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    Plenarprotokoll 13/61 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 61. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Oktober 1995 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 5073 A Absetzung von Tagesordnungspunkten 5073 D Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 10 . . . . . . . . . . . . . . 5198 D Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Fünf Jahre deutsche Einheit b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Materialien zur Deutschen Einheit und zum Aufbau in den neuen Bundesländern (Drucksache 13/2280) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aufbau Ost - Die zweite Hälfte des Weges - Stand und Perspektiven - Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in den neuen Ländern (Drucksache 13/2489) d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur teilweisen Erstattung des bei der Währungsunion 1990 2 : 1 reduzierten Betrages vorerst für ältere Bürgerinnen und Bürger sowie Alleinerziehende (Drucksache 13/1737) e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Nutzerschutzgesetz) (Drucksache 13/2022) f) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des besonderen Kündigungsschutzes in den neuen Bundesländern (Drucksache 18/2444) g) Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Entwurf eines Verfahrensgesetzes zu Artikel 44 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 - (Drucksache 13/1080) h) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Bestandsaufnahme des Vermögens der DDR (Drucksache 13/1834) i) Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserungen bei der Rehabilitierung von SED-Unrecht über die Verlängerung von Antragsfristen hinaus (Drucksache 13/2445) j) Antrag der Abgeordneten Doris Odendahl, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Novellierung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" (Drucksache 13/2367) k) Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick und der weiteren Abgeordneten der PDS: Moratorium zum Schutze der redlichen Nutzer und Nutzerinnen vor der zivilrechtlichen Durchsetzung von Rückübertragungsansprüchen im Beitrittsgebiet (Drucksachen 13/613, 13/ 2578) 1) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz und der weiteren Abgeordneten der PDS: Zusage der deutschen Kreditwirtschaft „zusätzlich eine Milliarde DM in den Privatisierungsprozeß von sanierungsfähigen Unternehmen der Treuhandanstalt im eigenen Risiko einzubringen" vom Februar 1993 (Drucksachen 13/589, 13/1568) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Beschäftigten des Bundes mit den Beschäftigten des Landes im Land Berlin (Drucksache 13/1383) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Werner Schulz (Berlin), Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jährliche Vorlage eines „Berichtes zur Entwicklung der deutschen Einheit" durch die Bundesregierung (Drucksache 13/2572) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit (Drucksache 13/2586) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Dr. Christine Lucyga, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Altschulden ostdeutscher Gemeinden auf gesellschaftliche Einrichtungen (Drucksache 13/2587) Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 5075C Rudolf Scharping SPD 5079 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 5085 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5089 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 5093 B Dr. Gregor Gysi PDS 5096D, 5124 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5098 B Armin Laschet CDU/CSU . . . . . 5099 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 5099 C Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . 5100B, 5112 C Wolfgang Thierse SPD . . . . . 5103A, 5112B, D Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . . . . 5103C, D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 5104 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 5107B Dr. Angela Merkel CDU/CSU 5110A Iris Gleicke SPD . . . . . . . . . 5112 D Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . 5114 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 5114 B Jürgen Türk F.D.P 5114 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 5115 C Hans-Joachim Hacker SPD 5117 D Dr. Christa Luft PDS 5119 C Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU . 5121A Rolf Schwanitz SPD . . .. . . . . 5122B, 5125 A Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland (Drucksachen 13/1334, 13/2581) Rudolf Dreßler SPD 5125D, 5131A Dr. Gisela Babel F.D.P 5127D Andreas Storm CDU/CSU 5129 B Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 5130B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5131 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5132B Katrin Fuchs (Verl) SPD zur GO . 5134A, 5135D Clemens Schwalbe CDU/CSU zur GO . . 5134B Dr. Gisela Babel F.D.P 5134 C Manfred Müller (Berlin) PDS 5136A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 5137 C Rolf Köhne PDS 5138A, 5139C, 5142D Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . 5139 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . 5141B Johannes Singhammer CDU/CSU . . 5141 D Peter Dreßen SPD 5142 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5143A, 5147A Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 5143 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU 5144 D Otto Schily SPD 5145 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . 5146B Tagesordnungspunkt 19: Überweisungen im vereinfachten Verfahren b) Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft und der Gruppe der PDS: Flexiblere Gestaltung der Förderprogramme (Drucksache 13/1798) c) Antrag der Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof zur Frage der völkerrechtlichen Legalität des Einsatzes oder der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen (Drucksache 13/1879) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Änderung des Bundesberggesetzes (Drucksache 13/2497) 5148 C Tagesordnungspunkt 20: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 13/2047, 13/2448) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 13/2046, 13/2449) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika über die gegenseitige Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 13/ 2045, 13/2450) d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen (Drucksachen 13/1665, 13/2517) f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm zur finanziellen Unterstützung der Förderung europäischer Energietechnologien 1995-1998 („THERMIE II") zu dem Geänderten Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm zur finanziellen Unterstützung der Förderung europäischer Energietechnologien 1995 bis 1998 („THERMIE II") (Drucksachen 13/269 Nr. 2.3, 13/1096 Nr. 2.4, 13/1962) g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, Andrea Lederer und der weiteren Abgeordneten der PDS: Verbot der Rüstungsexporte und Konversion der Rüstungsindustrie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der EG-Harmonisierung des Exportkontrollrechts für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-use-Waren) (Drucksachen 13/584, 12/8368, 13/725 Nr. 92, 13/2545) h) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: MwSt - geänderter Richtlinienvorschlag betr. Personenbeförderung (Drucksachen 13/1234 Nr. 1.2, 13/2403) i) bis n) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 63 bis 68 zu Petitionen (Drucksachen 13/ 2465, 13/2466, 13/2467, 13/2468, 13/ 2469, 13/2470) 5148D Zusatztagesordnungspunkt 6: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung und ihrer einnahme- und ausgabemäßigen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 5151B, 5174D Karl Diller SPD 5155B, 5157B Wilfried Seibel CDU/CSU 5156 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 5157B Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5158D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 5160A Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . . 5160B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 5162B Jochen Feilcke CDU/CSU . . . . . . 5163 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . 5164 C Dr. Ingomar Hauchler SPD . . . . 5165C, 5176C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . . 5167 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5168C Ingrid Matthäus-Maier SPD 5168 D Dankward Buwitt CDU/CSU 5170A Jörg-Otto Spiller SPD 5171D Peter Harald Rauen CDU/CSU . . . . . 5172 C Dr. Konstanze Wegner SPD 5173 D Jörg-Otto Spiller SPD 5176A Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bedarfs von Magnetschwebebahnen (Magnetschwebebahnbedarfsgesetz) (Drucksache 13/2345) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes (Drucksache 13/2346) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf und der Gruppe der PDS: Prüfung von Alternativen zur Magnetschwebebahn (Drucksache 13/2570) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stopp der Vorbereitungsmaßnahmen für den Transrapid und Planung einer ICE-Verbindung Hamburg-Berlin (Drucksache 13/2573) Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . 5177D Elke Ferner SPD 5179B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/ CSU 5180A, 5184B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ' 5181D Horst Friedrich F.D.P. 5182D Dr. Klaus Röhl F.D.P 5185A, 5187C Eckart Kuhlwein SPD 5186 D Dr. Herwig Eberhard Haase, Senator (Berlin) 5187 D Dr. Winfried Wolf PDS 5189D Werner Kuhn CDU/CSU 5191B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5191D Dr. Barbara Höll PDS 5192 D Klaus Hasenfratz SPD 5193 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU 5194D, 5195 B Elke Ferner SPD 5195A, 5196C Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 5195D, 5198C Ernst Schwanhold SPD . . . . . . . . 5197 D Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch . . . 5191A Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Klaus Lennartz, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kindergesundheit und Umweltbelastungen (Drucksache 13/1968) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Vera Lengsfeld, Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Notwendigkeit von ökologischen Kinderrechten; Gefährdung von Kindern durch Umweltgifte (Drucksache 13/2574) Klaus Lennartz SPD 5199B Editha Limbach CDU/CSU . . . . . . 5200 C Vera Lengsfeld BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5202 D Birgit Homburger F.D.P. . . . . . 5204 A, 5208D Dr. Ruth Fuchs PDS 5205 D Friedhelm Julius Beucher SPD 5207 A Editha Limbach CDU/CSU 5207 C Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 5209 B Dr. Wolfgang Wodarg SPD 5211 C Tagesordnungspunkt 7: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Handlungsrahmen der Bundesregierung für eine Initiative zum kosten- und flächensparenden Bauen (Drucksache 13/ 2247) Joachim Günther, Parl. Staatssekretär BMBau 5213B Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . 