen, Herr Scharping. Sie haben den Bund und die Steuerzahler kräftig ausgenommen, aber relativ wenig für den Aufbau Ost getan.
- Natürlich ist das wahr.
Ich könnte Ihnen auch noch vorhalten, was Ihre Kollegen gesagt haben, bei Herrn Schröder in Hannover angefangen, der gesagt hat „Keine Mark von niedersächsischen Steuerzahlern für den Aufbau Ost", bis zu Herrn Lafontaine, der schon seit dem Jahre 1989 und seitdem immer wieder nicht die Solidarität in Deutschland gefördert hat, sondern das Gegenteil getan hat. Am Ende hat man sich zu Lasten des Bundes und zu Lasten der Steuerzahler allenfalls auf Minimalkompromisse geeinigt.
Dieser Weg wird fortgesetzt. Noch immer haben wir die Gewerbekapitalsteuer in Deutschland nicht abgeschafft. Wir müssen sie aber abschaffen, damit die Investitionen in ganz Deutschland vorankommen und wir diese Steuer nicht auch noch in den neuen Bundesländern einführen müssen.
Zu der erbärmlichen Kampagne, die Ministerpräsident Eichel zu Beginn dieses Jahres im Landtagswahlkampf von Hessen mit der angeblichen Verschwendung von Steuergeldern beim Aufbau Ost geführt hat, sage ich:
So viele Steuergelder, wie Herr Eichel sie für seine Dienstvilla verschwendet hat, hat im Verhältnis dazu kaum jemals ein anderer verschwendet.
Dr. Wolfgang Schäuble
Das zeigt, daß Sie jede Gelegenheit nutzen, um die Menschen auseinanderzutreiben. Wir brauchen aber mehr Kraft für die Arbeit im Rahmen der Einheit. Deswegen sagen wir auch: Wir müssen die Anstrengungen solidarisch fortsetzen, um den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern, vor allem im industriellen Bereich, rasch so weit voranzubringen, daß wir ein vergleichbares Niveau mit dem Westen erreichen. So lange werden wir auch auf den Solidaritätszuschlag nicht vollständig verzichten können. Wir hoffen, daß wir ihn bald ein Stück abbauen können. Wir brauchen ihn aber so lange, bis wir im Osten im wesentlichen gleiche wirtschaftliche und soziale Verhältnisse erreicht haben.
Wer nicht bereit ist, die notwendige Solidarität zu zeigen, der versündigt sich an der Einheit.
Ich finde, wir sollten uns aus der Bilanz, aus dem Vergleich dessen, was erreicht worden ist, die Kraft bewahren, auch weiterhin solidarisch die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen. Die größeren Anstrengungen, die mit der deutschen Einheit verbunden sind, bestehen doch letztlich in den ungeheuren Veränderungen, die die Menschen in den neuen Bundesländern, für die sich die grundlegenden Lebensverhältnisse in kurzer Zeit dramatisch verändern, aushalten müssen. Ich sage: Zu einer kritischen Bilanz fünf Jahre nach der deutschen Einheit würde für mich eher gehören - dazu habe ich von Herrn Scharping gar nichts gehört -, daß wir vielleicht im Westen die Chance der Erneuerung, die uns die deutsche Einheit geboten hat, nicht hinreichend genutzt haben.
Ich habe früh gesagt: Die Bereitschaft, durch Teilen die Teilung zu überwinden, wird sich vor allen Dingen darin bewähren müssen, daß wir auch im Westen bereit sind, Veränderungen mitzutragen und zu ertragen. Das ist eine Chance für ganz Deutschland. Wenn wir so wie die Sozialdemokraten und Rot-Grün jeden Besitzstand nur tabuisieren und jede Veränderung blockieren, werden wir die Zukunft verspielen.
Deswegen ist die größte Chance, die die deutsche Einheit uns allen eröffnet, die Chance zu begreifen, daß wir mit einem größeren Maß an Innovation, mit einem größeren Maß an Veränderungsbereitschaft, mit einem größeren Maß an Mut und nicht an Mißmut, auch liebgewordene Besitzstände auf den Prüfstand zu stellen, eine bessere Chance für eine gute Zukunft für alle Deutschen in West, Ost, Nord und Süd haben werden. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.
Es wird von vielen gesagt - man kann es an einem solchen Tag noch einmal sagen -: Im Osten hat der ganz eigene Lebensweg in diesen 40 Jahren vieles an Schwierigkeiten mit sich gebracht: die Introvertiertheit der Menschen, die eingesperrt waren, die nicht mit ausländischen Mitbürgern zusammengelebt haben und keinen Austausch mit dem Ausland hatten, mit dem Westen nicht, selbst mit Polen war der Austausch aus der Bundesrepublik intensiver als aus der DDR.