5214 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 5215D, 5216A Margarete Späte CDU/CSU 5217 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5218D, 5220A Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . . 5219D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . 5220A Klaus-Jürgen Warnick PDS 5221 B Josef Hollerith CDU/CSU 5222 B Angelika Mertens SPD 5223 B Gert Willner CDU/CSU 5224 D Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten und weiteren Abgeordneten: Humanitäre Geste für die Opfer des NS-Unrechts in den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland (Drucksache 13/1294) Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 5226A, 5231B Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . 5227 B Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5228 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 5229A Ulla Jelpke PDS 5229 D Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 5230 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5231C Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — §§ 177 bis 179 StGB (Drucksache 13/2463) 5231D Tagesordnungspunkt 10: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Mieter von Geschäftsraum in den Ländern Berlin und Brandenburg (Drucksachen 13/206, 13/2529) Horst Eylmann CDU/CSU 5232 A Hans-Joachim Hacker SPD 5233 B Norbert Geis CDU/CSU 5234 C Jochen Feilcke CDU/CSU 5235 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5235C Heinz Lanfermann F.D.P 5236C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 5237 D Joachim Gres CDU/CSU 5238 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 5239B Hans-Joachim Hacker SPD 5239 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz) (Drucksache 13/1550) . . 5240A Tagesordnungspunkt 12: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur grundlegenden Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes (RentenüberleitungsKorrekturgesetz) (Drucksachen 13/216, 13/2549) Ulrike Mascher SPD 5240 B Petra Bläss PDS 5241 B Volker Kauder CDU/CSU . 5242 C, 5244 D, 5246 D Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . 5244 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5245 B Dr. Gregor Gysi PDS 5246 B Uwe Lühr F.D.P 5247 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Gerd Andres und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD: Umbenennung der GeneraloberstDietl-Kaserne in Füssen und der General-Kübler-Kaserne in Mittenwald (Drucksache 13/1628) Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . 5248B, 5259A Benno Zierer CDU/CSU 5250 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5251 B Dr. Gregor Gysi PDS 5251D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 5252 B Gerhard Zwerenz PDS 5253 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 5254 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5256A Walter Kolbow SPD 5256 B Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 5256 D Walter Kolbow SPD 5257 B Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Zweites Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) (Drucksache 13/2575) 5259 C Nächste Sitzung 5259 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5261* A Anlage 2 Entwicklung einer Friedensordnung für das ehemalige Jugoslawien unter Einbeziehung der Russischen Föderation MdlAnfr 19, 20 - Drs 13/2407 - Gernot Erler SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 5261* C 61. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Oktober 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    s) Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 4 zum Stenographischen Bericht über die 62. Sitzung abgedruckt. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Altmann (Pommelsbrunn), Elisabeth BÜNDNIS 12. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Augustin, Anneliese CDU/CSU 12. 10. 95 Beer, Angelika BÜNDNIS 12. 10. 95 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 12. 10. 95 Fograscher, Gabriele SPD 12. 10. 95 * * Graf (Friesoythe), Günter SPD 12. 10. 95 Grasedieck, Dieter Heym, Stefan SPD 12. 10. 95 Heyne, Kristin PDS 12. 10. 95 Hörsken, Heinz-Adolf Dr. Jacob, Willibald Kemper, Hans-Peter Lummer, Heinrich BÜNDNIS 12. 10. 95 Dr. Maleuda, Günther Pfeiffer, Angelika Pützhofen, Dieter 90/DIE Dr. Reinartz, Bertold Rübenkönig, Gerhard Schlauch, Rezzo GRÜNEN Schloten, Dieter Schmidt (Aachen), Ulla Schönberger, Ursula CDU/CSU 12. 10. 95 Schoppe, Waltraud PDS 12. 10. 95 Dr. Schubert, Mathias Schumann, Ilse SPD 12. 10. 95 Dr. Stadtler, Max Steen, Antje-Marie Terborg, Margitta Teuchner, Jella CDU/CSU 12. 10. 95 Vogt (Duren), Wolfgang Vosen, Josef PDS 12. 10. 95 Dr. Wieczorek, Norbert CDU/CSU 12. 10. 95 CDU/CSU 12. 10. 95 CDU/CSU 12. 10. 95 SPD 12. 10. 95 BÜNDNIS 12. 10. 95 90/DIE GRÜNEN SPD 12. 10. 95 * SPD 12. 10.95 BÜNDNIS 12. 10. 95 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 12. 10. 95 90/DIE GRÜNEN SPD 12. 10. 95 SPD 12. 10. 95 F.D.P. 12. 10. 95 * * SPD 12. 10. 95 SPD 12. 10. 95 SPD 12. 10. 95 CDU/CSU 12. 10. 95 SPD 12. 10. 95 SPD 12. 10.95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache 13/2407 Fragen 19 und 20): Welche Vorstellungen und Konzepte hat die Bundesregierung für eine künftige Friedensordnung im ehemaligen Jugoslawien entwickelt, und wie wird sie diese in die internationalen Bemühungen um eine Friedenslösung auf dem Balkan einbringen? Welche Rolle sollte nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Russische Föderation bei einer Friedenslösung für das ehemalige Jugoslawien spielen, und auf welche Weise wird die Bundesregierung eine Einbeziehung Moskaus sicherzustellen versuchen? Zu Frage 19: Mit ihren Vorstellungen hat die Bundesregierung wesentliche konzeptionelle Anstöße für eine künftige Friedensordnung im ehemaligen Jugoslawien gegeben. Mit der Kinkel/Juppé-Initiative hat sie die Grundlagen für den europäischen Aktionsplan gelegt. Der im Juli 1994 in Genf formulierte Kontaktgruppenplan, der die wesentlichen Parameter einer Friedenslösung festlegt, wurde von der Bundesregierung maßgeblich mit formuliert. Die bosniakisch-kroatische Föderation wurde von Beginn an durch die Bundesregierung engagiert gefördert. Die „Petersberger Vereinbarung" vom 10. März 1995 ist das Ergebnis einer deutschen Initiative. Darüber hinaus gestaltet die Bundesregierung die europäischen Initiativen gemeinsam mit ihren Partnern in der EU. Wesentliche konzeptionelle Elemente der EU-Administration Mostar gehen auf Anregungen der Bundesregierung zurück. Die Bundesregierung wird in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Am 26. September fand in New York ein Treffen der internationalen Kontaktgruppe mit den Außenministern Bosnien-Herzegowinas, Kroatiens und der BRJ (Serbien/Montenegro) statt. Am 28. September fand in New York auf Außenministerebene ein Treffen der internationalen Kontaktgruppe mit der Kontaktgruppe der Organisation für Islamische Staaten (OIC) statt. Dieses Treffen unter deutschem Vorsitz geht auf eine Initiative von Außenminister Kinkel zurück. Zu Frage 20: Die Bundesregierung hält die Zusammenarbeit in der internationalen Kontaktgruppe für eine beispielhafte Möglichkeit, die Russische Föderation in den internationalen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Die Bundesregierung hat Verständnis für den Wunsch der Russischen Föderation, auch bei einer Friedenslösung für das ehemalige Jugoslawien einbezogen zu werden. Am 26. September fand eine Kontaktgruppensitzung in New York mit den Außenministern Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas und der BRJ (Serbien/ Montenegro) statt, und am 28. September folgte auf Außenministerebene eine Begegnung der internationalen KG mit der Kontaktgruppe der Organisation Islamischer Staaten. Die Russische Föderation ist in diesen Verhandlungsprozeß voll einbezogen. Die Bundesregierung legt größten Wert darauf, daß dieses erfolgreiche Verfahren auch bei den weiteren Bemühungen um eine internationale Verhandlungslösung fortgesetzt wird.
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    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist mir an diesem Tag und bei diesem Anlaß nicht zum Streiten zumute.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich finde, die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit ist auch nach fünf Jahren Grund zur Freude und Dankbarkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen, Herr Bundeskanzler, möchte ich Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion für Ihre Regierungserklärung danken und unsere Zustimmung ausdrücken. Sie haben vielen gedankt, die in den dramatischen Monaten 1989/90 Entscheidendes dazu beigetragen haben, daß die Einheit gelungen ist. Ich füge hinzu: In diesen Dank schließe ich ausdrücklich Bundeskanzler Helmut Kohl ein, ohne dessen mutiges Zupacken wir die Einheit auch nicht erreicht hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich muß man immer zwischen Mut und Mißmut unterscheiden können. Für ein so großes Werk, wie nach 45 Jahren der Teilung und Sozialismus in einem Teil Deutschlands in kurzer Zeit die Einheit, Soziale Marktwirtschaft, wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit in ganz Deutschland herzustellen, braucht man mehr Mut als Mißmut. Deswegen sind wir mehr für die Regierungserklärung als für das, was Herr Scharping als Kontrastprogramm geboten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Kollege Scharping, ich will wirklich nicht noch einmal den Wahlkampf des Jahres 1990 führen. Sie haben mich in Ihrer Rede streckenweise an Ihren Vorgänger als gescheiterten Kanzlerkandidaten aus dem Jahre 1990 erinnert. Dieser hat damals in der Ratifizierungsdebatte zum Einigungsvertrag eine Dreiviertelstunde geredet. Aber er hat nicht einmal ja zur Einheit gesagt. Man mußte sich wirklich wundern, wozu er redet. So ähnlich war es auch bei Ihnen.
    Wenn Sie aber am Anfang Ihrer Rede - das muß zurückgewiesen werden - von einer Politik der Täuschung und der Übervorteilung gesprochen haben,
    dann muß ich Sie doch einmal fragen: Wie ist es denn 1989/90 gewesen? Kaum war die Mauer offen, haben die Sozialdemokraten von Wiedersehen statt von Wiedervereinigung gesprochen. Dann kam Herr Lafontaine und wollte das Aufnahmeverfahren für Übersiedler stoppen, damit der Prozeß möglichst wieder unterbrochen wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Dann ist man in der damaligen DDR herumgereist und hat gesagt: Es ist viel zuwenig, was der Westen zahlt. Gleichzeitig hat man im Westen gesagt: Es wird viel zu teuer.
    Herr Romberg ist doch nicht auf Druck der Bundesregierung abgelöst worden, sondern auf Druck von Herrn Lafontaine.