Aber im Westen haben wir uns in 40 Jahren wachsenden Wohlstands zu sehr angewöhnt, jeden Besitzstand zu verteidigen. Wir sind in der Gefahr, daß wir die Kraft zur Veränderung zunehmend verlieren. Wenn wir deswegen aus der deutschen Einheit, deren Lasten und deren Chancen wir gemeinsam tragen, Kraft für die Zukunft gewinnen sollen, dann sollten wir beides miteinander verbinden. Dann haben wir eine gute Chance, unser Land weiter voranzubringen.
Ich glaube, in einer Welt, in der sich so ungeheuer viel verändert, ist das, was wir in Deutschland in den letzten fünf Jahren mit großartigem Gewinn für alle Menschen auf den Weg gebracht haben und weiter voranbringen müssen, für uns eine Chance, eine Bewährungsprobe für unsere gemeinsame Zukunft zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus.
Wir sollten bei diesen Überlegungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch einen Moment den Blick über unsere eigenen Grenzen hinaus richten. Es ist wahr: Die Einheit hat nicht in Deutschland begonnen. Die Entwicklung begann in Polen, und in Ungarn hat sie ihren Höhepunkt gefunden. Wir danken unseren Nachbarn in Polen, in Ungarn, in der Tschechei und in der Slowakei.
Wir sollten vielleicht bei allen Problemen, die wir in unserem eigenen Lande haben, auch an diesem Tag einen Moment an Aufmerksamkeit darauf verwenden, daß andere in Europa mit diesen ungeheuren Veränderungen ganz andere Probleme haben als wir in Deutschland. Gemessen an den Sorgen, die wir in Deutschland, die selbst unsere Mitbürger in den neuen Ländern haben, haben die Menschen in Mittel- und Osteuropa, die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion viel größere Probleme mit den historischen Veränderungen, mit denen auch historische Chancen verbunden sind. Deswegen lassen Sie uns nicht so kleinmütig und kleinkariert nur auf unsere eigenen Probleme schauen. Gerade weil wir unsere wiedergewonnene Einheit in Frieden und Freiheit unserer jahrzehntelangen konsequenten Politik der Westintegration, der europäischen Einheit und des Ausgleichs zwischen Ost und West verdanken, schulden wir unser Engagement unseren Nachbarn im Osten und der europäischen Einigung.
Wir wären der Chance nicht wert, die wir mit der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit gewonnen haben, wenn wir jetzt nicht unsere gemeinsame Kraft einbringen würden, um dieses Europa zu einem Kontinent sicheren Friedens in Einheit zu machen. Deswegen ist es unsere Aufgabe im vereinten Deutschland, uns jetzt um so mehr für die europäische Eini-
Dr. Wolfgang Schäuble
gung, und zwar für die Einigung ganz Europas und nicht nur bis zur Oder und Neiße, zu engagieren
und unsere Beiträge dazu zu leisten, daß die Europäische Union vorankommt, aber zugleich auch die Kraft und Dynamik bewahrt, sich nach Osten zu erweitern. Wir müssen unseren russischen Freunden immer wieder erklären, daß die europäische Einigung nicht gegen sie gerichtet ist, sondern auf Zusammenarbeit auch mit Rußland angelegt ist. Wir wollen nicht eine Konfrontation, sondern wir wollen Zusammenarbeit, weil wir nur in einem Europa der Zusammenarbeit den Frieden, die Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte sichern und zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand aller beitragen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden oft darüber: Wie können die Deutschen das, was sie nach 45 Jahren an unterschiedlichen Erfahrungen, an unterschiedlichen Lebenswegen und Lebenswelten trennt, überwinden? Es ist trennender, als viele, auch ich, 1990 geglaubt haben. Aber es ist eigentlich logisch. Jemand, der so alt ist wie ich, hat bis zur deutschen Einheit immer nur in einem geteilten Deutschland bewußt gelebt. Ich bin 1942 geboren. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war Deutschland schon geteilt. Wir waren sehr getrennt, und die Menschen in der DDR waren eingesperrt. Deswegen sind unsere Einstellungen und Erfahrungen so unterschiedlich. Wir müssen aufeinander zugehen, miteinander, nicht übereinander reden, dürfen nicht auseinandertreiben, nicht die einen gegen die anderen ausspielen und nicht über die Probleme hinwegreden. Wir dürfen aber die Fortschritte, die erreicht worden sind, nicht vergessen und das Große und Gute neben dem, was weiter zu tun ist, nicht aus dem Blick verlieren.