    (Lachen bei der SPD Wolfgang Thierse [SPD]: Quatsch!)

    - Herr Thierse, Sie wissen es ganz genau.

    (Wolfgang Thierse [SPD]: Ich weiß es genau!)

    Deswegen will ich Sie daran erinnern. Auf Druck von Herrn Lafontaine ist Richard Schröder als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Volkskammer an die Seite geschoben worden, weil man aus der Großen Koalition und der gemeinsamen Verantwortung in der damaligen DDR herauswollte.

    (Wolfgang Thierse [SPD]: Das ist Unsinn! De Maizière war doch nicht der verlängerte Arm von Lafontaine!)

    Ich nutze gerne die Gelegenheit, Lothar de Maizière und Günther Krause für ihren Beitrag zur deutschen Einheit zu danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will es in aller Ruhe sagen. Zu einer ehrlichen Bilanz gehört auch, daß man über die Probleme, über das, was noch zu schaffen ist, redet. Aber man darf bei der ehrlichen Bilanz auch nicht vergessen, was erreicht worden ist und welches die ungeheuren Vorteile sind. Auch das muß gesagt werden, sonst ist es keine Bilanz, sonst ist es Miesmacherei. Mit Miesmacherei gewinnen wir die Zukunft nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu der Bilanz gehört beispielsweise, daß sich die Menschen in Deutschland wieder frei bewegen können. Was das bedeutet, wissen die Menschen in Berlin noch sehr genau. Selbst ich kann mich noch erinnern, was es bedeutet hat, wie man aufgeatmet hat, wenn man aus dem Ostsektor wieder im Westen war oder wenn man auf der Interzonenbahn die Kontrolle hinter sich gebracht hatte.
    Wir beklagen manchmal zu Recht ein Übermaß an Perfektionismus unseres Rechtsstaates. Aber den Druck, den man empfunden hat, wenn man in einem System war, wo kein Rechtsstaat herrschte, wo man

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Willkür ohnmächtig ausgeliefert war, sollte man nicht vergessen. Deswegen sollte man unser System freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit bewahren und für die Zukunft vital erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Menschen können sich wieder frei von Bespitzelung, Angst und Unterdrückung in den neuen Bundesländern fühlen. Sie brauchen nicht mehr Angst zu haben, daß bis in den privaten Bereich Arbeitskollegen, Nachbarn, Freunde, selbst Ehepartner Spitzel sind. Das alles sind ungeheure Vorteile. Wir sollten sie bei der Bilanz an diesem Tag nicht vergessen.
    Wahr ist auch, daß die wirtschaftlichen Probleme, die sich mit der Aufgabe stellten, quasi von einem Tag auf den anderen aus einem gescheiterten, maroden, bankrotten System des real existierenden Sozialismus eine Soziale Marktwirtschaft zu schaffen und die Menschen in kurzer Zeit an das Niveau von Wohlstand und sozialer Sicherheit, das sie aus dem Westen kannten und für sich mit der Wiedervereinigung erwarteten, heranzuführen, die grundstürzenden Veränderungen bedingten, die die Menschen im Osten mehr als wir im Westen aushalten müssen.
    Deswegen ist das alles schwieriger geworden, als wir uns das 1990 vorgestellt haben und als wir 1990 geglaubt und gesagt haben. Ich habe es mir so schwer und so kostenintensiv 1990 auch nicht vorgestellt. Das kann man doch heute, fünf Jahre danach, bekennen. Aber es gehört auch dazu, daß es vor drei Jahren niemand für möglich gehalten hätte, daß wir im Jahre 1995 mit dem Aufbau im Osten und in ganz Deutschland wirtschaftlich so gut vorangekommen sind, daß die D-Mark stabil geblieben ist, die öffentlichen Haushalte nicht überlastet sind, wir dauerhaftes Wachstum haben und die Kriterien des Vertrags von Maastricht erfüllen. Dies alles hat vor drei Jahren kaum jemand für möglich gehalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil Sie, Herr Scharping, den früheren Kollegen von Dohnanyi erwähnt haben: Er hat einen Beitrag zur deutschen Einheit mit „Kein Grund für schlechte Laune" überschrieben. Ich hätte ihm gewünscht, daß Sie wenigstens die Überschrift zur Kenntnis nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wahr ist auch, daß wir die Anstrengungen fortsetzen müssen. Deswegen behält der Aufbau Ost Vorrang in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der CDU/ CSU-Fraktion und, ich meine, der ganzen Koalition. Deswegen werden wir auch die Förderung von Investitionen, insbesondere im industriellen Bereich, in den neuen Bundesländern fortsetzen. Wir müssen uns stärker auf den industriellen Bereich konzentrieren; denn im Einzelhandel brauchen wir die Investitionsförderung nicht mehr so sehr, im industriellen Bereich haben wir aber nach wie vor einen starken Rückstand.
    Herr Kollege Scharping, wenn Sie von „hohen Zuwachsraten auf niedrigem Niveau" sprechen, dann gehört zur Wahrheit doch auch das niedrige Niveau,
    auf dem sich die hohen Zuwachsraten erfüllen. Dafür war das gescheiterte System des Sozialismus in der früheren DDR verantwortlich. Für die hohen Zuwachsraten, die wir jetzt haben, ist die Soziale Marktwirtschaft verantwortlich. So einfach ist das. Deswegen müssen wir den Weg der hohen Zuwachsraten fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Deswegen brauchen wir übrigens auch in der Zukunft die solidarische Hilfe aller Bundesländer.
    Zu der Wahrheit des Jahres 1990 und auch der fünf Jahre seit der Vereinigung gehört, daß die Solidarität unter den Bundesländern auf dem Weg zur Vollendung der deutschen Einheit insgesamt noch ein Stück weit besser hätte sein können. Was die westdeutschen Länder beim Solidarpakt zum Teil gemacht haben, ist kein Ruhmesblatt. Damals sind Sie noch auf der Seite der Länder gesessen, Herr Scharping. Sie haben den Bund und die Steuerzahler kräftig ausgenommen, aber relativ wenig für den Aufbau Ost getan.