Wir finden, glaube ich, am besten zusammen, wenn wir über unsere gemeinsamen Aufgaben, über unsere gemeinsame Verantwortung für unsere Zukunft und für die Zukunft Europas stärker nachdenken. Das Allerwichtigste für die nächsten Jahre wird neben der Fortsetzung der Hilfe für den Aufbau der neuen Bundesländer und der Lösung der Probleme, die noch zu lösen sind und die wir Woche für Woche, angefangen beim Renten-Überleitungsgesetz, im Bundestag bearbeiten müssen, sein, zu begreifen, daß wir eine gemeinsame Verantwortung haben, unser Land als eine stabile freiheitliche Demokratie auch in der Zukunft zu bewahren.
Für den Rechtsstaat, für den inneren Frieden ist eine Menge zu tun. Man muß den Rechtsstaat z. B. verteidigen und darf ihn nicht verkommen lassen, wie es bei den Chaostagen in Hannover geschehen ist. Wenn der Rechtsstaat nicht durchgesetzt wird, verkommen Freiheit und Recht.
Da gibt es noch anderes. Man sollte z. B. daraus lernen, daß man mit denjenigen, die nicht sicher für
Freiheit und Demokratie sind, nicht zusammenarbeitet.
Herr Scharping, als Sie von Kassandra und Troja geredet haben, habe ich an Magdeburg gedacht. Passen Sie auf, daß Sie mit Ihrer Zusammenarbeit mit der PDS nicht zum trojanischen Esel werden, der den Feinden der Demokratie das Tor neu öffnet!
- Herr Fischer, zu einer vernünftigen und realistischen Bilanz gehört z. B. auch, einmal zu vergleichen, was unter dem real existierenden Sozialismus an Umweltschäden angerichtet worden ist und was die Soziale Marktwirtschaft unter der Regierung von Helmut Kohl in den letzten fünf Jahren an Umweltschäden beseitigt hat. Darüber ist mit keinem Wort geredet worden.
- Das ist das Niveau, mit dem Sie über die Probleme der deutschen Einheit reden, Herr Kollege Fischer.
Das Allerwichtigste ist, daß wir begreifen - das wiederhole ich -, daß es die Verpflichtung für uns selbst in der Mitte Europas, aber auch für unsere Nachbarn in Europa in West und Süd und in Nord und Ost ist, zum Frieden, zur Freiheit und zur Demokratie in Europa beizutragen.
Weil wir die deutsche Einheit der europäischen Einigung, dem Mitwirken und dem Einsatz unserer Nachbarn und Freunde in Ost und West verdanken, schulden wir die deutsche Einheit dem Frieden in Europa. Deswegen müssen wir uns für die europäische Einigung sowie für die Bewahrung, Wiederherstellung und Sicherung des Friedens in Europa einsetzen, und zwar, Herr Kollege Fischer, nicht nach dem Prinzip: Wir kämpfen bis zum letzten Franzosen, wie Sie es schriftlich verkünden, sondern nach dem Prinzip, daß wir das, was wir von anderen fordern, auch selbst zu leisten bereit sind.
Wenn wir die Aufgaben und Herausforderungen so verstehen, vor die wir Deutsche uns heute gestellt sehen, sowie unsere Verantwortung für uns selbst und für andere wahrnehmen, kann uns dies helfen, zu uns selbst zu finden. Das ist vielleicht der beste Weg, unsere Identität zu erklären; wir sollten nicht abstrakt darüber diskutieren.
Dr. Wolfgang Schäuble
Ich bin ganz sicher, daß jeder gemeinsame Erfolg bei diesen Bemühungen die Frage klarer beantworten wird, wer wir sind und was wir wollen. Ich bin sicher, daß wir im Verstand wie im Herzen - denn beides, Ratio und Emotio, gehört zusammen; das Gefühl der Menschen ist auch wichtig - die Gemeinschaft begründen, die notwendig ist, schwierige Zeiten zu bestehen, die in der Zukunft gewiß vor uns liegen.
Die Herausforderungen und die Veränderungen in der Welt sind groß. Der Friede und auch die Umwelt bleiben bedroht. Die Demokratie muß immer neu bewahrt werden. Aber mir ist vor diesen Herausforderungen nicht bange. Ich finde, wir haben gerade fünf Jahre nach der deutschen Einheit überhaupt keinen Grund zu Pessimismus und Mißmut, sondern wir haben allen Grund zu Mut und Zuversicht. So - dessen bin ich sicher - dienen wir am besten der Einheit, und so sichern wir am besten unsere Zukunft.