    (Rudolf Scharping [SPD]: Was? - Widerspruch bei der SPD)

    - Natürlich ist das wahr.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich könnte Ihnen auch noch vorhalten, was Ihre Kollegen gesagt haben, bei Herrn Schröder in Hannover angefangen, der gesagt hat „Keine Mark von niedersächsischen Steuerzahlern für den Aufbau Ost", bis zu Herrn Lafontaine, der schon seit dem Jahre 1989 und seitdem immer wieder nicht die Solidarität in Deutschland gefördert hat, sondern das Gegenteil getan hat. Am Ende hat man sich zu Lasten des Bundes und zu Lasten der Steuerzahler allenfalls auf Minimalkompromisse geeinigt.
    Dieser Weg wird fortgesetzt. Noch immer haben wir die Gewerbekapitalsteuer in Deutschland nicht abgeschafft. Wir müssen sie aber abschaffen, damit die Investitionen in ganz Deutschland vorankommen und wir diese Steuer nicht auch noch in den neuen Bundesländern einführen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Zu der erbärmlichen Kampagne, die Ministerpräsident Eichel zu Beginn dieses Jahres im Landtagswahlkampf von Hessen mit der angeblichen Verschwendung von Steuergeldern beim Aufbau Ost geführt hat, sage ich:

    (Widerspruch bei der SPD Wolfgang Thierse [SPD]: Und Stoiber?)

    So viele Steuergelder, wie Herr Eichel sie für seine Dienstvilla verschwendet hat, hat im Verhältnis dazu kaum jemals ein anderer verschwendet.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Das zeigt, daß Sie jede Gelegenheit nutzen, um die Menschen auseinanderzutreiben. Wir brauchen aber mehr Kraft für die Arbeit im Rahmen der Einheit. Deswegen sagen wir auch: Wir müssen die Anstrengungen solidarisch fortsetzen, um den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern, vor allem im industriellen Bereich, rasch so weit voranzubringen, daß wir ein vergleichbares Niveau mit dem Westen erreichen. So lange werden wir auch auf den Solidaritätszuschlag nicht vollständig verzichten können. Wir hoffen, daß wir ihn bald ein Stück abbauen können. Wir brauchen ihn aber so lange, bis wir im Osten im wesentlichen gleiche wirtschaftliche und soziale Verhältnisse erreicht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wer nicht bereit ist, die notwendige Solidarität zu zeigen, der versündigt sich an der Einheit.
    Ich finde, wir sollten uns aus der Bilanz, aus dem Vergleich dessen, was erreicht worden ist, die Kraft bewahren, auch weiterhin solidarisch die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen. Die größeren Anstrengungen, die mit der deutschen Einheit verbunden sind, bestehen doch letztlich in den ungeheuren Veränderungen, die die Menschen in den neuen Bundesländern, für die sich die grundlegenden Lebensverhältnisse in kurzer Zeit dramatisch verändern, aushalten müssen. Ich sage: Zu einer kritischen Bilanz fünf Jahre nach der deutschen Einheit würde für mich eher gehören - dazu habe ich von Herrn Scharping gar nichts gehört -, daß wir vielleicht im Westen die Chance der Erneuerung, die uns die deutsche Einheit geboten hat, nicht hinreichend genutzt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe früh gesagt: Die Bereitschaft, durch Teilen die Teilung zu überwinden, wird sich vor allen Dingen darin bewähren müssen, daß wir auch im Westen bereit sind, Veränderungen mitzutragen und zu ertragen. Das ist eine Chance für ganz Deutschland. Wenn wir so wie die Sozialdemokraten und Rot-Grün jeden Besitzstand nur tabuisieren und jede Veränderung blockieren, werden wir die Zukunft verspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen ist die größte Chance, die die deutsche Einheit uns allen eröffnet, die Chance zu begreifen, daß wir mit einem größeren Maß an Innovation, mit einem größeren Maß an Veränderungsbereitschaft, mit einem größeren Maß an Mut und nicht an Mißmut, auch liebgewordene Besitzstände auf den Prüfstand zu stellen, eine bessere Chance für eine gute Zukunft für alle Deutschen in West, Ost, Nord und Süd haben werden. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.
    Es wird von vielen gesagt - man kann es an einem solchen Tag noch einmal sagen -: Im Osten hat der ganz eigene Lebensweg in diesen 40 Jahren vieles an Schwierigkeiten mit sich gebracht: die Introvertiertheit der Menschen, die eingesperrt waren, die nicht mit ausländischen Mitbürgern zusammengelebt haben und keinen Austausch mit dem Ausland hatten, mit dem Westen nicht, selbst mit Polen war der Austausch aus der Bundesrepublik intensiver als aus der DDR.
    Aber im Westen haben wir uns in 40 Jahren wachsenden Wohlstands zu sehr angewöhnt, jeden Besitzstand zu verteidigen. Wir sind in der Gefahr, daß wir die Kraft zur Veränderung zunehmend verlieren. Wenn wir deswegen aus der deutschen Einheit, deren Lasten und deren Chancen wir gemeinsam tragen, Kraft für die Zukunft gewinnen sollen, dann sollten wir beides miteinander verbinden. Dann haben wir eine gute Chance, unser Land weiter voranzubringen.
    Ich glaube, in einer Welt, in der sich so ungeheuer viel verändert, ist das, was wir in Deutschland in den letzten fünf Jahren mit großartigem Gewinn für alle Menschen auf den Weg gebracht haben und weiter voranbringen müssen, für uns eine Chance, eine Bewährungsprobe für unsere gemeinsame Zukunft zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus.
    Wir sollten bei diesen Überlegungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch einen Moment den Blick über unsere eigenen Grenzen hinaus richten. Es ist wahr: Die Einheit hat nicht in Deutschland begonnen. Die Entwicklung begann in Polen, und in Ungarn hat sie ihren Höhepunkt gefunden. Wir danken unseren Nachbarn in Polen, in Ungarn, in der Tschechei und in der Slowakei.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wir sollten vielleicht bei allen Problemen, die wir in unserem eigenen Lande haben, auch an diesem Tag einen Moment an Aufmerksamkeit darauf verwenden, daß andere in Europa mit diesen ungeheuren Veränderungen ganz andere Probleme haben als wir in Deutschland. Gemessen an den Sorgen, die wir in Deutschland, die selbst unsere Mitbürger in den neuen Ländern haben, haben die Menschen in Mittel- und Osteuropa, die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion viel größere Probleme mit den historischen Veränderungen, mit denen auch historische Chancen verbunden sind. Deswegen lassen Sie uns nicht so kleinmütig und kleinkariert nur auf unsere eigenen Probleme schauen. Gerade weil wir unsere wiedergewonnene Einheit in Frieden und Freiheit unserer jahrzehntelangen konsequenten Politik der Westintegration, der europäischen Einheit und des Ausgleichs zwischen Ost und West verdanken, schulden wir unser Engagement unseren Nachbarn im Osten und der europäischen Einigung.
    Wir wären der Chance nicht wert, die wir mit der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit gewonnen haben, wenn wir jetzt nicht unsere gemeinsame Kraft einbringen würden, um dieses Europa zu einem Kontinent sicheren Friedens in Einheit zu machen. Deswegen ist es unsere Aufgabe im vereinten Deutschland, uns jetzt um so mehr für die europäische Eini-

    Dr. Wolfgang Schäuble
    gung, und zwar für die Einigung ganz Europas und nicht nur bis zur Oder und Neiße, zu engagieren

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    und unsere Beiträge dazu zu leisten, daß die Europäische Union vorankommt, aber zugleich auch die Kraft und Dynamik bewahrt, sich nach Osten zu erweitern. Wir müssen unseren russischen Freunden immer wieder erklären, daß die europäische Einigung nicht gegen sie gerichtet ist, sondern auf Zusammenarbeit auch mit Rußland angelegt ist. Wir wollen nicht eine Konfrontation, sondern wir wollen Zusammenarbeit, weil wir nur in einem Europa der Zusammenarbeit den Frieden, die Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte sichern und zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand aller beitragen können.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden oft darüber: Wie können die Deutschen das, was sie nach 45 Jahren an unterschiedlichen Erfahrungen, an unterschiedlichen Lebenswegen und Lebenswelten trennt, überwinden? Es ist trennender, als viele, auch ich, 1990 geglaubt haben. Aber es ist eigentlich logisch. Jemand, der so alt ist wie ich, hat bis zur deutschen Einheit immer nur in einem geteilten Deutschland bewußt gelebt. Ich bin 1942 geboren. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war Deutschland schon geteilt. Wir waren sehr getrennt, und die Menschen in der DDR waren eingesperrt. Deswegen sind unsere Einstellungen und Erfahrungen so unterschiedlich. Wir müssen aufeinander zugehen, miteinander, nicht übereinander reden, dürfen nicht auseinandertreiben, nicht die einen gegen die anderen ausspielen und nicht über die Probleme hinwegreden. Wir dürfen aber die Fortschritte, die erreicht worden sind, nicht vergessen und das Große und Gute neben dem, was weiter zu tun ist, nicht aus dem Blick verlieren.
    Wir finden, glaube ich, am besten zusammen, wenn wir über unsere gemeinsamen Aufgaben, über unsere gemeinsame Verantwortung für unsere Zukunft und für die Zukunft Europas stärker nachdenken. Das Allerwichtigste für die nächsten Jahre wird neben der Fortsetzung der Hilfe für den Aufbau der neuen Bundesländer und der Lösung der Probleme, die noch zu lösen sind und die wir Woche für Woche, angefangen beim Renten-Überleitungsgesetz, im Bundestag bearbeiten müssen, sein, zu begreifen, daß wir eine gemeinsame Verantwortung haben, unser Land als eine stabile freiheitliche Demokratie auch in der Zukunft zu bewahren.
    Für den Rechtsstaat, für den inneren Frieden ist eine Menge zu tun. Man muß den Rechtsstaat z. B. verteidigen und darf ihn nicht verkommen lassen, wie es bei den Chaostagen in Hannover geschehen ist. Wenn der Rechtsstaat nicht durchgesetzt wird, verkommen Freiheit und Recht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da gibt es noch anderes. Man sollte z. B. daraus lernen, daß man mit denjenigen, die nicht sicher für
    Freiheit und Demokratie sind, nicht zusammenarbeitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Herr Scharping, als Sie von Kassandra und Troja geredet haben, habe ich an Magdeburg gedacht. Passen Sie auf, daß Sie mit Ihrer Zusammenarbeit mit der PDS nicht zum trojanischen Esel werden, der den Feinden der Demokratie das Tor neu öffnet!

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habe ich doch heute morgen Herrn Gysi und Herrn Kohl zusammen auf einem Foto gesehen! Das war in Frankfurt!)

    - Herr Fischer, zu einer vernünftigen und realistischen Bilanz gehört z. B. auch, einmal zu vergleichen, was unter dem real existierenden Sozialismus an Umweltschäden angerichtet worden ist und was die Soziale Marktwirtschaft unter der Regierung von Helmut Kohl in den letzten fünf Jahren an Umweltschäden beseitigt hat. Darüber ist mit keinem Wort geredet worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kommt jetzt die Ökosteuer, oder kommt sie nicht? Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    - Das ist das Niveau, mit dem Sie über die Probleme der deutschen Einheit reden, Herr Kollege Fischer.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Das Allerwichtigste ist, daß wir begreifen - das wiederhole ich -, daß es die Verpflichtung für uns selbst in der Mitte Europas, aber auch für unsere Nachbarn in Europa in West und Süd und in Nord und Ost ist, zum Frieden, zur Freiheit und zur Demokratie in Europa beizutragen.
    Weil wir die deutsche Einheit der europäischen Einigung, dem Mitwirken und dem Einsatz unserer Nachbarn und Freunde in Ost und West verdanken, schulden wir die deutsche Einheit dem Frieden in Europa. Deswegen müssen wir uns für die europäische Einigung sowie für die Bewahrung, Wiederherstellung und Sicherung des Friedens in Europa einsetzen, und zwar, Herr Kollege Fischer, nicht nach dem Prinzip: Wir kämpfen bis zum letzten Franzosen, wie Sie es schriftlich verkünden, sondern nach dem Prinzip, daß wir das, was wir von anderen fordern, auch selbst zu leisten bereit sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir die Aufgaben und Herausforderungen so verstehen, vor die wir Deutsche uns heute gestellt sehen, sowie unsere Verantwortung für uns selbst und für andere wahrnehmen, kann uns dies helfen, zu uns selbst zu finden. Das ist vielleicht der beste Weg, unsere Identität zu erklären; wir sollten nicht abstrakt darüber diskutieren.

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Ich bin ganz sicher, daß jeder gemeinsame Erfolg bei diesen Bemühungen die Frage klarer beantworten wird, wer wir sind und was wir wollen. Ich bin sicher, daß wir im Verstand wie im Herzen - denn beides, Ratio und Emotio, gehört zusammen; das Gefühl der Menschen ist auch wichtig - die Gemeinschaft begründen, die notwendig ist, schwierige Zeiten zu bestehen, die in der Zukunft gewiß vor uns liegen.
    Die Herausforderungen und die Veränderungen in der Welt sind groß. Der Friede und auch die Umwelt bleiben bedroht. Die Demokratie muß immer neu bewahrt werden. Aber mir ist vor diesen Herausforderungen nicht bange. Ich finde, wir haben gerade fünf Jahre nach der deutschen Einheit überhaupt keinen Grund zu Pessimismus und Mißmut, sondern wir haben allen Grund zu Mut und Zuversicht. So - dessen bin ich sicher - dienen wir am besten der Einheit, und so sichern wir am besten unsere Zukunft.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es spricht jetzt der Kollege Werner Schulz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Werner Schulz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich geglaubt, daß uns heute bei einigem zeitlichen Abstand zum 3. Oktober eine Diskussion mit Feiertagspathos erspart bleibt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Schließlich ist ein Jubiläum ohne großen Jubel vorbei. Vielleicht können wir das nächste Mal sogar darauf verzichten, mit großem Zapfenstreich die Einheit der Armee als Zeichen unserer wiedererlangten Souveränität zu demonstrieren. Das brauchen wir am allerwenigsten.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Stimmung im Land hat sich zwischen Euphorie und Ernüchterung eingependelt. Weder die begeisterten Optimisten noch die Katastrophen voraussehenden Pessimisten haben recht behalten. Nach wie vor gehen im Osten Lage und Stimmung auseinander. Vielen geht es heute materiell besser als vor fünf Jahren. Sie fühlen sich politisch frei, aber sozial unsicher.
    Die demokratischen Grundrechte gehören zur Grundausstattung dieser Republik, Werte, die gerade nach Jahrzehnten der Unterdrückung, der ideologischen Bevormundung und der geistigen Enge zählen. Andererseits sind die alten sozialen Sicherheiten weggebrochen und die neuen noch nicht greifbar oder ungewiß.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Welche denn?)

    Im Osten wurde Enormes geleistet. Die Ostdeutschen mußten in kürzester Zeit die völlige Veränderung ihrer Lebensverhältnisse bewältigen, von der
    Steuererklärung bis hin zum Rufzeichen im Telefon. Alles, aber auch alles hat sich verändert. Durch die Art der Vereinigung allerdings, die eine Mischung aus Beitritt und kollektivem Ausreiseantrag war, ist ihnen bei allem Für und Wider zunächst das abverlangt worden, was sie zuallererst abschütteln wollten: das erzwungene Anpassungsvermögen.
    Die Westdeutschen haben diese rasante Lebensumstellung teils ganz persönlich und vor allem finanziell unterstützt. Sie haben hier in dankenswerter Weise Wichtiges und Wertvolles geleistet.
    Doch für sie ist die neue Bundesrepublik eigentlich die alte geblieben. Leider wurde der Aufbruch des Ostens nur als Zusammenbruch des Systems verstanden, wurde die Chance zur Inventur in Ost und West verkannt oder nicht gewollt, wurde die demokratische Reformchance vertan. Hätte man den Elan zur politischen Veränderung aufgegriffen, wäre schnell klar geworden, daß die Ostdeutschen mehr als ein Dauerlamento, verschlissene Betriebe oder einen unaufgeräumten Keller voller Stasi-Akten in die Einheit einbringen.
    Verschwunden ist der Instant-Glaube, daß man ein Westkonzentrat nur kräftig umrühren muß, um sofort die fertige Lösung zu bekommen. Heute ist klar: Es gibt keine schnellen und schon gar keine billigen Lösungen. Wir Ostdeutschen werden die verlorenen Jahre vermutlich erst in Generationen aufholen. Doch warum konnten und können wir uns darüber nicht verständigen? Politik muß doch Orientierung geben und mehr sein als schnelles Reagieren und Aussitzen.
    Die Einheit, Herr Bundeskanzler, war kein Glücksfall, sondern die Selbstbefreiung einer aktiven Generation,

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

    die ihre Leistungsbereitschaft ins vereinte Deutschland einbringen wollte und zusehen mußte, wie das Volkseigentum und die Arbeitsplätze verlorengingen, wie im Zeitraffertempo ein halbes Volk zum Hans im Glück geworden ist.
    Warum konnte diese Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern nicht wenigstens die Wohnungen zum symbolischen Preis überlassen,

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    wo sie doch weiß, daß Eigentum verpflichtet, wo sie doch weiß, daß es in der DDR keine Vermögensbildung gab, wo heute viele den drastischen Anstieg der Wohnkosten erleben, obwohl sich die Wohnungsqualität oder der Service der Wohnungsverwaltungen nicht verbessert hat? Sie erleben heute Mieterhöhungen als soziale Bedrohung und nicht als Einbindung in die neue Gesellschaft.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


    Werner Schulz (Berlin)

    Immerhin wurden ja Banken und Betriebe für'n Appel und 'n Ei verkauft - übrigens ein Naturalzahlungsmittel, das seit der Währungsunion offenbar hoch im Kurs steht.

    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich möchte auch mit einer anderen Legende aufräumen, Herr Bundeskanzler; auch Herr Schäuble bedient das ja immer so wunderbar: „Verrat" und „Verweigerer der deutschen Einheit" . Das sind immer diese tollen Verschwörungsdiskussionen. Ich will Ihnen sagen, was es gab: keinen Verrat; es gab keine Visionen für dieses vereinigte Deutschland, keinen Bauplan, noch nicht einmal Skizzen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Weder Ihre Deutschlandpolitik, die der Union, noch die Strategie „Wandel durch Annäherung" haben den Durchbruch geschafft. Selbst die Dissidenten, selbst wir, die wir vielleicht die einzigen wenigen waren, die dem SED-Regime noch Widerstand entgegengebracht haben, haben ja nicht geglaubt, daß sich der Mauerdurchbruch eines Tages ereignen könnte, daß ein bis an die Zähne bewaffneter Staat plötzlich zusammenbricht wie eine Plattenbausiedlung, in der die Armierung durchgerostet ist.

    (Zuruf von der F.D.P.: Wir aber! Zurufe von der CDU/CSU)

    Vielleicht wäre es gut gewesen, Herr Bundeskanzler, Sie wären schon früher einmal in den Prenzlauer Berg zu den mutigen Bürgerrechtlern gefahren.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Dann hätten Sie etwas über deren Vorstellungen gehört, wie sie sich den Weg zur deutschen Einheit vorgestellt haben, nämlich durch einen demokratischen Prozeß, und dann hätten Sie nicht mit dieser Ignoranz das Vermächtnis des Runden Tisches, die Verfassung des Runden Tisches weggewischt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Das bleibt als Makel stehen. Der Art. 146 GG zeigt, daß Sie über die Köpfe der Leute hinweg die deutsche Einheit gemacht haben. Sie haben den Ruf „Wir sind das Volk" nicht ernstgenommen, so wie gerade eine große Volkspartei in Bayern ganz weit neben der direkten Demokratie stand.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Noch immer fehlt ein politischer Entwurf für das vereinte Deutschland. Genauer betrachtet, lebt Deutschland noch immer in zwei Gesellschaften.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Das liegt auch daran, Herr Bundeskanzler, daß Sie am 3. Oktober 1990 nicht den Mut hatten, die Neuordnung Deutschlands anzugehen, daß Sie den Epocheumbruch nicht als Reformchance begriffen haben,

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    daß Sie in einer historischen Umbruchsituation darauf verzichtet haben, die Fülle der in der Gesellschaft vorhandenen Sachkompetenz und Bereitschaft zur Mitverantwortung aufzugreifen, daß Sie die Einheit eben nicht als Gestaltungschance begriffen, sondern als Wahlkampfrennen veranstaltet haben.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ich erinnere: „Allianz für Deutschland" hieß die Allunionsversicherung, die sich heute schwertut, ihre Garantien einzulösen und ihre eigenen Schadensfälle zu übernehmen. Schon wieder wird der Solidaritätszuschlag ganz bewußt zum Wahlkampfthema gemacht. Schon wieder werden Sympathietests auf dem Rücken der Solidarität veranstaltet.
    Nicht die innere Einheit ist unser Problem, meine Damen und Herren; das ist eher ein Suchbild mit fragwürdigem Inhalt. Die innere Einheit, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen, ist längst da, stärker, als uns offenbar bewußt ist. Heute läßt sich feststellen: Die Akzeptanz der staatlichen Vereinigung ist gewachsen, allerdings auch die Kritik an deren Folgen.
    Niemand will die DDR wiederhaben oder erhebt ernsthaft die Forderung nach Zweistaatlichkeit. Dennoch besteht eine nationale Schieflage.
    Was wir brauchen, ist ein inneres Gleichgewicht. Wie weit wir davon noch entfernt sind, kann jeder ermessen, der einmal drüben war. Vielleicht verschwindet in einigen Jahren sogar dieses Trennwort aus unserem Sprachgebrauch. Vielleicht ist das ein Kriterium dafür, wie die Einheit entsteht; so wie die Ostdeutschen lernen, daß die Zeit der Westpakete vorbei ist.
    Von Anfang an hat ein solider, klar umrissener Lastenausgleich gefehlt. Er kam durch die Hintertür: Der Kanzler hat den Ostdeutschen versprochen, die D-Mark zu bringen, und den Westdeutschen gesagt, daß er sie ihnen nicht nehmen will. Das eine hat er gehalten, das andere nicht. An diesem wunden Punkt laborieren wir noch heute.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Es ist wahr, meine Damen und Herren, bisher ist viel erreicht worden: Ohne Fünfjahresplan ist der Aufbau in den neuen Ländern ein gutes Stück vorangekommen. Verwaltungen arbeiten, das Rechtssystem funktioniert, Löhne und Renten nähern sich - wenn auch manchem viel zu langsam - dem westdeutschen Niveau an, die Qualität der Infrastruktur wird immer besser, die Wiederbelebung der Wirtschaft zeigt erste Erfolge.

    Werner Schulz (Berlin)

    Es wäre verbohrte Opposition gegenüber dieser Regierung, nicht anzuerkennen, daß auch ihr Bemühen um den Aufbau Ost nicht völlig erfolglos war. Der Bundeskanzler hat eine Bilanz geboten, was er alles auf der Glanzseite seines Guthabens sieht. Allerdings verdeckt seine Regierungspolitik der Wort-und Wertschöpfung, daß er wichtige Chancen vertan hat, z. B., daß mit dem Neuaufbau der Verwaltung in den neuen Ländern auch eine Verwaltungsreform in ganz Deutschland hätte durchgreifen können.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    So wurden die verkrusteten Strukturen, ein Wust an Vorschriften einfach unkritisch in den Osten übertragen. Hier wurde ein Investitionshemmnis ersten Ranges geschaffen. Hätte die alte Bundesrepublik in ihren Gründerjahren auf ein solch kompliziertes Regelwerk, auf eine solche Regelungsdichte zurückgreifen müssen, ich glaube, sie würden noch heute auf das Wirtschaftswunder der 50er Jahre warten.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Statt den industriellen Aufbau der neuen Bundesländer für den ökologischen Strukturwandel in ganz Deutschland zu nutzen, wurde die schnelle Privatisierung durch die Treuhand priorisiert und wurden westdeutsche Gebrauchsmuster übernommen. Statt die Hauptstadtfrage eindeutig im Einigungsvertrag zu regeln und mit dem schnellen Regierungsumzug nach Berlin ein Beispiel für den Umbau zu leisten, wurde eine quälende Ersatzdebatte zur deutschen Einheit zugelassen. Statt den Zusammenschluß für eine Bestandsaufnahme der sozialen Systeme zu nutzen, wurden die Sozialkassen für den Aufbau Ost zweckentfremdet. Nicht einmal ansatzweise wurde die deutsche Einheit als Ausgangspunkt für einen Reformprozeß genutzt.
    Zwar hat jetzt die Bundesregierung das Hauptmanko des Einigungsvertrages, daß die neuen Länder die ersten vier Jahre nicht in den Länderfinanzausgleich einbezogen waren, durch einen Solidarpakt ausgeglichen, doch war dieser Pakt mehr ein Vertrag der Länder zu Lasten des Bundes, wie überhaupt der Beitrag der Länder zur deutschen Einheit nicht gerade ein Ruhmesblatt der föderalen Geschichte darstellt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ein wirklicher Solidarpakt im Sinne eines Grundkonsenses, im Sinne eines neuen Gesellschaftsvertrages, den diese Republik unbedingt braucht, steht allerdings erst noch aus.
    Eine Regierung im vereinten Deutschland muß sich an der Zukunftsdebatte messen lassen. Hier einige Themen: Können wir unsere föderale Grundordnung auch angesichts der europäischen Entwicklung tatsächlich noch mit 16 bzw. 15 Ländern aufrechterhalten? Oder sollten nicht dem Beispiel Berlin-Brandenburg andere folgen? Was wird aus dem Aufbau einer modernen Infrastruktur? Was darf sie kosten? Was dürfen der Umzug nach Berlin und der
    Ausgleich für Bonn kosten? Muß Bonn erst in Berlin nachgebaut werden, oder können nicht vorhandene Möglichkeiten besser genutzt werden? Welche Fördermittel und -maßnahmen erhalten andere Problemregionen? Schaffen wir mit Berlin-Bonn nicht einen schwer nachvollziehbaren Maßstab?
    Wie kann der Sozialstaat durch die stärkere Beteiligung, durch das stärkere Engagement der Staatsbürger gesichert werden? Wie können die Renten gesichert werden - hier hat die Regierung sicherlich nicht ganz uneigennützig schon vieles getan -, und wie kann gleichzeitig den Kindern und Jugendlichen eine angemessene Perspektive eröffnet werden? Wieviel Beamte braucht dieser Staat, und wo braucht er sie? Das sind Fragen und vor allen Dingen auch Versäumnisse.
    Aber in den letzten Jahren sind auch schwerwiegende Fehler passiert: So sieht der Einigungsvertrag keine Korrektur von Fehlentwicklungen vor. Es gibt keine Öffnungsklausel, nach der falsche Weichenstellungen berichtigt werden können. Er hat sich vielerorts als Korsett für den Gestaltungswillen im Osten erwiesen.
    Oder nehmen Sie z. B. nur die Altschulden. Hier lauert ein Konflikt, gegen den die Zwick-, Schneiderund Graf-Affären wirklich Peanuts sind. Mit einem Federstrich wurden aus willkürlichen Verrechnungseinheiten D-Mark-Schulden in der Landwirtschaft, beim Wohnungsbau, in den Kommunen oder bei vielen Betrieben der Treuhand. Obwohl ansonsten alles abgewickelt wurde, alles negiert wurde, wurde hier einer der fragwürdigsten Posten aus dem Unrechtsstaat ohne Abstriche in den Rechtsstaat übertragen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Gewinner sind die Banken, über die diese Forderungen gekommen sind wie die Sterntaler im Märchen. Die gleichen Banken, die die großen Gewinner der Einheit sind, lassen heute die ostdeutschen Existenzgründer bei der Vergabe von Risikokapital im Stich.
    Wegen der sogenannten kommunalen Altschulden will der Bundesfinanzminister in der kommenden Woche sogar Mahnbescheide an 1 200 ostdeutsche Kommunen verschicken. Dabei brauchen wir keine buchhalterische, sondern eine politische Lösung.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Der Bundesfinanzminister leistet dem Aufbau Ost einen sehr fragwürdigen Dienst, wenn er weiterhin auf seiner sturen Position beharrt und womöglich ein weiteres Mal durch Karlsruhe belehrt wird.
    Die Bundesregierung hat es bisher vorgezogen, auf eine Gesamtschau der Entwicklung zu verzichten. Seit fünf Jahren gibt es keine verbindliche Darstellung des Entwicklungsstandes, keine Zielvorgaben, keine Kriterien, keine Zeithorizonte. So begeistert, wie früher der Bericht zur Lage der Nation diskutiert wurde, so wenig scheint die Bundesregierung heute an Klarheit, Verbindlichkeit und Übersicht interessiert zu sein. Das Motto des Bundeskanzlers lau-

    Werner Schulz (Berlin)

    tet: Wer nichts verspricht, dem kann man nachher auch keine Vorwürfe machen, und der Vorwurf der Steuerlüge bleibt dem erspart, der sich zur Steuerpolitik gar nicht erst äußert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Insofern brauchen wir einen Bericht zur Entwicklung der deutschen Einheit. Wir sollten nicht aus den Sensationsmeldungen deutscher Wochenmagazine über die nächsten Milliardengräber informiert werden, sondern diese Regierung hat die Auskunftspflicht.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die kostenlose Einheit hat sich als grandiose Illusion erwiesen. Im fünften Jahr der deutschen Einheit hat die Staatsverschuldung eine neue Rekordmarke erreicht. Eine Haushaltskonsolidierung ist nicht in Sicht. Gespart wird allenfalls bei Sozialhilfe und Arbeitslosengeldern, also bei den Ärmsten in dieser immer noch reichen Gesellschaft. Es wäre schon gut gewesen, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, die Beamten und Selbständigen an der Rentenkasse und damit an der deutschen Einheit zu beteiligen. Dann hätten wir an dieser Stelle kein Milliardenloch.
    Ost- und Westdeutsche wurden immer wieder im unklaren gelassen über die mit der Vereinigung verbundenen Umwälzungen und auch Belastungen. Das ständige Theater um Einführung, Abschaffung, Wiedereinführung und Absenkung des Solidarzuschlags ist ermüdend, frustiert und erzeugt Ablehnung. Die Regierung muß den Bürgern in Ost und West endlich klar sagen, was auf sie zukommt, welche Veränderungen notwendig sind und welche Lasten zu tragen sind.
    Es wäre gut, wenn wir nicht gleich in die nächste Währungsunion hineinstolperten, wenn der Finanzminister zumindest aus dieser lernte und durch diskrete Hilfe den osteuropäischen Staaten die Annäherung an die EU ermöglichte, anstatt durch Indiskretion ein finanzpolitisches Kerneuropa heraufzubeschwören.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Die wichtigste und vorrangigste Aufgabe, an der sich jede Regierung im vereinten Deutschland messen lassen muß, ist die Eindämmung der Arbeitslosigkeit. Es gilt, neue Arbeitsplätze und damit Vertrauen in die Zukunft zu schaffen. Das ist zuallererst natürlich eine Herausforderung an die Wirtschaft.
    Aber vorhandene Arbeit muß auch gerecht verteilt werden. Vielleicht können wir hier mit unseren Erfahrungen aus der Mangelgesellschaft behilflich sein, zumindest mit dem Wissen, daß etwas, was knapp ist, gerecht verteilt werden muß.
    Geradezu paradox ist es allerdings, daß ausgerechnet der Kanzler, der die höchste Arbeitslosigkeit seit der Weimarer Republik zu verantworten hat, in einer Situation, in der ganze Jahrgänge in den Vorruhestand gehen, über das verdiente Rentenalter hinaus einen Dauerarbeitsplatz besetzen will.
    Die politische Entscheidung zur Einheit Deutschlands war wirtschaftlich falsch. Damit wurde ein Schock ohne Therapie ausgelöst, der viele Betriebe die Existenz kostete. Das ist heute unumstritten. Damit ist zwar der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gelaufen, aber er ist nicht gelungen. In diesem Zusammenhang von einer einzigartigen Erfolgsstory zu sprechen, wie der Wirtschaftsminister das tut, ist zumindest für einen ehemaligen Treuhanddirektor ein erschreckender Fall von Verantwortungsvergessenheit.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zumindest ein paar Moritaten müßten ihm doch noch geläufig sein.
    Sicher, der Aufschwung Ost findet statt, nur kann er nicht alle gebrauchen. Auch das ist eine herbe Erfahrung aus fünf Jahren Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, von der immerhin mehr erwartet wurde als eine Konkursverwaltung mit Sozialplan.
    Noch steht die ostdeutsche Wirtschaft nicht auf eigenen Beinen, noch hängt das Wachstum am Fördermitteltropf. Noch ist die industrielle Basis zu schwach, und andere Wirtschaftszweige können nicht im erforderlichen Umfang wachsen.
    Die Wertschöpfung in den neuen Bundesländern muß steigen, und das unter verschärften weltweiten Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen. Immerhin haben Polen und Tschechien einen selbsttragenden Aufschwung auf niedrigem Niveau erreicht. Die neuen Bundesländer sind hingegen noch weit davon entfernt, ihr höheres Einkommen selbst zu erzeugen. Auch das hat Einfluß auf die Stimmung.
    Fünf Jahre nach der staatlichen Vereinigung Deutschlands gibt es noch nicht den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern deren zwei, einen westdeutschen, dessen strukturelle Defizite jetzt ans Licht kommen, und einen östlichen, der sich trotz mancher positiven Entwicklung in einer immer noch schwierigen Situation befindet.
    Heute gibt es kein Ostprodukt mehr mit bundesweiter oder gar internationaler Bedeutung, weder im Konsumgüter- noch im Investitionsgüterbereich.
    In Ostdeutschland sind kaum noch größere Unternehmen. Es gibt keinen einzigen überregional wichtigen und wirklich ständigen Firmensitz. Infolgedessen zeigt sich die Industrie als die entscheidende Schwachstelle der ostdeutschen Wirtschaft. Hier ist Strukturpolitik erforderlich. Die Bundesrepublik hat es bisher vermieden, diese zu betreiben. Und da, wo sie Strukturpolitik gemacht hat, z. B. beim Stromvertrag, hat sie dafür gesorgt, daß ausgerechnet die aus-

    Werner Schulz (Berlin)

    Betretensten Wege des Westens in den Osten verlängert werden. Gerade mit der jetzt ausgebliebenen Sanierung des Fernwärmenetzes wird schwerer Schaden angerichtet.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Da, wo die Chancen des Ostens eigentlich liegen könnten, verweigert man ihm den Anschluß.
    Deutsche Einheit - um ein Dichterwort aufzugreifen - ist „ein weites Feld" . Deswegen am Ende meiner Rede zwei Überlegungen:
    Erstens. Die Deutschen haben im Osten wie im Westen in Nischengesellschaften gelebt. 40 Jahre DDR und Bundesrepublik, die Zeit vor und hinter der Mauer, sind vorbei. Die Politik und politische Generation des Mauerfalls muß lernen, mit großen Problemen und Konflikten zu leben.
    Zweitens. Wir leben nach den Wendezeiten in West und Ost in einer Zeitenwende, in einer komplizierten ungewissen Umbruchsituation. Noch haben wir Zeit, wenn auch keine mehr zu verlieren. Die Zukunft Deutschlands wird sich daran entscheiden, wie wir den Reformstau auflösen, ob wir daran glauben, daß das westdeutsche Modell nicht nur nach Ostdeutschland, sondern auch ins nächste Jahrtausend übertragen werden kann, oder ob wir eine gemeinsame, eine gesamtdeutsche Antwort auf die veränderten Bedingungen in Europa und die weltweiten Herausforderungen finden.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)